Verwaltungsrecht

Offene Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens über eine Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  10 CS 20.2252

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1653
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 8 Abs. 3, § 18 Abs. 1, Abs. 2, § 19c Abs. 1
BeschV § 26 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Beschwerde gegen den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ist aufgrund eines im Beschwerdeverfahren vorgelegten Arbeitsvertrags erfolgreich. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 S 20.3274 2020-09-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr. I des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 4. September 2020 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts München vom 16. Juni 2020 angeordnet.
II. Unter Abänderung von Nr. II des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 4. September 2020 trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landratsamts München vom 16. Juni 2020 weiter, mit dem dieses seinen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht hat. Der Antragsteller begehrt eine Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV (sog. West-Balkan-Regelung).
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Der Senat hat dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. z.B. BayVGH, B. 21.12.2017 – 10 CS 17.1685 – juris Rn. 5); anwendbar ist somit § 26 Abs. 2 BeschV in der am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Fassung durch die Verordnung vom 27. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2268).
Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sind die Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache als offen anzusehen.
Ein konkretes Arbeitsplatzangebot, dem die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat (§ 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 AufenthG), liegt nunmehr vor.
Zwar besteht unstreitig das frühere Beschäftigungsverhältnis als Produktionshelfer mit der Firma D. A. nicht mehr. Den Arbeitsvertrag als Hausmeister mit Herrn B. hat das Verwaltungsgericht als nicht ernstgemeinten Gefälligkeitsvertrag unter Verwandten angesehen und nicht als konkretes Arbeitsplatzangebot im Sinn des § 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG anerkannt. Insoweit hat der Antragsteller in der Beschwerdebegründung substantiell nichts vorgetragen, um die Erwägungen des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Mit seinen eher vagen Ausführungen bestreitet er weder, dass es sich bei dem Arbeitgeber um einen (nahen) Verwandten handelt, noch legt er eine nachvollziehbare Erklärung dafür vor, warum der Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sein sollte, obwohl der Antragsteller noch auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig war. Ferner lag für den Arbeitsvertrag auch keine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit vor.
Jedoch hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren einen am 8. Oktober 2020 unterzeichneten Arbeitsvertrag mit dem Hausmeisterdienst A. vorgelegt, dem die Bundesagentur für Arbeit nach Auskunft des Antragsgegners am 27. Oktober 2020 zugestimmt hat. Dem Senat liegen insoweit keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich auch bei diesem Vertrag um einen nicht ernstgemeinten Gefälligkeitsvertrag handeln würde. Die vom Antragsgegner insoweit vorgetragenen Bedenken aufgrund der auch nach dem ärztlichen Attest vom 1. Oktober 2020 möglicherweise noch bestehenden eingeschränkten Arbeitsfähigkeit, die der Ausübung von Hausmeistertätigkeiten entgegenstehen könnte, sind zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, reichen aber für eine derartige Bewertung nicht aus und wären im weiteren Verfahren gegebenenfalls noch weiter aufzuklären.
Unschädlich ist, dass der Arbeitsvertrag mit dem Hausmeisterdienst A. erst im Beschwerdeverfahren geltend gemacht und vorgelegt wurde. Der Gegenstand des Verfahrens, nämlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV, wird damit nicht verändert; der Senat hat deshalb bei der vorliegenden Entscheidung das neue Arbeitsplatzangebot zu berücksichtigen.
Die Beschäftigungserlaubnis für das neue Arbeitsplatzangebot setzt auch kein erneutes Visumverfahren voraus, was bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat (BA Rn. 22) und wie in der nunmehrigen Fassung des § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV festgelegt ist.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV steht im Ermessen der Ausländerbehörde. Der Antragsgegner hat bisher noch kein Ermessen ausgeübt, da der Bescheid vom 16. Juni 2020 davon ausging, dass schon die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen. In diese Ermessensentscheidung wäre auch einzustellen, inwieweit der Antragsteller seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme an einem Integrationskurs nachgekommen ist. § 8 Abs. 3 AufenthG steht dabei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht von vornherein entgegen, vielmehr ist die Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme an einem Integrationskurs bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu „berücksichtigen“ (§ 8 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die „Berücksichtigung“ kann zu einer kürzeren Befristung oder auch zur Ablehnung der Verlängerung führen (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 8 AufenthG Rn. 30). Steht – wie hier – die Verlängerung im Ermessen der Ausländerbehörde, so „soll“ gemäß § 8 Abs. 3 Satz 3 AufenthG im Falle wiederholter und gröblicher Verletzung der Pflichten die Verlängerung abgelehnt werden; eine Verlängerung darf somit nur in Ausnahmefällen erfolgen, die in § 8 Abs. 3 Satz 5 AufenthG genannten Gesichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen.
Der Antragsgegner hat soweit ersichtlich die Prüfung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 AufenthG noch nicht vorgenommen; das Verwaltungsgericht hat bei seinen Erwägungen (BA Rn. 21) letztlich offengelassen, ob eine wiederholte und gröbliche Pflichtverletzung vorliegt. Eine Prüfung dieser Frage (durch die Ausländerbehörde) wäre hier erforderlich, um die Pflichtverletzung mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Entscheidung einzustellen.
Sind danach die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen, überwiegt im vorliegenden Fall aufgrund des nunmehr bereits mehrjährigen rechtmäßigen und straffreien Aufenthalts des Antragstellers sein privates Interesse an einem Verbleiben im Bundesgebiet bis zur Entscheidung in der Hauptsache das öffentliche Interesse an seiner sofortigen Ausreise.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG sowie dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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