Verwaltungsrecht

Statthaftigkeit einer Feststellungsklage (§ 43 VwGO) bzw. eines Antrags nach § 123 VwGO bei Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG bzw. des § 12 Abs. 1 der 12.BayIfSMV, Gleichbehandlung eines Schuhgeschäftes mit Ladengeschäften, die inzidenzunabhängig betrieben werden dürfen, „kaschierte“ Normenkontrolle, Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Gesetzes als entscheidungserhebliche Vorfrage im Verwaltungsprozess

Aktenzeichen  B 7 E 21.508

Datum:
3.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9600
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a
VwGO § 123
VwGO § 43
VwGO § 47
12.BayIfSMV § 12

 

Leitsatz

1. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines formellen Bundesgesetzes ist im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage nur zulässig, wenn es sich bei der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes um eine entscheidungserhebliche Vorfrage des Verwaltungsprozesses handelt, nicht aber, wenn die Verfassungsmäßigkeit des formellen Bundesgesetzes zur Hauptfrage wird.
2. Ist die Verfassungsmäßigkeit der formellen Bundesnorm die eigentliche Hauptfrage, so wandelt sich die Feststellungklage zu einer als inzidenten Normenkontrolle kaschierten prinzipalen Normenkontrolle, über die die Verwaltungsgerichtsbarkeit wiederum nur im Rahmen des § 47 VwGO – und damit nicht gegen förmliche Bundesgesetze – zur Entscheidung berufen sind.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihr Schuhfachgeschäft nach den gleichen Regelungen betreiben zu dürfen, die für „inzidenzunabhängige“ Öffnungen von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handelsangebote gem. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV gelten.
Die Antragstellerin betreibt in … ein Einzelhandelsfachgeschäft für Schuhe mit einer Fläche von ca. 2.450 m². Aufgrund der Vorgaben in den Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen muss die Antragstellerin seit dem 16.12.2020 das Schuhfachgeschäft in Kulmbach geschlossen halten. Nach der Entscheidung des BayVGH vom 31.03.2021 (20 NE 21.540) war es der Antragstellerin lediglich erlaubt, in der Zeit vom 01. bis zum 10.04.20210 das Ladengeschäft für den Kundenverkehr zu öffnen.
Mit Schriftsatz vom 29.04.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, beantragt der Bevollmächtigte der Antragstellerin,
festzustellen, dass die Antragstellerin einstweilen berechtigt ist, ihr Einzelhandelsschuhfachgeschäft in …, …, nach den gleichen Regelungen zu betreiben, die für die in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 1 IfSG und in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV aufgeführten Geschäfte gelten.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin als Betreiberin eines Ladengeschäfts mit Kundenverkehr für Handelsangebote unterliege den Verboten und Beschränkungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 und Satz 7 der 12. BayIfSMV und des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG. Bei einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 sei für den Betrieb von Schuhgeschäften gem. § 12 Abs. 1 Satz 7 Nr. 2 der 12. BayIfSMV nur „Click& Meet“ erlaubt. Diese Beschränkung des Bayerischen Verordnungsgebers sei in § 28b IfSG nicht enthalten und gehe insoweit über § 28b IfSG hinaus. Bei einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 100 und 150 gelte gem. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 Buchst. b IfSG für den Betrieb von Schuhgeschäften zusätzlich, dass Kunden nur eingelassen werden dürften, wenn sie ein negatives Ergebnis eines vor höchstens 24 Stunden vorgenommenen PCR-Tests, POC-Antigentest oder Selbsttest in Bezug auf eine Infektion mit dem Corona-Virus nachweisen (Click& Meet& Test, § 12 Abs. 1 Satz 7 Nr. 3 der 12. BayIfSMV). Diese Beschränkung sei vom Bayerischen Verordnungsgeber und vom Bundesgesetzgeber gleichlautend geregelt. Bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 150 bestehe ein totales Öffnungsverbot gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 der 12. BayIfSMV und gem. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbs. 1 IfSG. Aufgrund der vorgenannten Verbote und Beschränkungen mache die Antragstellerin die Verletzung ihrer Rechte zumindest aus Art. 3 GG, Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit), Art. 14 GG (eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb) sowie Art. 2 Abs. 1 GG geltend.
