Verwaltungsrecht

Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung

Aktenzeichen  M 26 S 16.3449

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 3, § 4, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 6 Abs. 9, § 65 Abs. 3 Nr. 4 S. 2, S. 3
VwZVG VwZVG Art. 3 Abs. 2 S. 1, Art. 37 Abs. 4
OWiG OWiG § 51 Abs. 1
ZPO ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 180 S. 2, § 182 Abs. 1 S. 2, § 418 Abs. 1
VwGO VwGO § 67 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 4, S. 7, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 3, § 154 Abs. 1
FeV FeV § 47 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 41 Abs. 5
GG GG Art. 2 Abs. 1 S. 1
GKG GKG § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2
RDGEG RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Die Postzustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 182 Abs. 1 S. 2, § 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Der Gegenbeweis erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde, darlegen (Anschluss VGH München BeckRS 2016, 45087). (redaktioneller Leitsatz)
Der Gegenbeweis ist nicht schlüssig dargetan, wenn lediglich vorgetragen wird, der Briefkasten sei nicht abschließbar und zudem zu klein für die Fülle der ankommenden Post, weswegen Postzusteller manchmal gezwungen seien, Briefe zwischen Werbeprospekte oder Zeitschriften in den Briefkasten einzuwerfen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die nach Maßgabe des Fahreignungs-Bewertungssystems erfolgte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, AM, L und T.
Mit am … April 2008 durch die Polizeiinspektion A. übergebenem Schreiben vom … April 2008 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz in der damals gültigen Fassung – StVG (aF) -, weil sich für den Antragsteller aus dem damaligen Verkehrszentralregister ein Stand von 11 Punkten ergab. Zudem wurde der Antragsteller auf die Möglichkeit des Besuchs eines Aufbauseminars hingewiesen.
Die Fahrerlaubnisbehörde B. ordnete am … Februar 2009 gegenüber dem Antragsteller bei einem Punktestand von 15 Punkten gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG aF ein Aufbauseminar an und wies ihn darauf hin, dass eine verkehrspsychologische Beratung nach § 4 Abs. 9 StVG aF besucht werden könne. Zudem wurde dem Antragsteller erläutert, dass ab Erreichen von 18 Punkten oder einer Nichtteilnahme am Seminar die Fahrerlaubnis entzogen werden könne. Am … Juli 2009 legte der Antragsteller eine Bescheinigung über die Seminarteilnahme vor.
Mit Schreiben vom … August 2011 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG aF bei einem Punktestand von 15 Punkten. Dem Schreiben war ein Nachweis der Verkehrsverstöße durch das Kraftfahrt-Bundesamt beigefügt. Auf die Anordnung eines Aufbauseminars wurde verzichtet, weil dies bereits Gegenstand der am … Februar 2009 erfolgten Maßnahme war. Laut in den Behördenakten befindlicher Postzustellungsurkunde wurde das Schreiben am … August 2011 dem Antragssteller persönlich an der Zustellanschrift durch den Postbediensteten übergeben.
Am … Februar 2012 wurde der Antragsteller durch den Antragsgegner ein weiteres Mal wegen eines Punktestands von 16 Punkten gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG a. F. verwarnt; das entsprechende Schreiben (inkl. Nachweis der Verkehrsverstöße durch das Kraftfahrt-Bundesamt) wurde laut Postzustellungsurkunde am … Februar 2013 durch einen Postbediensteten nach zuvor erfolglos versuchter Übergabe in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.
Mit Schreiben vom … August 2014 (inkl. Nachweis der Verkehrsverstöße durch das Kraftfahrt-Bundesamt) wurde der Antragsteller vom Antragsgegner (nach Umstellung auf das Fahreignungs-Bewertungssystem) bei einem Stand von 7 Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt. Das Schreiben wurde laut Postzustellungsurkunde am … August 2014 durch einen Postbediensteten nach zuvor erfolglos versuchter Übergabe in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.
Am … Mai 2016 hörte der Antragsgegner den Antragsteller bei einem laut Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom … April 2016 bestehenden Stand von 8 Punkten zum gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG geplanten Entzug seiner Fahrerlaubnis an.
Mit den Bevollmächtigten des Antragstellers am … Juli 2016 zugestelltem Bescheid vom 6. Juli 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, AM, L und T (Nr. 1 des Bescheids) und gab ihm auf, unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids, den Führerschein abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 3). Für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung unter Nr. 2 des Bescheids wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von a… Euro angedroht (Nr. 4). Für den Bescheid wurde eine Gebühr von b… Euro erhoben (Nr. 5).
