Verwaltungsrecht

Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge nach auf falschen Angaben beruhender Aussetzung der Versorgungskürzung

Aktenzeichen  3 ZB 19.2425

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4553
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 7 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 92 Abs. 1
VersAusglG § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 4
BayVwVfG Art. 48
BGB § 812 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1, § 820 Abs. 1 S. 2
SGB VI § 235

 

Leitsatz

1. Die Klägerin kann sich bei Unterlassen der gesetzlichen Mitteilungspflichten nach Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG nicht auf die gegenseitige Auskunftspflicht der Versorgungsträger untereinander (§ 4 Abs. 3 VersAusglG) berufen (Rn. 5). (redaktioneller Leitsatz)
2. Dei Voraussetzungen des § 35 VersAusglG liegen gerade nicht vor, wenn es der Betroffene – aus welchen Gründen auch immer – unterlässt, einen Rentenantrag zu stellen und damit den Umstand, dass er aus dem erworbenen Anrecht keine Leistung bezieht, selbst zu vertreten hat (Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Rentenabschlag – hier in Höhe von 9,3% – bedeutet zwar eine finanzielle Einbuße; die Voraussetzungen zum Rentenbezug, der einer Anwendung des § 35 VersAusglG entgegensteht, sind allerdings erfüllt (Rn. 13). (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Anwendungsbereich des § 35 VersAusglG ist nicht auf die Zeit bis zum Erreichen der Altersgrenze des § 235 SGB VI ausgedehnt worden (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.333 2019-10-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 32.633,33 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die mit Wirkung zum 1. Juli 2015 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen. Aufgrund der seit 19. März 2016 rechtskräftigen Scheidung der Klägerin führte das zuständige Familiengericht einen Versorgungsausgleich durch (rechtskräftig seit dem 14.6.2016). Im Rahmen der Umsetzung des Versorgungsausgleichs wurden zulasten der beamtenrechtlichen Versorgung der Klägerin Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 1.359,76 Euro auf dem Rentenversicherungskonto ihres Ehemanns begründet; zugleich wurden der Klägerin (zulasten des Rentenversicherungskonto des Ehemanns) Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 1.397,50 Euro übertragen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Juli 2016 mit, dass die Regelaltersrente, die ab 1. Januar 2019 gezahlt werden könne, 1.487,43 Euro monatlich betrage. Unter dem Punkt „H Altersrente für langjährig Versicherte“ wurde sie zudem darauf hingewiesen, dass sie die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte erfülle und sie diese mit Rentenbeginn ab dem 1. Juli 2016 mit einem Abschlag von 9,3% beziehen könne. In Unkenntnis dieses Schreibens setzte das Landesamt für Finanzen mit Bescheid vom 16. August 2016 die Kürzung der Versorgungsbezüge der Klägerin wegen Versorgungsausgleich (Art. 92 BayBeamtVG) auf deren Antrag (9.6.2016) hin ab dem 1. Juli 2016 auf 0 Euro fest (§ 35 VersAusglG). Unter „Hinweise und Bemerkungen“ des Bescheides heißt es u.a.: „Bei diesem Bescheid wurde davon ausgegangen, dass Sie [die Klägerin] die gesetzliche Altersgrenze zur Zahlung einer Rentenleistung aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch nicht erreicht haben bzw. die Voraussetzungen hierfür dzt. nicht erfüllen. Den Bezug einer Rente aus dem Versorgungsausgleich bitte ich unverzüglich anzuzeigen. Dieser Bescheid steht somit ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass eine Rente aus dem erworbenen Anrecht derzeit nicht bezogen werden kann.