Verwaltungsrecht

Nutzungsuntersagung der Änderung der Nutzung einer Gaststätte in einen Beherbergungsbetrieb

Aktenzeichen  9 CS 18.2659

Datum:
26.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3457
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 1 Abs. 4 Nr. 8, Art. 55 Abs. 1, Art. 76 S. 2
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Nach Art. 76 S. 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird.   (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (hier verneint für Nutzungsänderung eines als Gastwirtschaft genutzten Gebäudes mit zugehörigen Lagerräumen in eine Beherbergungsstätte mit 20 Betten). (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Da das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet, macht die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 17 S 18.1546 2018-11-26 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Landratsamts W* … vom 18. Juli 2018, mit dem ihm u.a. untersagt wurde, die Räume im Ober- und Dachgeschoss des Hauptgebäudes auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung S* … als Fremdenzimmer zu nutzen.
Gegen den Bescheid vom 18. Juli 2018, in welchem dem Antragsteller neben der genannten Nutzungsuntersagung (Nr. 1 des Bescheids) auch auferlegt worden ist, für die genehmigungspflichtigen Nutzungsänderungen bis spätestens 31. August 2018 einen Antrag auf Baugenehmigung einzureichen (Nr. 2), sowie hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 jeweils Zwangsgeld angedroht (Nr. 3) und der Sofortvollzug angeordnet (Nr. 4) wurden, erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden ist. Ferner beantragte er, die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag als allein auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Nutzungsuntersagung gerichtet ausgelegt und mit Beschluss vom 26. November 2018 abgelehnt. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei ausreichend begründet. Die im Eilverfahren zu treffende Abwägungsentscheidung falle zu Lasten des Antragstellers aus. Die Nutzungsuntersagung sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Der Antragsteller nutze das streitgegenständliche Gebäude, indem er darin befindliche Räume an Gastarbeiter zum Wohnen vermiete. Ursprünglich seien die Räume als Gaststätte genutzt worden. Somit liege eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung vor. Auf die Genehmigungsfähigkeit komme es nicht an. Es sei auch kein justiziabler Ermessensfehler ersichtlich. Das Bestehen baurechtswidriger Zustände gebiete das bauaufsichtliche Einschreiten. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Die Nutzungsänderung sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Vollzugsinteresse sei somit höher zu bewerten, zumal hier der Brandschutz in Anbetracht der unzureichenden Schutzmaßnahmen von überragender Bedeutung sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Sofortvollzugsanordnung formell rechtswidrig. Deren Begründung erschöpfe sich unzureichend in allgemeinen Floskeln. Nur in einem Satz sei zu dem brandschutztechnisch „bedenklichen“ Betrieb Stellung genommen worden. Zudem sei die Nutzungsuntersagung materiell rechtswidrig. Die Anordnung sei ermessensfehlerhaft, weil die Nutzungsänderung offensichtlich genehmigungsfähig und somit die Stellung eines Bauantrags ausreichend sei.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 26. November 2018 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juli 2018 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Begründung des Sofortvollzugs sei angesichts der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter bei Brandschutzmängeln (Leib und Leben) ausreichend. Die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit werde lediglich behauptet. Das Landratsamt habe jedoch mitgeteilt, dass der klägerische Bauantrag hinsichtlich der brandschutztechnischen Nachweise nach wie vor an grundlegenden Mängeln leide, was eine Prognose der Genehmigungsfähigkeit unmöglich mache.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung trägt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend Rechnung.
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind regelmäßig die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe anzugeben, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 9 CS 18.996 – juris Rn. 14). An dieses Begründungserfordernis sind jedoch inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; es genügt vielmehr jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55). Im Fall der baurechtlichen Nutzungsuntersagung sind schon mit Blick auf die negative Vorbildwirkung formell rechtswidriger Nutzungen sowie auf die Kontrollfunktion des Bauordnungsrechts nur geringe Anforderungen an die Begründung der Vollziehungsanordnung zu stellen (BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris Rn. 9). Die Bauaufsichtsbehörde hat hier auf die ungenehmigte Nutzung und darüber hinaus auf die angeforderte, jedoch unterbliebene Planvorlage sowie die noch offenen Brandschutzfragen abgestellt. Sie ist somit auf die Besonderheiten des konkreten Falles eingegangen. Den gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist damit Genüge getan. Ob die ausgeführten Aspekte das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO tragen, spielt für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs keine Rolle (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 16).
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die verfügte Nutzungsuntersagung rechtmäßig ergangen.
Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. Denn es ist im Allgemeinen unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen (Art. 76 Satz 3 BayBO) bzw. ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – BayVBl 2012, 86). Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Nutzungsuntersagung voraussichtlich rechtmäßig.
a) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, ist der Wechsel von einer (nach Aktenlage bislang wohl genehmigten) Nutzung des streitgegenständlichen Hauptgebäudes als Gastwirtschaft mit zugehörigen Lagerräumen zu einer hier im Raum stehenden (und am 8. August 2018 so auch beantragten) Beherbergungsstätte mit 20 Betten nach Art. 55 Abs. 1 BayBO baugenehmigungspflichtig, weil für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht kommen und auch sonst kein verfahrensfreies Vorhaben anzunehmen ist (vgl. Art. 57 Abs. 4, Art. 58 BayBO). Die untersagte Nutzung ist somit formell illegal, weil eine Baugenehmigung hierfür bisher nicht vorliegt.
b) Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Nutzungsuntersagung nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Gegen die Offensichtlichkeit der Genehmigungsfähigkeit spricht bereits, dass die ausgeübte Nutzung nach Aktenlage und auch nach dem zwischenzeitlich gestellten Bauantrag als Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO (Beherbergungsstätte mit mehr als zwölf Betten) zu beurteilen sein dürfte, was ein Verfahren nach Art. 60 BayBO mit vollumfänglicher Prüfung des Bauordnungsrechts nach sich zieht. Insbesondere ist ein Brandschutznachweis gemäß § 11 Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) zu erbringen. Dies ist bisher nicht geschehen. Wie die Baugenehmigungsbehörde dem Planungsbüro des Antragstellers mit Schreiben vom 6. September 2018 mitteilte, stehen vor allem in Bezug auf den Brandschutznachweis noch umfangreiche, im Einzelnen aufgeführte formelle und inhaltliche Mängel bei den Bauvorlagen einer (positiven) Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit entgegen.
c) Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Landratsamt das durch Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumte Ermessen (Art. 40 BayVwVfG) falsch ausgeübt hat.
Da das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet, macht die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. Es handelt sich bei der Befugnisnorm des Art. 76 Satz 2 BayBO um einen Fall intendierten Ermessens, sodass grundsätzlich bereits die Erfüllung des Tatbestands den Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigt und in der Regel keine besondere Begründung der Abwägungsentscheidung erforderlich ist. Es genügt, wenn die Bauaufsichtsbehörde zum Ausdruck bringt, dass der beanstandete Zustand wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden müsse (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Oktober 2018, Art. 76 Rn. 301 m.w.N.; s. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37). Dem Vorstehenden ist der Antragsgegner mit seinen Ermessenserwägungen gerecht geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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