Die Fahrerlaubnisbehörde begründete den von ihr angeordneten Fahrerlaubnisentzug mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, wonach beim einem Stand von 9 Punkten im Fahreignungsregister die Fahrungeeignetheit des Antragstellers kraft Gesetzes feststehe und daher seine Fahrerlaubnis zu entziehen sei.
Der Punktestand zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Maßnahmenergreifung (Entziehung) führenden Tat (hier …10.2015) errechne sich dabei wie folgt:
TattagRechtskraftTatbestandPunkte
…09.2010…06.2011Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um a… km/h3
…12.2010…06.2011Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um b… km/h1
…08.2010…01.2012Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um c… km/h3
…04.2013…12.2013Unterschreitung des erforderlichen Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug; Abstand weniger als 3/10 des halben Tachowertes3
…07.2013…02.2014Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um d… km/h4
…10.2013…02.2014Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um b… km/h1
…11.2013…03.2014Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um b… km/h1
…11.2013…03.2014Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um e… km/h1
Umrechnung zum 01.05.2014 gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG: die nach alten Recht zu diesem Zeitpunkt vorliegenden 17 Punkte ergeben nun 7 Punkte.17 ( 7)
…06.2015…04.2016Unterschreitung des erforderlichen Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug; Abstand weniger als 4/10 des halben Tachowertes1
…10.2015…04.2016Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um f… km/h1
9
Alle Eintragungen, welche das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner auf Anfrage am … Mai 2016 mitgeteilt habe, seien zum maßgeblichen Zeitpunkt des letzten Tattages (… Oktober 2015) verwertbar und noch nicht tilgungsreif gewesen. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG würden vorliegen, weil der Antragsteller alle der Entziehung vorangestellten Stufen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG ordnungsgemäß durchlaufen habe. Beide Maßnahmenstufen seien teilweise mehrfach nach altem und neuem Recht getroffen worden; gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 und 3 StVG würden dabei die Stufen auch als ergriffen gelten, wenn sie nach altem Recht durchlaufen worden seien.
Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV; die dazugehörige, in Nr. 3 des Bescheids ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erläuterte der Antragsgegner näher.
Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheids basiere auf Art. 29, 30, 31, 36, 37 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG -, die Kostenentscheidung in Nr. 5 auf §§ 1-4, 6 Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr – GebOSt).
Am … Juli 2016 gab der Antragsteller seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners ab.
Mit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom … August 2016 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers in dessen Namen Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Juli 2016 aufzuheben. Außerdem beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Entzug der Fahrerlaubnis gemäß Ziffer 1 des Bescheids anzuordnen und gegen die Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins gemäß Ziffer 2 des Bescheids wiederherzustellen.
Zur Begründung von Klage und Eilantrag führte der Bevollmächtigte an, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig sei, weil das gemäß § 4 Abs. 6 StVG für eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend vorgeschriebene Stufensystem noch nicht durchlaufen worden sei. Denn die Verwarnungen vom … August 2011, … Februar 2012 und … April 2014 seien dem Antragsteller nicht wirksam zugestellt worden. Voraussetzung für eine Ersatzzustellung mittels Einlegen in den Briefkasten sei, dass dieser für eine sichere Aufbewahrung der zuzustellenden Schriftstücke geeignet sei. Dies sei aber beim Briefkasten des Antragstellers nicht der Fall. Der Briefkasten sei nicht abschließbar, zudem sei er zu klein für das hohe Postaufkommen der Familie des Antragstellers. Oft sei beispielsweise zu beobachten, dass die Postzusteller trotz „überquillendem“ Briefkasten weitere Briefe teilweise zwischen Zeitschriften und Werbematerial schieben würden. Damit seien diese Schriftstücke für Dritte leicht zu entwenden bzw. bestehe die Gefahr, dass solche zwischen Werbeprospekten liegenden Briefe unerkannt entsorgt werden würden. Ein solcher Briefkasten würde den Anforderungen für eine Ersatzzustellung gemäß § 180 Satz 2 Zivilprozessordnung – ZPO – nicht genügen. Davon abgesehen sei die Vorschrift des § 4 Abs. 5 StVG auch verfassungswidrig, weil der Antragsteller als extremer Viel- und Berufsfahrer im Vergleich zum Durchschnittsfahrer übermäßig belastet werden würde. Der Antragsteller berate beruflich A. im gesamten Bundesgebiet, sein Tätigkeitsschwerpunkt liege aktuell in Mecklenburg-Vorpommern. Durch den Entzug der Fahrerlaubnis drohe ihm eine akute Existenzgefährdung.
