Verwaltungsrecht

Rückholung und Wiederherstellung der Familieneinheit

Aktenzeichen  19 CE 21.2652

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 352
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6
VwGO § 146 Abs. 4
AufenthG § 25a, § 58 Abs. 1, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren ist nur zulässig, soweit sie der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung dient; dies hat insbesondere dann zu gelten, wenn mit der Antragserweiterung eine wesentliche Änderung der zu prüfenden Gesichtspunkte einhergeht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unmöglichkeit der Abschiebung ist nicht schon bei jeder geringen zeitlichen Verzögerung der verwaltungsmäßigen Vorbereitungen anzunehmen, sondern nur bei dem zeitweiligen Ausschluss der Abschiebung aufgrund rechtlicher Verbote oder Hindernisse oder aufgrund tatsächlicher Umstände. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht in jedem Fall die gemeinsame Abschiebung aller Familienmitglieder geboten, wenn auch der in Deutschland verbleibende Teil der Familie in absehbarer Zeit in das gemeinsame Heimatland zurückkehren und dort die Familieneinheit wiederhergestellt werden wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG löst keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG und damit kein vorläufiges Bleiberecht aus. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
5. Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr im Falle einer Abschiebung liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor, sondern es kann sich bei einer aus den besonderen Belastungen der Abschiebung resultierenden Suizidgefahr regelmäßig nur um vorübergehend hindernde Umstände handeln. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 E 21.1645 2021-10-18 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Es kann dahinstehen, ob die nach vollzogener Abschiebung der Antragsteller zu 3, 4 und 5 erhobene und auf Rückführung ins Bundesgebiet gerichtete („Fortsetzungsfeststellungs-“) Beschwerde, die auch der nicht am Verfahren beteiligten Mutter der Antragsteller die Wiedereinreise ermöglichen soll, zulässig ist, sie ist jedenfalls vollumfänglich auch bezüglich der Antragsteller zu 1 und 2 unbegründet.
Soweit die anwaltlich vertretenen Antragsteller beantragen, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2021 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten anzuordnen, obgleich bereits das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren sinngemäß als einen auf Abschiebeschutz gerichteten Eilrechtsantrag nach § 123 VwGO ausgelegt hat, lässt sich das Rechtsschutzbegehren unter Berücksichtigung des geäußerten Rechtsschutzziels, die verbleibenden Familienangehörigen vor Abschiebung zu bewahren und die Familieneinheit durch Rückholung der Abgeschobenen wiederherzustellen, (noch) dahingehend sachgemäß auslegen, den Antragstellern zu 3, 4 und 5 unter Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sowie der nicht am Verfahren beteiligten Mutter der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Wiedereinreise nach Deutschland zu ermöglichen und den Antragstellern (unter Aussetzung von Abschiebungsmaßnahmen hinsichtlich der Antragsteller zu 1 und 2) vorübergehend bis zum Abschluss des Klageverfahrens eine Duldung zu erteilen.
Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nunmehr zu verpflichten wäre, den Antragstellern zu 3, 4 und 5, die am 26. Oktober 2021 nach behördlicher Ablehnung der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25a AufenthG und von Duldungen mit Bescheid vom 6. August 2021 und Erlass des angefochtenen, eine Gewährung von Abschiebungsschutz ablehnenden verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 18. Oktober 2021 zusammen mit ihrer Mutter nach Russland abgeschoben worden sind, sowie der Mutter der Antragsteller die vorläufige Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland zu gestatten, hinsichtlich der Antragsteller zu 1 und 2 aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu untersagen und die Antragsteller vorläufig zu dulden.
