Verwaltungsrecht

Schließung eines Haarentfernungsinstituts wegen Corona

Aktenzeichen  20 NE 20.2550, 20 S 20.2807

Datum:
27.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32985
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6, § 123
8. BayIfSMV § 12 Abs. 2 S. 2, S. 3
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a
GG Art. 2

 

Leitsatz

1. Die Untersagung des Betriebs körpernaher Dienstleistungen – hier eines Haarentfernungsstudios – erscheint wegen des starken pandemischen Geschehens nicht unverhältnismäßig, zumal Entschädigungszahlungen vorgesehen sind. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit Friseure weiter öffenen dürfen, erscheint diese Ungleichbehandlung nicht sachwidrig. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird im Hinblick auf den unter Ziff. II. des Schriftsatzes vom 5. November 2020 gestellten Hilfsantrag abgetrennt, unter dem Aktenzeichen 20 S 20.2807 fortgeführt und an das Bayerische Verwaltungsgericht München verwiesen.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird bis zur Abtrennung des Verfahrens 20 S 20.2807 auf 15.000,00 Euro und ab der Abtrennung auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt der Antragsteller, den Vollzug von § 12 Abs. 2 Satz 2 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (8. BayIfSMV, BayMBl. Nr. 616, geändert mit Verordnung vom 12.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 639), einstweilen auszusetzen.
2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
㤠12
Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
(1) …
(2) Für Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr gilt Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4. Dienstleistungen, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, sind untersagt (zum Beispiel Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios). Abweichend von Satz 2 sind Dienstleistungen des Friseurhandwerks unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zulässig.
…“
Die 8. BayIfSMV ist seit dem 2. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).
3. Der Antragsteller, der in Bayern ein kosmetisches Haarentfernungsinstitut betreibt, hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 5. November 2020 beantragt, die o.g. Vorschrift außer Vollzug zu setzen, soweit sie den Betrieb von Haarentfernungsinstituten untersagt. Hilfsweise hat er die einstweilige Feststellung beantragt, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV der Dienstleistung der Haarentfernung mit Lichtwellentechnologie nicht entgegensteht.
Er trägt zur Begründung insbesondere vor, die Betriebsschließung sei unverhältnismäßig und offensichtlich gleichheitswidrig. Die Verordnung sei mangels hinreichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage unwirksam. Außerdem sei der mit der angegriffenen Norm verbundene Eingriff in die Rechte des Antragstellers jedenfalls nicht erforderlich. Es gebe keine Erkenntnisse zu den Infektionsrisiken bei der vom Antragsteller praktizierten Haarentfernung durch Lichtwellenbehandlung. Im Gegenteil belege die Zulassung von Friseurdienstleistungen, bei denen die Distanz zwischen Kunde und Dienstleister noch geringer sei als im Betrieb des Antragstellers, die infektiologische Vertretbarkeit einer solchen Dienstleistung. Schließlich handele es sich um eine nicht sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Friseurbetrieben. Der Antragsgegner könne diese Ungleichbehandlung auch nicht auf einen vermeintlichen Bedarf der Bevölkerung stützen. Der erste „Lockdown“ habe bewiesen, dass ein Leben auch ohne Friseur möglich sei. Hinzu komme, dass der Behandlungserfolg einer dauerhaften Haarentfernung erheblich gefährdet werde, falls die notwendigen Behandlungszyklen nicht eingehalten wurden. Einen Friseurtermin könne man dagegen jederzeit ohne weiteres nachholen. Bei einer Folgenabwägung sei zu berücksichtigen, dass die in Aussicht gestellten staatlichen Entschädigungszahlungen im Fall des Antragstellers keine Wirkung entfalteten, da dessen finanzieller Schaden voraussichtlich erst dann entstehen werde, wenn die angegriffene Maßnahme bereits beendet sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 17. November 2020 hat der Antragsteller sein Vorbringen bekräftigt und vertieft.
Mit Schreiben vom 25. November 2020 hat der Verwaltungsgerichtshof den Antragsteller darauf hingewiesen, dass für den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag voraussichtlich das Verwaltungsgericht München zuständig sein dürfte; der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 26. November 2020 erklärt, an seinen Anträgen festzuhalten.
4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Hauptantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV hat keinen Erfolg.
a) Der Senat hat mit Beschluss vom 11. November 2020 (Az. 20 NE 20.2485 – juris) im Rahmen einer Folgenabwägung den Antrag abgelehnt, § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV vorläufig außer Vollzug zu setzten. Dabei ist er von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen. Auf diese Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend Bezug genommen. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Notlage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2392) fest. Zwar ergänzt § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG für Betriebsschließungen ein Regelbeispiel für eine notwendige Schutzmaßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die Anwendung von § 28a IfSG auf die 8. BayIfSMV wirft aber zahlreiche Rechtsfragen auf, die derzeit im Eilverfahren nicht abschließend zu klären sind.
Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris) und der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088) haben Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegen Betriebsschließungen nach der 8. BayIfSMV im Rahmen von Folgenabwägungen abgelehnt.
b) Der Antragsteller hat letztlich keine Gründe vorgetragen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Die Ausnahme zu Gunsten von Friseurbetrieben (§ 12 Abs. 2 Satz 3 8. BayIfSMV) erweist sich jedenfalls nicht als offensichtlich gleichheitswidrig (so auch BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088 – Rn. 33; BayVGH, B.v. 11.11.2020 – 20 NE 20.2485 – juris Rn. 34); im Übrigen hätte selbst das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung für diese Privilegierung nicht ohne weiteres zur Folge, dass sich andere körpernahe Dienstleistungen ebenfalls darauf berufen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793 – juris Rn. 39). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit nah am Körper des Kunden ausgeführten Dienstleistungen – zu denen auch die Haarentfernung gehört – keine erhöhte Infektionsgefahr bestünde, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch nicht erkennbar.
c) Bei der Folgenabwägung überwiegen – weiterhin – die Interessen der Allgemeinheit am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Normbetroffenen an einer vorläufigen Außervollzugsetzung. In der gegenwärtigen Situation der Pandemie – die sich seit der oben in Bezug genommenen Senatsentscheidung vom 11. November 2020 (Az. 20 NE 20.2485 – juris) nicht wesentlich verändert hat (vgl. RKI, Lagebericht vom 26.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Con-tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-26-de.p-df? blob=publicationFile; vgl. auch Tagesreport des RKI mit den Daten des DIVI-Intensivregisters, Stand 26.11.2020, abrufbar unter https://www.intensivregis-ter.de/ …reporting) – fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten schwerer ins Gewicht als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen der Normadressaten, zumal die Bundesregierung einen Ausgleich wirtschaftlicher Verluste der Betriebe in Aussicht gestellt hat (vgl. auch BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 12 ff.; BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088 – Rn. 41). Dass der Antragsteller nach eigenem Vortrag von den in Aussicht gestellten Hilfen voraussichtlich nicht oder zumindest nicht vollumfänglich profitieren wird, steht einer Berücksichtigung dieser Ausgleichszahlungen im Rahmen einer Folgenabwägung, die alle Normadressaten zu erfassen hat, nicht entgegen.
2. Nachdem der Hauptantrag erfolglos bleibt, ist der vom Antragsteller gestellte Hilfsantrag auf einstweilige Feststellung, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV dem Betrieb eines Haarentfernungsinstituts nicht entgegenstehe, nach § 93 Satz 1 VwGO abzutrennen und an das nach § 45 VwGO für einen Antrag auf einstweilige Feststellung nach § 123 VwGO sachlich zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 83 Satz 2 VwGO).


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