Mit Schriftsatz vom 23. August 2016 beantragte der Antragsgegner sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies er auf die Regelung des § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG, wonach die Fahrerlaubnisentziehung eine gebundene Entscheidung sei. Der Antragsteller gelte kraft Gesetzes als fahrungeeignet; auf die berufliche Notwendigkeit der Fahrerlaubnis komme es schon deswegen nicht an. Das Stufensystem sei mehrmals durch Maßnahmen nach altem wie neuem Recht eingehalten worden. Alle Schreiben seien ausweislich der Postzustellungsurkunden ordnungsgemäß zugestellt worden; der Zugang beim Antragsteller lasse sich zudem schon aus der Tatsache ableiten, dass er die in den Schreiben vom … August 2011, … Februar 2012 und … August 2014 jeweils von ihm eingeforderten Kosten beglichen habe (Eingang auf dem Kassenkonto des Antragsgegners am … Oktober 2011, … März 2013 und … November 2014).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 26 K 16.3448 sowie auf die vorgelegte Behördenakte des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO analog).
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg, weil er zum Teil bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.
1. Der Antrag ist nach Abgabe des Führerscheins am … Juli 2016 wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit mit ihm die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 4 des Bescheids vom 6. Juli 2016 begehrt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner das dem Antragsteller für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird (s. BayVGH, B. v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2427, 11 C 13.2428 – juris).
2. Soweit sich der Antrag gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 VwGO i. V. m. § 6 Abs. 9 StVG) richtet, ist er zulässig, aber unbegründet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
2.1 Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt die hier vorzunehmende und auch ausreichende summarische Prüfung, dass die in Nr. 1 des Bescheids vom 6. Juli 2016 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig ist, der Antragsteller somit nicht in seinen Rechten verletzt und die hiergegen erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In einem solchen Fall verbleibt es bei der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Entziehungsbescheids vom 6. Juli 2016 (vgl. BayVGH, B. v. 2.12.2015 – 11 CS 15.2138 – juris).
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen einer Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014 entwickelte Tattagprinzip normiert. Der Antragsteller hat durch die am … Oktober 2015 begangene Ordnungswidrigkeit (Rechtskraft …4.2016) mindestens acht Punkte erreicht, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Der Antragsgegner hat auch die zuvor zu absolvierenden Maßnahmen nach dem Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen. Die Fahrerlaubnisbehörde B. verwarnte den Antragsteller bereits mit Schreiben vom … April 2008 nach der damaligen erste Stufe der Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG aF. Auch die zweite Stufe des Punktsystems wurde durch die Schreiben vom … Februar 2009, … August 2011 und … Februar 2012 bereits nach altem Recht gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG aF ordnungsgemäß bzw. sogar überobligatorisch durchlaufen.
Die Ausführungen des Bevollmächtigten des Antragstellers zu den angeblichen fehlerhaften Zustellungen infolge des „mangelhaften“ Briefkastens führen zu keiner anderen Beurteilung. Dem Antragsteller wurde sämtliche o.g. Schreiben ordnungsgemäß bekanntgemacht bzw. zugestellt.
Der Zugang der Schreiben vom … April 2008 und … Februar 2009 wird auch vom Antragsteller nicht bestritten. Das Schreiben vom … August 2011 wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde persönlich übergeben; die Ausgestaltung des Briefkastens spielte insofern keinerlei Rolle. Aber auch die Schreiben vom … Februar 2012 und … August 2014 gelten gemäß Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i. V. m. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG und § 180 ZPO als ordnungsgemäß zugestellt und damit dem Antragsteller bekanntgegeben.
Aus der Postzustellungsurkunde ergibt sich, dass der Postbedienstete die Schriftstücke jeweils zu übergeben versucht und in den Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt hat, weil die Übergabe nicht möglich war (§ 178 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, § 180 ZPO). Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Der Gegenbeweis erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde, darlegen (vgl. m. w. N. BayVGH, B. v. 31.3.2016 – 11 CS 16.310 – juris).