Die am … 2003 (Antragsteller zu 1 und 2), am … 2005 (Antragsteller zu 3 und 4) und am … 2008 geborenen Antragsteller, Kinder einer Familie russischer Staats- und tschetschenischer Volkszugehörigkeit, deren Asylverfahren nach Einreise zusammen mit den Eltern im Juli 2013 erfolglos blieb, die nach freiwilliger Ausreise nach Polen im Jahr 2014 daraufhin im September 2015 nach Deutschland zurückkehrten und erneut erfolglos einen Asylfolgeantrag betrieben (ablehnender Bescheid vom 24.01.2017, Klageabweisung mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15.02.2021, vollziehbare Ausreisepflicht seit 23.03.2021), rügen, die Aufenthaltsbeendigung der Antragsteller zu 3, 4 und 5 sei rechtswidrig gewesen und die Antragsteller seien aus rechtlichen Gründen zu dulden. Es komme nicht darauf an, dass die Antragsteller ausreisepflichtig seien und die russischen Behörden Heimreisepapiere erteilt hätten, da der Ausländerbehörde bekannt gewesen sei, dass sich die Mutter der Antragsteller aufgrund psychischer Probleme (posttraumatische Belastungsstörung und schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome gemäß ICD-10 34.1 und 32.2) vom 31. August 2021 bis 19. Oktober 2021 im Bezirksklinikum befunden habe. Während des stationären Aufenthalts der Mutter seien die minderjährigen Kinder (Antragsteller zu 3, 4 und 5) zu dulden gewesen, so dass in dieser Zeit die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25, 25a und 25b AufenthG für die Antragsteller statthaft und begründet gewesen seien. Dass ihnen keine Duldungen ausgestellt worden seien, spiele dabei keine Rolle. Wegen des Anspruches auf Duldung hätten sie auch wirksam Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen können. Es komme nicht darauf an, wann die Anträge gestellt worden seien, die Anträge seien jedenfalls noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden, als die Aufnahme im Bezirksklinikum stattgefunden habe. Auch habe bereits zwischen dem Abschluss des Asylverfahrens und der Zusicherung oder der Erteilung von Heimreisescheinen jedenfalls Duldungspflicht bestanden; dabei könne es nicht darauf ankommen, „wie schnell dieser erteilt“ werde. Aus Blatt 790-792 der Akte ergebe sich eine aufenthaltsrechtliche Beurteilung vom 5. Mai 2021, wonach eine Aufenthaltsbeendigung nicht möglich sei, weil keine Pässe vorlägen und keine Heimreisescheine (Passersatzpapiere) erteilt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt hätte zwingend eine Duldung erteilt werden müssen. Es komme nicht darauf an, dass sie nicht erteilt worden sei. Mit Schreiben vom 11. Mai 2021, zugegangen am 12. Mai 2021, seien die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis gestellt worden. Nachdem die Voraussetzungen der Duldung für die Antragsteller zum Antragszeitpunkt vorgelegen hätten, seien auch die sonstigen Voraussetzungen nach § 25a AufenthG für die Antragsteller bis auf die Antragstellerin zu 5 zu bejahen gewesen, da sie zwischen 14 und 21 Jahre alt seien und seit vier Jahren unterschiedlich erfolgreich in der Schule gewesen seien und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres beantragt hätten. Anhaltspunkte dafür, dass nicht gewährleistet erscheine, dass sie sich aufgrund der bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in diese Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen würden, seien nicht ersichtlich. Zwar ergebe sich, dass die Kinder Probleme in der Schule hätten, aber diese seien nicht so gravierend, dass man von einer Nichtintegration ausgehen müsste. Die Nachweise des Schulbesuchs seien erfolgt und die Schulzeugnisse seien mit Schreiben vom 2. Juli 2021 übersandt worden. Eine Sippenhaft dürfe nicht erfolgen. Selbst schulische Misserfolge Einzelner könnten den Anderen nicht zugerechnet werden. Mit Schreiben vom 29. Juli 2021 sei der Rückführung durch die russischen Behörden zugestimmt worden; zu diesem Zeitpunkt seien die Anträge allerdings allesamt schon gestellt gewesen. Nur hierauf könne es ankommen, da sonst die Behörde durch Verzögerungen einen Rechtserwerb verhindern könnte. Das Verwaltungsgericht gehe fälschlich davon aus, dass den Antragstellern keine Duldungen zu erteilen gewesen wären. Denn aus der Akte ergebe sich, dass bis Juli 2021 gerade keine Aufenthaltsbeendigung möglich