Verwaltungsrecht

Politisches Asyl wird nicht gewährt – Heimatland Äthiopien

Aktenzeichen  W 3 S 20.31209

Datum:
3.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34811
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 26 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1
ÄFamGB § 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der zur Person nicht ausgewiesene Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben ein am … … 1996 geborener äthiopischer Staatsangehöriger oromischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, beantragte am 23. November 2015 beim Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung politischen Asyls.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 6. April 2017 gab er an, er habe am 10. September 2014 sein Heimatland verlassen und sei am 10. Mai 2015 über Libyen, Italien und weitere unbekannte Länder kommend nach Deutschland eingereist. Er begehre deshalb die Gewährung politischen Asyls, weil er von der äthiopischen Regierung verfolgt und gesucht werde. Im Rahmen der Wahlen im Jahr 2010 habe er für eine Kampagne der Oromo-Congres-Party gearbeitet und Informationen und Propaganda für diese Partei verteilt. Er sei deshalb von der Polizei 24 Stunden lang inhaftiert worden. Seine Eltern hätten seine Freilassung erreicht, weil er damals jünger als 18 Jahre gewesen sei. Anschließend habe er sich mit anderen jungen Leuten getroffen, um über politische Dinge zu diskutieren. Mit diesen habe er im April 2014 an einer Demonstration gegen den Masterplan teilgenommen. In diesem Zusammenhang sei er inhaftiert worden und vier Monate lang in Haft geblieben. Dort sei er verhört und geschlagen worden. Er habe jedoch die amharische Sprache nicht gut verstanden. Er sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden, dort habe ein Mann bewirkt, dass er entlassen worden sei. Seine Eltern hätten die Ausreise organisiert. Der Antragsteller legte eine Bestätigung der TBOJ/UOSG vom 14. März 2017 vor, wonach der Antragsteller seit dem 3. Dezember 2016 Mitglied dieser Organisation ist und an zwei Veranstaltungen teilgenommen hat. Weiterhin trug er vor, er habe im Ort Doba in der Region Jimma gelebt, der nächstgrößere Ort in der Nähe sei Agaro. Dort wohnten sein Vater, seine Mutter, zudem lebten in Äthiopien auch noch eine Schwester und zwei Brüder.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) ab. Zudem wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4.). Der Antragsteller wurde unter Abschiebungsandrohung nach Äthiopien zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert (Ziffer 5.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.). Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Antragsteller könne sein Sachvortrag zu seinen Vorfluchtgründen nicht geglaubt werden.
Gegen den Bescheid vom 27. Juli 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 3 K 17.32945 Klage erheben. Mit Urteil vom 7. November 2017 verpflichtete das Gericht im Verfahren W 3 K 17.32945 die Antragsgegnerin unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 24. Juli 2017, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Auf einen entsprechenden Antrag der Antragsgegnerin hin ließ der Bayer. Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 8 ZB 17.31816 mit Beschluss vom 18. März 2019 die Berufung zu und hob unter dem Az. 8 B 19.30983 das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. November 2017 auf und wies die Klage ab. Das Urteil ist rechtskräftig.
II.
Am 31. August 2020 stellte der Antragsteller beim Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und begründete den Folgeantrag damit, seiner Ehefrau sei mit Bescheid vom 23. Juli 2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Dies sei eine relevante Sachlagenänderung. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Verwaltungsstreitverfahren der gemeinsamen am 27. September 2015, am 22. September 2017 und am 24. Januar 2020 geborenen Kinder noch nicht abgeschlossen seien.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und lehnte zugleich den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2020 (gemeint wohl: 2017) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Insbesondere sei der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung im vorliegenden Fall nicht gegeben. Diesbezüglich mache der Antragsteller lediglich Familienflüchtlingsschutz geltend mit dem Argument, seiner Ehefrau sei zwischenzeitlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Der Antragsteller und dessen Ehefrau hätten in ihren jeweiligen Anhörungen vorgetragen, Äthiopien am 10. September 2014 gemeinsam verlassen zu haben und nach traditionellem Ritus verheiratet zu sein. Ein Nachweis hierüber existiere jedoch nicht. Da der Bestand der Ehe im Verfolgerstaat nicht nachzuweisen gewesen sei, seien der Antragsteller und seine Partnerin nach deutschem Recht zum Zeitpunkt der Ausreise als unverheiratet zu betrachten. Damit könne sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die familiäre Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat bestanden habe, weshalb kein Familienflüchtlingsschutz festzustellen sei. Auch hinsichtlich § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht gegeben.
