Verwaltungsrecht

Sperrzeiten und Lärmschutz – Fürther Gustavstraße kommt nicht zur Ruhe

Aktenzeichen  22 CS 16.1713

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GastV § 7 Abs. 1
GastG GastG § 5 Abs. 1
SperrzeitVO § 1 Abs. 1, Abs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 123

 

Leitsatz

Gegen die Annahme, an die Stelle einer ungültigen Sperrzeitverordnung könne im vorliegenden Fall ohne Weiteres die TA Lärm treten, sprechen sowohl der Anwendungsbereich der TA Lärm als auch deren Regelungszweck. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 S 16.1076 u. a. 2016-08-08 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte; die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsteller wehren sich gegen Lärmbeeinträchtigungen, die von gastronomischen Betrieben der Beigeladenen ausgehen. Der Antragsteller zu 1 ist Miteigentümer zweier Anwesen in der Gustavstraße in Fürth, dem Antragsteller zu 2 gehört dort ein weiteres Anwesen; die Anwesen werden (auch) zum Wohnen genutzt. Die Gaststätten befinden sich unweit der Anwesen der Antragsteller; zu jeder Gaststätte gehört eine Freischankfläche in der Gustavstraße. Das streitgegenständliche Gebiet in der Innenstadt der Antragsgegnerin ist im aktuell gültigen Bebauungsplan als Mischgebiet festgesetzt; den textlichen Festsetzungen zufolge ist allerdings in der Gustavstraße der Betrieb einer „Schank- und Speisewirtschaft“, soweit dieser nach dem Gaststättengesetz (GastG) erlaubnispflichtig ist, grundsätzlich nicht zulässig; die textlichen Festsetzungen enthalten hierzu Ausnahmen und weitere Einzelregelungen. Die Gustavstraße liegt im Geltungsbereich der Verordnung der Antragsgegnerin über die Sperrzeit von Freischankflächen von Gaststätten (im Folgenden: SperrzeitVO/Freischankflächen) vom 17. Juni 1996 (Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 12 vom 21.6.1996), nach deren jüngster Änderung (Verordnung vom 31.1.2012, Amtsbl. Nr. 3 vom 15.2.2012) die Sperrzeit für den Gaststättenbetrieb im Freien auf öffentlichen Verkehrsflächen (Sondernutzungen) und privaten Flächen grundsätzlich von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr dauert.
Die Beigeladenen haben für ihre Freischankflächen Gaststättenerlaubnisse, die in Bezug auf die streitgegenständlichen Sperrzeiten folgenden Inhalt haben:
– Beigeladene zu 1, 2, 4 und 5: Jeweils eine Gaststättenerlaubnis (vom 19.3.2009 bzw. 29.7.2015 bzw. 10.5.2016 bzw. 22.1.2015), die bezüglich der Sperrzeit für die Freischankfläche auf die SperrzeitVO/Freischankflächen der Antragsgegnerin verweist;
– Beigeladener zu 3: Gaststättenerlaubnis vom 30. März 2001, in der (als Auflage Nr. 4 Buchst. b) der Beginn der Sperrzeit für die Freischankfläche auf täglich um 23:00 Uhr festgelegt ist.
Um die Lärmbeeinträchtigungen in der Gustavstraße werden seit Jahren zahlreiche Rechtsstreitigkeiten geführt. Der Antragsteller zu 1 hat hierbei die Verpflichtung der Antragsgegnerin erstritten, über geeignete Maßnahmen zur Begrenzung der durch die Gaststätten verursachten Lärmimmissionen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs neu zu entscheiden (zuletzt BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 -, rechtskräftig). In der Folgezeit ergriff die Antragsgegnerin verschiedene Maßnahmen zur Lärmminderung. U. a. erließ sie jeweils unter dem 23. Mai 2016 gegenüber den Beigeladenen einen zwangsgeldbewehrten, für sofort vollziehbar erklärten Bescheid, der überschrieben ist mit „Vollzug des Gaststättengesetzes (GastG) – Erteilung von Auflagen gemäß § 5 Abs. 1 GastG; Sperrzeitfestsetzung nach § 1 Abs. 3 Sperrzeitverordnung“. Mit diesen Bescheiden – ausgenommen den Bescheid gegenüber dem Beigeladenen zu 3 – wird jeweils der in der aktuellen Gaststättenerlaubnis enthaltene Verweis auf die SperrzeitVO/Freischankflächen ersetzt durch eine individuelle Sperrzeitfestsetzung für die Freischankfläche wie folgt: Von Sonntag bis Donnerstag: 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr; an Freitagen, Samstagen und Tagen, die einem gesetzlichen Feiertag vorausgehen: 23:00 Uhr bis 07:00 Uhr. Der Bescheid gegenüber dem Beigeladenen zu 3 enthält (anstelle der Ersetzung einer Verweisung auf die SperrzeitVO/Freischankflächen) die unmittelbare Festsetzung der Sperrzeit für die Freischankfläche, die indes bezüglich der Tage und Uhrzeiten mit den Regelungen in den gegenüber den übrigen Beigeladenen erlassenen Bescheiden übereinstimmt. Die Bescheide enthalten weitere, nähere Bestimmungen (Vorbehalt der Möglichkeit einer Zulassung von Ausnahmen, Pflichten des Erlaubnisinhabers).
