Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt

Aktenzeichen  10 B 20.1779

Datum:
12.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30355
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Behörde hat iSv § 38 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG wirksam zugesichert, von einer Verlustfeststellung abzusehen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine gem. Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG beachtliche Änderung der Sachlage in dem Sinne, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabs nachträglich anders darstellen als zum Zeitpunkt der Erteilung der Zusicherung, ist nicht feststellbar.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 18.5978 2019-12-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2019 und der Bescheid des Beklagten vom 6. November 2018 (in der Fassung der Ergänzung vom 12. Oktober 2020) werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Verlustfeststellung des Beklagten vom 6. November 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Demgemäß sind das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2019 und der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 6. November 2018 (in der Fassung der Ergänzung vom 12. Oktober 2020) aufzuheben.
1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts; insoweit gilt das Gleiche wie für andere aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, die Grundlage einer Aufenthaltsbeendigung sein können (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 23.7.2020 – 10 ZB 20.1171 – juris Rn. 11).
2. Die vom Kläger angefochtene Verlustfeststellung ist rechtswidrig, weil ihr die wirksame (2.1.) und den Beklagten im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch bindende (2.2.) Zusage, eine Verlustfeststellung als aufenthaltsbeendende Maßnahme zu unterlassen (Zusicherung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG), entgegensteht. Aufgrund dieser Zusicherung, die einen entsprechenden Rechtsanspruch des Adressaten begründet (Tiedemann in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand 1.7.2020, § 38 Rn. 2) durfte der Beklagte die streitbefangene Verfügung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nicht (mehr) erlassen.
2.1. Dem Verwaltungsgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, als weder in dem vom Landratsamt F. – Ausländerbehörde – an die Justizvollzugsanstalt Landsberg gerichteten (Form-)Schreiben vom 2. September 2013, dass „aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht beabsichtigt sind“, noch dem Schreiben der Ausländerbehörde an die Staatsanwaltschaft München II vom 3. September 2013, dass gegen den Kläger „keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt sind“, eine solche verbindliche Selbstverpflichtung der Behörde (Tiedemann in BeckOK VwVfG, a.a.O., § 38 Rn. 1) gegenüber dem Kläger gesehen werden kann.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt jedoch das an den Kläger gerichtete Schreiben des Landratsamts vom 10. März 2015 mit dem in der Anlage (in Abdruck) beigefügten Schreiben dieser Behörde an die Staatsanwaltschaft München II vom 3. September 2013 zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs eine wirksame Zusicherung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG dar. Denn diese behördliche Erklärung erfüllt die Kriterien einer Zusicherung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, weil darin aus der Empfängersicht (des Klägers) unter Berücksichtigung aller erkennbaren (Begleit-)Umstände bei objektiver Würdigung entsprechend den zu §§ 133,157 BGB entwickelten Maßstäben die Verbindlichkeit der Festlegung – Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen – und damit der behördliche Wille zur materiell-rechtlichen Bindung gegenüber dem Adressaten unzweifelhaft zum Ausdruck kommt (BVerwG, B.v. 14.6.2017 – 4 B 22.16 – juris Rn. 10; Müller in Huck/Müller, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2020, § 38 Rn. 4). Der dafür erforderliche Selbstbindungswille der Behörde ergibt sich zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aus nachfolgenden Gründen:
