Verwaltungsrecht

Rechtsschutzbedürfnis trotz freiwilliger Zahlung von Asylunterbringungskosten

Aktenzeichen  AN 19 S 20.00473

Datum:
12.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10418
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 S. 1
DVAsyl §§ 22 ff.
AufnG Art. 1
AsylbLG § 1 Abs. 1, Abs. 3
AsylG § 31 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1.  Eine Zahlung führt nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Rn. 26 – 34). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann dahin stehen, ob im Fall der sog. gespaltenen Behördenentscheidung die Anfechtbarkeit der ablehnenden Bundesamtsentscheidung (Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) den Rechtskreiswechsel gemäß § 1 Abs. 3 AsylbLG möglicherweise nicht hindert, weil die positive Entscheidung über die Gewährung subsidiären Schutzes unmittelbar unanfechtbar wird und nach umstrittener Auffassung zu einem Ende der Leistungsberechtigung nach Asylbewerberleistungsgesetz führt. Ein Rechtskreiswechsel setzt in jedem Fall das Wirksamwerden des Bundesamtsbescheids, also dessen Bekanntgabe, voraus (Rn. 57). (redaktioneller Leitsatz)
3.  Im Rahmen einer im Eilverfahren gebotenen, nur summarischen Überprüfung ist davon auszugehen, dass im Falle der sog. gespaltenen Behördenentscheidung die Aufenthaltsgestattung erst erlischt, wenn die gesamte Bundesamtsentscheidung („die Entscheidung des Bundesamtes“) unanfechtbar geworden ist. (Rn. 62). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 19 K 20.00466 anhängigen Klagen gegen die Bescheide der Regierung … vom 10. Februar 2020 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 187,62 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von 4 Kostenfestsetzungsbescheiden der Regierung …, Zentrale Gebührenabrechnungsstelle Bayern, vom 10. Februar 2020, worin für die Zeit vom 1. August 2016 bis zum 30. November 2016 vom Antragsteller Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme einer staatlichen Unterkunft in Höhe von insgesamt 750,48 EUR (je Monat 187,62 EUR) gefordert werden.
Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen syrischen Staatsangehörigen, der im Jahre 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gestellt hat. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Antragsteller zwischen dem 6. Juni 2016 bis zu seinem Auszug am 1. Dezember 2016 ununterbrochen in der staatlichen Unterkunft … an der …, … Straße …, … gewohnt hat.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2016 erkannte das Bundesamt unter dem Geschäftszeichen … dem Antragsteller den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen wurde sein Asylantrag abgelehnt.
Seit seinem Auszug aus der staatlichen Unterkunft in … an der … bewohnte der Antragsteller wohl ausschließlich private Unterkünfte.
Gegen die Kostenfestsetzungsbescheide der Regierung … vom 10. Februar 2020 ließ der Antragsteller unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 19 K 20.00466 durch bei Gericht am 13. März 2020 eingegangenen Schriftsatz Klage erheben und gleichzeitig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
„die Aussetzung der Vollziehung“
beantragen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Antragsteller zwar im Zeitraum von August 2016 bis November 2016 in der staatlichen Unterkunft … an der … aufgehalten habe, dass der Antragsteller jedoch in diesem Zeitraum Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gewesen sei. Denn der Status als Asylbewerber ende erst im Laufe des Monats der Bekanntgabe und Zustellung des Anerkennungsbescheides durch das Bundesamt. Insoweit wurde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München im Klageverfahren des Antragstellers gegen den Bundesamtsbescheid vom 1. Juni 2016 unter dem dortigen Aktenzeichen M 7 K 16.33937 verwiesen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers führte weiter aus, dass der Antragsteller erstmalig bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes … am 31. Oktober 2016 von der Existenz des Bescheides informiert worden und vorher nicht von einer Bekanntgabe auszugehen sei. Da der Status als „Asylbewerber“ erst mit Wirksamkeit, d.h. mit Bekanntgabe und Zustellung des Anerkennungsbescheides ende, stehe für die streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbescheide fest, dass sie zu Unrecht ergangen seien, da sie von einer Wirksamkeit des Anerkennungsbescheides bereits im Juli 2016 ausgingen. Da der Antragsteller in dem geltend gemachten Zeitraum noch Asylbewerber und noch nicht anerkannter Flüchtling gewesen sei, stünden ihm die Leistungen nach dem AsylbLG zu und könnten demgemäß nicht mit den Kostenfestsetzungsbescheiden als erstattungspflichtig festgesetzt werden.