Unabhängig hiervon komme auch eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht in Betracht.
Gegen den Bescheid vom 27. Oktober 2020 ließ der Antragsteller am 30. Oktober 2020 im Verfahren W 3 K 20.31208 Klage erheben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragen,
nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, hilfsweise hinsichtlich festzustellender Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG gemäß § 123 VwGO zu beschließen, der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG geprüft werde,
hilfsweise gemäß § 123 VwGO zu beschließen, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG einstweilen zurückzunehmen und der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Asylfolgeverfahren durchgeführt werde.
Zugleich wurde Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Änderung des Status der Ehefrau sei im Rahmen eines Familienschutzes ohne weitere Voraussetzungen eine relevante Sachlagenänderung. Die Anerkennung als Flüchtling sei bei der Ehefrau des Antragstellers unanfechtbar. Auch den gemeinsamen Kindern sei nun die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Die Ehe sei in Äthiopien geschlossen worden. Dies hätten beide Ehepartner in ihren Anhörungen erwähnt, zudem auch, dass die Ehe traditionell geschlossen worden sei und darüber kein Dokument ausgestellt worden sei. Es existiere lediglich ein Foto des Hochzeitspaars. Nach äthiopischen Recht sei eine traditionelle Ehe gültig, dies auch bei Minderjährigen, bei denen – wie hier – die Eltern zugestimmt hätten.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf die Gerichtsakte im Klageverfahren des Antragstellers W 3 K 17.32945 und W 3 K 20.31208, auf die Gerichtsakte im Klageverfahren der Partnerin des Antragstellers W 3 K 17.32932 sowie auf die einschlägigen Behördenakten des Bundesamtes hinsichtlich des Antragstellers und dessen Partnerin, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
III.
Soweit sich der Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 27. Oktober 2020 wendet, handelt es sich um einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Soweit er sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Ziffer 2 des Bescheides vom 27. Oktober 2020 wendet, handelt es sich um einen Antrag nach § 123 VwGO.
Beide Anträge sind zulässig, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Soweit der Antragsteller auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 VwGO begehrt, die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren W 3 K 20.31208 vom 30. Oktober 2020 anzuordnen, ist der Antrag abzulehnen.
Der angegriffene Bescheid lehnt in seiner Ziffer 1 den Antrag vom 31. August 2020 auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ab, dies mit der Begründung, die Sachlage habe sich nicht zu Gunsten des Antragstellers geändert. Hiergegen richtet sich der Antragsteller im Klageverfahren mit dem Begehren, den Bescheid vom 27. Oktober 2020 aufzuheben.
Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG als unzulässig wird im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gewährt. Dies gilt auch für den Fall, dass das Bundesamt in Anwendung des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine neue Abschiebungsandrohung erlassen hat. Denn die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes (G. vom 31.7.2016, BGBl. S. 1939) als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar, die mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff.). Diese Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung, denn § 71 Abs. 4 AsylG verweist auf § 36 AsylG. Es liegt damit kein „sonstiger Fall“ im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor, bei dem eine Anfechtungsklage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung hätte. Ist nunmehr gegen die Ablehnung eines Folgeantrages nach § 71 AsylG in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft, dann muss vorläufiger Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags auch dann in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden, wenn das Bundesamt anlässlich der Entscheidung über den Folgeantrag keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen hat. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich in diesem Fall auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig. Wird diesem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprochen, dann dürfen aus der Ablehnung des Folgeantrags einstweilen keine Folgen mehr gezogen werden; der betroffene Ausländer ist so zu stellen, als sei über seinen Folgeantrag noch nicht entschieden worden (vgl. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 13 und 14; VG Würzburg, B.v. 10.10.2017 – W 8 E 17.33483 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 21.12.2018 – 9a L 2160/18.A – juris Rn. 9; VG Augsburg, B.v. 28.2.2018 – Au 6 E 18.30245 – juris Rn. 23).