Gegenüber einem negativen Feststellungsantrag, mit dem subjektive Rechtspositionen geltend gemacht werden, und der nicht auf die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm gerichtet sei, entfalte insbesondere § 47 VwGO keine Sperrwirkung. Ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis sei gegeben. Die Antragstellerin wolle geklärt wissen, wie § 12 Abs. 1 der 12. BayIfSMV und § 28b Abs. 1 IfSG den Betrieb ihrer Verkaufsstelle regele. Die Anwendung der 12. BayIfSMV und des IfSG sei Sache der Kreisverwaltungsbehörden und damit des Antragsgegners. Die Antragstellerin habe ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Klärung, ob sie ihr Einzelhandelsschuhfachgeschäft nach den gleichen Regelungen, die für die in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 1 IfSG und in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV aufgeführten Geschäfte gelten, betreiben dürfe. Da § 12 Abs. 1 der 12. BayIfSMV und § 28b Abs. 1 Nr. 4 IfSG selbstvollziehend seien, also nicht darauf angelegt seien, dass ihre Geltung durch einen zwischengeschalteten Verwaltungsakt konkretisiert werde, sei der Antragstellerin eine Klärung im ansonsten verbleibenden Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zuzumuten. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main habe mit Beschluss vom 16.03.2021 (5 L 623/21.F) die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO, in dem es um Verbote und Beschränkungen des Einzelhandels nach § 3a Abs. 1 der Hessischen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung gegangen sei, ebenso begründet.
Der Antrag sei begründet. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich aus der Verletzung der Grundrechte aus Art. 3 GG, Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 1 GewO, aus Art. 14 GG in Gestalt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG (Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips). § 12 Abs. 1 der BayIfSMV und § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG verstießen in mehrfacher Hinsicht gegen höherrangiges Recht. Diese Bestimmungen ignorierten den Inhalt der Entscheidung des BayVGH vom 31.03.2021 (20 NE 21.450). Ein Verstoß gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz sei unterer mehreren Gesichtspunkten gegeben, insbesondere schon deswegen, weil Schuhgeschäfte in mehrfacher Hinsicht der Grundversorgung der Bevölkerung – genauso wie die gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV bzw. gem. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 1 IfSG genannten Ladengeschäfte – der Grundversorgung der Bevölkerung und gesundheitsbezogenen Bedürfnissen dienten. Dies habe der BayVGH in seinem Beschluss vom 31.03.2021 ausdrücklich klargestellt. Obgleich der Verordnungsgeber diese Entscheidung gekannt habe, habe dieser deren Begründung und Bedeutung völlig ignoriert und die Entscheidung als „schleichende Ausweitung der inzidenzunabhängig geöffneten Ladengeschäfte auf weitere Branchen wie zuletzt Schuhgeschäfte“ – quasi als Urteilsschelte – abqualifiziert. Vielmehr hätten jedoch Schuhgeschäfte in die enumerative Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV und des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 1 IfSG aufgenommen werden müssen. Ferner sei der Gleichheitssatz verletzt, weil Geschäfte des Lebensmittelhandels für den allgemeinen Publikumsverkehr inzidenzunabhängig geöffnet seien und ohne Beschränkungen Schuhe verkaufen dürften, sofern mehr als 50% des Geschäfts im Verkauf von Lebensmitteln liege. Dies stelle eine sachwidrige Ungleichbehandlung dar, da hierfür kein Sachgrund gegeben sei. Berücksichtigungsfähig seien dabei allein infektionsschutzrechtlich relevante Tatbestände, Umstände und Gesichtspunkte am Maßstab des Ziels, mit den Öffnungsverboten eine weitere Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern. Infektiologisch mache es aber keinen Unterschied, ob ein Schuh in einem Lebensmittelgeschäft oder in einem Schuhgeschäft erworben werde, zumal das Geschäft der Antragstellerin sogar über eine großzügigere Verkaufsfläche verfüge als ein Lebensmittelgeschäft. Bei Geltung gleicher Auflagen sei infektiologisch kein Unterschied gegeben. Es bestünde zudem eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Schuhmachergeschäften, die gem. § 12 Abs. 1 Satz 8 der 12. BayIfSMV wieder zugelassen seien, jedoch auch nicht selbst hergestellte Schuhe verkaufen würden. Auch die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Geschäften im Sinne des § 12. Abs. 1 Satz 2 der BayIfSMV, insbesondere im Verhältnis zu Buchhandlungen, sei unter Infektionsschutzgesichtspunkten beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar.