“ Nachdem das Landesamt für Finanzen von der Deutschen Rentenversicherung Bund darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Klägerin bereits ab dem 1. Juli 2016 ein Anspruch auf eine Rente für langjährig Versicherte zustehe, hob es nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 rückwirkend die Aussetzung der Kürzung der laufenden Versorgungsbezüge ab dem 1. Juli 2016 (Bescheid v. 16.8.2016) auf und forderte die für den Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis einschließlich 31. Mai 2018 zu viel gezahlten Versorgungsbezüge in Höhe von 32.633,33 Euro zurück. Ihre dagegen erhobene Klage blieb in erster Instanz erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die (konkludent) zum 1. Juli 2016 rückwirkend erfolgte Versorgungskürzung um monatlich 1.359,76 Euro gemäß Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG (UA Rn. 19 ff.), die Aufhebung der Aussetzung der Versorgungskürzung gemäß Art. 48 BayVwVfG (UA Rn. 30 ff.) sowie die Rückforderung der überzahlten Versorgungsbezüge gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG i.V.m. den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (UA Rn. 40 ff.) für rechtmäßig erachtet. Den zutreffenden Erwägungen im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts, das in juris veröffentlicht ist und auf das der Senat Bezug nimmt, setzt die Klägerin mit dem Zulassungsantrag nichts Stichhaltiges entgegen, das weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
Fehl geht der Einwand, das Landesamt für Finanzen habe bei richtiger Würdigung des „gesamten Textes“ des „Schreibens vom 16. August 2016“ einen Vertrauenstatbestand geschaffen, indem es „geprüft“ habe, dass ein Anspruch auf einen Rentenbezug nicht bestehe. Dadurch sei der Vorbehalt in dem Bescheid vom 16. August 2016 „entwertet“; die Klägerin habe davon ausgehen können, dass sich dieser ausschließlich auf eine künftige Änderung der Sachlage bezogen habe (vgl. Zulassungsbegründung S. 1 unter 1.).
Dieser Vortrag ist nicht geeignet, auf das Ergebnis durchschlagende ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen. Denn das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Aufhebung des Aussetzungsbescheides vom 16. August 2016 selbständig auf zwei tragende Gründe gestützt: Einerseits hat es festgestellt, dass der Aussetzungsbescheid unter dem ausdrücklichen Vorbehalt stand, dass die Klägerin eine Rente nicht beziehen kann (UA Rn. 29), anderseits hat es in der rückwirkenden Kürzung der Versorgungsbezüge der Klägerin in Verbindung mit dem Rückforderungsverlangen (auch) eine konkludente Rücknahme des Aussetzungsbescheides vom 16. August 2016 gesehen (UA Rn. 30). Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a, Rn. 61). Dies hat die Klägerin hier versäumt. Während sie lediglich hinsichtlich des Vorbehalts einen Zulassungsgrund vorgetragen hat, hat sie die tragende Erwägung einer konkludenten Rücknahme nach Art. 48 BayVwVfG nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Sie setzt sich mit ihrem Vorbringen in keiner Weise mit den rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG auseinander, sondern beschränkt sich in ihrem Vortrag im Wesentlichen darauf, den Vorbehalt wegen des durch das (vermeintlich) geprüfte Rentenanrecht geschaffenen Vertrauenstatbestandes in Zweifel zu ziehen. Damit wird die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin könne sich „abgesehen von dem im Bescheid ausdrücklich geregelten Vorbehalt“ schon deswegen nicht auf ein schützenswertes Vertrauen berufen, weil sie den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG), nicht in Frage gestellt. Gemäß Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG und § 36 Abs. 4 VersAusglG bestand für die Klägerin eine Verpflichtung, die Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente ab dem 1. Juli 2016 gegenüber dem Beklagten anzuzeigen und die Rentenauskunft vom 27. Juli 2016 vorzulegen. Bereits im Bescheid über die Festsetzung von Versorgungsbezügen vom 2. Juli 2015 wurde die Klägerin auf ihre Mitwirkungspflicht aus Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG hingewiesen. Sie kann sich bei Unterlassen dieser gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht auf die gegenseitige Auskunftspflicht der Versorgungsträger untereinander (§ 4 Abs. 3 VersAusglG) berufen (Rehbein in Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 