Verwaltungsrecht

Sperrzeitverkürzung für Gaststätten zur Fußball-EM – “Public-Viewing”

Aktenzeichen  AN 4 E 16.01009

Datum:
22.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EM LärmschV
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
GastG GastG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 18
BayGastV BayGastV § 8 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Gaststätten einschließlich der Freischankflächen sind als nicht genehmigungspflichtige Anlagen nach dem BImSchG so zu betreiben, dass vermeidbare Umwelteinwirkungen verhindert werden. Dieses Gebot ist drittschüztend (vgl. VGH München BeckRS 2014, 56717). (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch unter Berücksichtigung der eigens für die Fußball-EM 2016 zur Ermöglichung des sog. Public-Viewing erlassenen Lärmschutzverordnung ist das der Behörde eingeräumte Ermessen nicht auf Null reduziert, eine Sperrzeitverkürzung für die Übertragung der EM-Spiele im Freien zu erteilen, wenn der Schutz der Anwohner in besonders sensiblen Gebieten dem entgegensteht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt im Verfahren nach § 123 VwGO sinngemäß die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm für die Freischankfläche seiner konzessionierten Gaststätte („…“) in der Gustavstraße im Stadtgebiet der Antragsgegnerin Sperrzeitverkürzung zu gewähren, damit dort von ihm im Rahmen öffentlicher Fernsehdarbietungen auch über die geltenden Sperrzeitregelungen hinaus die Möglichkeit für seine Gäste geschaffen werden könne, Direktübertragungen der Spiele der Fußball-Europameisterschaft 2016 im Freien zu verfolgen. Er verweist diesbezüglich insbesondere auf die Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien über die Fußball-EM 2016 (EM2016LärmSchV) vom 17. Mai 2016, gültig seit 18. Mai 2016 bis 31. Juli 2016. Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 25. November 2015, Az.: 22 BV 13.1686 (der Antragsteller war in dem genannten Verfahren Beigeladener), vertretene Rechtsauffassung habe keinerlei Auswirkung auf die Genehmigungsfähigkeit einer Sperrzeitverkürzung anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2016.
Dieser Antrag ist unbegründet und, wie von der Antragsgegnerin begehrt, abzulehnen.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzungen für den Erlass einer stattgebenden Entscheidung durch das Gericht ist die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (besondere Eilbedürftigkeit), was hier zu bejahen ist, und eines Anordnungsanspruchs (hohe Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines materiellen Anspruchs). Ein Anordnungsanspruch ist im vorliegenden Fall jedoch nicht glaubhaft gemacht.
Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Sperrzeitverkürzung für einzelne Betriebe durch die Gemeinde ist § 8 Abs. 2 BayGastV vom 23. Februar 2016 i. V. m. § 18 GastG. Danach kann die Gemeinde im Ermessenswege bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse die Sperrzeit innerhalb eines von § 8 Abs. 2 BayGastV vorgegebenen Rahmens verlängern, verkürzen oder aufheben. Bei der Handhabung des der Behörde eingeräumten Ermessens kann bzw. muss diese jedoch unter anderem die vom Gaststättenbetrieb ausgehenden bzw. zu erwartenden schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. d. BImschG sowie andere Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit berücksichtigen (vgl. etwa Michel/Kienzle, GastG, § 18, Rn. 27).
Gaststätten, einschließlich ihrer Freischankflächen, sind immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungspflichtige Anlagen, die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, verhindert werden. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG wiederholen und bekräftigen dieses Gebot. Wie sich unter anderem aus der Erwähnung der Nachbarschaft in § 3 Abs. 1 BImSchG ergibt, besteht das Erfordernis, umweltschädliche Einwirkungen zu vermeiden, nicht nur im Interesse des Allgemeinwohls, sondern auch betroffener Einzelpersonen, sie besitzen deshalb drittschützenden Charakter (vgl. etwa BayVGH, B. v. 17.9.2014 – 22 CS 14.2013 – juris).
Eigens aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich vom 10. Juni bis 10. Juli 2016 hat die Bundesregierung mit der eingangs erwähnten Verordnung (EM2016LärmSchV) auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 Satzteil 1 BImSchG Vorschriften zum Schutz gegen Lärm geschaffen, der von Freizeitanlagen und ähnlichen Anlagen ausgeht, auf denen im Freien Fernsehsendungen über die Fußball-Europameisterschaft 2016 öffentlich dargeboten werden (so genannte „Public-Viewing“-Veranstaltungen). Nach § 2 der genannten Verordnung sind die unter den Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Anlagen, wozu auch die Freischankflächen von Gaststätten gehören, so zu errichten und zu betreiben, dass bei öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien die Immissionsrichtwerte nach § 2 Abs. 2 der Sportanlagenlärmschutzverordnung auch unter Einrechnung der Geräuschimmissionen anderer solcher Anlagen nicht überschritten werden, wobei verschiedene