Im Zeitpunkt des Schreibens des Landratsamts vom 10. März 2015 an den Kläger war die abschließende interne Entscheidung, beim Kläger trotz der Verurteilung mit Strafurteil des Landgerichts München II vom 30. April 2012 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, bereits seit längerer Zeit getroffen. Während die Behörde auf die Anfrage der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech (vom 5. März 2013) mit Formschreiben vom 2. September 2013 noch ohne nähere Prüfung mitgeteilt hat, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht beabsichtigt seien, wird die Sach- und Rechtslage vom zuständigen Sachbearbeiter (M.) der Ausländerbehörde aus Anlass schriftlicher Sachstandsanfragen der Staatsanwaltschaft München II – Strafvollstreckung – vom 11. April 2013 und 11. Juni 2013 wiederholt in ausführlichen schriftlichen Aktenvermerken umfassend erörtert und geprüft (Bl. 147 ff. der Behördenakte): In einem handschriftlichen Vermerk des Sachbearbeiters M. vom 28. August 2013 werden auf der Rückseite der Sachstandsanfrage der Staatsanwaltschaft vom 11. Juni 2013 (Bl. 147 der Behördenakte) die „Voraussetzungen einer Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts“ beim Kläger gemäß § 6 FreizügG/EU erörtert; als Ergebnis dieser Prüfung wird festgehalten: „Abschließende Beurteilung nach Anforderung BZR-Auszug!“. Auf den Folgeseiten (Bl. 148, 149, jeweils Vor- und Rückseite) werden in einem Vermerk die Voraussetzungen einer Verlustfeststellung unter Berücksichtigung des verstärkten Schutzes gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU sowohl in formeller wie materieller Hinsicht – einschließlich aller gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Interessen – ausführlich dargelegt und mit (noch) offenem Ergebnis erörtert. Nach erfolgter Übersendung der über den Kläger angeforderten Auskunft des Bundesamts für Justiz aus dem Zentralregister vom 27. August 2013 (Bl. 151 der Behördenakte) wird vom zuständigen Sachbearbeiter M. in Ergänzung der „Aktennotiz vom 28.8.2013“ eine erneute und nunmehr abschließende Prüfung durchgeführt. In dem handschriftlichen Vermerk vom 2. September 2013 auf der Rückseite des Zentralregister-Auszugs wird ausgeführt, dass mit Blick auf den nur eine Eintragung umfassenden BZR-Auszug „keine Wiederholungsgefahr seitens des S. (Klägers)“ bestehe, eine strafrechtliche Verurteilung alleine „für die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kaum ausreichend sein“ dürfte und „ein gesellschaftliches Grundinteresse … nicht beeinträchtigt“ sei. Abschließend wird festgestellt: „Von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird somit abgesehen.“ Vor diesem Hintergrund teilt das Landratsamt – Ausländerbehörde (Sachbearbeiter M.) – der Staatsanwaltschaft München II, Strafvollstreckung, in Beantwortung der Anfragen vom 11. April 2013 und 11. Juni 2013 mit, „dass gegen Herrn S. keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt sind“.
Anhaltspunkte dafür, dass dieser (interne) Entschluss, im Fall des Klägers wegen dessen strafrechtlicher Verurteilung keine Verlustfeststellung zu verfügen, nur vorläufig oder vorbehaltlich weiterer Prüfungen erfolgen sollte, sind weder aus der Behördenakte noch sonst ersichtlich.
Die Ausländerbehörde des Beklagten hat dem Kläger bei objektiver Würdigung aller Umstände (entsprechend §§ 133, 157 BGB) mit dem Schreiben vom 10. März 2015 verbindlich, also mit dem Willen, sich für die Zukunft zu binden und einen entsprechenden Anspruch des Begünstigten (Kläger) zu begründen, zugesagt, in seinem Fall – wie intern zuvor bereits entschieden – von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (konkret: einer Verlustfeststellung) abzusehen. Für eine verbindliche Selbstverpflichtung der Behörde spricht zur Überzeugung des Senats entscheidend, wie es zu diesem Schreiben gekommen ist. Denn mit Schreiben vom 24. Februar 2015 (Bl. 153 der Behördenakte) hat der Kläger unter Bezugnahme auf die Mitteilung der Behörde vom 2. September 2013 an die Justizvollzugsanstalt, dass in seinem Fall keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt sind, „zur Vervollständigung meiner Unterlagen“ um die „Zusendung dieses Bescheides“ gebeten, da „eine Aushändigung