3. Aufl. 2018, § 36 VersAusglG Rn. 6). Zutreffend hat das Erstgericht darauf rekurriert, dass die Klägerin im Aussetzungsantrag keine Rentenübersicht beigefügt und auch die Rentenübersicht vom 27. Juli 2016 nicht nachgereicht habe. Da ihre Angaben somit in wesentlichen Punkten unvollständig bzw. unrichtig waren, stellte das Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise fest, dass es dahinstehen könne, ob der Beklagte das Bestehen eines Rentenanspruchs nach Aktenlage – z.B. aus der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich (vgl. Zulassungsbegründung S. 2 unter 2.) – oder anhand weiterer Ermittlungen hätte erkennen können. Der Begriff der unrichtigen Angaben im Sinne von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG erfordert nur deren objektive Unrichtigkeit, ohne dass es insoweit auf ein mangelndes Verschulden des begünstigenden oder eine mangelnde Sorgfalt der Behörde ankommt (BVerwG, U.v. 14.8.1986 – 3 C 9.85 – juris Ls 3; UA Rn. 34). Inwiefern die Rüge (Zulassungsbegründung S. 3 unter 4.), das Verwaltungsgericht habe nichts dazu ausgeführt, dass der durch das Landesamt für Finanzen erweckte Vertrauenstatbestand durch das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund vom „10. Juli 2016“ abgeschwächt sei, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen können soll, erschließt sich dem Senat in diesem Zusammenhang nicht.
Ernstliche Zweifel werden auch nicht mit dem Vorbringen (Zulassungsbegründung S. 3 f. unter 3. und 6.) dargetan, die Klägerin habe entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 45) die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht außer Acht gelassen. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung einer verschärften Haftung der Klägerin (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG i.V.m. § 819 Abs. 1 BGB) darauf hin, dass diese als ehemalige Beamtin der Besoldungsgruppe A 12 mit Amtszulage anhand der Rentenübersicht vom 27. Juli 2016 hätte erkennen können und müssen, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Versorgungskürzung nicht vorgelegen haben. Solange die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht aus Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG nicht nachkam und die Rentenübersicht vom 27. Juli 2016 dem Landesamt für Finanzen vorenthielt, konnte sie sich nicht darauf verlassen, dass die Behörde die Voraussetzungen der Versorgungskürzung (vollständig) geprüft hat. Aus dem Wortlaut der Begründung des Bescheides vom 16. August 2016 („wurde davon ausgegangen, dass Sie …die Voraussetzungen [für die Zahlung einer Rentenleistung] dzt. nicht erfüllen“; „Dieser Bescheid steht … unter dem Vorbehalt, dass eine Rente aus dem erworbenen Anrecht derzeit nicht bezogen werden kann“) war für die Klägerin hinreichend erkennbar, dass die Behörde nur aufgrund der von der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides getätigten Angaben über den Antrag auf Aussetzung der Versorgungskürzung entschieden hatte. Mit Blick auf die ausdrückliche Bitte des Landesamtes, „den Bezug einer Rente aus dem Versorgungsausgleich … unverzüglich anzuzeigen“ (Bescheid v. 16.8.2016) ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Klägerin davon hätte ausgehen können, dass ihr keine weitere Prüfungspflicht abverlangt werde.
Ungeachtet dessen verkennt die Klägerin, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung hinsichtlich der verschärften Haftung selbständig tragend auch auf Art. 7 Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. § 812 Abs. 1, § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB gestützt hat (UA Rn. 44 f. „Darüber hinaus“). Danach haftet die Klägerin wegen des entsprechenden Vorbehalts im Aussetzungsbescheid vom 16. August 2016 aufgrund des ungewissen Erfolgseintritts in verschärfter Form. Selbst im Fall von ernsthaften Zweifeln hinsichtlich einer verschärften Haftung nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG i.V.m. § 819 Abs. 1 BGB würde das Urteil somit nicht darauf beruhen.