gewesen sei. Auch hätten während des Aufenthalts der Mutter im Bezirkskrankenhaus Duldungsgründe vorgelegen, die eine andere Betrachtung zwingend erforderlich gemacht hätten. Die Argumentation, dass eine Aufenthaltsbeendigung auch ohne ein Elternteil möglich sei, sei nicht mit Art. 6 GG und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen habe für die Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung wegen der Anträge nach § 25a Abs. 1 AufenthG vorgelegen. Dabei verkenne das Gericht, dass die Überprüfung dieser Voraussetzungen nicht davon abhängen könne, dass eine Duldungssituation nicht vorliege. Denn es komme nicht darauf an, ob Duldungen erteilt worden und Duldungsbescheinigungen ausgestellt worden seien, sondern lediglich darauf, dass die Antragsteller zu dulden gewesen seien. Der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse stelle eine ausreichende Grundlage für eine Verfahrensduldung dar. Die Argumentation des Gerichts unterliege einem Zirkelschluss und könne letztlich nicht überzeugen. Für die Antragsteller zu 1 und 2, die nicht abgeschoben worden seien, sei genau wie für den Vater, eine Petition zum Bayerischen Landtag eingereicht worden; die Petition sei zwischenzeitlich behandelt und abgelehnt worden. Mit Schreiben vom 22. November 2021 sei für den Vater der Antragsteller eine Duldung beantragt worden, weil „nach dem Gutachten von Exilo“ vom 11. November 2021 Abschiebehindernisse bestünden. Weiter habe der Vater der Antragsteller ein Abschiebehindernis auch durch ärztliches Attest vom 25. November 2021 nachwiesen.
Diese Rügen greifen nicht durch.
Soweit mit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz für die nicht am Verfahren beteiligte Mutter der Antragsteller die Ermöglichung der Wiedereinreise geltend gemacht wird, steht dem schon entgegen, dass die Untersagung deren Abschiebung nicht Streitgegenstand des auf Abschiebeschutz für die Antragsteller gerichteten erstinstanzlichen Eilverfahrens war. Gegen die Zulässigkeit einer (subjektiven) Erweiterung des Streitgegenstands durch Antragsänderung im gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts nach §§ 80, 80a, 123 VwGO gerichteten Beschwerdeverfahren spricht, dass die Beschwerde der Intention des Gesetzgebers zufolge nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und Satz 6 nur zulässig ist, soweit sie der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung dient; dies hat insbesondere dann zu gelten, wenn mit der Antragserweiterung eine wesentliche Änderung der zu prüfenden Gesichtspunkte einhergeht, das Verwaltungsgericht in dem ersten Rechtszug die dort gestellten Anträge vollständig beschieden hat und das Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, nichts anderes gebietet (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 11 CE 16.219 – juris Rn. 17 m.w.N.; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 7/2020, § 91 Rn. 92).
Dahinstehen kann ferner, ob nach vollzogener Abschiebung der Antragsteller zu 3, 4 und 5 der weiter im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Antrag auf Rückführung der Antragsteller ins Bundesgebiet im Wege der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Grundlage eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruches im Hinblick auf die Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz durch Art. 20 Abs. 3 GG und der daraus resultierenden Verpflichtung, einen noch andauernden rechtswidrigen Zustand aufgrund eines hoheitlichen Eingriffs zu beseitigen, im Hinblick auf die weitgehende Identität des Streitstoffs bei dem Antrag auf Aussetzung der Abschiebung und bei dem Antrag auf Ermöglichung der Wiedereinreise sowie im Hinblick darauf, dass eine zwangsweise Abschiebung nicht zu einer Erledigung wegen Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führt (BVerwG, B.v. 13.09.2005 – 1 VR 5/05, 1 VR 5/05/1 C 7/04 – InfAuslR 2005, 462, juris Rn. 2) zulässig ist (vgl. zum Streitstand: BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650 – juris Rn. 20; B.v. 18.12.2017 – 19 CE 17.1541 – juris Rn. 9, jeweils m.w.N.). Der Antrag auf Ermöglichung der Wiedereinreise bleibt in der Sache selbst bei unterstellter Zulässigkeit ohne Erfolg, da sich die vollzogene Abschiebung nicht als offensichtlich rechtswidrig erweist.
