Verwaltungsrecht

Rückwirkende Stufenfestsetzung unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten

Aktenzeichen  3 ZB 18.387

Datum:
11.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15096
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBesG Art. 30 Abs. 1 S. 2, Art. 103, Art. 106 Abs. 1 S. 2
VwGO § 86 Abs. 3, 124 Abs. 2 Nr. 5
RL 2000/78/EG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Überleitungsregelung des Art. 106 Abs. 1 S. 2 BayBesG ist europarechtskonform. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 16.2731 2017-12-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2017 für das verwaltungsgerichtliche Verfahren auf 2.486,52 € und für das Antragsverfahren auf 2.545,20 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Es liegt kein Verfahrensfehler vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Ans. 2 Nr. 5 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.
Gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass unklare Anträge erläutert und sachdienliche Anträge gestellt werden. Durch entsprechende Hinweise müssen die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres besseren Überblicks dem Kläger, zumal wenn er – wie hier – nicht anwaltlich vertreten ist, bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann. Die Pflicht des Vorsitzenden, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, erstreckt sich aber nicht auf die Anregung zur Stellung von seiner Meinung nach offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Anträgen (BVerwG, B.v. 1.7.2013 – 4 B 10.13 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Ausgehend davon kann hier ein Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO nicht festgestellt werden. Der Vorsitzende der erkennenden Kammer des Verwaltungsgerichts war nicht gehalten, auf eine (isolierte) Antragstellung bezogen auf eine rückwirkende Stufenfestsetzung unter Berücksichtigung der Zeiten, in denen der Kläger Soldat war, hinzuwirken.
Der Kläger wurde nach der Überleitungsregelung des Art. 106 Abs. 1 Satz 2 BayBesG mit Inkrafttreten des Bayerischen Besoldungsgesetzes zum 1. Januar 2011 derjenigen Stufe seiner Besoldungsgruppe zugeordnet, die dem Betrag des am 31. Dezember 2010 zustehenden Grundgehalts entsprach. Zwar wurde der Kläger als Beamter der Besoldungsordnung A nach § 27 Abs. 1 BBesG in der Neufassung des Bundesbesoldungsgesetzes vom 6. August 2002 (BGBl I, 3020) bei der erstmaligen Stufenfestlegung im Jahr 2004 benachteiligt, weil das Besoldungsdienstalter danach generell am Ersten des Monats, in dem der Beamte das 21. Lebensjahr vollendet hat, begann und mithin Vordienstzeiten, die vor dem 21. Lebensjahr lagen, nicht berücksichtigt werden konnten. Diese Benachteiligung aufgrund des Lebensalters verstieß gegen die Richtlinie 2000/78/EG (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2011 – Hennigs und Mai – C-297/10 u.a. – juris). Die schlichte betragsmäßige Überleitung der Besoldungsansprüche von Beamten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Besoldungsregelung bereits ernannt waren, setzte ihre Benachteiligung aufgrund des Lebensalters fort. Diese Regelung ist jedoch i.S.v. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt, weil sie der Wahrung des Besitzstands dieser Beamten dient und eine rückwirkende Einstufung der Beamten nach Maßgabe eines unionsrechtskonformen Systems übermäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen würde und überaus kompliziert und fehlerträchtig wäre. Zwar wäre es auch möglich gewesen, das neue Einstufungssystem im Interesse einer materiellen Beseitigung der Altersdiskriminierung rückwirkend auf sämtliche Bestandsbeamte anzuwenden oder hierfür eine Übergangsregelung zu schaffen. Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Denn die nachträgliche individuelle Feststellung von Vordienstzeiten wäre in Anbetracht der hohen Zahl von Beamten, der Länge des betroffenen Zeitraums, der Verschiedenheit der jeweiligen Laufbahnen und der Schwierigkeiten, die sich bei der Bestimmung der Vordienstzeiten ergeben könnten, übermäßig kompliziert und in erhöhtem Maß fehleranfällig gewesen. Der Europäische Gerichtshof hat diese besonderen administrativen Schwierigkeiten als ausreichend gewichtig angesehen und nationale Vorschriften, wie hier Art. 106 BayBesG, als europarechtskonform angesehen (EuGH, U.v. 19.6.2014 – Specht – C-501/12 – juris Rn. 86; vgl. auch BVerwG, U.v. 30.10.2014 – 2 C 6.13 – juris Rn. 68 ff. zum Landesrecht Sachsen-Anhalt).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund bot eine Klage auf rückwirkende Stufenfestsetzung unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten des Klägers als Soldat auf Zeit keinerlei Aussicht auf Erfolg. Der Vorsitzende hat damit zu Recht nicht auf eine entsprechende Antragstellung hingewirkt.
Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 103 BayBesG, wonach das Bayerische Besoldungsgesetz auch für die sog. Bestandsbeamten gilt. Der Kläger meint, dass vor der betragsmäßigen Überleitung nach Art. 106 BayBesG hätte geprüft werden müssen, ob die Stufe zur Vermeidung einer Altersdiskriminierung neu festzusetzen ist. Er berücksichtigt aber nicht, dass nach Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BayBesG eine Stufenfestsetzung unter Berücksichtigung der in Art. 31 BayBesG genannten Vordienstzeiten nur bei der erstmaligen Begründung eines Beamtenverhältnisses in Betracht kommt und damit für Bestandsbeamte keine Geltung beansprucht.
2. Der Kläger hat auch keine ernstlichen Zweifel im Sinne des Art. 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht. Der Bestandsbeamte kann sich, wie bereits ausgeführt, nicht auf Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BayBesG berufen. Die Perpetuierung der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Lebensalters ist durch die betragsmäßige Überleitung nach Art. 106 BayBesG gerechtfertigt (BVerwG, U.v. 30.10.2014 a.a.O.). Darüber hinaus besteht auch keine selbständige Ungleichbehandlung durch die zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen besoldungsrechtlichen Regelungen, nach denen nach diesem Zeitpunkt ernannte Beamte bei der Stufenfestsetzung keiner Altersdiskriminierung mehr unterliegen. Denn deren Besserstellung ist die unmittelbare und untrennbare Folge der – nach den obigen Ausführungen rechtmäßigen – Überleitungsregelung des Art. 106 Abs. 1 Satz 2 BayBesG.
3. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47 Abs. 1, 2 und 3, § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG ist der Streitwert bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis der dreifache Jahresbetrag dieser Leistungen. Im Falle des Streits um die Höhe ergibt sich der Streitwert dementsprechend aus dem dreifachen Jahresbetrag der begehrten Erhöhung. Damit beträgt der Streitwert für das verwaltungsgerichtliche Verfahren 2.486,52 € (69,07 € x 36) und für das Antragsverfahren 2.545,20 € (70,70 x 36). Die erstinstanzliche Festsetzung war von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG zu ändern.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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