Zu dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei mitzuteilen, dass die Regierung … mit Schreiben vom 10. März 2020 um Aussetzung der Vollziehung gebeten worden sei. Dies habe die Regierung … mit Telefax vom 12. März 2020 abgelehnt. Nachdem die Klage nach alledem offensichtlich begründet sei, werde beantragt, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen. Der Unterzeichner habe für den Antragsteller zur Vermeidung der Beitreibung die Beträge unter Vorbehalt bezahlt, welche im Fall der Stattgabe zurückzuzahlen wären.
Mit bei Gericht am 30. März 2020 eingegangenem Schriftsatz beantragte die Regierung … für den Antragsgegner, den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass für den Antrag bereits ein Rechtschutzbedürfnis nicht gegeben sei. Denn durch die Begleichung der vollständigen Forderung in Höhe von 750,48 EUR (Zahlungseingang 12. März 2020) sei eine Vollstreckung seitens des Antragsgegners ausgeschlossen. Im jetzigen Zeitpunkt werde der Antragsgegner nicht mehr vollstrecken, da durch die Zahlung schon nicht mehr die Voraussetzungen einer Vollstreckung vorlägen. Im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung sei anerkannt, dass sie die Schaffung irreparabler Tatsachen verhindern solle, die sich aus der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ergeben könnten. Dadurch solle die Möglichkeit offengehalten werden, dass dem Rechtsschutzsuchenden durch die beantragte Aufhebung des Verwaltungsakts wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren noch zuteilwerden könne. Dieser Funktionsbeschreibung sei mit der Maßgabe beizupflichten, dass die aufschiebende Wirkung nicht notwendigerweise mit der Rechtsbehelfseinlegung automatisch kraft Gesetzes eintreten müsse und dass es in der Sache nur um die Verhinderung zukünftig irreversibler Zustände gehen könne (unter Hinweis auf Schoch/Schneider/Bier, VwGO vor § 80 Rn. 34, 35, BAYERN.RECHT). Vorliegend sei nicht ersichtlich, welche irreparablen Tatsachen durch den Eilrechtsschutz verhindert werden sollten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich um eine Geldzahlung handele. Soweit der Betroffene oder ein Dritter diese vornehme, könne sie jederzeit und je nach Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache wieder an den Betroffenen ausgezahlt werden. Irreparable Tatsachen würden dadurch nicht geschaffen. Sollte der Schuldner durch die Zahlung in existenzielle Bedrängnis kommen, so könne er im Vorfeld schon eine Stundung der gesamten Summe beantragen. Hierauf werde der Betroffene auch im Bescheid explizit hingewiesen. Im vorliegenden Fall sei nicht von einer Existenzgefährdung des Rechtsanwalts auszugehen. Deswegen seien bis zum Ausgang des Verfahrens keine irreparablen Tatsachen zu erwarten.
Im Übrigen habe die Klage im Hauptsacheverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da die streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbescheide offensichtlich rechtmäßig seien und eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten bereits aus diesem Grund ausscheide. Das öffentliche Interesse am gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug der streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbescheide überwiege daher das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Der Antragsteller habe unstreitig im von den streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbescheiden betroffenen Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. November 2016 mit der dezentralen Unterkunft … an der … eine staatliche Einrichtung in Anspruch genommen, wodurch die Kostenpflicht des § 22 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung-DVAsyl) vom 16. August 2016 GVBl. S. 258, BayRS 26-5-1-I, zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 1. Oktober 2019 (GVBl. S. 613) erfüllt worden sei. Der Antragsteller sei entgegen der Auffassung seines Bevollmächtigten nicht von der Kostenpflicht gemäß § 22 Abs. 2 DVAsyl befreit. Nach dieser Norm würden Kosten nicht erhoben, wenn der Kostenschuldner dem Personenkreis des Art. 1 Aufnahmegesetz (AufnG) zuzurechnen sei, es sei denn, der Kostenschuldner erfülle die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG und verfüge über Einkommen und/oder Vermögen.
