Verwaltungsrecht

Nichtzulassung der Berufung, hier: fristlose Entlassung eines Soldaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung

Aktenzeichen  6 ZB 20.342

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9637
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 17 Abs. 2 S. 3, § 55 Abs. 5
StGB § 223, § 240
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1. Auch bei einer Dienstpflichtverletzung außerhalb des militärischen Kernbereichs kann nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig dann auf eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung geschlossen werden, wenn der Soldat eine Straftat von erheblichem Gewicht (hier: vorsätzliche Körperverletzung) begangen hat. (Rn. 5) (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Lässt der Sanktionsrahmen der Strafnorm (hier: vorstäzliche Körperverletzung) eine Freiheitsstrafe im mittleren Bereich zu, bringt der Gesetzgeber damit zum Ausdruck, dass die Tat einen auch im Vergleich mit anderen Straftaten erhöhten Unrechtsgehalt hat und damit die Straftat von erheblichem Gewicht ist (stRspr BVerwG BeckRS 2014, 116480). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Augenblickstat liegt vor, wenn der Entschluss zum Tun oder Unterlassen nicht geplant oder wohl überlegt, sondern spontan und aus den Umständen eines Augenblickszustandes zustande gekommen ist; von Spontaneität, Kopflosigkeit oder Unüberlegtheit ist nicht mehr zu sprechen, wenn sich die Tatausführung – wie hier – über einen längeren Zeitraum erstreckt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21b K 18.6134 2019-10-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. Oktober 2019 – M 21b K 18.6134 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.606,68 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist, greifen nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die innerhalb der ersten vier Dienstjahre erfolgte, auf § 55 Abs. 5 SG gestützte fristlose Entlassung des Klägers aus seinem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit im Rang eines Fähnrichs rechtmäßig ist. Aufgrund des mit Erlass des Urteils des Landgerichts Weiden vom 4. Oktober 2018 rechtskräftig gewordenen Urteils des Amtsgerichts Weiden vom 25. Oktober 2017 stehe fest, dass der Kläger sich einer vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zum Nachteil seiner Ex-Partnerin schuldig gemacht habe, so dass objektiv ein Verstoß gegen die Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 3 SG) vorliege. Der weitere Verbleib des Klägers in seinem Dienstverhältnis gefährde die militärische Ordnung und auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich. Dies gelte unabhängig davon, dass sich die Verfehlung des Klägers im privaten Bereich ohne zusätzlichen Bezug zur Dienstausübung abgespielt habe. Auch bei einer Dienstpflichtverletzung außerhalb des militärischen Kernbereichs könne nach der einhelligen Rechtsprechung regelmäßig dann auf eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung geschlossen werden, wenn der Soldat eine Straftat von erheblichem Gewicht begangen habe. Davon sei hier auszugehen. Zum einen sehe das Strafgesetzbuch für eine vorsätzliche Körperverletzung als Strafrahmen die Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor; zum anderen sei auch angesichts der konkreten Umstände der Tat (Einsatz von erheblicher körperlicher Gewalt aus Eifersucht) und insbesondere mit Blick auf die der Geschädigten zugefügten, nicht unerheblichen Verletzungen – insbesondere eine Nasenbeinfraktur – von einer eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG rechtfertigenden Straftat von erheblichem Gewicht auszugehen.
Darüber hinaus sei dieses außerdienstliche Verhalten des Klägers als Fähnrich und angehendem Offizier auch geeignet, zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust bei seinen – zukünftigen – Untergebenen zu führen. Dies stelle die Einsatzbereitschaft der Truppe infrage, weil damit die erforderliche Bereitschaft bei den Untergebenen zu Gehorsam und Pflichterfüllung geschwächt würde.
Überdies würde bei einem Verbleib des Klägers im Dienst auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet; ein Soldat, der Frauen schlage und die (straf-) gesetzlichen Grenzen der Gewaltanwendung nicht respektiere, bestätige entsprechende abträgliche Vorurteile gegenüber den Soldaten in der Bevölkerung.
An der Richtigkeit dieser Entscheidung zeigt der Kläger keine beachtlichen Zweifel auf.
Er vertritt zunächst die Auffassung, die Tat, für die er rechtskräftig verurteilt wurde, stelle keine Straftat von erheblichem Gewicht dar, da es sich um eine außerdienstliche Verfehlung handele, die nicht dem militärischen Kernbereich zuzurechnen sei und die letztlich nur zu einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen geführt habe. Damit kann der Kläger nicht durchdringen.
Die aus einem Verstoß gegen die Strafrechtsordnung resultierende Gefährdung der militärischen Ordnung ist umso erheblicher, je höher die Sanktionsdrohung derjenigen Norm ist, gegen die der Soldat verstoßen hat. Daher bietet zunächst vor allem der Strafrahmen der verletzten Norm des Strafgesetzbuchs einen Anhalt für die Beantwortung der Frage, wie schwerwiegend eine außerdienstlich begangene Straftat ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2014 – 2 WD 5.13 – juris Rn. 60). Denn durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Delikts zum Ausdruck (BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 2 C 13.10 – juris; BayVGH, B.v. 11.10.2012 – 3 ZB 10.1470 – juris Rn. 11).
Der Kläger hat vorliegend den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 StGB (in Tateinheit mit einer Nötigung – § 240 StGB) verwirklicht, die mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden kann. Dies bewegt sich im Bereich der (mittel-)schweren Strafandrohung (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2014 – 2 WD 5.13 – juris Rn. 63 m.w.N.). Lässt der Sanktionsrahmen der Strafnorm eine Freiheitsstrafe im mittleren Bereich zu, kommt hierin die Einschätzung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Tat einen auch im Vergleich mit anderen Straftaten erhöhten Unrechtsgehalt hat; es handelt sich somit um eine Straftat von erheblichem Gewicht.