Demgegenüber kann das Gericht der gegenteiligen Meinung nicht folgen; diese hält ein Verfahren nach § 123 VwGO für richtig mit der Argumentation, die ablehnende Entscheidung im Folgeverfahren berühre grundsätzlich nicht die Vollziehbarkeit der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung aus dem Erstverfahren. Diese dürfe vor der Entscheidung im Folgeverfahren nicht vollzogen werden, lebe aber wieder auf, wenn das Bundesamt nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG mitteile, dass ein erneutes Asylverfahren nicht durchgeführt werde. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO berühre die Bestandskraft der bereits vollziehbaren Abschiebungsandrohung nicht. Da ohnehin eine Mitteilung des Bundesamtes an die Ausländerbehörde erforderlich sei, sei die Verpflichtung im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO, die entsprechende Mitteilung zu unterlassen, gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der effektivste Rechtsschutz (so VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 – AN 3 E 18.31175 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Dem kann das Gericht aus systematischen Gründen jedoch nicht folgen, da mit dieser Rechtsmeinung der in § 123 Abs. 5 VwGO zwingend vorgegebene Zusammenhang zwischen Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgelöst werden würde. Konsequenterweise hat der Gesetzgeber in § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG geregelt, dass die Abschiebung aus der bestandskräftig bzw. rechtkräftig gewordenen Abschiebungsandrohung des Erstverfahrens erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden darf. Damit ist die Vollziehbarkeit dieser Abschiebungsandrohung gehemmt (vgl. hierzu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2018, § 80 Rn. 10 bis 12 zur Theorie der Vollziehbarkeitshemmung im Gegensatz zur Theorie der Wirksamkeitshemmung), wie § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG wörtlich vorgibt (… darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes … vollzogen werden …).
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Prüfungsmaßstab ist gemäß § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG derjenige des „ernstlichen Zweifels“ (vgl. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 21 m.w.N.). Solche ernstlichen Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 197).
Im vorliegenden Fall bestehen keinerlei ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG nicht vorliegen.
Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müssen sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vorneherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zum begehrten Schutz zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller ausschließlich geltend gemacht, die Sachlage habe sich deshalb zu seinen Gunsten geändert, weil seiner Partnerin mit Bescheid vom 23. Juli 2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Deshalb habe er, der Antragsteller, gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 AsylG einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen des Familienasyls.
Dem kann das Gericht jedoch nicht folgen, weil die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 AsylG nicht vorliegen.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG wird der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn (1) die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, (2) die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, (3) der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und (4) die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 1, 3 und 4 AsylG vor, nicht jedoch diejenige des § 26 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 AsylG.
Das Gericht kann nicht davon ausgehen, dass die Ehe des Antragstellers mit seiner Partnerin in Äthiopien schon bestanden hat, dies auf der Grundlage der in Äthiopien geltenden eherechtlichen Bestimmungen.
Funktion der Vorschriften über den abgeleiteten Status im Rahmen von § 26 AsylG ist es, über die Anträge der Mitglieder einer Flüchtlingsfamilie möglichst rasch, einheitlich und ohne überflüssigen Verwaltungsaufwand zu entscheiden, sobald der Antrag des Stammberechtigten entscheidungsreif ist. Die familiäre Beziehung muss bereits im Herkunftsland bestanden haben. Dem Ehegatten gleichgestellt wird der unverheiratete Partner, sofern das Recht des Mitgliedsstaates entsprechende Rechtsvorschriften vorsieht (Marx, AsylG, Komm., 10. Aufl. 2019, § 26 Rnr. 3 und 4 m.w.N.).