Bestimmungen der Sportanlagenlärmschutzverordnung ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt werden. In der amtlichen Begründung hierzu (Bundesratsdrucksache 148/16) wird unter anderem ausgeführt: Zwar würden die Anforderungen für Freizeitanlagen und Freiluftgaststätten, wo öffentliche Fernsehdarbietungen im Freien angeboten werden könnten, konkretisiert durch die so genannte Freizeitlärmrichtlinie der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 6. März 2015, diese LAI-Freizeitlärmrichtlinie könne aber trotz ihrer fachlichen Validität keine rechtliche Verbindlichkeit vermitteln; insbesondere enthalte diese keine Regelungen, die den Besonderheiten der Fußball-Europameisterschaft 2016 mit ihren 23 Spieltagen vom 10. Juni bis 10. Juli 2016 (bei acht spielfreien Tagen innerhalb von 31 Tagen) und ihren öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien Rechnung tragen würden. Um die erforderliche Rechts- und Planungssicherheit für so genannte „Public-Viewing“-Veranstaltungen zur Fußball-Europameisterschaft 2016 einheitlich im gesamten Bundesgebiet zu erreichen, sei der Erlass der EM2016LärmSchV geboten gewesen. Mit der Einfügung des § 6 in die Sportanlagenlärmschutzverordnung vom 9. Februar 2006 (BGBl I S. 324), auf den in § 2 Abs. 2 EM2016LärmSchV verwiesen werde, sei es den zuständigen Behörden ermöglicht worden, für internationale und nationale Sportveranstaltungen von herausragender Bedeutung im öffentlichen Interesse Ausnahmen von den Bestimmungen des § 5 Abs. 5 der Sportanlagenlärmschutzverordnung zuzulassen. Ob in jedem Einzelfall aber auch eine Ausnahme gerechtfertigt sei und zugelassen werden, sei damit noch nicht entschieden. Vielmehr stehe die Zulassung einer Ausnahme von den Bestimmungen des § 5 Abs. 5 der Sportanlagenlärmschutzverordnung im Ermessen der zuständigen Behörden. Es bestehe kein Anspruch auf die Zulassung, sondern lediglich ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, das an die Wahrung des öffentlichen Interesses gebunden sei. In diesem Rahmen seien auch die privaten Belange zu berücksichtigen, die den Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche betreffen. Das Ergebnis der Ermessensausübung sei deshalb nur einzelfallbezogen unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte und der örtlichen Verhältnisse zu erzielen. Dadurch sei auch gewährleistet, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Lärm nicht zu befürchten seien.
Dies alles zugrunde gelegt, liegt es im pflichtgemäßem Ermessen der Antragsgegnerin, die begehrte Sperrzeitverkürzung zu gewähren oder zu versagen. Die konkrete Ermessensausübung ist dabei vom Verwaltungsgericht lediglich im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar.
Voraussetzung für die Bejahung eines Anordnungsanspruchs im oben genannten Sinn und damit Voraussetzung für den Erlass einer stattgebenden Entscheidung im vorliegenden Verfahren nach § 123 VwGO wäre hier, dass eine Ermessensreduzierung dahin festzustellen wäre, dass von vorneherein nur eine einzige Entscheidung der Behörde als ermessensgerecht angesehen werden könnte, nämlich die Gewährung der beantragten Sperrzeitverkürzung (so genannte Ermessensreduzierung auf Null). Das erkennende Gericht vermag jedoch auch unter Würdigung des Vorbringens der Antragstellerseite keine hinreichenden Gesichtspunkte für eine derartige Ermessensreduzierung zu erkennen.
Die Gaststätte des Antragstellers (mit Freischankfläche) liegt in der Gustavstraße in … im Bereich eines durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebietes, in dem sogar ausdrücklich die Wohnnutzung als besonders schutzbedürftig ausgestaltet worden ist. Beim erkennenden Gericht und beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof waren seit Jahren zahlreiche Verfahren anhängig bzw. sind solche Verfahren nach wie vor anhängig, bei denen der Lärmschutz für die Anwohner im Bereich der Gustavstraße jeweils einen Hauptstreitgegenstand bildete bzw. bildet. Die komplexen tatsächlichen und rechtlichen Einzelheiten sind den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens im Einzelnen bekannt, sie können und müssen im vorliegenden Eilverfahren nicht – ein weiteres Mal – erörtert und vertieft werden. In der Gesamtabwägung all dessen kann aus Sicht des Gerichts jedenfalls, auch unter besonderer Berücksichtigung der EM2016LärmSchV, keine Rede davon sein, dass allein die Erteilung der beantragten Sperrzeitverkürzung die einzig rechtmäßige Ermessensentscheidung darstellen würde. Hieran ändert sich auch nichts deswegen, weil die Antragsgegnerin – unbestrittenermaßen – bei vergleichbaren sportlichen Großereignissen in den zurückliegenden Jahren Public-Viewing-Übertragungen im Freien zugelassen hat und weil sie ferner – ebenfalls unbestrittenermaßen – aus Anlass der gegenwärtigen Europameisterschaft in anderen (!) Teilen ihres Stadtgebietes, d. h. außerhalb des besonders sensiblen Bereichs der Gustavstraße, Public-Viewing-Übertragungen zulässt.
Nach alledem ist der Antrag abzulehnen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben