Verwaltungsrecht

Neubewertung der Prüfunsarbeit

Aktenzeichen  Au 8 K 19.523

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 8412
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBiG § 40 Abs. 3 S. 1, § 56 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, die streitgegenständliche Projektarbeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten.
III. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2019 über die nicht bestandene Prüfungsleistung „Projektarbeit“ ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die streitgegenständliche Projektarbeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut bewertet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der Bescheid vom 6. Februar 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2019 erweist sich als rechtswidrig und war daher aufzuheben, da die Beklagte die streitgegenständliche Projektarbeit zum damaligen Zeitpunkt verfahrensfehlerhaft vom falschen Prüfungsausschuss hat korrigieren lassen und der Kläger daher in seinen Rechten auf ordnungsgemäßes Zustandekommen der Bewertung seiner Prüfungsleistung sowie wegen der Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Berufsfreiheit verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Bei der Anfechtung von Prüfungsentscheidungen ist mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 419.81, 1 BvR 213.83 – juris Rn. 45 ff.; B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529.84, 1 BvR 138.87 – juris Rn. 63 ff.) davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) die Gerichte verpflichten, Prüfungsentscheidungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig nachzuprüfen. Lediglich bei „prüfungsspezifischen“ Wertungen verbleibt der Prüfungsbehörde ein die gerichtliche Kontrolle insoweit einschränkender Entscheidungsspielraum. Der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegen aber insbesondere formale Aspekte, wie z.B. Verfahrensfehler in den Phasen der Leistungsermittlung und -bewertung (BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 419.81, 1 BvR 213.83 – juris Rn. 45 ff.; BVerwG, B.v. 13.5.2004 – 6 B 25.04 – juris Rn. 11).
b) Die Bewertung des Leistungsbildes, das der Prüfling im Rahmen einer bewertungsfähigen Leistung gezeigt hat, unterliegt gewissen Verfahrensregeln. Diese dienen dazu, eine richtige und ausgewogene, die Leistungen aller Prüflinge möglichst gleichmäßig erfassende Prüfungsentscheidung zu treffen. Mit diesen Verfahrensregeln werden die Modalitäten und formellen Grenzen des Bewertungsvorgangs abgesteckt. Werden Mängel im Bewertungsverfahren festgestellt, muss geprüft werden, ob der Mangel für das Prüfungsergebnis erheblich ist, ob und wie er geheilt werden kann oder wie der Mangel auf andere Weise zu „reparieren“ ist, nämlich durch eine fehlerfreie Neubewertung der vorhandenen bewertungsfähigen Leistungen oder durch eine (teilweise) Wiederholung der Prüfung ohne Anrechnung auf die regulären Wiederholungsmöglichkeiten (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 509 f., 520 ff.).
c) Der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet, dass eine gebotene Nachkorrektur und/oder Neubewertung einer Prüfungsleistung in aller Regel von den Prüfern oder dem Prüfungsausschuss vorzunehmen ist, die die beanstandete frühere Bewertung vorgenommen haben (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, Rn. 687). Dieser Grundsatz kann bei dem Einsatz der bisherigen Prüfer gewährleistet werden, weil diese für die Nachbewertung auf ihr aufgabenbezogenes Bewertungssystem und darauf beruhende Leistungsvergleiche zurückgreifen können. Sie sind aus Gründen der Chancengleichheit gehindert, dieses System aus Anlass der Nach- bzw. Neubewertung zu ändern. Daher müssen sie die als rechtswidrig beanstandeten Einzelwertungen erneut treffen und in das System komplexer Erwägungen einpassen, die sie bei der ersten Bewertung der Notengebung angestellt haben. Etwas anderes gilt grundsätzlich nur dann, wenn eine Neubewertung durch die bisherigen Prüfer tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist (BVerwG, B.v. 19.5.2016 – 6 B 1/16 – juris Rn. 19 f.; U.v. 24.2.1993 – 6 C 38.92 – juris Rn. 20; U.v. 30.6.1994 – 6 C 4.93 – juris Rn. 29; OVG NRW, U.v. 6.7.1998 – 22 A 1566/96 – juris Rn. 2). Zwar gibt es keinen Anspruch auf einen „gesetzlichen Prüfer“ vergleichbar dem „gesetzlichen Richter“. Doch der Anspruch des Prüflings auf ordnungsgemäße Durchführung des Bewertungsverfahrens seiner Leistung umfasst jedenfalls die Bewertung seiner Prüfungsleistung durch den bzw. die hierzu berufenen Prüfer. Die Frage, wer zu den konkret berufenen Prüfern zählt, beantwortet sich aus der jeweiligen Prüfungsordnung (vgl. VG Würzburg, U.v. 5.12.2018 – W 6 K 17.1427 – juris Rn. 39).