Dem Personenkreis des Art. 1 AufnG seien nach dem Wortlaut der Norm sämtliche Personen zuzurechnen, die nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigt seien. Dieser Gruppe gehöre der Antragsteller seit dem 1. Juli 2016 jedoch nicht mehr an. Dem Antragsteller sei durch das Bundesamt mit Bescheid vom 1. Juni 2016 der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zuerkannt worden. Diese Entscheidung sei am 30. Juni 2016 bestandskräftig geworden. Dies sei durch das Bundesamt mit Schreiben vom 18. März 2020 nochmals bestätig worden. Die Ausländerbehörde des Landratsamtes … habe mit E-Mail vom 10. März 2020 bestätigt, dass dem Antragsteller bereits am 24. August 2016 eine Fiktionsbescheinigung aufgrund des Bundesamtsbescheides vom 1. Juni 2016 ausgestellt worden sei. Das durch den Bevollmächtigten vorgelegte Schreiben, datierend auf den 31. Oktober 2016 (Bestätigung zur Vorlage beim Jobcenter“, Anlage K4), sei tatsächlich bereits am 13. Juli 2016 ausgestellt worden, wie dem digitalen Archiv zu entnehmen sei (vgl. E-Mail vom 19. Februar 2020, Bl. 188, 190 der Behördenakte).
Aus Sicht des Antragsgegners sei es unwahrscheinlich, dass die Ausländerbehörde … ohne Veranlassung am 24. August 2016 eine Fiktionsbescheinigung „ins Blaue“ ausstelle, um diese in ihre Akte abzulegen. Viel wahrscheinlicher sei es, dass der Antragsteller Kenntnis von dem Bundesamtsbescheid gehabt und er bei der Ausländerbehörde vorgesprochen habe, weshalb ihm am 24. August 2016 eine Fiktionsbescheinigung ausgehändigt worden sei. Die weiteren Antragsformalitäten seien dann bei einem Termin am 25. November 2016 erfolgt.
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (in der Fassung v. 31.8.2018) ende die Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzungen (gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG) entfielen. Der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ende zum Ablauf des Monats auch in den Fällen, in denen das Bundesamt bei unbeschränktem Asylantrag dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) zuerkenne oder ihm subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) gewähre, denn die Entscheidung des Bundesamtes werde hinsichtlich des positiv verbeschiedenen Teils des unbeschränkten Asylantrages mangels Beschwer mit Bekanntgabe unmittelbar (teilweise) bestandskräftig. Rechtsmittel könnten nur noch gegen den negativ verbeschiedenen Teil des Asylantrages eingelegt werden, so dass sich die Bestandskraft für den angefochtenen Teil der Entscheidung ggf. verschiebe. Dies bleibe jedoch ohne Auswirkung auf den Zeitpunkt des Rechtskreiswechsels. Diese Rechtsauffassung würden auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie die Bundesagentur für Arbeit (BA), welche die vorstehenden Ausführungen zum Zeitpunkt des Rechtskreiswechsels bei den unterschiedlichen Anerkennungsarten auch in ihrer Weisung zur „Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen nach dem 2. Sozialgesetzbuch (SGB II)“ bzw. zu § 7 SGB II aufgenommen hätten, vertreten.
Durch die mit Bescheid vom 1. Juni 2016 (bestandskräftig am 30. Juni 2016) erfolgte Zuerkennung des subsidiären Schutzes habe somit die Leistungsberechtigung des Antragstellers nach dem AsylbLG mit Ablauf des Monats Juni 2016 geendet. Dies unabhängig davon, ob dem Antragsteller fälschlicherweise Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch den örtlich zuständigen Träger (LRA …) gewährt worden seien, welche ggf. in Ermangelung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht vom Antragsteller zurückgefordert werden könnten.
