Aktenzeichen 22 T 33/16
Leitsatz
Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung, erstreckt sich die Prüfung im Verfahren nach § 62 AufenthG lediglich darauf, ob Umstände vorliegen, durch die die Durchführung der Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird, nicht jedoch auch darauf, ob die von der Behörde betriebene Abschiebung überhaupt durchgeführt werden kann oder darf. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
02 XIV 42/16 (B) 2016-07-20 Bes AGLICHTENFELS AG Lichtenfels
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenfels vom 20.07.2016, Az. 02 XIV 42/16 (B), wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene ist nigerianischer Staatsangehöriger. Am 12.02.2015 reiste er erstmalig in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23.07.2015 Antrag auf Gewährung von Asyl. Aufgrund von Hinweisen für die Zuständigkeit der Republik Italien für das Asylbegehren des Betroffenen ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die italienischen Behörden um Wiederaufnahme des Betroffenen. Eine Reaktion auf dieses Ersuchen erfolgte nicht. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.11.2015 wurde der Asylantrag des Betroffenen als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung in die gemäß den Regelungen der VO (EG) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) für das Asylbegehren des Betroffenen zuständige Republik Italien angeordnet. Das Verwaltungsgericht Bayreuth lehnte mit Beschluss vom 17.12.2015 einen Antrag des Betroffenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.11.2015 ab. Ein Antrag des Betroffenen auf Abänderung des Beschlusses wurde mit weiterem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 03.02.2016 als unbegründet abgelehnt. Mit unanfechtbarem Beschluss vom 25.07.2016 wurde das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth eingestellt, die Klage gilt als zurückgenommen. Der Betroffene hatte das Verfahren trotz gerichtlicher Aufforderung vom 20.06.2016 nicht weiter betrieben.
Der Betroffene sollte erstmals am 30.05.2016 im Luftwege nach Italien abgeschoben werden. Obgleich der Sachverständige … in seiner Stellungnahme vom 13.05.2016 keine wesentlichen Einschränkungen der Transport- und Reisefähigkeit des Betroffenen auf dem psychiatrischen Fachgebiet feststellte und auch der weitere Sachverständige … am 27.05.2016 dem Betroffenen eine Reisefähigkeit unter medizinischer Begleitung attestierte, wurde die Abschiebung am 30.05.2016 nicht vollzogen, da die medizinische Begleitung eine Abschiebefähigkeit des Betroffenen verneinte. In den Zeiträumen 30.12.2015 bis 13.01.2016, 16.01.2016 bis 26.01.2016, 19.02.2016 bis 08.03.2016, 13.03.2016 bis 22.04.2016 und 19.05.2016 bis 03.06.2016 befand sich der Betroffene im Bezirkskrankenhaus … aufgrund erstmals am 29.12.2016 aufgetretener psychischer Auffälligkeiten in psychiatrischer Behandlung.
Mit Verfügung vom 31.05.2016 wurde bestimmte das Landratsamt L. neuen Termin zur Flugüberstellung des Betroffenen nach Italien auf den 15.06.2016. Dieser Termin wurde dem Betroffenen nicht mitgeteilt. Der Abschiebeversuch am 15.06.2016 scheiterte, da der Betroffene nicht in der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft in … angetroffen werden konnte. Nach den Ermittlungen des Landratsamtes L. war der Betroffene nach seiner Entlassung aus dem Bezirksklinikum … am 03.06.2016 nicht mehr in der ihm zugewiesenen Unterkunft erreichbar. Eine Abmeldung bei dem Hausmeister der Einrichtung erfolgte nicht, trotz mehrmals täglich erfolgter Kontrollen im Zeitraum 03.06.2016 bis 10.06.2016 durch den Hausmeister konnte der Betroffene dort, wie auch am 13.06.2016 und 14.06.2016, nicht angetroffen werden. Bei der beabsichtigten Abholung des Betroffenen durch Beamte der Polizeiinspektion L. am 15.06.2016 gegen 05.30 Uhr zur Verbringung an den Flughafen München zwecks Durchführung der Abschiebung konnte er ebenfalls nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft angetroffen werden. Am 05.07.2016 wurde der Betroffene letztlich von der Hausverwaltung der Unterkunft als „untergetaucht“ abgemeldet und sein Türschloss ausgetauscht.
Auf Antrag des Landratsamtes L. vom 17.06.2016 ordnete das Amtsgericht Lichtenfels mit Beschluss vom 17.06.2016 zunächst die Freiheitsentziehung des Betroffenen im Rahmen der einstweiligen Anordnung der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz i. V. m. § 427 FamFG an.