Vorliegend hat die Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 den Ergebnisbescheid vom 25. Mai 2018 aufgehoben, weil sich die eingeholten Einzelkorrekturen nicht eindeutig hätten rekonstruieren lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte damit eine noch nicht bewertete bzw. neu zu bewertende Projektarbeit vorliegen, die sie dem Prüfungsausschuss zuzuleiten gehabt hätte, der in diesem Zeitpunkt berufen und zuständig war. Dafür spricht § 6 Abs. 3 der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Betriebswirt/Geprüfte Betriebswirtin nach dem Berufsbildungsgesetz (BetrWPrV), nach dem das Thema der Projektarbeit „vom Prüfungsausschuss“ gestellt wird und damit nur ein im Berufungszeitraum bis 31. Dezember 2018 bestehender Prüfungsausschuss gemeint sein kann. Nach § 22 Abs. 1 der Prüfungsordnung für Fortbildungsprüfungen (FPO) der Beklagten ist jede Prüfungsleistung grundsätzlich von jedem Mitglied des Prüfungsausschusses selbstständig zu bewerten. In der Zusammenschau ist damit grundsätzlich nur der im Berufungszeitraum bis 31. Dezember 2018 bestehende Prüfungsausschuss zuständig, der auch das Thema der Projektarbeit gestellt hat. Die Beklagte führte aber eine Neubewertung im Zeitraum Januar/Februar 2019 mit einem zu diesem Zeitpunkt (neu) berufenen Prüfungsausschuss durch und begründete dies damit, dass die bisherigen Prüfer aufgrund des abgelaufenen Berufungszeitraums nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Der Berufungszeitraum der vormals berufenen Prüfer endete aber erst zum 31. Dezember 2018, so dass die Beklagte jedenfalls nicht sachgrundlos zuwarten konnte und durfte, bis mit dem 1. Januar 2019 der neue Berufungszeitraum der neuen Prüfer begonnen hatte, zumal die Korrektur der schriftlichen Arbeit des Klägers tatsächlich einen relativ kurzen Zeitraum benötigte (21. Januar 2019 – 5. Februar 2019). Es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, weshalb die Korrektur der schriftlichen Arbeit daher nicht noch im ablaufenden Berufungszeitraum mit dem zu diesem Zeitpunkt zuständigen Prüfungsausschuss hätte erfolgen können.
Der klägerische Anspruch auf ordnungsgemäßes Zustandekommen der Bewertung seiner Prüfungsleistung ist damit verletzt. Insofern erweist sich auch der Grundsatz der Chancengleichheit als gefährdet bzw. verletzt – zum einen in Bezug auf den Kläger in Beziehung zu seinen Mitprüflingen, aber v.a. auch hinsichtlich der Mitprüflinge in Beziehung auf den Kläger (vgl. dazu auch VG Köln, U.v. 2.6.2010 – 6 K 7330/08 – juris Rn. 40). Denn dem Prüfling dürfen jedenfalls daraus, dass seine Leistung neu zu bewerten ist, gegenüber den Mitprüflingen prinzipiell weder Vor- noch Nachteile erwachsen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, Rn. 687). Da soweit als möglich gleiche Prüfungsbedingungen herzustellen sind, ist ein Auswechseln von Prüfern aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten Grundsatzes der Chancengleichheit als Ausfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Berufsfreiheit zwar jedenfalls bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Heranziehung der bisherigen Prüfer möglich (BVerwG, B.v. 19.5.2016 – 6 B 1/16 – juris Rn. 19 f.). Anhaltspunkte für eine derartige Unmöglichkeit zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19. Dezember 2018 sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Die damaligen Prüfer bzw. Prüfungsausschüsse waren zu diesem Zeitpunkt noch bis 31. Dezember 2018 berufen.