Die Antragsteller zu 3, 4 und 5 konnten sich zum Zeitpunkt der Abschiebung weder auf eine wirksame Duldung noch auf ein materiell bestehendes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen; die Antragsteller zu 1 und 2 haben mangels eines Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Die Antragsteller sind nach dem rechtskräftigen Abschluss ihres Asylfolgeverfahrens seit dem 23. März 2021 vollziehbar ausreisepflichtig und die Frist zur freiwilligen Ausreise ist abgelaufen. Sie können sich nicht auf das Vorliegen tatsächlicher oder rechtlicher Abschiebungshindernisse nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen; dies ergibt sich weder aus einem Anspruch auf Verfahrensduldung (1.) noch im Hinblick auf eine Trennung der Familieneinheit bzw. eine geltend gemachte Reiseunfähigkeit des Vaters der Antragsteller (2.).
1. Die Antragsteller hatten und haben keinen sicherungsfähigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG.
Nach § 25a Abs. 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer unter den Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Das gilt grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein „geduldeter Ausländer“ sein muss (vgl. für § 25b AufenthG: BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23 m.w.N.; Röcker in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 25a AufenthG Rn. 9). Ein Ausländer ist geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat.
Die Antragsteller waren zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer Duldung, die Antragsteller zu 3, 4 und 5 waren im Zeitpunkt der Abschiebung ebenfalls nicht geduldet. Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurden die Antragsteller bis zum Tag der Abschiebung auch nicht faktisch geduldet, da die Abschiebung der Antragsteller vom Antragsgegner aktiv betrieben wurde, was schließlich in die tatsächlich erfolgte Abschiebung am 26. Oktober 2021 mündete. Zwar ist eine Duldung grundsätzlich auch dann zu erteilen, wenn die Ausreisepflicht des Ausländers nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann (BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3/97 – juris). Die Unmöglichkeit der Abschiebung ist jedoch nicht schon bei jeder geringen zeitlichen Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen anzunehmen, sondern nur bei dem zeitweiligen Ausschluss der Abschiebung aufgrund rechtlicher Verbote oder Hindernisse oder aufgrund tatsächlicher Umstände außerhalb der administrativen Organisation der Abschiebung (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 60a AufenthG Rn. 22; Hailbronner, AuslR, Stand: 3/2020, § 60a AufenthG Rn. 100). Eine Abschiebung ist nicht bereits dann unmöglich, wenn sie nicht unmittelbar erfolgen kann, sondern die Verwaltung aus verwaltungsorganisatorischen Gründen zunächst noch Vorbereitungen zur Durchführung der Abschiebung treffen muss (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.2021 – 19 B 21.1268 – juris Rn. 33; VG Augsburg, U.v. 12.9.2012 – Au 6 K 12.301 – juris Rn. 18). Vorliegend hat die Behörde nach dem Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise am 22. April 2021 die Aufenthaltsbeendigung weiter betrieben (Antrag auf Durchführung eines Passersatzpapierverfahrens vom 16.4.2021; Ausgabe von Grenzübertrittsbescheinigungen; Aufforderung zur Beschaffung von Identitätsdokumenten vom 28.4.2021). Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die Behörde im Rahmen der Stellungnahme im Zusammenhang mit der Anrufung der Härtefallkommission am 5. Mai 2021 nicht zum Ausdruck gebracht, dass eine Aufenthaltsbeendigung nicht möglich sei, sondern lediglich ausgeführt, dass ein konkreter Rückführungstermin noch nicht feststehe. Nach Anhörung vom 15. Juni 2021 wurde mit Bescheid vom 6. August die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25a AufenthG (Antragsteller zu 1 bis 4) und die Erteilung von Duldungen abgelehnt. Der Ablauf des Verfahrens zeigt somit deutlich auf, dass die Aufenthaltsbeendigung seitens der Behörde konsequent betrieben wurde, so dass keine Anhaltspunkte für ein tatsächliches Abschiebehindernis vorliegen.
