Verwaltungsrecht

Obdachlosenunterbringung – Inanspruchnahme eines Nichtstörers

Aktenzeichen  W 5 S 18.1670

Datum:
9.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3509
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8, Art. 9 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die von ihm zu räumende oder geräumte Wohnung kommt wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Hauseigentümers als Nichtstörer nur in Fällen schwerster Notlagen, denen die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann, für einen eng begrenzten Zeitraum von etwa zwei Monaten in Betracht (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 1990, 3442); diese Grundsätze sind wegen des gleichartigen Eigentumseingriffs auch auf die “Wiedereinweisung” in eine andere Wohnung des gleichen Hauses anzuwenden. (Rn. 23 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine solche “Wiedereinweisung” scheitert schon dem Grunde nach, wenn eine andere Möglichkeit für eine vorübergehende, den Mindestanforderungen genügende Unterbringung besteht und keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass bei deren Nutzung eine Gesundheitsgefahr drohen würde. (Rn. 28, 29 und 31 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Einweisungsbescheid zur Abwendung seiner Obdachlosigkeit, in dem zugleich seine vorherige Einweisung in das Hauseigentum des Beigeladenen beendet wird.
1. Aufgrund der Stilllegung des Beherbergungsbetriebs im …Haus, K …straße … in 6. G. (…Haus), wies der Antragsgegner den zuvor in einem Zimmer des Beherbergungsbetriebs wohnenden Antragsteller zur Abwendung seiner Obdachlosigkeit mit Bescheid vom 2. August 2018 und mit Wirkung vom 31. Juli 2018 zwangsweise in die ehemalige Pächterwohnung des …Hauses ein, die im Eigentum des Beigeladenen steht. Dem Antragsteller wurden im ersten Obergeschoss das hintere Zimmer der ehemaligen Pächterwohnung sowie die sanitären Räumlichkeiten rechts des Treppenaufgangs bis auf weiteres zugewiesen.
Der Antragsgegner verpflichtete mit Bescheid vom 6. August 2018 den Beigeladenen, die zwangsweise Unterbringung des Antragstellers spätestens bis 30. September 2018 zu dulden.
Mit Schreiben vom 6. September 2018 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er aktuell ein Zimmer in der gemeindlichen Obdachlosenunterkunft in der H …straße … in 6. G. (Obdachlosenunterkunft) frei habe. Damit könne nach Wegfall des Unterbringungsgrundes im …Haus die Unterbringung über den festgesetzten Einweisungstermin hinaus nicht fortgesetzt werden. Die Einweisung ende somit spätestens zum 31. Oktober 2018. Danach werde der Antragsteller ein freies Zimmer in der Obdachlosenunterkunft erhalten.
Mit Bescheid vom 27. September 2018 verlängerte der Antragsgegner die Duldungspflicht des Beigeladenen bis voraussichtlich zum 31. Oktober 2018 und später bis voraussichtlich zum 18. November 2018.
2. Mit Bescheid vom 8. November 2018 wies der Antragsgegner den Antragsteller mit Wirkung zum 19. November 2018 in die Obdachlosenunterkunft in der M …straße … in 6. G. ein. Ihm wurde die Erdgeschosswohnung mit Küche und Bad zur gemeinschaftlichen Nutzung zugewiesen. Die Einweisung in das …Haus, K …straße … in 6. G. endet zum 18. November 2018 (Ziffer 1). Die Zuweisung der Unterkunft erfolgt befristet bis 31. Dezember 2018 (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 9).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Einweisung des Antragstellers in die Pächterwohnung im …Haus erfolgt sei, weil zum Zeitpunkt des Eintritts der Obdachlosigkeit des Antragstellers keine Räumlichkeiten in der gemeindlichen Obdachlosenunterkunft frei gewesen seien. Aktuell seien jedoch wieder Räumlichkeiten in einer der gemeindlichen Unterkünfte frei geworden, sodass die zwangsweise Unterbringung im …Haus zum 18. November 2018 beendet werden könne.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg Klage, mit dem Antrag, den Bescheid vom 8. November 2018 aufzuheben (Klageantrag zu 1) und beantragte hilfsweise (Klageantrag zu 2), den Antragsgegner zu verurteilen, den Antragsteller in die bisherige Wohnung, K …straße … in 6. G., wieder einzuweisen (W 5 K 18.1582).