Mit Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG ist die mit Eheschließungswillen eingegangene, nach dem Recht des Verfolgerstaates anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint. Hierbei kommt es auch auf die Formvorschriften des jeweiligen Herkunftsstaates an, dies gleichermaßen für die Ehe und die Lebenspartnerschaft (Marx, a.a.O., Rn. 10). Das rein formale Eheband reicht nicht aus, erforderlich ist vielmehr, dass tatsächlich eine Lebensgemeinschaft bestanden haben muss (Marx, a.a.O., Rn. 11). Für die Beurteilung der Gültigkeit der Ehe ist grundsätzlich das Recht des Herkunftslandes maßgeblich. Dies gilt auch für Ehen, die nach deutschem Recht nicht geschlossen werden können. Eine nach islamischen Ritus geschlossene Ehe wird bei der Entscheidung über das Ehegattenasyl nur dann berücksichtigt, wenn auch nach dem Heimatrecht eine rechtsgültige Ehe vorliegt (Marx, a.a.O., Rn. 27 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall waren im Jahr 2014 die in Äthiopien gültigen Rechtsvorschriften für das Eingehen einer Ehe – auch nach religiösem Recht – nicht erfüllt.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß Art. 40 des Äthiopischen Familiengesetzbuches vom 4. Juli 2000 (Proklamation Nr. 213/2000 vom 4.7.2000, 4., Nr. 1/2000 vom 4.7.2000) – ÄFamGB – kann die Ehe vor einem Zivilstands-Beamten oder gemäß den durch die Religion oder die Gewohnheit vorgesehen Formen geschlossen werden. Gemäß Art. 7 Abs. 1 ÄFamGB können weder ein Mann noch eine Frau vor Vollendung des 18. Lebensjahres eine Ehe eingehen. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift kann unbeschadet der Regelung des Absatz 1 der Justizminister auf Antrag der künftigen Eheleute oder der Eltern oder des Personensorgeberechtigten eines der Ehewilligen aus wichtigen Gründen Befreiung vom Alterserfordernis von höchstens zwei Jahren gewähren. Wird die Ehe in religiöser Form geschlossen, sind nach Art. 26 Abs. 2 ÄFamGB die durch dieses Gesetz vorgesehenen wesentlichen Ehevoraussetzungen auch bei Eheschließung in religiöser Form zu beachten. Gemäß § 28 Abs. 1 ÄFamGB ist eine Ehe unabhängig von der gewählten Form durch den Zivilstands-Beamten zu beurkunden.
Dies macht deutlich, dass der am … … 1996 geborene Kläger mit seiner am … … 1997 geborenen Partnerin in Äthiopien vor seiner Ausreise, die am 10. September 2014 stattgefunden hatte, nicht rechtswirksam eine Ehe eingehen konnte. Anhaltspunkte für eine Befreiung durch den Justizminister liegen nicht einmal ansatzweise vor, ebenso wenig wie die Beurkundung durch den Zivilstands-Beamten. Das vorgelegte Hochzeitsfoto ist nicht hinreichend. Damit hat die Ehe nicht im Sinne des § 26 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG schon in Äthiopien bestanden, so dass auf der Hand liegt, dass sich die dem den Asylantrag ablehnenden Bescheid zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nicht gemäß Art. 51 Abs. 1 Ziffer 1 VwVfG zu Gunsten des Klägers geändert hat. Damit hat die Beklagte den am 31. August 2020 gestellten Folgeantrag im Bescheid vom 27. Oktober 2020 in Ziffer 1 zu Recht als unzulässig abgelehnt. Ernstliche Zweifel hieran sind nicht ersichtlich, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen war.
2. Auch der Hilfsantrag, der sich darauf bezieht, hinsichtlich festzustellender Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG gemäß § 123 VwGO der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG geprüft wird, hat keinen Erfolg.
Im Interesse der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns hat das Bundesamt im angegriffenen Bescheid unabhängig von seiner Entscheidung zum Asylfolgeantrag gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG unter Bezugnahme auf § 51 Abs. 5 VwVfG geprüft, ob die Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gemäß § 48 VwVfG oder § 49 VwVfG zurückgenommen oder widerrufen werden soll. Dies hat das Bundesamt im angegriffenen Bescheid verneint. Hiergegen hat der Antragsteller im Verfahren W 3 K 20.31208 beantragt, unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 27. Oktober 2020 die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festzustellen. Da es sich hierbei um eine Verpflichtungsklage handelt, kann vorläufiger Rechtschutz nur auf der Grundlage von § 123 VwGO gewährt werden. Damit ist der vorliegende Antrag entsprechend § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben werden darf.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern.
Eine derartige einstweilige Anordnung setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem etwaigen Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruches ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 54).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller hinsichtlich Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist nicht erkennbar, dass im Hauptsacheverfahren sein entsprechender Antrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte.
Hat das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Prüfung der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zulässig (BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 9 C 41/99 – juris Rn. 9; B.v. 15.1.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48, § 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, B.v. 15.1.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, sodass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen und eine Abänderung des Bescheides vom 9. Januar 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Antragsgegnerin zu Recht verneint worden sind.
Diesbezüglich wird zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen, der das Gericht folgt.
Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen:
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Während für die Tatbestandsalternativen Folter und unmenschliche Behandlung ein einer staatlichen Institution zurechenbares vorsätzliches Handeln erforderlich ist, gilt dies nicht bei der Alternative der erniedrigenden Behandlung. Deshalb können unter diese Tatbestandsalternative auch schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Diese sind relevant, wenn sie auf staatlichem oder auf staatlichen Institutionen zurechenbarem Handeln beruhen, so dass der Zivilbevölkerung kein ausreichender Schutz geboten werden soll oder kann (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 164 bis 169). Aber auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen als erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Das kann der Fall sein, wenn der Flüchtling im Herkunftsland seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris LS 1 und Rn. 8; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 und 25). Hierbei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei z.B. auch Krankheiten eine Rolle spielen können, soweit sie Auswirkungen auf die Frage habe, ob der Flüchtling seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann.
Für die Gefahr einer erniedrigenden Behandlung müssen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist; diese muss also aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher („real risk“) und darf nicht nur hypothetisch sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßungen dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent; es kann nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhobener Beweis verlangt werden (BVerwG; B.v. 13.2.2019 – a.a.O.). Es gilt also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 187 bis 191).
Vorliegend ergibt sich, dass unter Beachtung der oben dargestellten Grundlagen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
Der Antragsteller hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass er der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung bei einer Rückkehr ausgesetzt sein könnte. Auch eine erniedrigende Behandlung aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nicht erkennbar.
Äthiopien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung. Sozialleistungen sind nicht existent, Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Es gibt keine kostenlose medizinische Grundversorgung; dennoch ist die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Krankheiten können mit Einschränkungen behandelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 64 m.w.N.; AA, Lagebericht Stand März 2020).
Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist es nicht ersichtlich, dass die Antragstellerpartei ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte.
Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen gesunden Mann mit Partnerin und drei kleinen Kindern.
Er ist 24 Jahre alt und hat keinerlei gesundheitliche Einschränkungen vorgetragen. Er hat angegeben, aus dem Ort Doba in der Nähe von Agaro in der Region Jimma zu kommen. Dort leben nach seinen eigenen Angaben seine Eltern, eine Schwester und zwei Brüder.
Auf der Grundlage der sozialen Verhältnisse in Äthiopien ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller als arbeitsfähiger gesunder Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können wird, dies auch unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Großfamilie. Hinzu kommt, dass er auch bei einer Rückkehr mit seiner Familie auf die Unterstützung der Großfamilie seiner Partnerin bauen könnte. Deren Mutter, zwei Schwestern und vier Brüdern sowie eine Tante leben nach den Angaben der Partnerin des Antragstellers in Yachi.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der in Äthiopien angeordneten Einschränkungen werden der Corona Pandemie und aufgrund der Auswirkungen der Heuschreckenplage.
Gemäß der Johns-Hopkins-Universität sind in Äthiopien 110.984 Personen (Stand: 3.12.2020) an COVID-19 erkrankt, wobei wohl einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Aus den Informationen der Johns-Hopkins-Universität ergibt sich jedoch, dass im Gegensatz zum August 2020, wo regelmäßig etwa 1.500 neue Fälle pro Tag aufgetreten sind, derzeit lediglich noch etwa 500 neue Fälle pro Tag zu verzeichnen sind.
Am 8. April 2020 wurde zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen. Die landeweit geltenden Restriktionen umfassten das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität, einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis (AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 29.6.2020). Ein Lockdown ist demgegenüber in Äthiopien nicht angeordnet worden. Zwischenzeitlich ist der Ausnahmezustand wieder ausgelaufen und nicht verlängert worden. Die Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu Essen zu kaufen, gehen weiter zur Arbeit. Auch Wochenmärkte wurden weiterhin betrieben (Berliner Zeitung vom 9.4.2020, In Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte – und 105 Mio. Menschen). Da die Menschen ihre Kontakte einschränken, ist es für Arbeitssuchende schwieriger, Aufträge zu bekommen (Menschen für Menschen vom 29.4.2020, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien).
Aus den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes (Stand: 3.12.2020) ergibt sich, dass es aufgrund der Corona-Pandemie weiterhin zu Einschränkungen im internationalem Luft- und Reiseverkehr und zu Beeinträchtigungen im öffentlichen Lebens kommt. Für Reisen innerhalb Äthiopiens verlangen einzelne Bundesstaaten negative Corona-Tests. Die örtlichen Abstands- und Hygienevorschriften müssen eingehalten werden.
Hinsichtlich der Heuschreckenplage ist festzustellen, dass in Äthiopien große Heuschreckenschwärme vorhanden sind, die ganze Felder und Weideflächen kahlfressen. Im Juni 2019 machten sich die Tiere von Oman ausgehend auf den Weg in Richtung Horn von Afrika. In Äthiopien fanden sie dank außergewöhnlicher Regenfälle im Oktober und November 2019 günstige Bedingungen für die Vermehrung vor. Die Welthungerhilfe verteilt derzeit in Äthiopien gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses Alliance 2015 Bargeld, dies zum Schutz vor Ernteverlusten und um steigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern. Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen). In der Afar-Region plant die Welthungerhilfe weitere ernährungssichernde Maßnahmen. Dies macht deutlich, dass Äthiopien derzeit nicht so stark von der Heuschreckenplage betroffen ist, dass eine akute Hungersituation eingetreten wäre (vgl. Welthungerhilfe, Projekt-Update vom 12.5.2020, Heuschreckenplage in Ost-Afrika).
Diese Informationen können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Aus ihnen ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie als auch hinsichtlich derjenigen der Heuschreckenplage als auch in der Zusammenschau beider Ereignisse nach derzeitigem Stand nichts Konkretes erkennbar ist, was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erniedrigenden Behandlung des Antragstellers deshalb führen könnte, weil er bei einer Rückkehr nach Äthiopien seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könnte.
Vorliegend muss unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK davon ausgegangen werden, dass eine in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie nicht getrennt werden darf und es daher zur Rückkehr entweder nicht oder nur im Familienverband kommen wird (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49/18 – juris – Rn. 21).
Auf der Grundlage der oben dargestellten Situation kann (nach Auslaufen des Ausnahmezustandes wieder) davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller gemeinsam mit seiner Familie in der Lage sein wird, in seine Herkunftsregion oder in diejenige seiner Partnerin zurückzukehren. Damit kann er die Unterstützung seiner Großfamilie in Anspruch nehmen. Deshalb ist davon auszugehen, dass er mit seiner Familie die Möglichkeit haben wird, hinreichende Lebensgrundlagen zu finden, dies deshalb, weil er in der Lage sein wird, einer Arbeit nachzugehen und ein Obdach zu finden.
Auch die Heuschreckenplage kann diesbezüglich zu keinem anderen Ergebnis führen. Es ist nicht erkennbar, dass in Äthiopien landesweit eine Hungersituation vorhanden wäre, die dazu führen würde, dass der Antragsteller sich und seine Familie nicht ernähren könnte.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Doch auch in diesem Fall kann der Asylsuchende ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Aus dieser müsste sich die begründete Furcht des Flüchtlings ableiten lassen, selbst in erheblicher Weise ein Opfer dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies müsste sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489, Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
Unabhängig hiervon liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist gemäß Satz 4 der Vorschrift nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, der lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Antragstellerpartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Der Antragsteller hat keinerlei ernstzunehmenden Erkrankungen geltend gemacht.
Auch hinsichtlich der Corona-Pandemie sind keine erheblichen konkreten Gefahren für den Antragsteller erkennbar. Bei dieser Pandemie handelt es sich gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG um eine Gefahr, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die deshalb lediglich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31096 – a.U. Rn. 12 – n.v.). Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, also alsbald nach seiner Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Erkrankungen ausgeliefert wäre. Denn es ist nicht erkennbar, dass sich der Antragsteller mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr mit dem Corona-Virus infizieren wird. Dies ergibt sich daraus, dass trotz der vermutlich hohen Dunkelziffer nicht erkennbar ist, dass die Krankheit in Addis Abeba oder andernorts so verbreitet wäre, dass man sich jederzeit infizieren würde. Doch selbst wenn dies so wäre, ist weiterhin nicht erkennbar, dass eine entsprechende Infektion bei dem Antragsteller erhebliche lebensgefährliche Auswirkungen haben würde. Denn hinsichtlich der Auswirkungen einer Infektion mit dem Corona-Virus ist allgemein bekannt, dass in sehr vielen Fällen der Verlauf milde ist oder sogar keinerlei Symptome auftreten. Lediglich ein kleinerer Teil der Infizierten benötigt eine stationäre und ein sehr geringer Teil der Infizierten sogar eine intensivmedizinische Behandlung.
Damit liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie nicht vor.
Da somit schon kein Anordnungsanspruch ersichtlich ist, kommt es auf das Geltendmachen eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.
Der Antrag war daher sowohl in seinem Hauptantrag wie auch in seinem Hilfsantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
Da der Antrag keine Erfolgsaussichten hatte, war auch der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, ohne dass es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers ankäme.


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