Allein der Krankenhausaufenthalt der Mutter führte nicht schon zur Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen für die Antragsteller. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass Art. 6 GG nicht in jedem Fall die gemeinsame Abschiebung sämtlicher Familienmitglieder gebietet. Im Einzelfall kann die getrennte Abschiebung zulässig sein, wenn dies nur zu einer vorübergehenden Trennung der Familienmitglieder für einen überschaubaren Zeitraum führen wird, weil auch der in Deutschland verbleibende Teil der Familie in absehbarer Zeit in das gemeinsame Heimatland zurückkehren und dort die Familieneinheit wiederhergestellt werden wird (vgl. OVG Rh-Pf, B.v. 24.8.2021 – 7 B 10843/21 – juris).
Die Antragsteller zu 3 und 4 hatten zum Zeitpunkt der Abschiebung keinen Anspruch auf dessen Aussetzung wegen des im Beschwerdeverfahren vertieften Vortrags, die Antragsteller hätten die Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erfüllt. Unabhängig von dem Beschwerdevorbringen zum Erfolg des Schulbesuchs der Antragsteller handelte es sich bei den Antragstellern im Zeitpunkt der Abschiebung schon nicht um „geduldete Ausländer“ i.S.v. § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend mangels Vorliegen dieser Voraussetzung einen aus Art. 19 Abs. 4 GG erwachsenden Duldungsanspruch für die Dauer des Verfahrens verneint.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass vorliegend der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG und damit kein vorläufiges Bleiberecht auslöst. Es widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, denen zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens eine Duldung vorzusehen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 10.10.2018 – OVG 3 S 64.18 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 – juris Rn. 6; B.v. 2.5.2006 – 18 B 437/06 – juris Rn. 2; Hailbronner, AuslR, Stand: 10/2021, § 81 AufenthG Rn. 102; zur insoweit vergleichbaren Fallkonstellation bei § 25a AufenthG: BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 C 18.54 – juris Rn. 24). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar nicht nur die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (stRspr., vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2021 – 2 BvR 955/17 -; B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – jeweils juris m.w.N.). Dem Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann dabei aber lediglich eine rechtserhaltende, nicht jedoch eine rechtsbegründende Funktion dergestalt, entgegen der gesetzlichen Regelung nach § 81 Abs. 3, 4 AufenthG die Voraussetzungen eines vorläufig zu sichernden materiellen Anspruchs selbst zu schaffen, zukommen. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen und eine Verfahrensduldung möglich, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – BVerwGE 167, 211-235, Rn. 30). Mithin kann entgegen dem Zulassungsvorbringen mit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG nicht die Tatbestandsvoraussetzung „geduldeter Ausländer“ durch Beanspruchung einer Verfahrensduldung erst geschaffen werden.
Die genannte Ausnahmesituation ist vorliegend nicht gegeben, da die Antragsteller weder im Zeitpunkt der Abschiebung noch aktuell die Voraussetzungen nach § 25a AufenthG erfüllten. Es handelte und handelt sich bei den vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellern nicht um „geduldete Ausländer“ i.S.v. § 25a Abs. 1 AufenthG. Weder zum Zeitpunkt der Abschiebung noch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz waren bzw. sind die Antragsteller geduldet, und das Vorliegen materieller Duldungsgründe ist auch wegen einer sinngemäß geltend gemachten Reiseunfähigkeit des Vaters der Antragsteller nicht ersichtlich (vgl. nachfolgend 2.).
2. Die Abschiebung der Antragsteller erweist sich auch nicht wegen einer geltend gemachten Erkrankung des Vaters der Antragsteller als rechtlich unmöglich.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Eine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen liegt vor, wenn sich aus nationalen Gesetzen, Verfassungsrecht (z.B. Art. 6 GG), Unionsrecht (z.B. Art. 8 EMRK) oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt.