Am 28. Dezember 2018 beantragte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg zudem den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, ihn in seine bisherige, dem … … … … … gehörende Wohnung mit einer Frist von drei Monaten einzuweisen (W 5 E 18.1671).
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2018 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten darüber hinaus im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf den Gesundheitszustand des Antragstellers und die vorgelegten ärztlichen Atteste und Schreiben verwiesen. Dem Kläger sei es tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, mit weiteren Personen in einem engen Raum auf Notliegen zu leben. Zudem enthalte der Bescheid des Beklagten keinerlei Ausführungen dazu, dass der Kläger schwer erkrankt sei, was im Vorfeld auch mitgeteilt worden sei. Ein Ermessen sei hier überhaupt nicht ausgeübt worden.
4. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2019 beantragte der Antragsgegner, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zurückzuweisen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Umstand, dass der Antragsteller erkrankt sei, beim Erlass des streitgegenständlichen Bescheides berücksichtigt worden sei. Nach Beendigung der Einweisung in das …Haus befinde sich der Antragsteller auf eigene Initiative weiterhin in der Pächterwohnung. Die Wohnung in der Obdachlosenunterkunft verfüge über insgesamt 34,7 m², die sich auf ein Bad, eine Küche sowie einen Aufenthalts-/Schlafraum erstreckten. Dieser sei ausgestattet mit zwei Einzelbetten (Holzgestell mit Matratze), einem Esstisch, drei Stühlen und einem großen Kleiderschrank. In der Küche seien eine Spüle sowie ein Schrank vorhanden. Das Bad sei mit einem WC, einer Dusche und einem Waschbecken voll ausgestattet. Die Wohnung werde maximal mit zwei Personen belegt. Die Räumlichkeiten seien bis August 2018 als gewöhnliche Mietwohnung genutzt worden. Nach Auszug der letzten Mieterin seien die Räumlichkeiten ausgeräumt und grundgereinigt worden. Die erste Belegung mit einem Obdachlosen sei am 27. November 2018 erfolgt. Diese Person halte sich nach wie vor noch in der Wohnung auf. Es bleibe fraglich, wie durch eine Doppelbelegung der Räumlichkeiten das Leben und die Gesundheit des Antragstellers gefährdet würden. Der Eingriff in das Eigentumsrecht des Beigeladenen sei im Hinblick auf eine durchaus zumutbare Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft nicht gerechtfertigt. Eine Abwendung der Obdachlosigkeit des Antragstellers sei grundsätzlich zu jeder Zeit gewährleistet. Die Wohnung in der Obdachlosenunterkunft werde für den Antragsteller freigehalten. Dieser habe jederzeit die Möglichkeit, sich nach kurzfristiger Rücksprache mit dem Ordnungsamt dort einweisen zu lassen. Um sowohl für den Antragsteller als auch für den Beigeladenen Rechtssicherheit herzustellen, sei die Zuweisung der Obdachlosenunterkunft notwendig.
5. Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte sowie auf die Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren W 5 K 18.1582 und W 5 E 18.1671 Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nur teilweise zulässig und im Übrigen unbegründet.
1. Der Antrag ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage im Klageantrag zu 1) im Verfahren W 5 K 18.1582 begehrt, mithin hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids vom 8. November 2018.
Betreffend die Einweisung in eine Wohnung der gemeindeeigenen Obdachlosenunterkunft des Antragsgegners in der M …straße … in 6. G. (Ziffern 1 Satz 1 und 2, Ziffern 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 des Bescheids vom 8. November 2018) ist aber bereits Erledigung eingetreten und der Antrag insoweit unzulässig geworden. Denn gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG entfaltet ein Verwaltungsakt keine Wirksamkeit mehr, wenn er sich durch Zeitablauf erledigt hat. Dies ist bei einer Befristung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG) bei Fristablauf der Fall (vgl. Ramsauer, in Kopp/ Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 17. Aufl., § 43 VwVfG Rn. 40c). In Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids wurde die Einweisung in die gemeindeeigene Obdachlosenunterkunft des Antragsgegners bis zum 31. Dezember 2018 befristet. Mit Ablauf dieses Tages hat sich der Verwaltungsakt daher insoweit erledigt und entfaltet keine Rechtswirkung mehr. Gegen einen Verwaltungsakt, der sich erledigt hat, sind die Anfechtungsklage und damit auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aber nicht statthaft.