dieses Bescheides“, der ihm über den Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt bekannt geworden sei, durch die Justizvollzugsanstalt nicht erlaubt sei. Für die Ausländerbehörde des Beklagten war daraus eindeutig erkennbar, dass der Kläger von ihr die schriftliche (Sach-)Entscheidung („Bescheid“) erhalten will, dass in seinem Fall von der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abgesehen wird. Unabhängig davon musste der Behörde auch mit Blick auf mögliche strafvollstreckungsrechtliche Folgen einer solchen Entscheidung für den Kläger (vgl. z.B. § 456a StPO) klar sein, dass es dem Kläger bei seiner Anfrage darauf ankam, die zuvor der Justizvollzugsanstalt intern mitgeteilte Entscheidung ausdrücklich verbindlich bestätigt und damit gleichzeitig auch zugesagt zu bekommen. Die Übersendung eines Abdrucks des behördlichen Schreibens vom 3. September 2013 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das klägerische Begehren in seinem Schreiben vom 24. Februar 2015 und die Wiederholung des Inhalts dieser behördeninternen Mitteilung, „dass wir von einer Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Ausweisung bzw. Verlust des EU-Freizügigkeitsrechtes) absehen werden“ konnte der Kläger vor dem geschilderten Hintergrund sowohl nach dem objektiven Erklärungswert als auch dem durch seine Anfrage initiierten Zweck letztlich nur so verstehen, dass die Ausländerbehörde damit nicht nur eine schlichte Auskunft über eine auf einen bestimmten (vergangenen) Zeitpunkt bezogene behördeninterne Absichtserklärung erteilt, sondern vielmehr eine ihm gegenüber verbindliche Bestätigung ihrer bereits zuvor (intern) abschließend getroffenen Entscheidung, eine Verlustfeststellung aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung vom 30. April 2012 zu unterlassen, vorgenommen hat.
Angesichts dieses objektiv unzweifelhaft bekundeten Willens der Behörde ist es unerheblich, dass – wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat – hier kein zwingender Grund bzw. keine Veranlassung für eine solche Zusicherung bestanden hat. Nicht entscheidend sind auch die subjektive Vorstellung oder der innere Wille des erklärenden Behördenvertreters (Sachbearbeiter M.) sowie der reine Wortlaut dieser Erklärung. Der Erklärung vom 10. März 2015 ist auch keinerlei gegen ihre Verbindlichkeit sprechende Einschränkung oder Relativierung der (Absehens-)Entscheidung wie zum Beispiel „nach derzeitigem (Kenntnis-)Stand“ oder „nach vorläufiger Rechtsauffassung“ etc. zu entnehmen.
Für die Bewertung der Erklärung als den Beklagten bindende Zusage spricht nicht zuletzt die weitere Behandlung des Falles durch die Ausländerbehörde. Diese hat sich erst aufgrund einer Anfrage des Polizeipräsidiums Oberbayern am 18. April 2018 (Bl. 155 der Behördenakte) wieder mit dem Fall des Klägers beschäftigt und in einem Aktenvermerk festgehalten: „Herr P. … wollte sich erkundigen, ob wir an unserer bisherigen Entscheidung des Verzichts der Verlustfeststellung festhalten. Ich sicherte ihm eine erneute Prüfung … zu.“ Im Anhörungsschreiben der Ausländerbehörde an den Kläger vom 20. April 2018 wird dann unter anderem ausgeführt: „Entgegen unserer ursprünglichen Absicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, liegen unserer Auffassung nach …“. Schließlich wird in einem weiteren Aktenvermerk vom 2. August 2018 zur beabsichtigten Verlustfeststellung beim Kläger bemerkt, die Erklärung zum Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen könne man durchaus als „Zusicherung nach § 38 VwVfG“ werten, die Verwaltungsbehörde sollte sich jedoch nicht scheuen, „eine Neubewertung der Sach- und Rechtslage zu treffen.“ Daraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats eindeutig, dass auch die Behörde das Schreiben an den Kläger vom 10. März 2015 nicht nur als eine unverbindliche vorläufige Auskunft, sondern als verbindliche Zusage und eindeutige Willensbekundung verstanden hat. Dementsprechend werden mit handschriftlichem Zusatz auf dem Aktenvermerk vom 2. August 2018 (Bl. 201 der Behördenakte) die Fortführung des Verfahrens zur Verlustfeststellung und gleichzeitig die Prüfung der „Rücknahme/Widerruf Zusicherung“ verfügt.