Der am Strafrahmen gemessene Unrechtsgehalt der Tat wird vorliegend auch nicht etwa dadurch relativiert, dass das Landgericht Weiden den Kläger nicht zu einer Freiheitsstrafe, sondern (nur) zu einer Geldstrafe verurteilt hat. Mit 90 Tagessätzen hat das Strafgericht immerhin die höchste Strafe unterhalb der Schwelle der Eintragung ins Strafregister verhängt, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass zugunsten des Klägers gewertet wurde, dass er sich – was er nun allerdings in Abrede stellt – im Berufungsverfahren geständig gezeigt habe. Zudem hat es auch die beruflichen Folgen der Tat für den Kläger (Entlassung aus der Bundeswehr, Verlust seines Studienplatzes) ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt. Diese Umstände haben jedoch keinerlei Einfluss auf die Frage, ob die vom Kläger begangene Straftat als Tat von erheblichem Gewicht anzusehen ist, die den Schluss auf eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung zulässt. Insoweit ist vielmehr zusätzlich zum Strafrahmen des § 223 StGB in den Blick zu nehmen, dass der Unrechtsgehalt der Tat nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erkennbar nicht an der unteren Schwelle liegt: Der Kläger hat ohne Alkoholeinfluss aus nichtigem Anlass (Eifersucht) unbeherrscht und äußerst brutal gehandelt und sein erkennbar deutlich schwächeres Opfer erheblich verletzt (Nasenbeinbruch). Gerade ein angehender Offizier soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben. Dies ist nicht auf den dienstlichen Bereich beschränkt. Mit seiner Tat hat sich der Kläger ohne Zweifel in seiner Dienststellung als künftiger Vorgesetzter disqualifiziert, ohne dass es noch darauf ankäme, ob sein bisheriges Verhalten Anlass zu Beschwerden gegeben hat.
Ohne Belang ist weiter die in der Zulassungsschrift erneut ins Feld geführte Behauptung, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Tat im strafgerichtlichen Verfahren „in keinster Weise“ gestanden. Unabhängig davon, dass das Landgericht Weiden dies offensichtlich anders gesehen hat, werden mit diesem Vortrag keine Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils geweckt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht insoweit darauf verwiesen, dass die Gerichte im vorliegenden Entlassungsverfahren an die in Rechtskraft erwachsenen tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils gebunden sind und das bloße Bestreiten der Tat kein Grund für eine nur unter eng begrenzten Voraussetzungen mögliche (vgl. NdsOVG, B.v. 2.3.2007 – 5 ME 252/06 – juris Rn. 24) Prüfung dieser strafgerichtlichen Feststellungen durch die Verwaltungsgerichte darstellt. Der Zulassungsantrag legt hierzu nichts Substantielles dar.
Mit dem Vortrag, er könne nicht nachvollziehen, warum sein Verbleib in seinem Dienstverhältnis das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde, vermag der Kläger ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des gerade auch zu diesem Punkt sehr ausführlich begründeten verwaltungsgerichtlichen Urteils darzulegen.
Der Kläger kann auch nicht mit seinem Einwand gehört werden, man müsse unterstellen, dass es sich bei der Tat um ein sogenanntes Augenblicksversagen gehandelt habe. Eine Augenblickstat liegt vor, wenn der Entschluss zum Tun oder Unterlassen nicht geplant oder wohl überlegt, sondern spontan und aus den Umständen eines Augenblickszustandes zustande gekommen ist. Von Spontaneität, Kopflosigkeit oder Unüberlegtheit ist nicht mehr zu sprechen, wenn sich die Tatausführung – wie hier – über einen längeren Zeitraum erstreckt (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2014 – 2 WD 5.13 – juris Rn. 80).
Ohne Erfolg bleibt schließlich auch der Einwand des Klägers, die getroffene Maßnahme sei ermessensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der in der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze dargelegt, dass die Frage der Angemessenheit einer fristlosen Entlassung zur Abwendung einer drohenden Gefahr für die Bundeswehr (hier: Gefährdung der militärischen Ordnung und Ansehensgefährdung) bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG bereits in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen durch die Vorschrift selbst konkretisiert worden ist und für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum ist. Dies zugrunde gelegt sei das der zuständigen Behörde eingeräumte Ermessen („kann entlassen werden“) im Sinne einer sogenannten „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-) Fälle zu beschränken. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass ein solcher, besondere Ermessenserwägungen verlangender atypischer Sachverhalt hier nicht gegeben war. Den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzt der Kläger lediglich seine eigene abweichende Wertung entgegen, ohne sich jedoch mit der ausführlich und nachvollziehbar begründeten gerichtlichen Einschätzung substantiiert auseinanderzusetzen. Zweifel, die der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften, werden damit nicht geweckt.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der weiter geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die im Zulassungsverfahren in diesem Zusammenhang gestellte Frage, ob vorliegend eine Straftat von erheblichem Gewicht vorliegt, lässt sich aus den oben genannten Gründen ohne weiteres anhand der gesetzlichen Regelungen und der dazu vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung im Sinne des erstinstanzlichen Urteils beantworten und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren.
3. Die Rechtssache hat schließlich auch nicht die ihr vom Kläger zugemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Frage, „ob eine Straftat im Kernbereich der Privatsphäre, welche das Strafgericht mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen behandelt hat, eine Straftat von erheblichem Gewicht darstellt, welche eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung nach sich zieht“, ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich auf der Grundlage des Gesetzes und der vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten lässt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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