Die Antragsteller haben gegen die Bescheide vom 23. Mai 2016 Klagen erhoben; der Antragsteller zu 1 wendet sich hierbei nur gegen die Bescheide gegenüber den Beigeladenen zu 1 und 2, der Antragsteller zu 2 gegen die Bescheide gegenüber den Beigeladenen zu 3, 4 und 5. Beide – im erstinstanzlichen Verfahren nicht durch Bevollmächtigte vertretene – Antragsteller haben zudem vorläufigen Rechtsschutz begehrt und beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach wörtlich beantragt, „entsprechend § 80a Abs. 5 VwGO die Vollziehung auszusetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte zu treffen, da die Stadt Fürth die sofortige Vollziehung der Bescheide angeordnet hat; die aufschiebende Wirkung der Bescheide insoweit wieder herzustellen, als sich die Gestattungen auf den Sperrzeitbeginn nach 22:00 Uhr beziehen“.
Das Verwaltungsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 8. August 2016 abgelehnt und hierzu u. a. ausgeführt, die Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Klagen seien offen, die Abwägung der widerstreitenden Interessen falle indes zu Ungunsten der Antragsteller aus. Die Antragsteller haben gegen diesen Beschluss – soweit er die Beigeladenen zu 1, 2, 4 und 5 betrifft – Beschwerde eingelegt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II. Die Beschwerden der Antragsteller sind zulässig, haben in der Sache aber keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe rechtfertigen im Ergebnis keine Änderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
1. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren sind der gegenüber dem (früheren) Beigeladenen zu 3 ergangene Bescheid und der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit er diesen Bescheid betrifft, nicht Streitgegenstand. Die Antragsteller haben zwar mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 22. August 2016 uneingeschränkt Beschwerde gegen den Beschluss vom 8. August 2016 eingelegt; sie haben die Anträge und die Begründung aber einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Anträge, die sodann mit Schriftsatz vom 12. September 2016 gestellt wurden, beziehen sich ausdrücklich nur auf die Bescheide, die gegenüber den Beigeladenen zu 1, 2, 4 und 5 ergangen sind (vgl. Schriftsatz vom 12.9.2016, Antrag Nr. 1 auf S. 2 oben).
2. Die Antragsteller haben den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. August 2016 ausschließlich mit der Begründung angegriffen, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht ordnungsgemäß begründet worden; außerdem sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nachrangig gegenüber dem Interesse der Antragsteller daran, dass die angegriffenen Bescheide vorerst nicht vollzogen würden. Auf Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. September 2016, wonach nach derzeitiger Einschätzung die Bescheide vom 23. Mai 2016 keine Beschwer der Antragsteller enthielten, versuchten die Antragsteller mit weiterem Schriftsatz vom 3. Oktober darzulegen, dass die Bescheide eine die Antragsteller belastende Regelung darstellten.
