Verwaltungsrecht

Rationale Überzeugungsbildung des Gerichts –  Zulassunng der Berufung wegen Genehmigung einer Werbeanlage abgelehnt

Aktenzeichen  9 ZB 17.1859

Datum:
10.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34631
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 14 Abs. 2
VwGO § 108 Abs. 1 S. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
BauGB § 34 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ist dabei nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei; die richterliche Überzeugungsbildung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen. (Rn. 6) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Für eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs im bauordnungsrechtlichen Sinn ist nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch eine Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. (Rn. 7 ) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

W 5 K 17.64 2017-07-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Baugenehmigung zur Errichtung einer einseitigen, unbeleuchteten Außenwerbeanlage (Euroformat: 3,7 m mal 2,7 m; Tafelunterkantenhöhe ca. 1 m) auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung O …, die vom Landratsamt H … mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 abgelehnt wurde. Die Klage hiergegen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juli 2017 wegen einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch das Vorhaben abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin beruft sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Hieraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Das Vorbringen der Klägerin zur Wirkung der beantragten Werbeanlage auf das Ortsbild im bauplanungsrechtlichen Sinn kann die Zulassung der Berufung schon deshalb nicht begründen, weil das Verwaltungsgericht die Frage, ob durch das Bauvorhaben das Ortsbild entgegen § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB beeinträchtigt wird, ausdrücklich offengelassen und das Urteil nicht darauf gestützt hat.
2. Aber auch soweit die Klägerin der Ansicht ist, dass der vom Verwaltungsgericht – wie auch schon vom Landratsamt – angeführte Ablehnungsgrund einer konkreten Verkehrsgefährdung i.S.d. Art. 14 Abs. 2 BayBO durch das Bauvorhaben zu verneinen sei, greifen die gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwendungen nicht durch.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ist dabei nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei; die richterliche Überzeugungsbildung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen. Soweit sich das tatsächliche Vorbringen im Zulassungsverfahren auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung bezieht, kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, den Gesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 16.1259 – juris Rn. 6). Dies ist hier nicht der Fall.
Für eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs im bauordnungsrechtlichen Sinn ist nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch eine Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Vielmehr wird die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine solche Anlage bereits dann – konkret – gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – bloßer Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – juris Rn. 24).
Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von diesem Maßstab auf Grundlage der Beweisaufnahme durch Augenschein, der Bauantragsunterlagen und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Staatlichen Bauamtes S … vom 15. September 2016 sowie der Polizeiinspektion H … vom 12. Oktober 2016 eine Einzelfallbewertung vorgenommen (UA S. 12 f.). Es ist danach zu dem überzeugenden Ergebnis gekommen, dass die beantragte Werbeanlage, welche östlich angrenzend an fünf im 90 Grad-Winkel zur anliegenden Staats straße St … errichtete Parkplätze in eben diesem Winkel zur Straße auf dem Baugrundstück aufgestellt werden soll, jedenfalls beim Ausfahren von den Parkplätzen auf die nach Angaben der Polizei stark frequentierte Staats straße, insbesondere wenn rückwärts ausgeparkt würde, durch die von ihm ausgehende Sichtbehinderung in Richtung Friedhof (Osten) eine zusätzliche Straßenverkehrsgefährdung bewirken würde. Dabei hat es auch die geplante Anbringungshöhe von 1 m, den sich aus den Bauantragsunterlagen ergebenden Abstand von 50 cm zum Gehweg bzw. 1,50 m zur Fahrbahnkante und den Parkverkehr auf der Staats straße gewürdigt. All dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Die Klägerin setzt vielmehr nur ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der des Verwaltungsgerichts; allein die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 16.1259 – juris Rn. 7). Auf die Ablenkungswirkung der Werbeanlage hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht gestützt.
Auch soweit die Klägerin das Erfordernis der alleinigen Kausalität der Werbeanlage für eine Verkehrsgefährdung behauptet und in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Parksituation auf der Staats straße hinweist, die durch den nahen Friedhof und seine Besucher bedingt sei, ergibt sich nichts anderes. Das Verwaltungsgericht durfte dementgegen zugrunde legen, dass das Bauvorhaben nicht allein ursächlich für eine gefahrenträchtige Verkehrssituation sein muss, sondern es für die Annahme einer Verkehrsgefährdung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 BayBO genügt, wenn eine bereits bestehende Gefährdungslage verschärft wird (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris Rn. 16).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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