Verwaltungsrecht

Soldaten-Anwärterin – Rückforderung des Ausbildungsgeldes

Aktenzeichen  6 ZB 17.158

Datum:
21.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138444
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 55 Abs. 4, § 56 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2

 

Leitsatz

Eine Sanitätsoffizier-Anwärterin, die ihr unter Beurlaubung vom militärischen Dienst begonnenes Studium der Humanmedizin nicht durch Antritt zur Zweiten Staatsprüfung abschließt, sondern stattdessen ohne Genehmigung für ein Zusatzsemester mit einer zweiten Doktorarbeit beginnt, führt ihre Entlassung grob fahrlässig herbei. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 14.1250 2016-07-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juli 2016 – M 21 K 14.1250 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 119.141,02 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung des ihr als Sanitätsoffizier-Anwärterin gewährten Ausbildungsgeldes in Höhe von 119.141,02 €. Sie war am 1. Januar 2000 als Anwärterin für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes in die Bundeswehr eingestellt und in das Soldatenverhältnis auf Zeit berufen worden. Das Dienstzeitende war zuletzt auf den 31. Dezember 2016 festgesetzt worden. Ab dem 5. Oktober 2000 studierte die Klägerin unter Beurlaubung vom militärischen Dienst Humanmedizin an einer Universität. Nach dem Sommersemester 2005 trat sie nicht zur Zweiten Staatsprüfung an, sondern begann ohne Genehmigung für ein Zusatzsemester mit einer zweiten Doktorarbeit. Mit Bescheid vom 14. Juni 2006 wurde sie deswegen nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG mangels Eignung zum Sanitätsoffizier aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit entlassen. Nachdem ein erster Leistungsbescheid vom Verwaltungsgericht wegen fehlerhafter Anwendung der Härtefallregelung des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG aufgehoben worden war (VG München, U.v. 16.3.2012 – M 21 K 10.1076), forderte die Beklagte mit – neuem – Leistungsbescheid vom 24. Januar 2013 die Klägerin zur Erstattung des ihr gewährten Ausbildungsgeldes in Höhe von 119.141,02 € unter Gewährung einer verzinslichen Stundung auf. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juli 2016 für unbegründet erachtet und abgewiesen. Der – neue – Leistungsbescheid sei dem Grunde wie der Höhe nach rechtmäßig. Insbesondere habe die Klägerin ihre Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG grob fahrlässig herbeigeführt. Im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens hat die Beklagte ihren Leistungsbescheid dahingehend abgeändert, dass keine Stundungszinsen erhoben werden (Schriftsatz vom 18.9.2017).
Die Einwände, die der Zulassungsantrag dem erstinstanzlichen Urteil entgegen hält, rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Soweit sie mit der Rüge ernstlicher Zweifel und grundsätzlicher Bedeutung die Erhebung von Stundungszinsen betreffen, sind sie dadurch überholt, dass die Beklagte ihren Bescheid insoweit mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. April 2017 – 2 C 16.16 – aufgehoben und dem Klagebegehren dadurch abgeholfen hat; die insoweit aufgeworfenen Fragen können sich daher in einem Berufungsverfahren nicht mehr entscheidungserheblich stellen. Soweit der Zulassungsantrag sich mit der Rüge ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, die Klägerin habe ihre Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG grob fahrlässig herbeigeführt, bleibt er in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SG muss eine frühere Soldatin auf Zeit in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes das ihr als Sanitätsoffizier-Anwärterin gewährte Ausbildungsgeld – unter anderem dann – erstatten, wenn sie ihre Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG grob fahrlässig herbeigeführt hat. Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht zutreffend bejaht. Der Senat teilt insbesondere die Ansicht, dass die Klägerin ihre auf § 55 Abs. 4 SG gestützte Entlassung, die bestandskräftig geworden ist und deshalb keiner inzidenten Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegt (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2017 – 6 ZB 16.1519 – juris Rn. 5 ff.), grob fahrlässig herbeigeführt hat.
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Soldaten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Soldaten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2017 – 2 C 22.16 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 18.5.2010 – 15 B 08.3111 – juris Rn. 16; B.v. 1.6.2017 – 6 ZB 17.903 – juris Rn. 6, jeweils m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin ihre Entlassung grob fahrlässig herbeigeführt. Das hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung (unter ergänzender Bezugnahme auf sein Urteil vom 16.3.2012 – M 21 K 10.1076 – S. 13 ff.) überzeugend dargelegt. Die Klägerin ist unter schwerwiegendem Verstoß gegen die vom Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegten Weisungslage (Rahmenerlass 1998) nicht nach dem Sommersemester 2005 zum Zweiten Staatsexamen angetreten, sondern hat ohne entsprechende Genehmigung ein Zusatzsemester absolviert und sich ihrer zweiten Doktorarbeit gewidmet. Damit hat sie ihre Pflicht zum zügigen Abschluss ihres – vom Dienstherrn durch Ausbildungsgelder finanzierten – Studiums offenkundig grob verletzt. Das ist in subjektiver Hinsicht als besonders schwerwiegend zu beurteilen, auch wenn die Klägerin – wie das Verwaltungsgericht zu ihren Gunsten entgegen der Auffassung des Zulassungsantrags durch Bezugnahme auf sein Urteil vom 16.3.2012 – M 21 K 10.1076 – S. 13 unterstellt – rechtzeitig einen entsprechenden Antrag gestellt haben sollte (der bei der zuständigen Stelle allerdings erst im Februar 2006 eingegangen ist). Denn es lag für jeden Sanitätsoffizier-Anwärter in der Situation der Klägerin auf der Hand, sich vor einer eigenmächtigen Verlängerung des Studiums nach dem Verfahrensstand zu erkundigen und in jedem Fall eine Genehmigung abzuwarten. Das gilt umso mehr, als die Klägerin nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zuvor ihr gesamtes Studium in enger Abstimmung mit ihrer Betreuungseinheit durchgeführt hat und ihr bekannt war, dass für eine Promotion grundsätzlich gerade kein zusätzliches Semester gewährt wird (U.v. 16.3.2012 – M 21 K 10.1076 – S. 14).
Die mit dem Zulassungsantrag vorgebrachten Erwägungen können den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht erschüttern und bedürfen keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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