§ 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG und § 12 Abs. 1 der 12. BayIfSMV verstießen darüber hinaus gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und damit gegen das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip (wird umfassend ausgeführt). Daneben bestehe für § 12 Abs. 1 der 12. BayIfSMV keine wirksame Ermächtigungsgrundlage, da § 28a IfSG gegen den Parlamentsvorbehalt (Art. 20 Abs. 1 GG) und gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße. Auch § 32 IfSG sei wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG unwirksam (wird weiter ausgeführt).
Ein Anordnungsgrund sei gegeben, da die Anordnung dringend geboten sei, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die Schließung des Geschäfts der Antragstellerin gefährde die Versorgung der Bevölkerung mit gutem und richtigem Schuhwerk und somit die Fußgesundheit für Schuhträger jeden Alters. Daneben habe die Antragstellerin bereits durch den ersten Lockdown existenzgefährdende Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Nunmehr zähle jeder Tag, um wenigstens die neue Ware für die Frühlings-/Sommersaison verkaufen zu können. Aufgrund des Jahreszeitenwechsels und des dadurch bedingten erhöhten Schuhbedarfs aller Generationen und im Hinblick auf die Erhaltung der Fußgesundheit der Bevölkerung, sei eine dringliche Eilbedürftigkeit gegeben. Eine sofortige Öffnung des Schuhfachgeschäfts der Antragstellerin sei auch deswegen geboten, weil dies infektiologisch zu einer besseren Verteilung der Käuferströme bei Schuhwaren führe. Nach übereinstimmenden Berichten komme es insbesondere bei Schuhangeboten der Lebensmittelmärkte zu unkontrollierbaren Verdichtungen der Kundenströme und damit zu erhöhten Infektionsschutzgefahren.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 29.04.2021, den Antrag abzulehnen.
Auf die Antragserwiderung vom 30.04.2021 sowie im Übrigen auf die Gerichtsakte wird verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 26 m.w.N.).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare, Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris).
1. Der Antrag auf einstweilige Feststellung, dass die Antragstellerin ihr Schuhfachgeschäft nach den gleichen Regelungen, die für Geschäfte gelten, die in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV bzw. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG aufgeführt sind, betreiben darf, ist unzulässig.
a) Die Unzulässigkeit des Eilantrag nach § 123 VwGO folgt schon daraus, dass die Antragstellerin ihren Anordnungsanspruch ausschließlich aus der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Vorschriften des § 12 der 12.BayIfSMV bzw. des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG herleitet, insbesondere eine Ungleichbehandlung ihres Schuhfachgeschäftes mit den dort „für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäften“ erblickt.