Art. 6 GG gewährt unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt, enthält jedoch die wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu fördern und zu schützen hat, und verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Beziehungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers zur Person, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufzuhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12). Es verstößt nicht gegen das Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG, wenn den Betroffenen zugemutet wird, in das jeweilige Heimatland zu übersiedeln, sofern nicht außerordentliche Umstände eine Rückkehr in das gemeinsame Heimatland unzumutbar machen (vgl. OVG LSA, B.v. 24.2.2010 – 2 M 2/10 – juris Rn. 11). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt nicht vor, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann, da Art. 6 Abs. 1 GG nicht das Recht gewährleistet, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist (BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3/08 – juris Rn. 18; SächsOVG, B.v. 16.12.2010 – 3 B 191/10 – juris Rn. 6).
Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Maßgebend für die Schutzwürdigkeit des Zusammenlebens von erwachsenen Familienangehörigen in einem Haushalt ist vor allem das Maß des angewiesen seins auf die Lebenshilfe, die durch die Familie ihrer Funktion gemäß gewährt wird. Nur wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand ausschließlich in Deutschland erbracht werden kann, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange zurück (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 1367/10 – juris m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Vater der Antragsteller auf die Lebenshilfe der erwachsenen Antragsteller zu 1 und 2 angewiesen wäre.
Abgesehen davon ist ein rechtliches Abschiebungshindernis für den Vater der Antragsteller wegen Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17; B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953; B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; VGH BW, B.v. 1.6.2017 – 11 S 658/17 – juris Rn. 3; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 3/2020, § 60a AufenthG Rn. 57 f.). Wegen der Bindungswirkung nach § 42 AsylG an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG kommen nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953).
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer ärztliche Fachberichte vor, sind diese zum Beweis für ein Abschiebungshindernis nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben, wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – 11 S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zu den prognostizierten Folgerungen kommt und welche Tatsachen dieser Einschätzung zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7).
Der Zweck der gesetzlichen Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.) folgendermaßen umschrieben: „Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind. (…) Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 (die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf § 60 Abs. 7 AufenthG) darstellen. (…) Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert (…). Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren.“
Wenngleich die Einschätzung einer Erkrankung und deren Beeinträchtigung durch den Abschiebungsvorgang nach dem Willen des Gesetzgebers der fachlichen Beurteilung von approbierten Ärzten vorbehalten sein soll, obliegt die Entscheidung über die Unmöglichkeit einer Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit den Ausländerbehörden und Gerichten. Dies macht es erforderlich, dass ein Gutachten nur dann i.S.v. § 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG als qualifiziert anzusehen und zur Glaubhaftmachung geeignet ist, wenn es von der Ausländerbehörde in groben Zügen nachvollzogen werden kann. Erschließen sich die Gründe für die Reiseunfähigkeit des Ausländers nicht schon aus der Diagnose oder sonstigen Feststellungen im ärztlichen Attest von selbst, muss das zur Glaubhaftmachung hierzu vorgelegte ärztliche Attest eine nachvollziehbare Begründung enthalten. Dies gilt vor allem bei diagnostizierten psychischen Erkrankungen oder Störungen, wenn das ärztliche Attest die Reiseunfähigkeit nur behauptet, aber nicht begründet, da die Reisefähigkeit in der Regel durch begleitende Maßnahmen (Verabreichung von Medikamenten, polizeiliche oder ärztliche Begleitung des gesamten Abschiebevorgangs, Übergabe an medizinisches Personal im Herkunftsland) sichergestellt werden kann (vgl. SächsOVG, B.v. 22.8.2019 – 3 B 394/18 – juris Rn. 12-13).
Nach diesen Maßgaben ist für den Vater der Antragsteller die Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufenthG voraussichtlich nicht widerlegt. Bei dem geltend gemachten Gutachten des Heilpraktikers und „Primär- bzw. Traumatherapeuten“ von exilio e.V. handelt es sich schon nicht um eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung. Abgesehen davon wurden die darin vom Vater der Antragsteller geschilderten Foltermethoden ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 15. Februar 2021 im Asylverfahren nicht vorgetragen; als gesundheitliche Probleme wurden in diesem Verfahren für den Vater der Antragsteller keine psychische Erkrankung oder Darmverletzungen infolge der nunmehr geschilderten Foltermethode, sondern „Probleme mit den Nieren“ benannt. Das Verwaltungsgericht ging bereits im Urteil vom 15. Februar 2021 von Steigerungen und Widersprüchen im klägerischen Sachvortrag aus.