Aber auch wenn man der Beklagten einen darüberhinausgehenden Ermessensspielraum dahingehend einräumt, in sachlich vertretbaren Ausnahmefällen für eine Neubewertung einer Arbeit auch neue Prüfer einzusetzen (vgl. dazu VG Köln, U.v. 2.6.2010 – 6 K 7330/08 – juris Rn. 40 ff.), ändert dies nichts an der Fehlerhaftigkeit des Verfahrens und der Gefährdung bzw. Verletzung des Gebots der Chancengleichheit zu Lasten des Klägers, da die Beklagte wie dargestellt nicht sachgrundlos mit der Beauftragung der Neubewertung zuwarten konnte, bis der neue Berufungszeitraum begonnen hatte, so dass sich diese Entscheidung auch als ermessensfehlerhaft erwiese. Vielmehr hätte sie im Rahmen dieses Ermessens im alten Berufungszeitraum allenfalls mit entsprechenden Sachgründen einen anderen (ebenfalls bis zum 31. Dezember 2018 berufenen) Prüfungsausschuss mit der Neubewertung der Projektarbeit des Klägers beauftragen können, soweit dies aus Gründen der Chancengleichheit zweckmäßig gewesen wäre (VG Köln, U.v. 2.6.2010 – 6 K 7330/08 – juris Rn. 43). Zu einer dahingehenden Ermessensausübung ist aber weder vorgetragen noch eine solche ersichtlich.
d) Insbesondere lag auch keine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit im o.g. Sinn darin, dass bei einer hypothetisch noch im Jahr 2018 erfolgten Korrektur der schriftlichen Projektarbeit jedenfalls die dazugehörige mündliche Prüfung wegen entsprechender Ladungsfristen erst nach Ablauf des alten Berufungszeitraums in die Zeit des nachfolgenden Berufungszeitraums ab 1. Januar 2019 gefallen wäre. Fehlerhaft wäre es grundsätzlich, einen Wechsel in der Zusammensetzung des Prüfungsausschusses vor Abschluss eines laufenden Prüfungsverfahrens vorzunehmen (vgl. dazu auch BayVGH, U.v. 7.6.1974 – 179 VI 73 – BeckRS 1974, 30371541). § 40 Abs. 3 Satz 1 BBiG (i.V.m. § 56 Abs. 1 BBiG) und der darauf beruhende § 2 Abs. 3 FPO regeln die Bildung der Prüfungsausschüsse, verhalten sich aber nicht zu der Frage, wie eine von einem Prüfungsausschuss begonnene Prüfung zu Ende zu führen ist, wenn bei den Mitgliedern die entsprechende Amtszeit abläuft. Jedenfalls kann § 40 Abs. 3 Satz 1 BBiG nicht als abschließende Regelung dahingehend verstanden werden, dass dieser auch die Mitwirkung der Prüfer in einem bereits begonnenen Prüfungsverfahren eindeutig regelt und daher einer modifizierten Anwendung mit Rücksicht auf die Eigentümlichkeiten des jeweiligen Verfahrens nicht zugänglich ist (vgl. auch BFH, U.v. 28.11.2002 – VII R 27/02 – juris Rn. 15).
