Verwaltungsrecht

Neue Umstände im asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  9 ZB 20.32516

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 818
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1.. Die Einführung neu eingetretener Tatsachen oder neuer Beweismittel in das Zulassungsantragsverfahren kommt nur in Betracht, wenn im Hinblick auf diese zugleich die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung erfüllt sind, insbesondere, wenn damit eine die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung eröffnende Tatsachenfrage verallgemeinerungsfähiger Tragweite betroffen ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Betreffen die neuen Tatsachen und Beweismittel nur Umstände des konkreten Einzelfalls, können diese allein mit einem Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 S.1 AsylG) geltend gemacht werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.49733 2020-11-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die mit dem Zulassungsvorbringen aufgeworfene Frage, ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen in Sierra Leone die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann, ist jedenfalls nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Das Verwaltungsgericht ist unter Würdigung der aktuellen Erkenntnismittel und der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Sierra Leone davon ausgegangen, dass es dem Kläger mittleren Alters ohne Unterhaltsverpflichtungen, der nach eigenen Angaben über eine achtjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung als Maler, Designer von Textilien und Aushilfe im Versandhandel verfügt und durch Gelegenheitsarbeiten seine Flucht sowie seinen Unterhalt währenddessen zu finanzieren vermochte, möglich sein wird, in Sierra Leone nach seiner Rückkehr dorthin sein Existenzminimum zu sichern. Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sei auch nicht von einer erheblichen Erwerbsfähigkeitseinschränkung auszugehen. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen und setzt sich auch nicht mit den vom Verwaltungsgericht eingeführten Erkenntnismitteln auseinander. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34123 – juris Rn. 3). Die Hinweise des Klägers auf nicht näher spezifizierte Einschätzungen der Welthungerhilfe bzw. WHO genügen insoweit nicht. Abgesehen davon ist die aufgeworfene Frage auch nicht verallgemeinernd, sondern nur einzelfallbezogen zu beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 9 ZB 20.30689 – juris Rn. 4). Anhand des Zulassungsvorbringens ist nicht zu ersehen, dass die aufgeworfene Fragestellung überhaupt verallgemeinernd, zumindest im Hinblick auf Umstände bzw. Merkmale, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 30) und nicht nur nach Würdigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 4).
2. Soweit der Kläger im Zulassungsverfahren noch nervenärztliche Atteste vom 9. November 2020 und 29. Dezember 2020 sowie das Attest eines Diplompsychologen vom 30. Dezember 2020 vorlegen lässt, vermag dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags zu führen.
Abgesehen davon, dass das ärztliche Attest vom 9. November 2020 sowie eine psychologische gutachterliche Stellungnahme vom 30. Juli 2020 bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren und das Verwaltungsgericht die Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG insoweit nicht als erfüllt angesehen hat, womit sich das Zulassungsvorbringen hinsichtlich der weitgehend auf ihnen fußenden bzw. übereinstimmenden Folgeatteste vom 29. Dezember 2020 und 30. Dezember 2020 nicht auseinandersetzt, kommt die Einführung neu eingetretener Tatsachen oder neuer Beweismittel in das Antragsverfahren nur dann in Betracht, wenn im Hinblick auf diese zugleich die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung erfüllt sind, insbesondere, wenn damit eine die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung eröffnende Tatsachenfrage verallgemeinerungsfähiger Tragweite betroffen ist. Betreffen diese Tatsachen und Beweismittel hingegen nur Umstände des konkreten Einzelfalls, können diese allein mit einem Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 9 ZB 20.30348 – juris Rn. 6). Die neu eingeführten Beweismittel (ärztliche Atteste), zu denen im Zulassungsverfahren keine weiteren Erläuterungen zu Zulassungsgründen erfolgen, betreffen hier ersichtlich nur den Einzelfall des Klägers. Ihnen wäre daher allenfalls in einem Folgeverfahren gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG Bedeutung beizumessen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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