Der Arztbrief der psychosomatischen und psychotherapeutischen Abteilung des Uniklinikums E. vom 25. November 2021 verhält sich zur Frage der Reisefähigkeit des Vaters der Antragsteller nicht. Aufgrund der Eigenvorstellung des Patienten wurde darin folgender Befund erhoben: Es ergebe sich nach klinischem Bild und Anamnese des Patienten die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer rezidivierenden depressiven Episode mit gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung. Außerdem bestehe aufgrund der Angaben des Patienten der Verdacht auf das Vorliegen von dissoziativen (Krampf-) Anfällen, deren neurologische Abklärung ausstehe. Aufgrund von Einschränkungen in der sprachlichen Verständigung könne das Vorliegen weiterer krankheitswertiger Symptome nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Aufgrund der deutlich affektiven Symptomatik sei die Aufnahme einer stationären Behandlung empfohlen worden, was der Patient jedoch abgelehnt habe. In dem Arztbrief wird weiter ausgeführt, dass ein gesicherter Aufenthaltsstatus für prognostisch günstig gehalten werde; Suizidabsichten im Fall einer Abschiebung erschienen glaubhaft. Außerhalb der Angst vor Abschiebung erscheine der Patient klar absprachefähig und könne verschiedene Gründe für ein Weiterleben benennen. Wegen Erfolglosigkeit des Asylbegehrens und der Furcht vor einer bevorstehenden Abschiebung versuche der Patient nach eigener Aussage mit verschiedenen Mitteln (Petition, Aufrufe in sozialen Medien, Rechtsberatung, ärztlichen Attesten) eine mögliche Abschiebung zu verhindern.
Der Arztbrief lässt nicht erkennen, ob oder welche ärztlichen Vorbefunde mit einbezogen wurden, vielmehr wird explizit ausgeführt, dass Vorbehandlungen aus dem psychosomatischen bzw. psychotherapeutischen Fachbereich verneint wurden. Die Exploration stützt sich maßgeblich auf die Angaben des Patienten, auf bestehende Sprachschwierigkeiten wird hingewiesen. Die Ausführungen, wonach (trotz angeblich langjährig zurückliegender Traumaerfahrung) Vorbehandlungen aus dem psychosomatischen bzw. psychotherapeutischen Fachbereich nicht existieren, entgegen ärztlicher Empfehlung eine stationäre Behandlung abgelehnt wird, nach eigener Aussage mit allen Mitteln versucht werde, eine Abschiebung zu verhindern, und abgesehen von der Furcht vor Abschiebung suizidale Absichten verneint werden, legen die Vermutung einer Instrumentalisierung eines Krankheitsbildes zur Verhinderung einer Abschiebung nahe. Dass ein gesicherter Aufenthaltsstatus von ärztlicher Seite als prognostisch günstig beurteilt wird, vermag eine konkret drohende, wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer infolge einer Abschiebung nicht zu begründen.
Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr im Falle einer Abschiebung liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 10). Der Antragsgegner ist somit gehalten, im Rahmen der Abschiebung als einer besonderen Belastungs- und Ausnahmesituation einer möglichen (Eigen-) Gefährdung des Ausländers entgegen zu wirken. Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Derartige Vorkehrungen vor Selbstgefährdung werden im Rahmen von Sammelabschiebungen in Form von Begleitung des Abschiebevorgangs durch medizinisches Personal sowie Sicherheitskräfte regelmäßig getroffen.
Die Abschiebung der Antragsteller zu 3, 4 und 5 erweist sich somit als rechtmäßig, die Antragsteller zu 1 und 2 haben einen Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung nicht glaubhaft gemacht. Entsprechend der Behandlung der Petition am 24. November 2021 im Petitionsausschuss, wonach die noch im Bundesgebiet verbliebenen Betroffenen angehalten werden sollen, zeitnah die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zu erklären, da sonst die Abschiebung drohe, ist diese Empfehlung auch nach Auffassung des Senats zu unterstreichen.
Die Kostenentscheidung entspricht § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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