Denn zum einen könnten sonst bereits lange vor Ablauf des endenden Berufungszeitraums die dann berufenen Prüfer nicht mehr zur Bewertung von Prüfungsleistungen herangezogen werden, weil zu befürchten wäre, dass einzelne unselbstständige Teile dieser Prüfungsleistung nicht mehr in den aktuellen Berufungszeitraum fielen, so dass zum einen die die Prüfungen abnehmenden Einrichtungen faktisch in ihrer Tätigkeit erheblich eingeschränkt bzw. gelähmt wären und zum anderen auch bei den Prüflingen durch diesen dann ggf. erheblichen zeitlichen Verzug jedenfalls eine Beeinträchtigung des Art. 12 Abs. 1 GG vorläge, v.a. wenn man berücksichtigt, dass die Prüfungen ggf. über den Berufszugang entscheiden. Vorliegend kommt noch die Besonderheit hinzu, dass der mündliche Prüfungsteil („projektarbeitsbezogenes Fachgespräch“) untrennbar sachlich auf die bewertete Projektarbeit bezogen ist, so dass diese mündliche Prüfungsleistung grundsätzlich jedenfalls gleichsam einer „Annexkompetenz“ von den Prüfern, die auch die dazugehörige schriftliche Projektarbeit bewertet haben, abzulegen ist, da nur so eine sachgerechte Bewertung innerhalb des jeweiligen Bewertungssystems möglich ist. Dass damit in Ausnahmefällen einzelne unselbstständige Prüfungsleistungen etwa wegen einzuhaltender Ladungsfristen ggf. auch nach Ende des Berufungszeitraums noch von den bisher berufenen Prüfern abgenommen werden müssen, ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Prüflinge hinzunehmen und auch nicht per se ein Verstoß gegen § 40 Abs. 3 Satz 1 BBiG. Das Interesse der Prüflinge an einer zügigen und das Gebot der Chancengleichheit wahrenden Abnahme von Prüfungsleistungen wiegt nämlich deutlich schwerer, als ein oftmals unter Praktikabilitätsgründen oder rein zufällig gewähltes Datum des Ablaufs eines Berufungszeitraums, welches bei strikter Beachtung die Rechte der Prüflinge gleichsam zufällig erheblich einschränken kann. Vor dem Hintergrund der Dauer des Berufungszeitraums von Prüfern von grundsätzlich längstens fünf Jahren (§ 40 Abs. 3 Satz 1 BBiG) ist dagegen auch der Eingriff in die Rechte der Prüfer (Art. 12 Abs. 1 GG), wenn diese noch für einige wenige Wochen oder eine geringe Anzahl von Monaten zur sachgemäßen Beendigung ihrer begonnenen Bewertungen zur Verfügung stehen müssen, als gering anzusehen.
e) Da bereits dieser Verfahrensfehler, bei dem nicht auszuschließen ist, dass er das Prüfungsergebnis beeinflusst hat, zur Aufhebung des Bescheids vom 6. Februar 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2019 führt, konnten die Fragen der gerügten Verletzung der Parität, der ordnungsgemäßen Berufung des Prüfungsausschusses und des Verschlechterungsverbots offenbleiben.
2. Mangels Spruchreife ist die streitgegenständliche Projektarbeit von der Beklagten daher durch einen zuständigen Prüfungsausschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Vorliegend ist die Projektarbeit „Industrie 4.0: Personalmanagement im Digitalisierungszeitalter“, von dem Kläger bei der Beklagten eingereicht am 20. März 2018, noch vorhanden. Weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren sind Fehler im Hinblick auf das Zustandekommen dieser Prüfungsleistung geltend gemacht worden, solche sind auch nicht ersichtlich. Damit ist eine bewertungsfähige Prüfungsleistung des Klägers vorhanden. Soweit in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt wurde, dass diese Prüfungsleistung bereits einen nicht unerheblichen Zeitraum zurückliege, ändert dies an der Bewertungsfähigkeit dieser Prüfungsleistung des Klägers nichts. Durch die schriftliche Niederlegung seiner Arbeit besteht im Gegensatz zu beispielsweise mündlichen Prüfungen keine Gefahr, dass die Erinnerung der Prüfer an die Prüfungsleistung verblasst sein könnte, sodass eine hinreichende (Neu-)Bewertungsgrundlage nicht mehr gegeben wäre (vgl. VG Würzburg, U.v. 5.12.2018 – W 6 K 17.1427 – juris Rn. 34).
