Verwaltungsrecht

posttraumatische Belastungsstörung führt zu krankheitsbedingtem Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  M 19 K 16.33707

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5091
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Irak liegt vor, solange der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Ausländer einer psychiatrischen Behandlung und Medikation bedarf und diese im Irak nicht zu erreichen sind, weil effektive Behandlungsmöglichkeiten für schwerwiegende psychische Erkrankungen dort derzeit nicht in ausreichender Weise verfügbar sind.  (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Oktober 2016 wird hinsichtlich des Klägers zu 3) in den Nummern 3 bis 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, für den Kläger zu 3) festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Iraks vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte 1/6 und die Kläger als Gesamtschuldner 5/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Kläger zu 1), 2) und 4) haben keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu ihren Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung bestehen insoweit keine Zweifel. Der Kläger zu 3) hat hingegen einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint.
a) Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Es darf auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Voraussetzung ist zudem, dass der Schaden von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 und § 3c AsylG auszugehen droht (vgl. VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 85 ff.). Auch bei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG müssen bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 53).
b) Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllen die Kläger nicht.
aa) Sie haben keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihnen im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht.
bb) Ebenso fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Formulierung „Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird weder im Asylgesetz noch in der dadurch umgesetzten Richtlinie 2011/95/EU definiert. Bei der Auslegung der Norm, die die Vorgaben des – an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) orientierten – Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umsetzt, ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 59 f.; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 137 ff.). Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche Zufügung entweder körperlicher Verletzungen oder intensiven physischen oder psychischen Leids zu verstehen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie geeignet ist, das Opfer zu demütigen, zu erniedrigen oder zu entwürdigen (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 142).
(a) Im Fall der Kläger ist nicht anzunehmen, dass ihnen bei Rückkehr nach B… wegen der geltend gemachten Gefährdung durch Angehörige einer Miliz Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es mag sein, dass insbesondere der Kläger zu 1) für kurze Zeit im Jahr 2005 mit den USamerikanischen Streitkräften zusammen gearbeitet hat. Dass ihm aber noch 15 Jahre später insoweit eine entsprechende Behandlung droht, ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Drohbrief aus dem Jahr 2015 ist allgemein gehalten und es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der gezielt den Klägern galt.
(b) Auch die schlechte humanitäre Lage im Irak rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn diese ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3c AsylG zurückzuführen. Es ist den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass der irakische Staat als staatlicher Akteur ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigt und diese auf seine Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 68 ff. m.w.N.). Die in weiten Teilen des Iraks bestehende allgemein schwierige Lage hat vielfältige Ursachen, wird aber nicht zielgerichtet vom irakischen Staat, von herrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Dritten herbeigeführt.
(c) Dem Kläger droht auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann sich grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen, nämlich dann, wenn die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Ausländers führt (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 146). Eine solche allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in B… der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist hier jedoch nicht anzunehmen.
cc) Ferner sind die Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Ihnen droht keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in ihrer Heimatregion.
Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (vgl. VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 112 m.w.N.). Erforderlich ist ferner für die Zuerkennung subsidiären Schutzes, dass die Kläger einer ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt sind. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei grundsätzlich – und so auch hier – der tatsächliche Zielort der Kläger bei einer Rückkehr; es ist in der Regel die Herkunftsregion, in die diese zurückkehren werden (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 76; VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 127).
Das Gericht kann offenlassen, ob in B… und der Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Denn jedenfalls ist das Niveau willkürlicher Gewalt in B… – auch angesichts der im Rahmen der gegenwärtigen regierungskritischen Proteste verletzten und getöteten Personen – aktuell nicht derart hoch, dass unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an die Gefahrendichte, praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in B… und Umgebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne dieser Vorschrift ausgesetzt ist (vgl. ausführlich hierzu OVG NW, B.v. 7.11.2019 – 9 A 1951/19.A – juris Rn. 8 ff.).