Die Zusage des Beklagten gegenüber dem Kläger im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, in seinem Fall von einer Verlustfeststellung (Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) abzusehen, ist durch die zuständige Ausländerbehörde (Landratsamt F.) und in der vorgeschriebenen Schriftform formell wirksam erfolgt. Die materielle Befugnis der Ausländerbehörde, eine solche Zusage zu erteilen, ergibt sich (als Annexkompetenz, vgl. dazu M. Uechtritz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 38 Rn. 53 m.w.N.) aus ihrer Befugnis zum Erlass einer Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU.
2.2. Die wirksame Zusage, eine Verlustfeststellung zu unterlassen, bindet den Beklagten auch noch im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Weder ist eine (konkludente) Rücknahme oder ein Widerruf dieser Zusicherung (Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 48, 49 BayVwVfG; 2.2.1.) erfolgt, noch liegt ein Wegfall der Bindungswirkung wegen einer nachträglich eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage im Sinne von Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG vor (2.2.2.).
2.2.1. Der Beklagte hat die gegenüber dem Kläger erfolgte Zusage, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (Verlustfeststellung) abzusehen, nicht wirksam zurückgenommen oder widerrufen. Zwar ist im angefochtenen Bescheid vom 6. November 2018 im Rahmen der Wiedergabe des Sachverhalts ausgeführt, nach einer neuerlichen Bewertung des Falls sei entschieden worden, dass eine Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt – entgegen der bisherigen Entscheidung – nun doch vorgenommen werden soll (S. 5/6 des Bescheids, Bl. 211 f. der Behördenakte). Erwägungen insbesondere zur Rechtsgrundlage einer Rücknahme bzw. eines Widerrufs, zu deren Voraussetzungen, dem diesbezüglichen Ermessen der Behörde und zur erforderlichen Interessenabwägung fehlen jedoch.
2.2.2. Eine gemäß Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG beachtliche Änderung der Sachlage in dem Sinne, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabs nachträglich anders darstellen als zum Zeitpunkt der Erteilung der Zusicherung (M. Uechtritz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, a.a.O., § 38 Rn. 154 m.w.N.), ist ebenfalls nicht feststellbar. Soweit der Beklagte geltend macht, eine solche Änderung der Sachlage liege im Fall des Klägers aufgrund der Entscheidungen des Landgerichts Augsburg – Strafvollstreckungskammer – vom 23. Juni 2017 (Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung) sowie vom 17. August 2018 (kein Entfall und keine Abkürzung der Höchstdauer der Führungsaufsicht) mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Indizwirkung solcher Beschlüsse (B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21) vor, greift dieser Einwand nicht durch. Denn dabei wird vom Beklagten verkannt, dass sich infolge dieser Entscheidungen und der darin getroffenen Feststellungen die für die Beurteilung der erforderlichen Wiederholungsgefahr (s. § 6 Abs. 2 FreizügG/EU) maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse letztlich nicht anders darstellen als zum Zeitpunkt der Erteilung der Zusicherung; denn auch damals konnte beim Kläger aufgrund der Gesamtumstände nur eine negative Sozialprognose angestellt werden. Die nachträgliche Erkenntnis der Behörde, dass sie die Zusicherung aufgrund falscher Annahmen über das Vorliegen bestimmter Tatsachen (hier: bezüglich der Gefahrenprognose) erteilt hat, steht der nachträglichen Änderung der Sachlage gerade nicht gleich (vgl. Tiedemann in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand 1.7.2020, § 38 Rn. 44 m.w.N.). Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof vom Beklagtenvertreter zu Protokoll des Gerichts übergebenen ergänzenden Ermessenserwägungen (§ 114 Satz 2 VwGO) sind daher unbehelflich.
Nach alledem steht der angefochtenen Verlustfeststellungsverfügung die (noch) wirksame Zusage des Beklagten entgegen, sodass der Klage des Klägers unabhängig von einer weiteren rechtlichen Prüfung dieser Anordnung schon deshalb stattzugeben ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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