Auf die Prüfung dieser geltend gemachten Gründe ist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt; zu einer darüber hinausgehenden Prüfung ist er grundsätzlich weder verpflichtet noch berechtigt. Unabhängig davon, ob die von den Antragstellern geltend gemachten Rechtmäßigkeitsbedenken in Bezug auf die Begründung der sofortigen Vollziehung der Bescheide vom 23. Mai 2016 (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und ihre Einwände gegen die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts berechtigt sind, können die Antragsteller mit ihrer Beschwerde deswegen nicht durchdringen, weil die von ihnen angegriffenen, in den Bescheiden vom 23. Mai 2016 getroffenen Regelungen, deren Wirksamkeit durch Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage vorerst gehemmt werden könnte, keine die Antragsteller belastenden Maßnahmen darstellen, so dass sie Gegenstand einer Anfechtungsklage mit dem Ziel sein könnten, durch Aufhebung der belastenden Maßnahme die mit ihr bewirkte Rechtsverletzung zu beseitigen (vgl. § 42 Abs. 1 Alternative 1, Abs. 2, § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1. In Bezug auf den Bescheid, der gegenüber dem Beigeladenen zu 3 ergangen ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass insoweit eine den Antragsteller zu 2 (nur er hat sich gegen diesen Bescheid gewandt) belastende Regelung nicht Gegenstand des angegriffenen Bescheids ist. Es hat deshalb den auf diesen Bescheid bezogenen Antrag des Antragstellers zu 2 folgerichtig als unzulässig abgelehnt (Beschluss vom 8.8.2016, S. 16 unten, vor Nr. 3).
2.2. Den übrigen vier Bescheiden hat das Verwaltungsgericht „in ihrem angegriffenen Umfang“ eine begünstigende Wirkung zugunsten der Beigeladenen und dementsprechend eine belastende Wirkung gegenüber den Antragstellern beigemessen (Beschluss vom 8.8.2016, S. 15/16). Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts versteht der Verwaltungsgerichtshof so, dass nach Ansicht des Verwaltungsgerichts die mit den angegriffenen Bescheiden für gewisse Tage (Freitage und Tage vor einem Sonntag oder einem gesetzlichen Feiertag) bei Freischankflächen festgelegte Sperrzeit (23:00 Uhr bis 7:00 Uhr) für die beigeladenen Gastwirte eine begünstigende – und dementsprechend für die Antragsteller eine belastende – Regelung darstelle. Diese Begünstigung bzw. Belastung liege darin, dass der Beginn der Sperrzeit an diesen Tagen mit den angegriffenen Bescheiden auf eine spätere Uhrzeit festgelegt werde, als er ohne die angegriffenen Bescheide läge. Denn der an diesen Tagen normalerweise, ohne die Bescheide geltende Sperrzeitbeginn sei nicht der von der Antragsgegnerin erlassenen SperrzeitVO/Freischankflächen zu entnehmen. Diese Verordnung sei nämlich nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, die dem rechtskräftigen Bescheidungsurteil vom 25. November 2015 – 22 BV 13.1686 – entnommen werden könne und von der Antragsgegnerin bei der Umsetzung des Urteils beachtet werden müsse, rechtswidrig und deshalb nicht anzuwenden. Das Verwaltungsgericht meint sodann mit seinem Hinweis auf die TA Lärm anscheinend, die Antragsgegnerin müsse bei ihrer erneuten Entscheidung über die von den Antragstellern begehrten Lärmminderungsmaßnahmen anstelle ihrer – als rechtswidrig anzusehenden – SperrzeitVO/Freischankflächen gewissermaßen die TA Lärm anwenden in der Weise, dass die Sperrzeit identisch mit der für Mischgebiete geltenden Nachtzeit gemäß Nr. 6.4 Abs. 1 TA Lärm (Beginn der Nachtzeit um 22:00 Uhr) festzusetzen sei. Diese Erwägungen begegnen aus verschiedenen Gründen rechtlichen Bedenken.