Entgegen der Einlassung des Bevollmächtigten handle es sich bei der Kostenfestsetzung jedoch nicht um eine Rückforderung von gewährten Leistungen nach dem AsylbLG, sondern um die Erhebung einer Benutzungsgebühr für die Inanspruchnahme einer staatlichen Einrichtung. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der DV-Asyl finde sich im Bereich der Kostenerhebung im Art. 21 Abs. 1 Bayerisches Kostengesetz (KG) vom 20. Februar 1998 (GVBl. S. 43, BayRS 213-1-1-F), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 33 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286) und nicht im Asylbewerberleistungsgesetz.
Mit weiterem bei Gericht am 30. April 2020 eingegangenem Schriftsatz ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten ausführen, dass die Zahlung des geforderten Betrags an den Antragsgegner nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO führe. Denn die Zahlung sei durch den Prozessbevollmächtigten unter Vorbehalt und lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt, nachdem der Antragsgegner nicht bereit gewesen sei, den Vollzug auszusetzen. Hätte dieser die rechtswidrigen Bescheide bereits vollzogen, könne das Gericht die Vollziehung rückgängig machen, nichts anderes gelte im Falle einer freiwilligen Zahlung unter Vorbehalt zur Abwendung der Zwangsvollstreckung. Eine Zwangsvollstreckung durch den Antragsgegner hätte bei dem Antragsteller zu irreparablen Tatsachen dahingehend geführt, dass dann möglicherweise Kontopfändungen durchgeführt worden wären, die dazu geführt hätten, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers nicht mehr gedeckt gewesen wäre bzw. laufende Mietverpflichtungen gegenüber dem Studentenwerk … nicht mehr hätten erfüllt werden können. Umgekehrt sei die Regierung … in dieser Situation nicht bereit gewesen, zunächst mit einer Zwangsvollstreckung aus den Bescheiden abzuwarten und die entsprechende Aussetzung der Vollziehung zu erklären. Bei dem Antragsteller handle es sich um einen Geflüchteten aus Syrien, der neben seinen BAföG-Einkünften weder über ein gespartes Vermögen noch über sonstige Geldmittel, mit welchen er seinen Lebensunterhalt decken könnte, verfüge. Er sei deshalb darauf angewiesen, dass ihm das BAföG ungekürzt und ungeschmälert zur Verfügung stehe. Eine Zwangsvollstreckung durch den Antragsgegner hätte demgemäß bei ihm eine nicht mehr tragbare Situation herbeigeführt. Soweit der Antragsgegner darauf hinweise, dass statt einer Aussetzung der Vollziehung eine Stundung der gesamten Summe hätte beantragt werden können, so sei der Antragsgegner darauf hinzuweisen, dass es in diesem Fall nicht um die Stundung eines rechtmäßigen Betrages gehe, sondern um die Aussetzung der Vollziehung aus rechtswidrigen Kostenfestsetzungsbescheiden. Hierfür sei das richtige Mittel die Aussetzung der Vollziehung und nicht die Stundung.
Auch eine Existenzgefährdung des Prozessvertreters, von welcher selbstverständlich nicht auszugehen sei, spiele für den Eilrechtsschutz zu Gunsten des Antragstellers keine Rolle.
Es sei unstreitig, wie der Antragsgegner es darstelle, dass der Antragsteller vom 1. August 2016 bis zum 30. November 2016 in der dezentralen Unterkunft … an der … ein Bett in einem Mehrpersonenzimmer in einem Container belegt habe. Für die Frage, ob diesbezüglich eine Kostenpflicht nach § 22 Abs. 1 DVAsyl bestanden habe, komme es jedoch wesentlich darauf an, ob der Antragsteller in diesem Zeitraum als Asylbewerber einzustufen gewesen oder ob ihm in diesem Zeitraum bereits der subsidiäre Schutz zuerkannt gewesen sei.