Hinsichtlich des Ausspruchs der Beendigung der Einweisung in das …Haus zum 18. November 2018 (Ziffer 1 Satz 3 des Bescheids) ist die Anfechtungsklage in der Hauptsache hingegen statthaft und der streitgegenständliche Antrag zulässig. Denn mit dieser Regelung verliert der begünstigende Einweisungsbescheid vom 2. August 2018, mit dem der Antragsgegner den Antragsteller in die Räume der Pächterwohnung des …Hauses ursprünglich bis auf Weiteres eingewiesen hat, zum angegebenen Zeitpunkt seine Wirksamkeit und der Antragsteller wird entsprechend belastet. Ob es sich hierbei um eine nachträgliche Befristung des ursprünglichen Einweisungsbescheids oder um seine Aufhebung handelt, kann dahinstehen. Eine Erledigung ist diesbezüglich nicht eingetreten.
2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er jedoch unbegründet. Das Interesse des Antragstellers, den gegenwärtigen Zustand bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache beizubehalten, muss hinter den öffentlichen Vollzugsinteressen zurücktreten, weil sich die Beendigung der Einweisung in das …Haus nach der im Sofortverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist.
Der Antragsgegner war vorliegend verpflichtet, die mit Bescheid vom 2. August 2018 und mit Wirkung vom 31. Juli 2018 erfolgte Einweisung des Antragstellers in die Räume der ehemaligen Pächterwohnung des …Hauses zu beenden; sein behördliches Ermessen war insoweit auf Null reduziert. Der Antragsteller hat demgegenüber keinen Rechtsanspruch auf eine fortdauernde Einweisung in diese Räume.
2.1. Nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sind die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Dazu gehört die Unterbringung unfreiwillig Obdachloser.
Ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl. 2007, 439; VGH Kassel, B.v. 24.9.1991 – 11 TG 1481.91 – juris). Denn die Gefahrenabwehrpflicht der Sicherheitsbehörde gilt nur bezüglich der Abwehr einer „unfreiwilligen“ Obdachlosigkeit, die nur dann vorliegt, wenn eine Person nicht über eine Unterkunft verfügt, die einen Minimalschutz vor der Witterung und zur Sicherung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bietet (vgl. VGH Mannheim, B.v. 5.3.1996 – 1 S 470/96 – NVwZ-RR 1996, 439 = juris), die aber – wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts – nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst – wirtschaftlich, finanziell und nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes – dazu in der Lage ist, die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.
Bei der Unterbringung Obdachloser hat die Gemeinde als Sicherheitsbehörde ein Ermessen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8 LStVG); sie hat unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Da die Obdachlosenunterbringung grundsätzlich nur eine Notlösung sein kann, muss der Obdachlose eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche bis zur Grenze der menschenwürdigen Unterbringung hinnehmen (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Primär hat die Unterbringung dabei in einer gemeindeeigenen oder der Gemeinde zur Verfügung stehenden (Not-)Unterkunft zu erfolgen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann als ultima ratio die Wiedereinweisung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Vermieter in die bisher vom Obdachlosen bewohnten Räume in Frage kommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die von ihm zu räumende oder geräumte Wohnung wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Hauseigentümers als Nichtstörer (Art. 9 Abs. 3 LStVG) allerdings nur in Fällen schwerster Notlagen, denen die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann, für einen eng begrenzten Zeitraum von etwa zwei Monaten in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 14.8.1990 – 21 B 90.00335; B.v. 21.4.1998 – 4 ZS 98.1164; B.v. 25.9.1998 – 4 CS 98.2581 – alle juris).
2.2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war der Antragsgegner vorliegend verpflichtet, die mit Bescheid vom 2. August 2018 und mit Wirkung vom 31. Juli 2018 erfolgte Einweisung des Antragstellers in die Räume der ehemaligen Pächterwohnung des …Hauses zu beenden. Denn der eng begrenzte Zeitraum für eine solche Wiedereinweisung von etwa zwei Monaten war bereits weit überschritten.