Schließlich kann die Klägerin mit ihrem Einwand (Zulassungsbegründung S. 3 unter 5.), § 35 Abs. 1 VersAusglG sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unter Berücksichtigung des Schutzzwecks und der Gesetzesbegründung dahingehend auszulegen, dass eine ausgleichspflichtige Person aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann, wenn sie – wie im streitgegenständlichen Verfahren – zunächst einen Antrag hierfür stellen müsste, ebenfalls nicht durchdringen.
Eine „Auslegung“ der Vorschrift des § 35 VersAusglG über die Grenze ihres Wortlauts kommt nicht in Betracht. Voraussetzung für die Aussetzung der Kürzung ihrer Versorgungsbezüge ist, dass die Klägerin aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann. Dies muss darauf beruhen, dass die Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegen (BT-Drs. 16/10144, S. 75). Dem Ausgleichberechtigten steht es frei, zu entscheiden, ob er von seinem höchstpersönlichen Recht Gebrauch macht und einen Rentenantrag stellt. Unterlässt er es allerdings, einen ihm zumutbaren Antrag zu stellen und damit einen bestehenden Rentenanspruch zu realisieren, ist ihm der Rückgriff auf § 35 Abs. 1 VersAusglG verwehrt (VGH BW, U.v. 19.11.2019 – 4 S 488/19 – juris Rn. 44; U.v. 26.10.2017 – 9 S 1554/15 – juris Rn. 29; Maaß in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Großkommentar, Stand 1.2.2020, § 35 VersAusglG Rn. 31; Göhde in Rolfs/Giesen/Kreike-bohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand 1.3.2011, § 35 VersAusglG Rn. 3; Norpoth/Sasse in Ermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 35 VersAusglG Rn. 3; Breuers in juris-PK-BGB 9. Aufl. § 35 VersAusglG Rn. 11).
Eine Abweichung vom Wortlaut ist entgegen der klägerischen Auffassung nicht aufgrund des in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers erforderlich. Gegenstand der Auslegung ist das Gesetz selbst und der im Gesetz objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in dem sie steht (BVerfG, B.v. 15.09.2011 – 1 BvR 519/10 – juris, NVwZ 2012, 504; Würdinger JuS 2016, 1; BVerfG, B.v. 25.01.2011 – 1 BvR 918/10 – juris – BVerfGE 128, 193 = NJW 2011, 836; BVerfG, B.v. 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15 – juris). Dem Auslegungsziel dienen, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 17.5.1960 – 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 – juris – BVerfGE 11, 126 = NJW 1960, 1563), die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) und aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, sind alle diese Auslegungsmethoden erlaubt. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Das gilt auch für die Heranziehung der Gesetzesmaterialien, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen. Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes allerdings nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat und er sich aus dem Sinnzusammenhang ergibt. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (BVerfG, B.v. 17.5.1960 – 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 – juris – BVerfGE 11, 126 = NJW 1960, 1563).
Gemessen daran führt das Erstgericht zu Recht unter Bezugnahme auf die Entwurfsbegründung der Bundesregierung (BT-Drs. 16/10144, S. 75) aus, dass eine Auslegung dahingehend, dass es auf den tatsächlichen Leistungsbezug ankomme nicht nur dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 VersAusglG, sondern auch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der diese Vorschrift als Härtefallregelung geschaffen hat, widerspräche (UA Rn. 23). Ein Härtefall liegt aber gerade nicht vor, wenn es der Betroffene – aus welchen Gründen auch immer – unterlässt, einen Rentenantrag zu stellen und damit den Umstand, dass er aus dem erworbenen Anrecht keine Leistung bezieht, selbst zu vertreten hat. Das Tatbestandsmerkmal „keine Leistung beziehen kann” in § 35 Abs. 1 VersAusglG drückt die in objektiven und subjektiven Umständen gründende „rechtliche Unmöglichkeit” des Rentenerhalts aus. Damit sind Hinderungsgründe, die in der Person des Anwartschaftsberechtigten liegen, von vornherein ebenfalls erfasst.
