Verwaltungsrecht

Sicherheitsrechtliche Anordnung auf Unterlassung von Ruhestörungen

Aktenzeichen  10 ZB 15.2168

Datum:
29.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 44270
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
OwiG § 117 Abs. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine erhebliche Lärmbelästigung der Nachbarschaft iSd § 117 Abs. 1 OwiG kann nach objektiven Maßstäben auch ohne Messung festgestellt werden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine sicherheitsrechtliche Anordnung, Musik, Filme, Hörspiele und andere gleichwertige Medien nur in “Zimmerlautstärke” abzuspielen, ist – auch ohne zeitliche Begrenzung – hinreichend bestimmt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 14.1378 2015-08-11 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung der Nummern 1. und 5. des Bescheides des Beklagten vom 31. Juli 2014 weiter. Der Beklagte hat den Kläger darin verpflichtet, das überlaute Abspielen von Musik, Filmen, Hörspielen und anderer gleichwertiger Medien zu unterlassen und die Kosten für diese Anordnung zu tragen.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.). Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht hinreichend dargelegt (2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 1814 – juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall. Zur Begründung der Klageabweisung bezüglich Nummer 1. des Bescheides vom 31. Juli 2014 hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf den Gerichtsbescheid vom 23. April 2015 ausgeführt, dass die Anordnung hinreichend bestimmt sei, weil deren Einhaltung vom Kläger selbst auf einfache Weise kontrolliert werden könne. Eine Schallpegelmessung müsse nicht durchgeführt werden. Gegen den Kläger sei bereits ein Bußgeldbescheid nach § 117 OWiG ergangen. Nicht nur die Nachbarn, sondern auch andere Personen hätten am 15. April 2014, am 2. Mai 2014 und am 3. Juli 2014 die vom Kläger verursachten Geräusche wahrgenommen.
Zur Begründung des Zulassungsantrages bringt der Kläger vor, dass der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten in entscheidenden Punkten viel zu ungenau bzw. unbestimmt sei. Die Formulierung „unzumutbare Lautstärke“ deute auf ein subjektives Empfinden, nicht jedoch eine konkrete, gemessene Lautstärke hin. Der Bescheid müsse einen konkreten Messwert als Obergrenze beinhalten, um ausreichend bestimmt zu sein. Insbesondere sei es dem Kläger nicht zumutbar, zur Grundstücksgrenze zu gehen, um die Lautstärke seines Tonmediums zu kontrollieren. Der Bescheid lasse zudem keinerlei Ausnahmen zu, unabhängig davon, ob das Abspielen von Musik während der Woche oder am Wochenende, privat oder anlässlich einer Feierlichkeit stattfinde. Er enthalte auch keinerlei konkrete Ausführungen dazu, inwieweit das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit zu beanstanden gewesen sei. Der Beklagte stütze sich überwiegend auf die Aussagen der Nachbarn, zu denen ein schlechtes Verhältnis bestehe. Es hätte in jedem Fall eines konkreten Nachweises bedurft, dass der Kläger bestimmte Lautstärkegrenzen überschritten habe und zwar bestimmt nach Ort, Zeit und Lautstärke. Es könne dem Kläger nicht angelastet werden, dass es ihm aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen sei, sich gegen den ergangenen Bußgeldbescheid zur Wehr zu setzen.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Entscheidung des Erstgerichts jedoch nicht ernsthaft in Zweifel.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Rechtsgrundlage für die angegriffene Anordnung in Nummer 1. des Bescheides vom 31. Juli 2014 Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i. V. m. § 117 OWiG ist. Der Kläger hat ordnungswidrig gehandelt, weil er ohne berechtigten Anlass und in nach den Umständen vermeidbarem Ausmaß durch das Abspielen von lauter Musik seine Nachbarschaft erheblich belästigt hat. Dies steht fest aufgrund des Bußgeldbescheides des Landratsamtes T. vom 7. Juli 2014, wonach der Kläger am 15. April 2014 zwischen 18.30 Uhr und 20.30 Uhr sowie am 2. Mai 2014 zwischen 9.00 Uhr und 20.15 Uhr überlaut Musik abgespielt hat. Der Bußgeldbescheid beruht im Übrigen nicht nur auf den Angaben der betroffenen Nachbarn. Vielmehr haben auch Angehörige der Polizeiinspektion T., die von den Nachbarn zu Hilfe gerufen wurden, bestätigt, dass der Lärm, der vom Grundstück des Klägers ausging, objektiv dazu geeignet war, selbst vor Beginn der Nachtzeit als massiv ruhestörend empfunden zu werden. Diese beiden Vorfälle sind auch in den Gründen des Bescheides vom 31. Juli 2014 angeführt, so dass die Einlassung des Klägers, der Bescheid enthalte keine konkreten Ausführungen dazu, inwieweit ein konkretes Verhalten von ihm in der Vergangenheit zu beanstanden gewesen wäre, nicht zutreffend ist. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger auch in Zukunft laute Musik abspielt, seine Nachbarschaft erheblich beeinträchtigt. Schließlich hat er in der Vergangenheit trotz zahlreicher Anzeigen seiner Nachbarn und Belehrungen durch die Polizei sein Verhalten nicht geändert.