Die insoweit vertretene Einschätzung des Antragsgegners sei rechtsfehlerhaft. Denn die Bestandskraft eines Bescheides setze zunächst voraus, dass der Bescheid dem Antragsteller bekannt gegeben worden sei. Die Bekanntgabe erfolge durch Zustellung. Zur Frage der Zustellung führe der Antragsgegner nichts aus, und auch die zur Verfügung gestellte digitale Akte enthalte dazu keine Ausführungen. Es werde lediglich lapidar behauptet, am 30. Juni 2016 sei Bestandskraft des bis dahin nicht bekannt gegebenen Bescheides eingetreten. Wie diese Bestandskraft eingetreten sein solle, wenn der Bescheid nicht zugestellt oder in anderer Weise bekannt gegeben worden sei, werde nicht erläutert. Der Antragsgegner führe lediglich Blatt 173 seiner Akte an, in welcher das Bundesamt ohne jede Begründung mitteile, dass Bestandskraft am 30. Juni 2016 eingetreten sei. In der Klageschrift sei jedoch auf Seite 4 bereits ausgeführt worden, dass der Bescheid vom 1. Juni 2016 am 1. Juli 2016 nicht habe zugestellt werden können, da das Bundesamt eine falsche Adresse angegeben habe. Der Zustellversuch am 1. Juli 2016 sei, wie auch das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 22. Oktober 2018 festgestellt habe, erfolglos geblieben. Wie ein Bescheid, dessen Zustellversuch am 1. Juli 2016 nicht erfolgreich gewesen sei, bereits am 30. Juni 2016 bestandskräftig geworden sein solle, erschließe sich nicht. Es sei vielmehr anzunehmen, dass die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesamts in dem zitierten Schreiben vom 18. März 2020 (Blatt 173 der Behördenakte) lediglich auf die Monatsfrist nach Erteilung des Bescheides abgestellt habe, unabhängig davon, ob der Bescheid tatsächlich bekannt gegeben worden sei oder nicht. Die Bestandskraft könne jedoch nicht vor Bekanntgabe eines Bescheids eintreten.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers macht diesbezüglich weitere Ausführungen und weist auf die aus seiner Sicht unvollständigen bzw. falschen Eintragungen in der elektronischen Akte des Antragsgegners hin. Aus den vom Antragsgegner vorgelegten Dokumenten ergebe sich nicht, dass der streitgegenständliche Bescheid vor November 2016 bekannt gegeben worden sei.
Mit Beschluss der 19. Kammer vom 12. Mai 2020 wurde der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der vorliegend gestellte „Antrag auf Aussetzung der Vollziehung“ wird gemäß § 88 VwGO richtigerweise als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 VwGO der unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 19 K 20.00466 anhängigen Klagen gegen die Kostenfestsetzungsbescheide für die Monate August 2016 bis November 2016, zusammengefasst durch den Bescheid vom 10. Februar 2020, ausgelegt.
Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet, weshalb vorliegend die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen war.
1. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners bestehen nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für den gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht deshalb entfallen, weil der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers „für den Kläger zur Vermeidung der Beitreibung die Beträge unter Vorbehalt bezahlt“ hat (S. 7 der Klageschrift).
Zwar droht aufgrund der – „freiwilligen“ – Zahlung des vollständigen Betrages momentan keine Zwangsvollstreckung zur Beitreibung der Forderung aus den Bescheiden vom 10. Februar 2020, weil durch die Erfüllung eine wesentliche Vollstreckungsvoraussetzung entfallen ist (Art. 19 Abs. 2 BayVwZVG).
Allerdings wurde die Forderung ausdrücklich nur unter „Vorbehalt“ und „zur Vermeidung der Beitreibung der Beträge“ gezahlt. Demnach wurde die Forderung zwar in formeller Hinsicht erfüllt, jedoch nicht im Sinne eines materiell-rechtlichen „Anerkenntnisses“, welches letztlich sogar zu einer Erledigung der Hauptsache und nicht nur zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses im Rahmen des Eilrechtsschutzes führen würde, sondern lediglich zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung, die nach schlüssiger Darstellung des Bevollmächtigten des Antragstellers für diesen gravierende Konsequenzen gehabt hätte. Hier galt es offenbar aus Sicht des Antragstellers, die zeitliche Lücke zwischen Antragstellung und einer Entscheidung des Gerichts zu überbrücken.
Dass eine derartige „freiwillige“ Zahlung des Schuldners oder eines Dritten nicht generell und unmittelbar zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO führen kann, zeigt auch die Existenz der Regelung in § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Danach kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits vollzogen ist.
