Verwaltungsrecht

„Robusthaltung“ von Pferden

Aktenzeichen  9 ZB 15.357

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 108387
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 2, § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Die im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von einer Sachverständigengruppe erstellten Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten vom 9. Juni 2009 stellen eine sachverständige Zusammenfassung dessen dar, was insoweit als verlässlicher und gesicherter wissenschaftlicher Kennntnisstand gelten kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Einem beamteten Tierarzt kommt bei der Frage, ob die Tierhaltung den Anforderungen des § 2 TierSchG entspricht, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu (Parallelentscheidung BayVGH BeckRS 2017, 105354). (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine tierschutzrechtliche Anordnung nach § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TierSchG zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG erfordert nicht, dass bei dem betroffenen Tier bereits gesundheitliche Schäden festgestellt worden sind. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 13.161 2014-12-05 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung des Landratsamts Coburg vom 31. Januar 2013, mit der ihr Auflagen bezüglich ihrer Pferdehaltung – u.a. im Hinblick auf die Morastbildung auf den Koppeln, die Futterdarreichung, die Tränken und den Witterungsschutz – aufgegeben wurden. Die Klage gegen diesen Bescheid hat das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 5. Dezember 2014 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO) hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Das Vorbringen der Klägerin, die Ortsangabe ihrer „oberen Koppel“ im angefochtenen Bescheid sei unzutreffend, führt nicht zur Unbestimmtheit des Bescheids.
Inhaltlich hinreichend bestimmt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt‚ wenn die damit getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens – ggf. nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und damit einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG‚ U.v. 22.1.1993 – 8 C 57/91 – juris Rn. 15 m.w.N.). Es genügt dabei, wenn aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung im Weg einer auf den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 37 Rd.Nr. 12 m.w.N.; siehe auch BVerwG, B.v. 8.11.2016 – 3 B 11/16 – juris Rn. 36). Diese Vorgaben erfüllt der Bescheid vom 31. Januar 2013 unabhängig von der in den Bescheidsgründen enthaltenen konkreten Ortsangabe. Die im Tenor in Ziffer 1.1 des Bescheids gewählte Bezeichnung „sämtliche genutzte Ausläufe der Pferde“ ist bereits unzweideutig. Im Übrigen besitzt die Klägerin nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, denen im Zulassungsvorbringen nicht entgegengetreten wird, neben der Koppel am Haus und der Koppel an der Verbindungs Straße W. nur noch eine weitere Koppel (die sog. Obere Koppel). Auf diesen Koppeln ist die Pferdehaltung vom Landratsamt bereits 2011 unter Übersendung von Lichtbildern beanstandet worden ist, sodass auch insoweit keine Zweifel bestehen können, auf welche Koppeln sich der angefochtene Bescheid bezieht.
b) Soweit die Klägerin die Rechtmäßigkeit der im angefochtenen Bescheid enthaltenen konkreten Anordnungen zur Pferdehaltung rügt, entsprechen diese nach der Beurteilung des Verwaltungsgerichts den Vorgaben der Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten einer Sachverständigengruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 9. Juni 2009. Nach der Rechtsprechung des Senats stellen diese Leitlinien eine sachverständige Zusammenfassung dessen dar, was insoweit als verlässlicher und gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisstand gelten kann (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 9 B 05.3146 u.a. – juris Rn. 28). Diese Leitlinien umfassen auch Anforderungen an eine ganzjährige Haltung der Pferde im Freien u.a. zum Witterungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat sich dabei auf die gutachterlichen Stellungnahmen des beamteten Tierarztes gestützt, die anlässlich der Tierschutzkontrollen vom 21. März 2011, 6. Februar 2012 und 16. Januar 2013 erfolgt sind. Das pauschale Zulassungsvorbringen der Klägerin, weder das Landratsamt noch das Verwaltungsgericht hätten sich mit den Fakten der „Robusthaltung“ der Pferde durch die Klägerin auseinander gesetzt, ist nicht geeignet, die fachliche Einschätzung des beamteten Tierarztes in Frage zu stellen, dem nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG eingehalten sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zukommt (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 17.3.2017 – 9 ZB 15.187 – juris Rn. 7).
Soweit die Klägerin unter Hinweis auf einen Presseartikel auf die „Erwägungen des Senats im Verfahren Az. 9 B 11.955“ zum ausreichenden Witterungsschutz von Tieren“ verweist, bezieht sich der Artikel auf die Ausführungen der Beteiligten und deren Sachbeistände in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 6. Februar 2013. Eine Sachentscheidung des Senats ist in dem Verfahren nicht ergangen.