Ebenso hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass eine erhebliche Lärmbelästigung und der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 117 Abs. 1 OWiG nicht nur dann vorliegen, wenn durch eine Messung festgestellt worden ist, dass ein bestimmter Immissionsrichtwert überschritten ist. § 117 OWiG umfasst insbesondere den Schutz vor Alltagslärm z. B. durch Grölen oder überlaute Musik. Ob eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft durch Lärmeinwirkungen im Sinn des § 117 OWiG vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben zu bestimmen, wobei es auf eine besondere Sensibilität oder Unempfindlichkeit der betroffenen Personen nicht ankommt. Eine Belästigung kann unabhängig von der Tageszeit eintreten. Während der üblichen Entspannungs- und Ruhezeiten und in Erholungsgebieten sind geringere Anforderungen an die Erheblichkeit als zu den anderen Zeiten zu stellen (Weiner in Beck´scher Online-Kommentar, OWiG, Stand 15.10.2015, § 117 Rn. 5). Es ist gerichtlich geklärt, dass eine objektiv unzumutbare Ruhestörung durch Musik auch ohne Schallpegelmessung festgestellt werden kann (KG Berlin, B.v. 30.3.2000 – 2 SS 53/00 – 5 WS (B) 177/00 u. a. – juris RdNr. 4 m. w. N.). Zwar ist den in Regelwerken wie der TA-Lärm enthaltenen Immissionsrichtwerten im Regelfall in Bezug auf die Erheblichkeit gesundheitsschädlicher Umwelteinwirkungen eine indizielle Bedeutung beizumessen. Der Tatbestand des § 117 Abs. 1 OWiG wird aber nicht nur dann verwirklicht, wenn der Lärm gesundheitsschädigend ist, sondern es reicht eine lärmbedingte erhebliche Belästigung aus. Die Erheblichkeit und Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr lässt sich daher nicht nach der Höhe eines messbaren Geräuschpegels bestimmen (vgl. für Hundegebell BayVGH, U.v. 1.12.1998 – 21 B 88.01683 – juris Rn. 24 m. w. N.; NdsOVG, B.v. 5.7.2013 – 11 ME 148/13 – juris Rn. 12).
Rechtliche Bedenken gegen die angefochtene Anordnung ergeben sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Ein Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt, wenn der Inhalt der getroffenen Regelung für den Adressaten – zumindest aufgrund einer Auslegung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände und nach Treu und Glauben – so vollständig, klar und unzweideutig ist, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 5. Aufl. 2014, § 37 Rn. 5 ff.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Aus dem Bescheidstenor ergibt sich, dass der Kläger Musik, Filme, Hörspiele und andere gleichwertige Medien nur in Zimmerlautstärke abspielen darf. Mit dem Begriff „Zimmerlautstärke“ ist zwar nicht denknotwendig ein bestimmter Emissionspegel verbunden, weil die baulichen Gegebenheiten von Gebäuden unterschiedlich ausfallen. Zimmerlautstärke bedeutet daher, dass ein Geräusch oder Lärm außerhalb einer Wohnung, besonders in Räumen ober-, unterhalb oder neben der störenden Schallquelle, kaum noch wahrnehmbar sein soll. Die Geräusche sollen auf das Zimmer begrenzt bleiben, in dem die Lärmquelle liegt. Der Beklagte hat insoweit im Tenor der Anordnung sogar noch erläuternd hinzugefügt, dass der Begriff der Zimmerlautstärke vorliegend so zu verstehen ist, dass der Lärm außerhalb des Grundstücks des Klägers nicht mehr wahrnehmbar ist.
Einer zeitlichen Begrenzung der Anordnung in Nummer 1. des Bescheides vom 31. Juli 2014 bedurfte es nicht. Eine Belästigung kann unabhängig von der Tageszeit eintreten. Überschreitet der Lärm die Grenze zur Belästigung, so ist er den Nachbarn und der Allgemeinheit auch während der Tagzeit oder an Wochenenden nicht zuzumuten. Allerdings ist die Lärmerregung während der üblichen (und notwendigen) Entspannungszeiten und in Erholungsgebieten besonders lästig, so dass hier schon eine geringere Lärmerregung, die während des Alltagslärms verschluckt wird und deshalb nicht erheblich ist, als eine erhebliche Belästigung gewertet werden kann (Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 117 Rn. 12).
Der Beklagte hat auch sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat in den Bescheidsgründen erläutert, dass mehrmals von unterschiedlichen Personen ein erheblicher Lärm durch Musik aus dem Haus des Klägers auf der Straße festzustellen war. Der Kläger ist bereits mehrfach von der Polizei belehrt worden. Er zeigte sich jedoch
jedes Mal uneinsichtig und bestand darauf, dass er die Musik erst ab 22.00 Uhr leiser drehen müsse. Zu Recht hat der Beklagte auch darauf abgestellt, dass die Anordnung, Musik nur in einer bestimmten Lautstärke abzuspielen, das mildeste in Betracht kommende Mittel zur Vermeidung weiterer Ordnungswidrigkeiten nach § 117 Abs. 1 OWiG darstellt. Eine Sicherstellung der Musikabspielgeräte, die der Beklagte wohl mit der ursprünglichen Nr. 3 des Bescheides vom 31. Juli 2014 beabsichtigte, wäre ein ebenso geeignetes Mittel, das aber mit einer schwerwiegenden Belastung für den Kläger verbunden wäre.
2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Hierzu müsste der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung einer klärungsbedürftigen Frage. Sollte der Kläger mit der Formulierung, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, inwieweit eine Behörde in ein nachbarschaftliches Verhältnis ihrer Bürger eingreifen könne, das Verhältnis von § 1004 BGB i. V. m. § 906 BGB zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften gemeint sein, ist diese Frage nicht klärungsbedürftig. Es ist gerichtlich geklärt, dass auch in Nachbarschaftsstreitigkeiten die Ordnungsbehörde eine sicherheitsrechtliche Anordnung erlassen kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG vorliegen. Den allgemeinen Sicherheitsbehörden kommt auch dann eine Befugnis zum Einschreiten zu, wenn es um den Schutz privater Rechte geht (BayVGH, B.v. 10.8.2009 – 11 CE 09.1795 – juris Rn. 11 m. w. N.)
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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