„Als Vollziehung im Sinne von Abs. 5 Satz 3 sind auch solche Handlungen anzusehen, die der Adressat des angefochtenen Verwaltungsaktes selbst freiwillig unter dem Druck drohender Vollzugsmaßnahmen vorgenommen hat. Diese werden insoweit der Behörde zugerechnet; (…)“ (Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 22. Auflage, 2016, § 80, Rn. 179).
Wenn sogar die Vollzugsfolgenbeseitigung im Rahmen des Eilrechtsschutzes durch das Gesetz derart geregelt ist, dass das Gericht bei Vorliegen der zu prüfenden Voraussetzungen – nämlich des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruches – eine Rückgängigmachung anordnen könnte, insoweit also ein Rechtsschutzbedürfnis anerkannt wird, kann eine – ausdrücklich nur unter Vorbehalt – erfolgte Zahlung nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen.
Letztlich ist eine unter dem Druck der drohenden Vollstreckung erfolgte Zahlung keine „freiwillige“ Zahlung. Eine solche kann daher nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen. Dies ergibt sich auch aus der mit der Zahlung verbundenen – möglicherweise – vorübergehenden Vermögenseinbuße bzw. der um den entsprechenden Betrag geminderten Dispositionsbefugnis des Betroffenen. Dass vorliegend nicht der Antragsteller, sondern dessen Bevollmächtigter die Überweisung getätigt hat, ist unbeachtlich, weil dem Prozessvertreter daraus ein Anspruch gegenüber seinem Mandanten erwachsen ist.
Nach alledem führt die Zahlung entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Nach alledem besteht nach hiesiger Rechtsauffassung trotz der Zahlung des geforderten Betrages ein Rechtsschutzbedürfnis für den gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Ein erforderlicher Antrag gemäß § 80 Abs. 6 VwGO wurde gestellt, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig ist.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist darüber hinaus begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zu Grunde liegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Insoweit ist bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die entsprechend anwendbare Regelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu berücksichtigen, wonach die Aussetzung der Vollziehung erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage voraussichtlich Erfolg haben wird.
Denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheide bestehen, vor allem unter Berücksichtigung der in der Klageschrift aufgeführten Argumente im Hinblick auf die erst später anzunehmende Bestandskraft des Bundesamtsbescheids vom 1. Juni 2016, ernstliche Zweifel:
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist – jedenfalls für die Bescheide ab September 2016 – § 22 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung-DVAsyl) vom 16. August 2016 (GVBl. S. 258, BayRS 26-5-1-I), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 1. Oktober 2019 (GVBl. S. 613), wonach für die Inanspruchnahme von staatlichen Unterkünften (Aufnahmeeinrichtungen gemäß § 4 und Gemeinschaftsunterkünften gemäß § 6) Kosten erhoben werden.
Zwar ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Tatbestand des § 22 Abs. 1 AsylDV insoweit erfüllt ist, als der Antragsteller in dem Zeitraum, für den Kosten erhoben werden, nämlich von August bis einschließlich November 2016 in einer staatlichen Unterkunft, nämlich der … a.d. …, … Str. …, … … a.d. …, gewohnt hat.
Allerdings ist der Antragsteller nach summarischer Prüfung durch das Gericht insoweit nicht Kostenschuldner, als er in dem streitgegenständlichen Zeitraum noch dem Personenkreis des Art. 1 des Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) unterfiel und als solcher gemäß § 22 Abs. 2 AsylDV von der Kostenerhebung befreit ist. Daher kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich darauf an, dass für August 2016 die Asyldurchführungsverordnung (DV Asyl) vom 4. Juli 2002, welche zum 1. September 2016 außer Kraft trat, anzuwenden gewesen wäre.
Art. 1 AufnG umfasst diejenigen Ausländer, die nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigt sind. Der Antragsteller war nach vorläufiger Rechtsauffassung des Gerichts bis einschließlich November 2016 leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Denn § 1 AsylbLG in der hier anwendbaren Fassung vom 20. Oktober 2015 bestimmt, dass leistungsberechtigt diejenigen Ausländer sind, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen (Nr. 1).
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet. Die Aufenthaltsgestattung erlischt, wenn die Entscheidung des Bundesamtes unanfechtbar geworden ist (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG in der hier anwendbaren Fassung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798)).
