Verwaltungsrecht

Polizeibeamten wird Führung der Dienstgeschäfte nach Auftritt im Fernsehen verboten

Aktenzeichen  M 5 S 16.1250

Datum:
20.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG BayBG Art. 6
BeamtStG BeamtStG § 33, § 39, § 45
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte ist in aller Regel zu bejahen, sofern dieses nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Beim Vorliegen von Gründen, die ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erforderlich machen, ist dieses regelmäßig auch unaufschiebbar, um überhaupt den Zweck eines solchen Verbotes erfüllen zu können. Für die Begründung der sofortigen Vollziehung sind deshalb grundsätzlich keine weiteren Gründe erforderlich als für die Anordnung des Verbots. (redaktioneller Leitsatz)
Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ist eine Notmaßnahme, um eine erhebliche Beeinträchtigung oder Gefährdung dienstlicher oder öffentlicher Belange zu verhindern oder zu unterbinden. Soweit gewichtige Bedenken gegen eine Fortführung der Dienstgeschäfte bestehen, hat das Individualinteresse des Beamten an der Führung seiner Dienstgeschäfte gegenüber den dienstlichen Interessen zurückzutreten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1958 geborene Antragsteller steht seit 10. Oktober 1985 als Beamter auf Lebenszeit im Dienstgrad eines Ersten Polizeihauptkommissars in den Diensten des Antragsgegners. Der Antragsteller ist hierbei insbesondere als Seminarleiter im Dienstbetrieb des Antragsgegners, im Fortbildungsinstitut der … (…) in …, als Fachlehrer eingesetzt.
Der Antragsteller trat in einer Fernsehsendung des Senders „…“ auf und nahm hier an einer Diskussionsrunde teil, wobei Name und Berufsbezeichnung des Antragstellers genannt wurden. Diese Sendung befasste sich mit den Ideen der sogenannten „…bewegung“, die sich auf ein Deutsches Reich beruft und die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet. Dabei gab der Antragsteller unter anderem an, „seit 40 Jahren in der Firma“ zu sein und äußerte sich kritisch zur Gültigkeit von Wahlen, Gesetzen sowie zur Legitimation des Gesetzgebers. Daneben stellte er die Gültigkeit des Grundgesetzes in Frage. Das Video der Sendung erschien am … 2015 auf der Plattform …de und ist seither abrufbar.
In der Folge führte der Institutsleiter am 29. September und 22. Oktober 2015 Kritikgespräche mit dem Antragsteller und teilte ihm mit, dass die Führung im Haus sich von dem Vorgehen und den Inhalten der Aussagen des Antragstellers distanziere.
Am … Februar 2016 nahm der Antragsteller auf Einladung der „…“ in …/… an einer geschlossenen und für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Veranstaltung teil. Im Zuge der Veranstaltung trat der Antragsteller zum Thema der sogenannten „Mensch-Kennzeichen“ als Ersatz für Haftpflicht-Kennzeichen als Redner auf und äußerte sich zum Umgang mit Polizeibeamten. Am Folgetag erschien auf den Internetportalen von …de und …de ein Artikel, in dem über den Antragsteller im Zusammenhang mit einer Veranstaltung von „…“ berichtet wurde. Dabei wurde auch mitgeteilt, dass der Antragsteller ein hochrangiger Polizeibeamter sei und als Erster Polizeihauptkommissar im … in … unterrichte. Noch am selben Tag erhielt der Antragsgegner die Anfrage eines Bürgers, wie die staatsfeindliche Haltung des Antragstellers mit dessen Beruf vereinbar sei und warum dieser im Fortbildungsinstitut lehren dürfe. … Februar 2016 erschien ein Zeitungsartikel in der … über den Antragsteller unter dem Titel „…‘“.
Am 19. Februar 2016 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller nach dessen Anhörung mündlich die Führung seiner Dienstgeschäfte. Zudem erteilte er dem Antragsteller für die Dauer des Verbotes für sämtliche Diensträume der Bayerischen Bereitschaftspolizei ein Hausverbot und untersagte ihm, Dienstkleidung zu tragen und eine Dienstwaffe zu führen. Er ordnete an, dass der Antragsteller sämtliche in seinem Besitz befindlichen Ausrüstungsgegenstände herauszugeben habe und ordnete die sofortige Vollziehung sämtlicher Verfügungen an. Mit Schreiben vom 24. Februar 2016 bestätigte der Antragsgegner die mündlich ausgesprochenen Verfügungen. Zur Begründung führte der Antragsgegner an, der Antragsteller pflege Verbindungen zur sogenannten „…bewegung“. Er sei unter Bekanntgabe seines Berufes als Polizeibeamter einschließlich genauer Amtsbezeichnung und Zugehörigkeit zum … in der Öffentlichkeit aufgetreten. Das auf … auffindbare Video zeige, dass der Antragsteller die Thesen der …bewegung für richtig befinde und unterstütze. Darüber hinaus fänden sich aktuelle einschlägige Presseberichterstattungen im Internet. Er sei bei einer Veranstaltung der „…“ als Redner aufgetreten und habe auch hier Beruf und Zugehörigkeit genannt. Obwohl die getroffene Maßnahme einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Antragstellers als Beamter darstelle und mit einer massiven psychischen Belastung für ihn verbunden sei, sei die Maßnahme verhältnismäßig, da die Vorwürfe in besonderer Weise geeignet seien, das Ansehen der Polizei zu schädigen. Weiterhin könne es zu erheblichen Störungen im Dienstbetrieb des … kommen, da sich Kollegen und Lehrgangsteilnehmer verunsichert fühlen könnten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege zudem im besonderen öffentlichen Interesse, da die Integrität des Antragstellers wegen des gegen ihn gerichteten Verdachts so sehr in Zweifel zu ziehen sei, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit momentan nicht möglich wäre. Ohne Sofortvollzug wären der Dienstbetrieb und das Ansehen der Polizei erheblich und unnötig belastet. Eine Abwägung ergebe auch im Hinblick auf die für den Antragsteller verbundenen Nachteile ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Gegen den Antragsteller wurde am 19. Februar 2016 ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachtes einer schwerwiegenden Dienstpflichtverletzung aufgrund einer Verbindung zur „…bewegung“ eingeleitet und mit Vermerk vom 11. April 2016 ausgedehnt.
Mit Schreiben vom 14. März 2016 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid vom 24. Februar 2016 Widerspruch. Mit Schriftsatz vom 15. März 2016 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14. März 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2016 bezüglich der Ziffern 1 bis 3 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner ist ferner zu verbescheiden, die vom Antragsteller bereits abgegebenen Ausrüstungsgegenstände, insbesondere die Dienstwaffe, den Mehrzweckschlagstock, das Pfefferspray, den Dienstausweis, den Berechtigungsschein KFZ sowie alle Dienstschlüssel unverzüglich an den Antragsteller auszuhändigen.
Der Antragsteller sei kein Mitglied der „…bewegung“. Er sei auf der Veranstaltung der „…“ als Privatperson aufgetreten und habe klargestellt, dass er keinesfalls eine Rede als Vertreter von Polizeiorganisationen halte. Er habe sich klar von den Denkansätzen distanziert und mehrfach sein Bestreben im Hinblick auf die Aufrechterhaltung und das Fortbestehen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekräftigt. Hinsichtlich des …-Videos sei aufgrund des Zeitablaufs ein Vertrauensschutz entstanden, da der Antragsgegner nach dessen Erscheinen weder ein Disziplinarverfahren einleitete noch die Führung der Dienstgeschäfte untersagte. Der Sofortvollzug sei rechtswidrig, da der Antragsgegner lediglich den Gesetzestext wiedergebe und die Meinungsfreiheit nicht gegenüber den Interessen des Antragsgegners ordnungsgemäß abgewogen habe. Es mangele an der notwendigen Aufklärung des Sachverhaltes sowie der Anhörung neutraler Zeugen. Die befürchtete Verunsicherung am … sowie die Störungen im Dienstbereich würden reine Spekulation darstellen. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung, zudem verstoße der Antragsgegner gegen seine Fürsorgepflicht. Auch sei widersprüchlich, dass einerseits lediglich der Verdacht einer schweren Dienstpflichtverletzung bestehe, andererseits aber bereits ein konkreter und erheblicher Vertrauensverlust mit einer massiven Ansehensbeschädigung eingetreten sei. Es hätte als milderes Mittel die bloße Entbindung von der Fachlehrertätigkeit zur Verfügung gestanden. Das Hausverbot sowie die Entbindung von allen Tätigkeiten für den Dienstherrn seien unverhältnismäßig. Soweit der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 2. Mai 2016 neue Tatsachen mitteilte, welche die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung untermauern würden, liege ein unzulässiges Austauschen von Gründen vor.
Mit Schriftsatz vom 12. April 2016 hat das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei für den Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner wiederholte das Vorbringen aus der Untersagungsverfügung vom 24. Februar 2016. Er trägt weiter vor, der Antragsteller habe sich nicht in ordnungsgemäßer Weise von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassung angreifen. Er habe die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt. Gerade vor dem Hintergrund der Kritikgespräche anlässlich des Fernsehauftrittes hätte ihm sein Tun bewusst sein müssen. Erschwerend sei zu berücksichtigen gewesen, dass beide Auftritte des Antragstellers der Öffentlichkeit bekannt geworden seien und dort für großes Unverständnis gesorgt hätten. Aufgrund der herausgehobenen Stellung des Antragstellers und seiner Tätigkeit als Seminarleiter seien die Pressemitteilungen mittlerweile in weiten Kreisen der Polizei bekannt. Den Seminarteilnehmern sei es nicht vermittelbar, warum ein Beamter, der den Staat derart kritisch sehe und dies auch öffentlich äußere, weiterhin als Seminarleiter tätig sein könne.
Mit Schriftsatz vom 12. April 2016 hat der Antragsgegner weitere Tatsachen vorgetragen, die ihm am 1. März 2016 bekannt geworden seien. So habe der Antragsteller Verschwörungstheorien über den Tod von Franz Josef Strauß und Jörg Haider geäußert. Außerdem habe er Ausgaben des rechtspopulistischen Magazins „compact“ im Lehrerzimmer des … ausgelegt.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die Behörde darf die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO durch Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, wenn dafür ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das grundsätzlich über jenes Interesse hinauszugehen hat, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Dieses besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts ist nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte ist in aller Regel zu bejahen, sofern dieses nicht offensichtlich rechtswidrig ist (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Bayerisches Beamtengesetz, Stand: Februar 2016, § 39 BeamtStG Rn. 59). Beim Vorliegen von Gründen, die ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erforderlich machen, ist dieses regelmäßig auch unaufschiebbar, um überhaupt den Zweck eines solchen Verbotes erfüllen zu können. Für die Begründung der sofortigen Vollziehung sind deshalb grundsätzlich keine weiteren Gründe erforderlich als für die Anordnung des Verbots (VG München, B.v. 13.10.2006 – 5 S 06.3478 – juris Rn. 15; B.v. 7.5.2013 – M 5 S 13.1380). Die im Bescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2016 gegebene Begründung genügt diesen formalen Anforderungen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Antragsgegner nicht bloß den Gesetzeswortlaut wiederholt, sondern lässt erkennen, dass eine Einzelfallprüfung erfolgte und die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen wurden. Nicht notwendig ist es, explizit auf bestimmte Aspekte wie die Meinungsfreiheit einzugehen.
2. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist daher nur möglich, wenn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung grundlegende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung bestehen (OVG Hamburg, B.v. 3.8.1954 – Bs II 32/54 – VerwRspr 1955, 216 f.). Ergibt sich hingegen, dass der Rechtsbehelf oder die Klage voraussichtlich erfolglos sein werden, scheidet eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aus. Hiervon ausgehend ergibt die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall, dass keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des für sofort vollziehbar erklärten Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte vom 24. Februar 2016 bestehen.
Gemäß § 39 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz/BeamtStG – i. V. m. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetztes/BayBG kann die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verbieten. Diese vorläufige und zeitlich befristete Maßnahme dient dazu, ein weiteres dienstliches Tätigwerden des Beamten bis zur Entscheidung über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens oder eines sonstigen auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren zu unterbinden.
a) Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBG soll der Beamte vor Erlass des Verbots gehört werden. Auch wenn die Anhörung als Sollvorschrift und nicht als zwingende Norm ausgestaltet ist, so binden auch Sollvorschriften die Verwaltung, soweit kein triftiger Grund für eine Ausnahme vorliegt (vgl. Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a. a. O., § 39 BeamtStG Rn. 34, § 6 BayBG Rn. 19). Dem Antragsteller ist laut Niederschrift vom 19. Februar 2016 vor Ergehen der streitgegenständlichen Verfügung die Möglichkeit gegeben worden, sich zu äußern.
b) Bei dem Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe im Sinne von § 39 BeamtStG handelt es sich nach allgemeiner Ansicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Dienstliche Gründe können sowohl im dienstlichen als auch im außerdienstlichen Verhalten des Beamten oder in seiner Person begründet sein, soweit sie sich auf die dienstlichen Bereiche auswirken können. Die dienstlichen Gründe müssen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte zwingend erfordern. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ist eine Notmaßnahme, um eine erhebliche Beeinträchtigung oder Gefährdung dienstlicher oder öffentlicher Belange zu verhindern oder zu unterbinden. Es müssen also Umstände vorliegen, die eine weitere Ausübung der Dienstgeschäfte durch den Beamten zumindest im Augenblick als nicht vertretbar erscheinen lassen und es darf keine anderen, weniger einschneidenden Möglichkeiten geben, die dienstlichen Nachteile abzuwenden. Die zu befürchtenden Nachteile müssen also so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann. Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte darf nicht außer Verhältnis zur Schwere des inkriminierenden Verhaltens und dem Grad der zu befürchtenden Unzuträglichkeiten stehen. Soweit jedoch gewichtige Bedenken gegen eine Fortführung der Dienstgeschäfte bestehen, hat das Individualinteresse des Beamten an der Führung seiner Dienstgeschäfte gegenüber den dienstlichen Interessen zurückzutreten (vgl. zum Ganzen VG München, B.v. 7.5.2013 – M 5 S 13.1380; B.v. 13.10.2006 – 5 S 06.3478 – juris; VG Kassel, B.v. 16.10.2006 – 1 L 1108/09.KS – juris; Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a. a. O., § 39 BeamtStG Rn. 21 ff. m. w. N.).
Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 BeamtStG sind die dienstlichen Gründe des Dienstherrn erst zwingend, wenn es ihm nicht mehr zumutbar ist, die Dienstgeschäfte durch den Beamten fortsetzen zu lassen (Metzler-Müller/Rieger/Seeck/Zentgraf in Praxis der Kommunalverwaltung Band C 17 Bund, Stand Juni 2014, S. 387). Zwingende dienstliche Gründe können bereits bei Vorliegen des bloßen Verdachtes einer Straftat oder einer Dienstpflichtverletzung bestehen sowie auf einem durch wesentliche Unstimmigkeiten gestörten Vertrauensverhältnis, wenn dadurch eine ernsthafte Beeinträchtigung des Dienstbetriebes zu befürchten ist (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a. a. O., § 39 BeamtStG Rn. 26 ff.). Voraussetzung ist also gerade nicht, dass nachgewiesen ist, dass der Beamte eine Straftat oder Dienstpflichtverletzung tatsächlich begangen hat. Bereits der Verdacht kann genügen, um ein Verbot nach § 39 BeamtStG auszusprechen (vgl. Praxis der Kommunalverwaltung, a. a. O., S. 387). Dies ist insofern gerechtfertigt, als das Verbot nach § 39 BeamtStG lediglich zeitweise gilt und kurzfristig zum Einsatz kommt, bis eine endgültige Klärung erreicht werden kann.
c) Durch den der streitgegenständlichen Maßnahme zugrunde liegenden Sachverhalt liegen solche Umstände vor, die eine weitere Ausübung der Dienstgeschäfte durch den Kläger im Zeitpunkt des Ausspruchs des Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte als nicht vertretbar erscheinen lassen.
aa) Dabei sind allein die vom Antragsgegner in der Verfügung vom 19. Februar 2016 bzw. der schriftlichen Bestätigung vom 24. Februar 2016 angegebenen Gründe maßgeblich. Die mit Schriftsatz vom 2. Mai 2016 zusätzlich vorgebrachten Argumente stellen ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar, die keine Berücksichtigung finden können. Zwar ist es der Behörde gemäß § 114 S. 2 VwGO grundsätzlich möglich, ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen. Die nachträglich angegebenen Gründe müssen jedoch schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben (BVerwG, U.v. 20.06.2013 – 8 C 46/12 – juris Rn. 32; Decker in Posser/Wolff, Beck OK VwGO, Stand 1. April 2016, § 114 Rn. 42). Der Antragsgegner gibt selbst an, dass ihm diese neuen Tatsachen erst am 1. März 2016 und somit nach Erlass der Verfügung bekannt geworden sind.
bb) Der Antragsteller ist mehrfach in Zusammenhang mit der „…bewegung“ in Erscheinung getreten, wobei sein Name und seine Funktion entweder benannt wurden oder allseits bekannt waren. Die „…bewegung“ stellt die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat in Frage und geht von einem Fortbestehen des Deutschen Reiches aus. Die BRD sei lediglich eine Firma und die Deutschen Bürger deren Personal, weshalb ein Personalausweis zu tragen sei (vgl. zum Ganzen Caspar/Neubauer, LKV 2012, 529 ff.). Der Antragsteller äußerte in dem Videoauftritt explizit, er sei „seit 40 Jahren in der Firma“, die SHAEF-Gesetze der Alliierten hätten weiterhin Geltung und er stellte in Frage, ob im Hinblick auf das Grundgesetz „geltendes Recht“ auch „gültiges Recht“ sei. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass alle Wahlen ungültig seien, daher sei der Gesetzgeber nicht legitimiert und in der Folge wohl sämtliche Gesetze ungültig. Zwar gibt der Antragsteller in seiner Antragsschrift an, kein Mitglied der „…bewegung“ zu sein und nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bekämpfen. Gleichwohl entsprechen die bei seinem Fernsehauftritt getätigten Äußerungen dem Gedankengut der „…bewegung“. Durch die Teilnahme an der Veranstaltung der „…“, deren Mitglieder sich ebenfalls als „Reichsdeutsche“ ansehen, hat der Antragsteller erneut ein Verhalten gezeigt, dass jedenfalls eine gewisse Nähe zur „…bewegung“ vermuten lässt. Aus diesem Grund durfte der Antragsgegner von einem konkreten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung ausgehen, welcher ein Verbot des Führens der Dienstgeschäfte rechtfertigt. Denn sollte der Antragsteller tatsächlich der „…bewegung“ zuzuordnen sein, liegt hierin ein gravierender Verstoß gegen seine Dienstpflicht (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 21. Mai 2015 – 10 M 4/15, 10 M 5/15, 10 M 6/15, 10 M 7/15, 10 M 4 – 7/15 – juris Rn. 21). Nach § 33 Abs. 1 S. 2 BeamtStG müssen sich Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Dies ist nicht gewährleistet, wenn ein Beamter als „…“ die Geltung des Grundgesetzes und die verfassungsmäßigen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt. Dieses Verhalten ist auch nicht durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz/GG gedeckt.
Es ist kein Vertrauenstatbestand dadurch aufgebaut worden, dass der Dienstherr nicht schon unmittelbar nach Erscheinen des Videos ein Disziplinarverfahren eingeleitet hat. Zum einen wurden mit dem Antragsteller mehrfach Kritikgespräche hierüber geführt. Zum anderen war es zulässig, dass der Antragsgegner erst nach einem erneuten Auffälligwerden des Antragstellers die streitgegenständlichen Verfügungen erließ. Denn sein Mitwirken in der Sendung kann noch als einmaliges Fehlverhalten gewertet werden, der sich nicht wiederholt und durch die mehrfachen Kritikgespräche gestoppt wurde. Durch die Teilnahme an der Veranstaltung der „…“ als Redner hat der Antragsteller jedoch gezeigt, dass es sich nicht um eine bloß einmalige Angelegenheit gehandelt hat, sondern dass er ernsthaft die Distanz zu solchen Gruppierungen vermissen lässt. An dieser Bewertung ändert sich nichts, selbst wenn es sich nach Aussage des Antragstellers um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt haben sollte, schließlich erfuhr dessen Teilnahme auch außerhalb der Veranstaltungsteilnehmer eine erhebliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Denn dieser zweite Vorfall hat zu Zeitungsartikeln in Online- und Printmedien sowie Bürgeranfragen geführt. Dies gilt selbst dann, wenn der Beamte lediglich die Position des Freistaates Bayern ausführen wollte. Denn die Organisation der „…“ steht unter dem Verdacht, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland anzuzweifeln. Bei Beiträgen in einem solchen Rahmen ist, auch bei nichtöffentlichen Veranstaltungen, besondere Zurückhaltung geboten, insbesondere wenn Name und Funktion des Beamten allgemein bekannt sind.
Der Dienstherr durfte daher den Fernsehauftritt und die Teilnahme an besagter Veranstaltung zu einer gemeinsamen Betrachtung heranziehen und zusammen als hinreichend schwerwiegend für die streitgegenständliche Verfügung ansehen.
cc) Ob dieser Verdacht einer Dienstpflichtverletzung zutreffend ist und der Antragsteller der „…bewegung“ zuzuordnen ist und unter Rückgriff auf deren Ansichten die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellt, ist letztlich im Rahmen des Disziplinarverfahrens zu klären. Das Verbot nach § 39 BeamtStG dient als Notmaßnahme nur zur Überbrückung der Zeit, bis eine solche gesicherte Aufklärung erzielt werden kann und setzt gerade keine konkrete Aufklärung voraus. Aus diesem Grund fordert § 39 S. 2 BeamtStG auch, dass das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nicht länger als drei Monate bestehen soll, wenn kein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet wird. Gegen den Antragsteller ist am 19. Februar 2016 ein solches Disziplinarverfahren eingeleitet worden, so dass diese Bedingung des § 39 BeamtStG ebenfalls erfüllt ist.
Es ist auch nicht widersprüchlich, wenn der Antragsgegner einerseits von einem bloßen Verdacht einer schweren Dienstpflichtverletzung ausgeht, andererseits aber bereits ein konkreter und erheblicher Vertrauensverlust mit einer massiven Ansehensbeschädigung eingetreten sei. Denn durch das frei zugängliche Video auf … und die Presse-Berichterstattung sind die Vorfälle an die Öffentlichkeit gelangt und haben bereits zu einer Bürgeranfrage geführt. Auch im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Vorfälle Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt haben. Bereits der Verdacht kann daher ausgereicht haben, um das Ansehen der Bayerischen Polizei zu beschädigen.
dd) Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erweist sich nicht als unverhältnismäßig. Die Schwere des Verdachtes lässt eine weitere Tätigkeit des Antragstellers derzeit als unvertretbar erscheinen, während ihm durch das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte angesichts der Fortzahlung der Bezüge keine erheblichen Nachteile entstehen.
Dem Interesse des Antragstellers an einer Weiterbeschäftigung steht das Interesse des Dienstherrn gegenüber, keinen Beamten im Dienstbetrieb einzusetzen, der das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht achtet. Das Vertrauensverhältnis zu einem Beamten, der im Verdacht steht, gegen ein derart elementares Grundprinzip zu verstoßen, ist schwer belastet. Daneben wäre durch die Weiterbeschäftigung ein erheblicher Ansehensverlust der Bayerischen Polizei zu befürchten. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Verfügung war die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt und bereits die Reaktion eines Bürgers erfolgt. Das Erscheinen eines weiteren Artikels über den Antragsteller war angekündigt. Dass der Antragsteller im Bereich der Fortbildung von Polizeibeamten tätig ist („Multiplikatorenfunktion“), tritt überdies hinzu. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass in Lehrveranstaltungen ähnliche Aussagen getätigt und hierdurch andere Polizeibeamte verunsichert werden, zum anderen ist eine negative Einflussnahme auf die Seminarteilnehmer zu befürchten. Darüber hinaus wird es den Seminarteilnehmern schwer vermittelbar sein, weshalb ein Polizist als Lehrkraft tätig sein darf, der im Verdacht steht, einer die Verfassung in Frage stellenden Gruppierung anzugehören. Durch diesen Verdacht ist jedoch nicht nur das Vertrauensverhältnis zu den Kollegen und Seminarteilnehmern belastet, sondern auch das Vertrauensverhältnis zum Dienstherren erheblich gestört. Dem steht auch nicht die Fürsorgepflicht des Dienstherrn entgegen. Es ist dem Dienstherrn nicht zumutbar, den Antragsteller weiter zu beschäftigen und abzuwarten, welche Auswirkungen im Dienstbetrieb tatsächlich entstehen. Die entsprechende Sorge des Antragsgegners liegt angesichts der herausgehobenen Funktion im Bereich der Fortbildung sowie dem vom Antragsteller innegehabten Amt nahe. Daneben bestehen die genannten weiteren Gründe, die das Verbot der Dienstgeschäfte stützen.
ee) Schließlich stand dem Antragsgegner auch kein milderes Mittel zur Verfügung. Die Integrität des Antragstellers als Beamter steht insgesamt in Frage, so dass es dem Antragsgegner nicht zuzumuten ist, den Antragsteller nur von einzelnen Tätigkeiten auszuschließen, im Übrigen aber weiter zu beschäftigen. Die Gründe, die für das Verbot sprechen, betreffen nicht nur die reine Lehrtätigkeit. Es ist nur folgerichtig, dass der Beamte in diesem Zusammenhang auch seine Ausrüstungsgegenstände abgeben muss. Denn für diese hat er keine Verwendung, da ihm die Führung der Dienstgeschäfte ohnehin untersagt ist. Auch das Hausverbot ist als flankierende Verfügung nicht zu beanstanden. Schließlich hat der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an einem Betreten der Diensträume, solange er keine Dienstgeschäfte führen darf.
4. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 des Gerichtskostengesetzes/GKG. Hierbei wurden die beiden Nummern des Antrages des Beamten jeweils selbstständig kostenrechtlich bewertet.


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