Einen solchen Gegenbeweis hat der Bevollmächtigte des Antragstellers nicht angetreten; seine Ausführungen verkennen die Verantwortungs- und Risikosphären der Beteiligten. Mit dem Einlegen in den Briefkasten sind die Schreiben vom … Februar 2012 und … August 2014 in den Verantwortungsbereich des Antragstellers übergegangen und gelten als ordnungsgemäß zugestellt. Der Bevollmächtigte des Antragstellers trägt insofern vor, dass der Briefkasten des Antragstellers nicht abschließbar und zudem zu klein für die Fülle der ankommenden Post sei. Daher seien Postzusteller manchmal gezwungen, Briefe zwischen Werbeprospekte oder Zeitschriften in den Briefkasten einzuwerfen. Das ändert zum einen nichts daran, dass solche Briefe, selbst wenn sie zwischen Zeitschriften in den Briefkasten gelangen, dort eingelegt sind. Zum anderen liegt es in der Verantwortung des Antragstellers, für einen ausreichend großen Briefkasten zu sorgen. Es erscheint widersinnig, wenn nicht gar rechtsmissbräuchlich und als Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz vom Treu und Glauben (vgl. dazu näher BayVGH, U. v. 22.1.2009 – 4 B 08.1591 – juris), wenn der Antragsteller selbst jahrelang toleriert, dass sein Briefkasten für eine problemlose Zusendung von Post zu klein ist, sich aber andererseits im Falle für ihn günstiger Konstellationen auf diesen allein in seiner Verantwortlichkeit liegenden Missstand zurückziehen will. Dementsprechend hat auch allein der Antragsteller das Risiko zu tragen, dass Briefe von Dritten ggf. entwendet werden könnten oder Briefe aus Versehen – von ihm oder Familienangehörigen – entsorgt werden, weil sie zwischen Werbeprospekte rutschen. Nichts anderes würde sich auch aus den Grundsätzen der Zugangsvereitelung ergeben, sofern der Briefkasten regelmäßig so voll ist, dass ein Einwerfen von Briefen quasi unmöglich ist (vgl. zur Zugangsvereitelung ebenfalls BayVGH, U. v. 22.1.2009 a. a. O.).
Zu einer ordnungsgemäßen (Ersatz-)Zustellung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i. V. m. § 180 Satz 1 ZPO gehört es jedenfalls nicht, dass der Adressat der Zustellung das zuzustellende Schriftstück auch tatsächlich zur Kenntnis nimmt (vgl. BVerwG, B. v. 2.8.2007 – 2 B 20.07 – juris). Mit dem Einlegen in den Briefkasten sind die jeweiligen Schriftstücke in den Machtbereich des Antragstellers gelangt, so dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Dass diese Möglichkeit bei den vorliegenden Schreiben auch tatsächlich wahrgenommen wurde, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass der Antragsteller, wie vom Antragsgegner angeführt, die entsprechenden Kostenforderungen beglichen hat.
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
2.2 Die Hauptsacheklage hat nach alledem voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg, so dass das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Auch die berufliche Situation des Antragstellers führt – auch nicht im Sinne einer ergänzenden Interessenabwägung – zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn der Antragsteller dadurch beruflich in eine existenzgefährdende Situation gerät – unterstellt diese kann nicht durch bestimmte Maßnahmen wie etwa Nutzung des ÖPNV abgewendet oder abgemildert werden – muss dieses persönliche Interesse hinter dem öffentlichen Interesse zurücktreten. Einige Oberverwaltungsgerichte vertreten insofern die Auffassung, dass die gesetzliche Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis allein an die Ungeeignetheit des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen anknüpft und die persönliche Situation des Betroffenen im Übrigen nicht weiter zu berücksichtigen sei (so bspw. OVG Sachsen, B. v. 19.05.2016 – 3 B 37/16 – juris). Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG ableitbare Auftrag des Staates zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es jedenfalls, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr zu stellen (BVerwG, B. v. 20.06.2002 – 1 BvR 2062/96 – juris). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung kommt deshalb i.d.R. nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das von den Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (BayVGH, B. v. 01.04.2008 -11 CS 07.221 – juris). Davon kann beim Antragsteller keine Rede sein. Trotz vielfacher und sich über viele Jahre fortsetzender Verstöße gegen die verkehrsrechtlichen Bestimmungen scheint der Antragsteller nicht gewillt, sein Verhalten zu ändern. Vom ihm geht weiterhin ein im Vergleich zum Durchschnittsfahrer, auch zum durchschnittlichen, berufbedingten „Vielfahrer“, ein deutlich erhöhtes Gefahrenpotential aus. Daher sind die mit der Entscheidung für den Antragsteller verbundenen Nachteile – sofern man sie überhaupt als abwägungsrelevant erachtet (s.o.) – in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit typische Auswirkungen des Verlusts der Fahrerlaubnis, die von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter und das entsprechende Interesse an der Verkehrssicherheit hingenommen werden müssen. (VG Augsburg, B. v. 10.03. 2016 – Au 7 S 16.212 – juris).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. Nrn. 1.5, 46.3, 46.5 und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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