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt., Nr. 1 AsylbLG in der hier anwendbaren Fassung endet die Leistungsberechtigung mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt (Nr. 1) oder das Bundesamt den Ausländer als Asylberechtigten anerkennt (Nr. 2).
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheide ist zwischen den Zeiträumen vom 1. August bis 31. Oktober 2016 (2.1) und vom 1. bis zum 30. November 2016 (2.2) zu unterscheiden:
2.1 Für den Leistungszeitraum bis 31. Oktober 2016 kommt nicht darauf an, dass der begünstigende Teil des Bundesamtsbescheids vom 1. Juni 2016 mangels einer Beschwer nicht Gegenstand einer Klage vor dem Verwaltungsgericht sein kann. Denn unabhängig von der Herangehensweise an sog. gespaltene Behördenentscheidungen wie im vorliegenden Fall kann die Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes nicht vor seinem Wirksamwerden eintreten.
Denn entscheidend ist vielmehr, ob und wann der Verwaltungsakt, der den Statuswechsel des Betroffenen von der Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu der Leistungsberechtigung nach SGB II einleitet, gegenüber dem Antragsteller wirksam geworden ist.
Insoweit gilt für den Bundesamtsbescheid der allgemeine Grundsatz des § 43 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in der amtlichen Fassung vom 23.1.2003, wonach ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekannt gegeben wird.
Davon geht im Übrigen auch die Vertreterin der Regierung … aus, die unter 2.2 ihrer Stellungnahme vom 27. März 2020 ausführt, dass die Entscheidung des Bundesamtes hinsichtlich des positiv verbeschiedenen Teils „mit Bekanntgabe unmittelbar“ bestandskräftig werde (Bl. 78 der Gerichtsakte).
Nach schlüssiger Darlegung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers steht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO fest, dass der Bundesamtsbescheid dem Antragsteller frühestens am 31. Oktober 2016 bei dessen Vorsprache beim Landratsamt … bekannt gegeben worden ist.
Von einer früheren Bekanntgabe ist aus folgenden Gründen hingegen nicht auszugehen:
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylG ist die Entscheidung über den Asylantrag den Beteiligten zuzustellen, so dass die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (VwZG) anzuwenden waren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die ausführlichen Urteilsgründe des Bayerischen Verwaltungsgerichts München im Verfahren M 7 K 16.33937 Bezug genommen; den dortigen Ausführungen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe – den 31. Oktober 2016 – schließt sich das erkennende Gericht an, zumal der Antragsgegner bislang und nach – erforderlicher, aber ausreichender – summarischer Überprüfung keine durchgreifenden Argumente zur Erschütterung der Überzeugung des Gerichts vorgetragen hat.
Der Antragsgegner verweist zwar insoweit auf eine Mitteilung des Bundesamtes vom 18. März 2020 (Bl. 173 der Behördenakte), wonach der Bundesamtsbescheid vom 1. Juni 2016 am 30. Juni 2016 bestandskräftig geworden sei. Zustellungsnachweise wurden jedoch nicht vorgelegt. Die vom Bundesamt mitgeteilte Rechtskraft wurde vom Antragsgegner offenbar ohne eigene Prüfung auf Plausibilität übernommen.
Dass in der Ausländerakte eine Fiktionsbescheinigung, ausgestellt bereits am 24. August 2016, vorhanden sein soll, konnte vor Erlass des heutigen Beschlusses nicht überprüft werden, weil die angeforderte Ausländerakte noch nicht beim Verwaltungsgericht eingetroffen ist. Der Eingang der Akte musste jedoch nicht abgewartet werden, weil das etwaige Vorhandensein der Fiktionsbescheinigung im Hinblick auf das Antragserfordernis zwar ungewöhnlich erscheinen mag, jedoch keinen Beleg für eine Bekanntgabe des Bundesamtsbescheids an den Antragsteller vor dem 31. Oktober 2016 darstellt. Außerdem ist insoweit zu berücksichtigen, dass der in der Bundesamtsakte enthaltene „Screen-Shot“ der digitalen Ausländerakte (Bl. 190 der Behördenakte) eine weitere Eintragung für die Fiktionsbescheinigung enthält, wonach am 25. November 2016 ebenfalls eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden sein könnte. Dies legt nahe, dass eine der beiden Eintragungen fehlerhaft ist.