2.2.1. Die „Quasi-Ersetzung“ einer rechtswidrigen, gerade für Freischankflächen geltenden Sperrzeitenverordnung durch die Nachtzeitenbestimmung der TA Lärm ist deshalb fragwürdig, weil sich die TA Lärm für Freischankflächen, auch wenn sie lediglich als Annex eines in einem Gebäude befindlichen Lokals bestehen, keine unmittelbare Geltung beimisst. Diese in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2010 (4 B 9.10 – BRS 76 [2010] Nr. 188) stehende Rechtsansicht hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in den Beschlüssen vom 17. September 2014 (22 CS 14.2013 – GewArch 2014, 485 Rn. 8) und vom 30. September 2014 (22 B 14.267 – BA Rn. 5) zu erkennen gegeben und im Urteil vom 25. November 2015 – 22 BV 13.1686 – bekräftigt (Rn. 53 ff.). Er hat darüber hinaus ausgeführt, dass die vollständige Herausnahme einer Anlage aus dem Anwendungsbereich der TA Lärm als Klarstellung des Vorschriftengebers zu verstehen ist, dass die Beurteilungsmaßstäbe der TA Lärm für sie nicht passen, so dass einzelne Vorschriften der TA Lärm (lediglich) entsprechend angewendet werden können, soweit dies mit ihrer besonderen Eigenart vereinbar ist (BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – juris, Rn. 60 m. w. N.). Das Gebot, die TA Lärm als Instrument zur Bekämpfung des von Freischankflächen ausgehenden Lärms zurückhaltend und nur in besonderen Fällen einzusetzen, schließt es aus, die in der TA Lärm enthaltenen Bestimmungen, die Beginn und Ende der Nachtzeit in den jeweiligen Gebieten regeln, ohne weiteres an die Stelle ungültiger Sperrzeitenfestsetzungen zu setzen. Abgesehen davon wirkt die TA Lärm, die keine Rechtsnormqualität hat, nicht unmittelbar zulasten bzw. zugunsten eines Privaten.
Gegen die – der Handhabung durch das Verwaltungsgericht zugrundeliegende – Annahme, an die Stelle einer ungültigen Sperrzeitverordnung könne ohne weiteres die TA Lärm treten, spricht auch, dass nicht nur der Anwendungsbereich, sondern auch der Regelungs- bzw. Normzweck der TA Lärm einerseits und einer Sperrzeitverordnung andererseits sich unterscheiden. Während die TA Lärm (nur) dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche sowie der Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche dient (vgl. Nr. 1 Abs. 1 TA Lärm), geht der Zweck einer Sperrzeitregelung erheblich darüber hinaus: Eine aus § 18 GastG folgende Einschränkung der Berufsausübung des Gastwirts dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Nachtruhe, der Volksgesundheit, der Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs und dem Arbeitsschutz; dieser Schutzzeck stimmt weitgehend mit dem des § 5 GastG überein (Metzner, GastG, 5. Aufl. 1995, § 18 Rn. 4 m. w. N.; Michel/Kienzle/Pauly, GastG, 14. Aufl. 2003, § 18 Rn. 7 m. w. N.).
Dem kann vorliegend nicht entgegengehalten werden, der Verwaltungsgerichtshof habe im genannten Urteil vom 25. November 2015 – 22 BV 13.1686 – seine Rechtsauffassung dahingehend kundgetan, dass die Antragsgegnerin beim Ergreifen verschiedener Maßnahmen zur Erreichung der – gebotenen – Lärmreduzierung auf ein zumutbares Maß tatsächlich und rechtlich in der Lage sein könnte, hierfür an bestimmten Tagen in der Gustavstraße die Voraussetzungen für einen späteren Beginn der Nachtzeit als 22:00 Uhr zu schaffen. Wie sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im genannten Urteil entnehmen lässt (Rn. 79 bis 103), sind für das Hinausschieben der Nachtzeit nach Nr. 6.4 TA Lärm in formeller Hinsicht wie auch in Bezug auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen andere Anforderungen zu beachten als bei der Verschiebung der Sperrzeit.
2.2.2. Bei Unwirksamkeit der SperrzeitVO/Freischankflächen der Antragsgegnerin wäre die Rechtslage folgendermaßen: Die von der Antragsgegnerin erlassene SperrzeitVO/Freischankflächen beruht auf der Ermächtigung durch § 18 Abs. 1 GastG i. V. m. § 1 Abs. 4 und § 10 der Verordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes – GastV – in der Fassung vom 22. Juli 1986 (GVBl S. 295) und trifft in § 1 Abs. 1 SperrzeitVO/Freischankflächen eine von § 8 Abs. 1 GastV abweichende Regelung, indem die Sperrzeit für den Gaststättenbetrieb auf öffentlichen Verkehrsflächen (Sondernutzungen) und privaten Flächen im Freien wie Wirtschaftsgärten und Terrassen auf 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr festgesetzt wird. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die – im Fall der Ungültigkeit der SperrzeitVO/Freischankflächen geltende – Rechtslage für die beigeladenen Gastwirte vorteilhafter und für die Antragsteller (noch) ungünstiger wäre als die mit der SperrzeitVO/Freischankflächen bezweckte Regelung. Es gälte dann nämlich lediglich die allgemeine Sperrzeit nach § 7 Abs. 1 GastV (sog. „Putzstunde“ zwischen 5:00 Uhr und 6:00 Uhr). Anders wäre es nur, wenn die – möglicherweise ungültige – derzeitige SperrzeitVO/Freischankflächen eine Vorgängerverordnung hätte, die in Bezug auf denselben Regelungsgegenstand eine für die Antragsteller günstigere Bestimmung enthielte und insoweit an die Stelle der ungültigen Norm treten könnte. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.