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105). Für die Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175).
b) Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen Sicherheitslage oder wegen den bestehenden humanitären Verhältnissen.
aa) Wie bereits im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ausgeführt, ist zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Irak unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage im Irak droht.
bb) Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
(a) Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung in B… keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort B…, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen, sind für den Kläger nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – Rn. 166 ff.).
(b) Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 53), die im Fall des Klägers zu einer anderen Bewertung führen könnten.
Trotz der schwierigen Umstände konnten die Kläger bis zu ihrer Ausreise in B… leben und durch die Tätigkeit des Klägers zu 1) als Taxifahrer ernährt werden. Die Kläger haben auch noch Verwandte im Irak. Außerdem besteht für die Kläger – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihm die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/program mes/erin; s. a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 65).
3. Die Kläger zu 1), 2) und 4) haben schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der Kläger zu 3) hingegen schon.
a) Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
b) Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet im vorliegenden Fall kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht schon die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.
Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak – soweit ersichtlich fällt die Kläger nicht hierunter) nicht erfolgt und ihr Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 70).
c) Individuelle Anhaltspunkte in der jeweiligen Person der Kläger zu 1), 2) und 4), die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Sie besteht, wie ausgeführt, namentlich nicht wegen der vom Kläger zu 1) geltend gemachten Gefährdung durch Angehörige einer Miliz (siehe oben).
Für den Kläger zu 3) besteht hingegen eine konkrete Gefahr, die einer Abschiebung entgegensteht. Ob eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt, bedarf der Darlegung durch den jeweiligen Kläger (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO; vgl. dazu BVerwG, B.v. 26. Juli 2012 – 10 B 21.12; U.v. 11. September 2007 – 10 C 8.07, jeweils juris). Dabei entspricht es gefestigter Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 28.9. 2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2 ff.; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 19 ff., BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 4), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
An den Erlebnissen des Klägers zu 3) hat das Gericht keine Zweifel. Auch konnte das Gericht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger zu 3) an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS; ICD-10: F43.1) leidet. Es wurde eine „ärztliche Bescheinigung“ im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG vorgelegt. Diese stellt nachvollziehbar und erkennbar individuell die Beschwerden des Klägers zu 3) dar. Es wird auch deutlich, welche Diagnose- und Testverfahren zur Erfassung traumatischer Lebensereignisse und zur Erfassung der Schwere der Symptomatik eingesetzt wurden. Insgesamt ist erkennbar, dass der Kläger zu 3) ohne ein stabiles Umfeld mit Tagestruktur und ohne Umgang mit seiner Traumatisierung vertrauten Personen nicht langfristig handlungsfähig bleibt, sondern mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er ohne Therapie ein für die Bewältigung der Alltagsherausforderungen notwendige Funktionsniveau nicht aufrechterhalten kann und infolgedessen Suizidgefahr besteht. Das Gericht hat daher im Ergebnis keinen Zweifel daran, dass der Kläger zu 3) zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer psychiatrischen Behandlung und Medikation bedarf.
Eine solche ist jedenfalls für den Kläger zu 3) im Irak derzeit nicht zu erreichen. Effektive Behandlungsmöglichkeiten für schwerwiegende psychische Erkrankungen sind im Irak nicht in ausreichender Weise verfügbar (vgl. VG Hannover, U.v. 26.10.2019 – 6 A 1342/17 – juris Rn. 38 ff. m.w.N.; ACCORD, Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen (u.a.), 12. Februar 2019, abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/1457781.html).
Damit liegt hinsichtlich des Klägers zu 3) ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt. Wegen des einheitlichen Streitgegenstandes ist insoweit Nr. 3 des Bescheids der Beklagten insgesamt aufzuheben.
4. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage der § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen hinsichtlich der Kläger zu 1), 2) und 4) keinen rechtlichen Bedenken, hinsichtlich des Klägers zu 3) sind sie hingegen aufzuheben.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 83b AsylG Rn. 9). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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