Dass es sich hier um einen Fall einer sog. gespaltenen Behördenentscheidung handelt, bei der die Anfechtbarkeit der ablehnenden Bundesamtsentscheidung (Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) den Rechtskreiswechsel gemäß § 1 Abs. 3 AsylbLG möglicherweise nicht hindert, weil die positive Entscheidung über die Gewährung subsidiären Schutzes unmittelbar unanfechtbar wird und nach umstrittener Auffassung zu einem Ende der Leistungsberechtigung nach Asylbewerberleistungsgesetz führt, spielt für die vorliegende Konstellation – jedenfalls bis einschließlich Oktober 2016 – keine Rolle, weil der Rechtskreiswechsel in jedem Fall das Wirksamwerden des Bundesamtsbescheids, also dessen Bekanntgabe, voraussetzt.
Ein Statuswechsel ohne ein Wirksamwerden des Verwaltungsakts gegenüber dem Betroffenen widerspräche der oben dargestellten allgemeinen verwaltungsrechtlichen Systematik und wäre auch im Hinblick auf etwaige Rechtsverluste des Betroffenen aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich.
2.2 Etwas anderes ergibt sich auch nicht für den angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheid, der den Monat November 2016 betrifft, denn auch insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Kostenbescheides:
Zwar ist von einer Wirksamkeit des Bundesamtsbescheids aufgrund der Bekanntgabe am 31. Oktober 2016 auszugehen. Dies führt nach Auffassung des Antragsgegners zu einem Ende der Leistungsberechtigung, weil die positive Bundesamtsentscheidung über die Gewährung subsidiären Schutzes unmittelbar mit der Bekanntgabe, also am 31. Oktober 2016 in Bestandskraft erwachsen sei. Etwaige Rechtsmittel gegen die ablehnenden Teile der Bundesamtbescheide seien demnach unbeachtlich. Mit dieser – umstrittenen – Auffassung geht der Antragsgegner jedoch über den eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG (a.F.) hinaus, der den Wegfall der Leistungsberechtigung nur bei Anerkennung als Asylberechtigter annimmt.
Das Gericht hält diese Auslegung der alten Gesetzesfassung – letztlich durch eine Analogiebildung – für zu weitgehend, weil es insoweit an der Planwidrigkeit einer Regelungslücke fehlt. Dem der Gesetzgeber hat dieses – längst bekannte – Problem bis zur Neuregelung, die zum Wegfall der Nr. 2 führte, trotz mehrerer Novellen nicht aufgegriffen, sondern es bei der alten Regelung belassen (vgl. zum Streitstand: Frerichs in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 1 AsylbLG, Rn. 143.2, Stand: 18.11.2019 – juris). Aus diesem Grund geht das Gericht nicht von einem Wegfall der Leistungsberechtigung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG (a.F.) aus.
Ob die positive und unmittelbar mit Bekanntgabe am 31. Oktober 2016 bestandskräftig gewordene Bundesamtsentscheidung zu einem Entfall der Leistungsvoraussetzungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in der hier maßgeblichen Fassung geführt hat, weil die Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG erloschen ist, ist ebenfalls umstritten (vgl. Frerichs, aaO, Rn. 143.11). Insoweit spricht nach hiesiger Auffassung – und nach der im Eilverfahren gebotenen, nur summarischen Überprüfung – der Wortlaut der Vorschrift für die Auslegung derart, dass im Falle der sog. gespaltenen Behördenentscheidung die Aufenthaltsgestattung erst erlischt, wenn die gesamte Bundesamtsentscheidung („die Entscheidung des Bundesamtes“) unanfechtbar geworden ist.
Somit sprechen gewichtige Gründe für die Annahme, dass der Antragsteller auch im November 2016 noch leistungsberechtigt nach § 1 AslbLG a.F. und demnach nicht Kostenschuldner war.
Nach alledem bestehen nach summarischer Prüfung durch das Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzungsbescheide vom 10. Februar 2020, so dass die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen war.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertentscheidung aus § 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkataloges i.d.F. v. 18.7.2013.


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