Verwaltungsrecht

Rechtliches Gehör; Anforderungen an die Entscheidungsgründe

Aktenzeichen  15 ZB 19.32197

Datum:
19.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13878
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 108 Abs. 2, § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 138 Nr. 3, Nr. 6

 

Leitsatz

1 Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. (Rn. 5) (red. LS Axel Burghart)
2 Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. (Rn. 8) (red. LS Axel Burghart)

Verfahrensgang

RO 13 K 18.30878 2019-04-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – ein nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für … vom 5. März 2018, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Mali oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 26. April 2019 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 5. März 2018 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht aufgrund von (ausschließlich geltend gemachten) Verfahrensfehlern gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO (Versagung rechtlichen Gehörs) bzw. i.V. mit § 138 Nr. 6 VwGO (Verletzung der Urteilsbegründungspflicht) zuzulassen.
a) Eine Versagung des rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht ist nach dem Vortrag in der Zulassungsbegründung nicht ersichtlich. Mit dem Einwand, sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach eine Fehlstellung am kleinen Finger seiner rechten Hand Folge eine Schlags eines Dschihadisten mit einer Metallstange gewesen sei, sei im angegriffenen erstinstanzlichen Urteil nicht erwogen worden, vermag der Kläger einen Verfahrensfehler i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO nicht zu begründen.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht einschlägig bzw. nicht mit der Antragsbegründung substantiiert vorgetragen worden. Die Gerichte brauchen sich nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 30.10.2018 – 15 ZB 18.31200 – juris Rn. 14 m.w.N.; zuletzt B.v. 30.4.2019 – 15 ZB 19.31547 – noch unveröffentlicht). Solche besonderen Umstände sind vorliegend weder vom Kläger vorgebracht worden noch sonst ersichtlich. Die bestehende Verletzung seines Fingers kann auf sehr viele Ursachen zurückzuführen sein. Soweit das Erstgericht dem Vortrag des Klägers, er sei von Dschihadisten geschlagen und entführt worden, keinen Glauben schenkte, bestand keine Notwendigkeit, gerade ausdrücklich auf den verletzten Finger argumentativ in den Entscheidungsgründen einzugehen.
b) Auch mit der Rüge, die erstinstanzliche Entscheidung verletze das Gebot der (hinreichenden) Begründung eines Urteils (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 6 VwGO), vermag der Kläger nicht die Zulassung der Berufung zu begründen.
Der Kläger führt zu seinem diesbezüglichen Einwand aus, die Begründung des Urteils sei unverständlich und verworren und lasse deshalb nicht hinreichend erkennen, welche Überlegungen für die Entscheidung tatsächlich maßgebend gewesen seien. Letzteres betreffe eine Passage im zweiten Absatz auf Seite 5 des angegriffenen Urteils. Aus dem dortigen unklaren Text lasse sich nicht erschließen, welche konkrete Person gemeint sei, mit dem der Kläger nach seinem Vortrag – aus Sicht des Verwaltungsgerichts so nicht glaubhaft – geflohen sei.
Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht hinreichend substantiiert (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) ein Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 138 Nr. 6 VwGO. Enthält eine Entscheidung eine wenn auch knappe Begründung für die angegriffene Entscheidung und ist daraus für die Beteiligten erkennbar, aus welchen Gründen die Entscheidung erfolgt ist, so genügt sie grundsätzlich den formalen Mindestanforderungen. Für den Zulassungsgrund genügt es m.a.W. grundsätzlich nicht, wenn die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts unklar, unvollständig oder unrichtig ist (BVerwG, B.v. 5.6.1998 – NJW 1998, 3290 = juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.1.2010 – 14 ZB 09.30252 – juris Rn. 9 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht – Kommentar, Stand: Januar 2019, zu § 78 AsylG Rn. 60, 61; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, zu § 78 AsylG Rn. 33). Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, sodass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für sie maßgebend gewesen sind. Ein grober Formmangel in diesem Sinn liegt daher nur vor, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 5.6.1998 a.a.O.; BayVGH, B.v. 11.1.2010 a.a.O.; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 78 Rn. 211 m.w.N.; Hailbronner a.a.O., zu § 78 AsylG Rn. 60). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Auch soweit in den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der (verneinten) Glaubhaftigkeit des Klägervortrags zu seiner Verfolgungsgeschichte im Zusammenhang mit der Flucht und der dabei weiteren beteiligten Person – wie vom Kläger vorgetragen (s.o.) – gewisse Unklarheiten verbleiben, so handelt es sich hinsichtlich der gerügten Argumentation nur um einen eher untergeordneten Einzelaspekt in der richterlichen Gesamtwürdigung. Jedenfalls kann den Entscheidungsgründen des Urteils schon deswegen nicht vorgeworfen werden, den Urteilstenor unter keinem denkbaren Gesichtspunkt tragen zu können, weil das Verwaltungsgericht im Sinne einer kumulativen Mehrfachbegründung (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2017 – 20 ZB 16.30113 – juris Rn. 18; B.v. 20.12.2018 – 15 ZB 18.32985 – juris Rn. 7 m.w.N.; vgl. auch OVG Schleswig-Holst., B.v. 6.1.2015 – 1 LA 60/14 – juris Rn. 12) neben dem Umstand, dass es dem Klägervortrag keinen Glauben schenkte – und nur hierauf bezieht sich die Argumentation des Zulassungsantrags hinsichtlich der Verletzung des Begründungsgebots – ebenso bzw. alternativ entscheidungstragend davon ausgegangen ist, dass für den Kläger im Süden Malis eine interne Schutzalternative besteht (§ 3e Abs. 1 AsylG, § 4 Abs. 3Satz 1 AsylG; zu § 3 AsylG: Seiten 5 f., zu § 4 AsylG: Seite 6 des angegriffenen Urteils; zu § 6 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG und insbes. zur Möglichkeit der Sicherstellung des Lebensunterhalts im Süden Malis: Seite 7 des angegriffenen Urteils). Gegen die vom Erstgericht angenommene inländische Fluchtalternative als ebenso entscheidungstragende Begründungsalternative hat der Kläger aber mit seinem Vortrag in der Antragsbegründung nicht argumentiert bzw. vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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