Zwar hat der Antragsteller vor der erstmaligen zwangsweisen Einweisung in die Räume der ehemaligen Pächterwohnung des …Hauses nicht in ebendiesen Räumen gewohnt, sondern in einem Zimmer des nunmehr stillgelegten Beherbergungsbetriebs im …Haus. Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in eine früher von ihm bewohnte Wohnung sind vorliegend aber dennoch zur Anwendung zu bringen, weil es insoweit auf den hier wie dort damit verbundenen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Hauseigentum eines Nichtstörers ankommt.
Der Antragsgegner wies den Antragsteller mit Bescheid vom 2. August 2018 und mit Wirkung vom 31. Juli 2018 zwangsweise in die streitgegenständlichen Räume der ehemaligen Pächterwohnung des …Hauses ein und verpflichtete den Beigeladenen mit Bescheid vom 6. August 2018 zur Duldung dieser zwangsweisen Unterbringung bis spätestens 30. September 2018, später verlängert bis „voraussichtlich zum“ 18. November 2018. Tatsächlich bewohnt der Antragsteller noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung diese Räume. Der Antragsgegner hat den Antragsteller mithin bereits über einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten zwangsweise in den streitgegenständlichen Räumen des Beigeladenen untergebracht. Bei der ursprünglichen Einweisung des Antragstellers durch den Antragsgegner handelt es sich auch um solch eine zwangsweise Einweisung. Unabhängig von den Ausführungen des Antragsgegners in den Gründen des Bescheids vom 8. November 2018 und unabhängig des zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen stattgefundenen Telefonats ergibt sich dies aus dem hier entscheidend zugrunde zu legenden Tenor des Bescheids vom 2. August 2018 sowie aus den damit einhergehenden Duldungsanordnungen gegenüber dem Beigeladenen in den Bescheiden vom 6. August 2018, 27. September 2018 und 5. November 2018, die vorliegend ursächlich für die Unterbringung des Antragstellers im …Haus sind. Dass der Beigeladene hiergegen nicht gerichtlich vorgegangen ist, steht dem nicht entgegen. Eine fortdauernde Einweisung des Antragstellers in diese Räume kommt daher aufgrund des bereits erfolgten massiven Eingriffs in das verfassungsrechtlich geschützte Hauseigentum des Beigeladenen als Nichtstörer in keiner Weise in Betracht (vgl. Art. 9 Abs. 3, Art. 8 LStVG).
2.3. Darüber hinaus war weder zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch ein – für die (Wieder-) Einweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die bisher von ihm bewohnten Räume aber erforderlicher – Fall einer schwersten Notlage gegeben, dem die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann. Der Antragsteller war und ist vielmehr primär in der gemeindeeigenen Obdachlosenunterkunft unterzubringen.
Voraussetzung für eine Wiedereinweisung einer von Obdachlosigkeit bedrohten Person in die bisherige Wohnung ist, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft und die Wiedereinweisung die einzig denkbar Maßnahme wäre, um der drohenden Obdachlosigkeit abzuhelfen, das Ermessen des Antragsgegners also auf Null reduziert ist. Eine Einweisung in die bisherige Wohnung scheitert rechtlich demnach schon dem Grunde nach daran, wenn andere Möglichkeiten für die vorübergehende und den Bedürfnissen des Antragstellers gerecht werdende Unterbringung bestehen.
Die vorübergehende Unterbringung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten stellt dabei lediglich eine Notmaßnahme dar, solange der Untergebrachte keine dauerhafte Wohnmöglichkeit hat. Er kann keine Unterbringung in einer den allgemeinen oder seinen bisherigen Lebensverhältnissen entsprechenden Wohnung verlangen. Ein Obdachloser, der sich hilfesuchend an die Allgemeinheit wendet, muss eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche hinnehmen. Die Anforderungen an eine Obdachlosenunterkunft sind demgemäß gering. Nach der Rechtsprechung ist lediglich erforderlich, dass es sich um eine den Mindestanforderungen genügende Unterkunft handelt. Weitergehende Lebensbedürfnisse hat die Obdachlosenbehörde nicht abzudecken. Es ist ausreichend, wenn ihm eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die zur Verfügung gestellte Obdachlosenunterkunft keine Dauerwohnung darstellt.