Der hier vorgenommenen Auslegung des § 35 VersAusglG steht der Normzweck schon deshalb nicht entgegen, da die Vorschrift Härten aufgrund des neuen Systems des Versorgungsausgleichs (Stichwort: Hin-und-her-Ausgleich) verhindern soll, die dadurch entstehen können, dass der Ausgleichsverpflichtete eine im Versorgungsausgleich gekürzte Versorgung bezieht, aber aus einem erworbenen Anrecht aus einer anderen Versorgung noch nichts erhalten kann. Das könnte der Fall sein, wenn nach der Versorgungsordnung des erworbenen Anrechts eine Leistung für den Fall der Erwerbsminderung nicht vorgesehen ist oder an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, die bei der ausgleichspflichtigen Person (noch) nicht vorliegen (BT-Drs. 16/10144, S. 75; Göhde a.a.O. Rn. 1). Die Vorschrift soll Leistungseinbußen durch den Versorgungsausgleich verhindern, die allein durch die Einführung der Teilung einzelner Anrechte durch das VersAusglG entstehen können. Erfüllt der ausgleichspflichtige Ehegatte bei einem durch den Versorgungsausgleich vermittelten Anrecht die Voraussetzungen zum Rentenbezug, während er aus den vom anderen Ehegatten erhaltenen Anrechten noch keine Zahlungen erhalten kann, so könnte er im Ausgleich zu der bis zum 31. August 2009 geltenden Rechtslage nur geringere Leistungen beziehen. Um dies zu vermeiden, ermöglicht § 35 VersAusglG bei den in § 32 VersAusglG genannten Anrechten der Regelversorgung die Aussetzung der Kürzung (Maaß a.a.O. Rn. 2, 4).
Dies trifft im vorliegenden Fall gerade nicht zu. Der vom Gesetzgeber mit § 35 Abs. 1 VersAusglG in den Blick genommene Härtefall ist mit dem vorliegenden schon deshalb nicht vergleichbar, weil der ausgleichspflichtige Ehegatte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen erhalten kann. Der Rentenabschlag in Höhe von 9,3% bedeutet zwar eine finanzielle Einbuße; die Voraussetzungen zum Rentenbezug waren allerdings erfüllt. Soweit das Verwaltungsgericht den anfallenden Rentenabschlag für die Klägerin als zumutbar erachtet hat, weil auch hinsichtlich der eigenen Versorgung ein Versorgungsabschlag in Höhe von 6,01% angefallen war und sich die Abschläge aus dem erworbenen Anrecht und dem eigenen Versorgungsanspruch damit im selben Rahmen bewegten, wird dies von der Zulassungsbegründung nicht angegriffen.
Die Klägerin geht schließlich fehl in der Annahme, der Anwendungsbereich des § 35 VersAusglG sei unter Berücksichtigung des Normzwecks und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11903, S. 55 f.) auf die Zeit bis zum Erreichen der Altersgrenze des § 235 SGB VI (hier: Rentenbezug aus der gesetzlichen Rente ab 1. Januar 2019) ausgedehnt worden. Hierfür ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 35, § 36 Abs. 4 VersAusglG) noch aus der oben genannten Gesetzesbegründung ein tragfähiger Anhaltspunkt. Insbesondere kann diese nicht aus der Formulierung „…in diesem Versorgungssystem geltende allgemeine Altersgrenze…“ (BT-Drs. 16/11903, S. 55) abgeleitet werden, da sich eine entsprechende Auslegung weder aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmungen selbst noch aus dem Sinnzusammenhang ergibt.
Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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