Am 20.07.2016 wurde der Betroffene, nachdem er wieder in der ihm zugewiesenen Unterkunft vorstellig geworden war, polizeilich festgenommen und noch am selben Tage durch das Amtsgericht Lichtenfels unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin angehört (Bl. 22/23 d. A.). Ebenfalls am 20.07.2016, noch während der Anhörung des Betroffenen, ordnete das Amtsgericht Lichtenfels nunmehr die Freiheitsentziehung des Betroffenen bis längstens 31.08.2016 zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seiner Entscheidung an.
Mit am 26.07.2016 eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten erhob der Betroffene Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenfels vom 20.07.2016 und führte zur Begründung aus, dass eine Abschiebung aufgrund des zwischenzeitlichen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nicht mehr erfolgen könne und er nunmehr Anspruch auf ein nationales Asylverfahren in Deutschland habe. Er sei weder am 15.06.2016 oder zuvor untergetaucht gewesen, sondern habe sich vielmehr nach seiner letztmaligen Entlassung aus dem Bezirkskrankenhaus … am 03.06.2016 kurzzeitig in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten. Da er dort keinerlei Ansprechpartner gehabt habe, sei er zu einem Freund nach … gefahren und habe sich bei diesem 14 Tage lang aufgehalten und anschließend wieder zurück nach W. gekommen. Weiter sei er nicht reisefähig, sondern weiterhin behandlungsbedürftig, so dass er als besonders schutzbedürftige Person nicht abgeschoben werden könne, da bislang von Italien keine Zusicherung hinsichtlich einer Unterbringung während des dortigen Asylverfahrens erfolgt sei.
Mit Beschluss vom 28.07.2016 half das Amtsgericht Lichtenfels der Beschwerde des zwischenzeitlich als Verfahrenspfleger bestellten Prozessbevollmächtigten des Betroffenen nicht ab und führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG weiterhin vorlägen.
Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen wurde gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abgesehen. Der Betroffene wurde unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin durch das Amtsgericht Lichtenfels persönlich angehört. Auch angesichts des Beschwerdevorbringens des Verfahrenspflegers des Betroffenen war aus einer erneuten Anhörung des Betroffenen kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten.
II.
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenfels vom 20.07.2016 ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für Anordnung der Freiheitsentziehung des Betroffenen gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG auch weiterhin vorliegen.
Der erforderliche Antrag der sachlich und örtlich zuständigen Verwaltungsbehörde Landratsamt L. auf Anordnung der Freiheitsentziehung des Betroffenen gemäß § 417 Abs. 1 FamFG wurde am 17.06.2016 unter Angabe der gemäß § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG erforderlichen Tatsachen bei dem zuständigen Amtsgericht Lichtenfels gestellt.
Die Anordnung der Freiheitsentziehung im Wege der Sicherungshaft nach § 63 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG setzt überdies voraus, dass das Gründe vorliegen, die auf den in § 2 Abs. 14 AufenthG festgelegten Anhaltspunkten beruhen und aus denen sich der begründete Verdacht ergibt, dass der Betroffene sich seiner Abschiebung durch Flucht entziehen will. Dieser begründete Verdacht ist vorliegend gegeben.
Zwar war dem Betroffenen der beabsichtigte (2.) Abschiebetermin vom 15.06.2016 nicht zuvor mitgeteilt worden, jedoch war ihm bekannt, dass seine Abschiebung bereits am 30.05.2016 hätte erfolgen sollen. Der Betroffene musste daher damit rechnen, dass seine Abschiebung unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Bezirkskrankenhaus O. am 03.06.2016 erfolgen verde, noch dazu da die Rücküberstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-VO am 17.06.2016 nach der unanfechtbaren Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.11.2016 (Ablehnung des Asylantrags und Anordnung der Abschiebung nach Italien) durch das Verwaltungsgericht Bayreuth am 17.12.2015, ablief. Der Betroffene hat sich dennoch nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft zur Durchführung der Abschiebung bereitgehalten, sondern ist vielmehr von dort aus, ohne die zuständige Behörde oder gar nur den dortigen Hausmeister zu informieren, abgängig gewesen. Offensichtlich hat er auch seine gesamte persönliche Habe von dort mitgenommen und ist zumindest im Zeitraum 10.06.2016 bis 20.07.2016 dort zu keinem Zeitpunkt aufhältig gewesen. Die Angabe des Betroffenen, er habe sich nach der Entlassung für lediglich 14 Tage bei einem Bekannten in … aufgehalten, kann daher bereits hinsichtlich des von ihm angegebenen Zeitraums nicht der Wahrheit entsprechen. Zudem führte der Betroffene, als er am 20.07.2016 wieder in der Unterkunft erschien, seine persönliche Habe nicht mit sich, sondern verwahrte diese an einer Asylbewerberunterkunft in … Hieraus ergibt sich ebenfalls, dass der Betroffene zuvor weder in der ihm zugewiesenen Unterkunft wohnhaft war noch Anhaltspunkte dafür, dass er beabsichtigte, dauerhaft wieder in die ihm zugewiesene Unterkunft zurückzukehren.