Auch die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass aus den vorliegenden Lichtbildern in den Behördenakten und den Luftaufnahmen der Bayerischen Landesvermessungsverwaltung ohne weiteres erkennbar ist, dass die Koppeln stark morastig waren und der von der Klägerin behauptete Witterungsschutz durch natürliche Vegetation weder aus diesen Lichtbildern und Luftaufnahmen noch auf den von der Klägerin vorgezeigten Lichtbildern zu ersehen ist, unterliegen keinen ernstlichen Zweifeln. Was das Zulassungsvorbringen zum einwandfreien Zustand der Futtervorlage angeht, hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass vom Landratsamt nicht die Qualität des dargebotenen Futters als solches beanstandet worden ist, sondern nur der Umstand, dass es auf dem Boden angeboten und dort von den Pferden mit Kot und Erde verunreinigt worden ist.
c) Entgegen dem Zulassungsvorbringen lässt sich dem angefochtenen Bescheid ohne weiteres entnehmen, dass das Landratsamt sein Ermessen in hinreichender Weise ausgeübt hat, sofern man einen solchen Ermessensspielraum hinsichtlich des „Ob“ im Rahmen des Tätigwerdens nach § 16a TierSchG überhaupt als eröffnet ansieht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 9 ZB 11.1796 – juris Rn. 5; OVG LSA, U.v. 24.11.2015 – 3 L 386/14 – juris Rn. 56; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 5 m.w.N.). Eine Anordnung nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG erfordert auch nicht, dass bei den betroffenen Tieren bereits gesundheitliche Schäden festgestellt worden sind (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 16a Rn. 13).
d) Was schließlich die Rüge angeht, das Tierschutzgesetz weise keinen ausdrücklichen Geltungsbereich auf, geht ohne weiteres aus dem Grundgesetz hervor, dass dieses Gesetz als Bundesgesetz mangels abweichender Regelung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Geltung beansprucht. Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 (Az. 2 BvE 9/11 u.a.) nicht abgeleitet werden, dass seit 1956 kein verfassungsmäßig gewählter Gesetzgeber vorhanden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil lediglich die Unvereinbarkeit der Regelungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2a BWG festgestellt und ausgeführt, dass es infolge dieser Feststellungen an einer wirksamen Regelung des Sitzzuteilungsverfahrens für die Wahlen zum Deutschen Bundestag fehlt. Eine Aussage zur Ungültigkeit der auf der Grundlage dieser Be-stimmungen erfolgten Wahl oder der früheren Wahlen enthält das Urteil demgegenüber nicht.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich nach den obigen Ausführungen, soweit sie entscheidungserheblich sind, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären.
3. Die Rechtssache ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Wie sich obigen Ausführungen entnehmen lässt, ist die Frage der Anwendbarkeit des Tierschutzgesetzes nicht klärungsbedürftig.
4. Es liegt auch kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Klägerin rügt eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil das Verwaltungsgericht es versäumt habe, sich selbst ein Bild über die tatsächlichen Verhältnisse zu machen und keinen Augenschein durchgeführt habe. Diese Rüge hat keinen Erfolg.
Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter – wie hier die Klägerin – es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2016, 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 15). Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht die ihm von § 86 Abs. 1 VwGO zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auferlegten Pflichten erfüllt (zu deren Umfang im Allgemeinen: BVerwG, U.v. 16.5.2012 – 5 C 2/11 BVerwGE 143, 119 = juris Rn. 22 m.w.N.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Gericht Umfang und Art der Tatsachenermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Die Durchführung einer Ortsbesichtigung ist nicht notwendig, wenn für das Gericht aufgrund von Kartenmaterial, Fotos, Luftbildern oder auch von Schilderungen ortskundiger Verfahrensbeteiligter eine hinreichend sichere Beurteilungsgrundlage existiert (vgl. BVerwG, B.v. 24.8.2015 – 9 B 34/15 – juris Rn. 4 m.w.N.). Das gilt nur dann nicht, wenn ein Beteiligter geltend macht, dass die Karten oder Lichtbilder in Bezug auf bestimmte, für die Entscheidung wesentliche Merkmale keine Aussagekraft besitzen und dies zutreffen kann (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2008 – 4 BN 26/08 – BauR 2009, 617). Insoweit ergibt sich aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung schon nicht, dass die Klägerin geltend gemacht hätte, die vorliegenden Pläne und Fotografien würden keine Aussagekraft besitzen. Damit erschließt sich nicht, weshalb es sich dem Verwaltungsgericht, obwohl keine förmlichen Beweisanträge gestellt wurden, nach den Umständen des Falles und von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte aufdrängen müssen, einen Augenschein durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 16).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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