2.2.3. Außer Frage steht, dass die Antragsgegnerin gehalten ist, das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 2015 – 22 BV 13.1686 – umzusetzen und dass sie insbesondere dann, wenn der infolge der Ungültigkeit der SperrzeitVO/Freischankflächen eingetretene „Übergangszustand“ den Schutz der Nachbarschaft vor Lärm noch weniger bewirken kann als die (unzureichende) Verordnung, verpflichtet ist, diesen Schwebezustand zu beseitigen. Wenn die Antragsgegnerin dieser Verpflichtung nachkommt, dies aber aus der Sicht der Antragsteller nur unzureichend geschieht, haben die getroffenen Maßnahmen gleichwohl einen die Antragsteller begünstigenden Charakter, auch wenn die Antragsteller „mehr“ verlangen können.
2.3. Erwägungen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebieten es nicht, den vorliegend angegriffenen Bescheiden eine die beigeladenen Gastwirte (an Freitagen und Tagen vor Sonntagen und Feiertagen) begünstigende und – im Umkehrschluss – die Antragsteller belastende Wirkung beizumessen, um deren Anfechtungsklage einen gegebenenfalls im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherstellbaren Suspensiveffekt beizumessen. Denn die Antragsteller haben gerichtlichen Rechtsschutz begehrt, weil sie die von der Antragsgegnerin zu ihrem Schutz vor Lärm ergriffenen Maßnahmen für unzureichend halten, nämlich den mittels einer Nebenbestimmung zur Gaststättenerlaubnis für die Wochentage Montag bis Donnerstag verfügten Beginn der Sperrzeit um 22:00 Uhr auch an den restlichen Tagen fordern. Diese (noch weitergehende) Belastung der beigeladenen Gastwirte – die einer noch weitergehenden Begünstigung der Antragsteller entspricht, können die Antragsteller aber nicht mit einer Anfechtung der Bescheide vom 23. Mai 2016 erreichen, sondern allein mit einer Verpflichtungsklage und – im vorläufigen Rechtsschutz – mit einem Antrag nach § 123 VwGO.
2.4. Eine Auslegung oder Umdeutung der von den Antragstellern erstinstanzlich gestellten Anträge in Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO im Beschwerdeverfahren ist dem Verwaltungsgerichtshof nicht nur wegen der Beschränkung auf das Beschwerdevorbringen verwehrt. Sie wäre auch nicht sachgerecht, weil es bislang an einem konkreten prozessualen Antrag sowie an jeglichem Vortrag der Antragsteller dazu fehlt, dass die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung erfüllt sind (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, grundsätzliches Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Auch im Schriftsatz vom 3. Oktober 2016 tragen die Antragsteller diesbezüglich nichts vor. Sie machen lediglich erneut ausführlich geltend, dass die von der Antragsgegnerin nunmehr getroffene Sperrzeitenregelung dem gebotenen Lärmschutz der Antragsteller nicht ausreichend Rechnung trage. Dies betrifft aber nicht die prozessuale Frage, in welchem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Antragsteller ihr Begehren verfolgen können und ob insbesondere die besonderen prozessualen Voraussetzungen eines Antrags nach § 123 VwGO gegeben sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO; im Beschwerdeverfahren hat sich der Antragsteller zu 2 nicht mehr gegen drei, sondern nur noch gegen zwei Bescheide vom 23. Mai 2016 gewandt, was die Kostenbelastung beider Antragsteller zu gleichen Teilen rechtfertigt. Es entspricht außerdem im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen; sie haben im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und das Verfahren nicht durch eigenen Vortrag gefördert.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG (angelehnt an die Festsetzung durch die Vorinstanz, die für jeden der angegriffenen – dort 5 – Bescheide einen Streitwert von 3.750 € für angemessen erachtet hat).


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