Da die damaligen Prüfer nach dem insoweit unstreitig gebliebenen Beklagtenvortrag nicht mehr zur Neubewertung herangezogen werden können, kann offenbleiben, ob der ursprüngliche Prüfungsausschuss aus dem Berufungszeitraum bis 31. Dezember 2018 auch nach der hiesigen Verpflichtung noch hätte herangezogen werden müssen. Denn die damaligen Prüfer sind nunmehr jedenfalls rechtlich bzw. tatsächlich gehindert, die Neubewertung der streitgegenständlichen Projektarbeit vorzunehmen, so dass die Beklagte nach dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur nur noch einen jetzt zuständigen Prüfungsausschuss unter Wahrung der Parität und der allgemeinen Grundsätze zum Verschlechterungsverbot heranziehen kann (vgl. auch BFH, U.v. 9.7.1991 – VII R 21/91 – juris Rn. 12). Eine solche Verfahrensweise ist auch unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit nunmehr sachgerecht, wenn die ursprünglichen Mitglieder infolge des Ablaufs des Bestellungszeitraums zum 31. Dezember 2018 dem Prüfungsausschuss nicht mehr angehören und auch nicht mehr zum Mitglied bestellt werden können (BFH, U.v. 9.7.1991 – VII R 21/91 – juris Rn. 12; OVG NRW, U.v. 6.7.1998 – 22 A 1566/96 – juris Rn. 2 f.).
Dabei ist zu beachten, dass, wenn wie hier das Bewertungsverfahren wegen Zuständigkeitsmängeln fehlerhaft ist, die erneute nachträgliche und jetzt ggf. ordnungsgemäße Befassung des zunächst fälschlicherweise befassten Prüfungsausschusses in der Sache auf eine Genehmigung seiner bereits erfolgten Korrektur einschließlich des dabei ermittelten Prüfungsergebnisses hinausliefe. Denn anders als bei einer wegen inhaltlicher Bewertungsmängel angeordneten Neubewertung hätten die Prüfer bei einer allein wegen Zuständigkeitsmängeln erforderlichen Neubewertung keinen Anlass von ihrem bisherigen individuellen Prüfungsmaßstab abzurücken. Auf diese Weise käme dem den Prüfer bestellenden Organ bei der nachträglichen Prüferbestimmung eine Entscheidungsbefugnis zu, die es in einem ordnungsgemäßen Auswahlverfahren nicht hätte. Durch Bestimmung des bereits tätig gewordenen Prüfungsausschusses könnte es zugleich gezielt für ein schon getroffenes Prüfungsergebnis votieren. Der fehlerhaft eingesetzte Prüfungsausschuss zählt mithin grundsätzlich nicht zum Kreis der nachträglich bestimmbaren Prüfungsausschüsse, um eine dem den Prüfer bestellenden Prüfungsorgan nicht zustehende Genehmigung eines bestimmten Prüfungsergebnisses auszuschließen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, Rn. 509).
II. Der Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
III. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen (BVerwG, B.v. 9.5.2012 – 2 A 5/11 – juris Rn. 2). Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Bevollmächtigung (BVerwG, B.v. 27.2.2012 – 2 A 11/08 – juris Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben war hier die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig. Gegenstand des Verfahrens war die Bewertung der Projektarbeit des Klägers, bei der dieser Verfahrensfehler gerügt hat. In diesem Zusammenhang stellte sich eine Reihe von nicht ohne weiteres zu beantwortenden prüfungsrechtlichen Fragen. Von dem nicht juristisch vorgebildeten Kläger als Prüfling zum Geprüften Betriebswirt konnte nicht erwartet werden, dieses Verfahren ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu führen.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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