Mithin hat sich der Betroffene durch den nicht mitgeteilten, zumindest mehrwöchigen Wechsel seines Aufenthaltsortes der beabsichtigten Abschiebung am 15.06.2016 entzogen, mag dies, sofern das Vorbringen des Betroffenen, lediglich einen Freund zur Überwindung eines akuten Einsamkeitsgefühls besucht zu haben, tatsächlich zutreffen sollte, auch nicht Hauptziel, sondern nur ein, jedoch bewusster und gewünschter, Nebeneffekt gewesen sein. Andernfalls hätte der Betroffene seine Reise unproblematisch den o.g. zuständigen Personen ohne, abgesehen von der Ermöglichung seiner Abschiebung, weitere Konsequenzen mitteilen können. Nachdem der Betroffene so bewusst seine (fristgerechte) Abschiebung vereitelt hat, steht auch weiterhin ernstlich zu befürchten, dass er sich weiteren Abschiebeversuchen kurzfristig entziehen wird.
Die Anordnung der Sicherungshaft war und ist auch verhältnismäßig, ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Die Abschiebung des Betroffenen wird nach derzeitiger Planung am 25.08.2016, mithin innerhalb ausgesprochenen 6-Wochen-Frist, ausgeführt werden können. Die erforderlichen Vorkehrungen, insbesondere Flugbuchung, ist bereits erfolgt.
Es liegt auch kein die konkrete Abschiebung innerhalb dieser Frist hindernder Umstand in der Person des Betroffenen vor. Durch den Anstaltsarzt der JVA … wurde aktuell am 03.08.2016, wie bereits im Ergebnis zuvor durch die Sachverständigen am 13.05.2016 und … am 27.05.2016, die Transport- und Reisetauglichkeit des Betroffenen festgestellt.
Letztlich ist auch die Frist zur Rücküberstellung nach Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO i. V. m. Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Dublin-III-VO noch nicht abgelaufen, so dass auch hieraus sich kein Hindernis an der Durchführung der Abschiebung und Rücküberstellung ergibt. Unabhängig davon, dass der bloße Fristablauf lediglich die Verpflichtung (!) des zuständigen Mitgliedsstaates, hier Italien, an der Wiederaufnahme entfallen lässt, liegt hier der Verlängerungsgrund der Wiederaufnahmefrist des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO – Flucht der betroffenen Person – vor, so dass sich die Wiederaufnahmefrist entsprechend der Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.06.2016 nunmehr bis zum 17.06.2017 erstreckt. Der Betroffene war flüchtig im Sinne dieser Vorschrift. Wie bereits ausgeführt hat sich der einer Abschiebung durch die schuldhafte und bewusste Nichtmitteilung seines geänderten Aufenthaltsortes über mehrere Wochen hinweg entzogen.
Nicht zu prüfen war dagegen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt. Die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ergibt sich, wie hier, die Ausreisepflicht aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung, erstreckt sich die Prüfung des Richters im Verfahren nach § 62 AufenthG daher lediglich darauf, ob Umstände vorliegen, durch die die Durchführbarkeit der Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird, nicht jedoch ob die von der Behörde betriebene Abschiebung überhaupt durchgeführt werden kann bzw. darf (vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2010, V ZB 193/09; BVerfG NJW 2009, 2659). Daher ist der Einwand des Betroffenen, eine Zusicherung Italiens hinsichtlich seiner Unterbringung während eines dortigen Asylverfahrens liege nicht vor, im hiesigen Verfahren ohne Belang. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht Bayreuth in seiner Entscheidung vom 17.12.2015 bereits das Vorliegen etwaig systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber und der Durchführung des Asylverfahrens in Italien geprüft und verneint.
2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 80, 81 I 1, 2, 84 FamFG. Nach der gesetzlichen Wertung sollen die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegt werden, der es eingelegt hat. Für eine anderweitige Handhabung besteht im konkreten Fall keine Veranlassung.
3. Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus §§ 79 I 1, 61 II 1, 59, 36 III GNotKG. Sie dient der Verfahrensverwaltung. Es handelt sich nicht um zu tragende Kosten.