Die fortdauernde Einweisung in die bisher von dem Antragsteller bewohnten Räume des …Hauses war vorliegend aber weder zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (noch) die einzig denkbare Maßnahme, um der drohenden Obdachlosigkeit des Antragstellers abzuhelfen. Denn mit der Wohnung in der gemeindeeigenen Obdachlosenunterkunft bestand und besteht eine andere Möglichkeit für die vorübergehende und den Bedürfnissen des Antragstellers gerecht werdende Unterbringung. Die Gemeinde ist insoweit verpflichtet, den Antragsteller primär dort unterzubringen. Diese Wohnung wird dem Antragsteller auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts von dem Antragsgegner noch angeboten und die dortige Unterbringung ist dem Antragsteller insbesondere zumutbar.
Im Zeitpunkt des Bescheidserlasses war seitens des Antragstellers nicht dargetan, dass die Unterbringung aus zwingenden Gründen ausscheidet. Aufgrund der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen (vorläufiger Arztbericht des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 30.9.2018, Medikationsplan vom 5.10.2018) und vorgebrachten Angaben zum Gesundheitszustand des Antragstellers ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass sich dieser aufgrund der Unterbringung in einer Wohnung der Obdachlosenunterkunft verschlechtern würde – zumal der Antragsgegner hierauf bereits mit der letztmaligen Verlängerung der Duldungsanordnung gegenüber dem Beigeladenen reagierte. Der Zustand dieser Wohnung entspricht nach dem Vortrag des Antragsgegners darüber hinaus allen an eine Obdachlosenunterkunft zu stellenden Anforderungen. Ein Ermessensfehlgebrauch des Antragsgegners ist insoweit nicht ersichtlich.
Aber auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sind solche zwingenden Gründe von dem Antragsteller nicht dargelegt.
Nach dem vorgelegten fachärztlichen Attest von Frau … (Fachärztin für Innere Medizin, Aschaffenburg) vom 27. November 2018 ist seit einigen Jahren bekannt, dass der Antragsteller an multiplen internistischen Grunderkrankungen, wie einer chronisch fortgeschrittenen Niereninsuffizienz (Stadium 3a), einem medikamentös behandelten Diabetes mellitus Typ 2 sowie einer essentiellen arteriellen Hypertonie, leidet, auf dem Boden derer er am 29. September 2018 einen akuten transmuralen Myokardinfarkt erlitt. Der Antragsteller wurde daraufhin notfallmäßig mit einem koronaren Stent versorgt. Postinterventionell zeige sich bei dieser noch subkutanen koronaren Herzerkrankung somatisch ein grenzwertig stabiler Verlauf. Der Antragsteller leide allerdings unter starken rezidivierenden Schwindelzuständen und Kreislaufdepletionen und psychisch bestehe eine Agitation. Um die Genesung voranzutreiben und die Gesundheit zu erhalten benötige der Antragsteller derzeit unbedingt eine soziale und psychische Stabilität. Starke emotionale Belastungen und Zukunftssorgen gefährdeten den Gesundheitszustand.
Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers führen nicht dazu, dass die Unterbringung des Antragstellers in der Wohnung der Obdachlosenunterkunft aus zwingenden Gründen ausscheidet und die streitgegenständliche Beibehaltung der Einweisung in die bisherigen Räume im …Haus zwingend erforderlich wäre. Es ist – auch unter Berücksichtigung des fachärztlichen Attests – nichts dafür ersichtlich, dass dem Antragsteller bei der Nutzung der Obdachlosenunterkunft aufgrund des Zustands der Wohnung bzw. der Tatsache, dass die Wohnung von insgesamt zwei Personen genutzt wird, eine Gesundheitsgefahr drohen würde. Der Zustand der Wohnung in der Obdachlosenunterkunft entspricht nach dem Vortrag des Antragsgegners allen an diese zu stellenden Anforderungen. Betreffend etwaiger Zukunftssorgen und emotionaler Belastungen des Antragstellers ist festzustellen, dass sich diesbezüglich keine Unterschiede daraus ergeben, in welcher Unterkunft der Antragsteller zur Abwendung seiner Obdachlosigkeit untergebracht wird.
Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Antragstellers war nicht angezeigt.
Die Beendigung der Einweisung in das …Haus erweist sich daher nach summarischer Prüfung als rechtmäßig; der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 63 Abs. 2 GKG (Auffangstreitwert 5.000,00 EUR, Halbierung im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz).


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