aa) Soweit vorgetragen wird, die Regelungen in § 12 der 12.BayIfSMV (i.d.F. vom 27.04.2021) verstoßen gegen Grundrechte der Antragstellerin, erweist sich der Antrag als unzulässig, weil sich das Rechtsschutzbegehren erkennbar auf das Ziel richtet, die entsprechende Regelungssystematik des § 12 der 12. BayIfSMV außer Vollzug zu setzen bzw. zu modifizieren. Insbesondere geht es der Antragstellerin vorliegend (auch) nicht um eine Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV. Es ist nämlich weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich, dass die Antragstellerin ihr Schuhgeschäft als ein in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV enumerativ aufgeführtes Geschäft ansieht. Sie begehrt vielmehr „nur“ die Gleichstellung mit den dort genannten Ladengeschäften (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 20 CE 20.1388 – juris). Unter Weitergeltung der angegriffenen Regelungen ist das Rechtsschutzziel der Antragstellerin, das Schuhfachgeschäft zu den gleichen Bedingungen, die für Geschäfte gelten, die inzidenzunabhängig öffnen werden dürfen, betreiben zu dürfen, jedoch nicht – auch nicht im Wege der Auslegung der entsprechenden Normen – erreichbar. In dieser Fallkonstellation ist (nur) ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO statthaft. Für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Inhalt, vorläufig festzustellen, dass die Normen der Verordnung der begehrten Gleichstellung bzw. Öffnung zu den gleichen Bedingungen nicht entgegenstehen, ist kein Raum, weil dies zu einer Umgehung der besonderen Voraussetzungen und Wirkungen des Rechtsschutzverfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO führen würde. Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch dann Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn dem Antragsteller lediglich eine behördliche Maßnahme, sei es durch Verwaltungsakt oder Bußgeldbescheid, droht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich jedoch nicht die Notwendigkeit, einem Antragsteller aus Rechtsschutzgründen die Möglichkeit zu eröffnen, einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO beim Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) und einen Antrag nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht ggf. auch parallel zu stellen. Nur wenn eine untergesetzliche Norm nicht der Umsetzung durch einen Vollzugsakt bedarf und die Möglichkeit einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO landesrechtlich nicht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffnet ist, ist eine solche einstweilige Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unerlässlich. Dies ist in Bayern aufgrund der Möglichkeit, einen Antrag über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften, die im Range unter dem Landesgesetz stehen, zu erheben (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, Art. 5 Satz 1 AGVwGO), jedoch nicht der Fall. Allein der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19/09 – juris) die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO nicht grundsätzlich durch die Möglichkeit einer Normenkontrollklage nach § 47 VwGO ausgeschlossen sein soll, führt nicht zur Statthaftigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzantrags nach § 123 VwGO mit dem Ziel, im Wege einer vorläufigen Feststellung die Wirksamkeit einer Norm zu suspendieren (vgl. hierzu umfassend: BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 20 CE 20.1388 – juris).
bb) Soweit ausgeführt wird, § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG sei verfassungswidrig, ist eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO – und daher auch ein korrespondierender Eilantrag nach § 123 VwGO – ebenfalls nicht statthaft.
Obwohl die Feststellungsklage – bei einer Berufung auf eine Ungleichbehandlung mit den in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG aufgeführten Geschäften – keine Umgehung des § 47 VwGO darstellt, da dieser nur für untergesetzliche Normen gilt, ist der Antrag unzulässig, da die (inzidente) Prüfung eines formellen Parlamentsgesetzes im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage nur dann zulässig ist, wenn es sich bei der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes um eine entscheidungserhebliche Vorfrage handelt, nicht aber, wenn die Verfassungsmäßigkeit zur Hauptfrage wird. Ist die Verfassungsmäßigkeit der Norm dagegen die eigentliche Hauptfrage, so wandelt sich die Feststellungklage zu einer als inzidenten Normenkontrolle kaschierten prinzipalen Normenkontrolle, für die die Verwaltungsgerichtsbarkeit wiederum nur im Rahmen des § 47 VwGO – und damit nicht gegen formelle Bundesgesetze – zur Entscheidung berufen sind (vgl. hierzu umfassend: Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand: Februar 2016, § 90 Rn. 402 ff., 407; vgl. auch BayVGH, B.v. 28.04.2021 – 20 NE 21.1099).
Vorliegend trägt die Antragstellerin allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen vor, deren Beantwortung weder von der näheren Sachverhaltsermittlung, noch von der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des einfachen Rechts durch die Fachgerichte, sondern allein von der Auslegung und Anwendung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe abhängt (BVerfG, B.v. 16.7.2015 – 1 BvR 1014/13 – juris m.w.N.). Es ist für das Gericht auch anderweitig nicht ersichtlich, dass die Verfassungsmäßigkeit der Norm nur eine (entscheidungserhebliche) Vorfrage einer Verwaltungsstreitigkeit ist. Die Verfassungsmäßigkeit des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG ist hier vielmehr die Hauptfrage des Eilantrages.
b) Der Eilantrag ist auch deswegen unzulässig, da die Antragstellerin unmittelbar das Verwaltungsgericht angerufen hat, ohne dass zuvor der Antragsgegner mit der Angelegenheit befasst wurde. Mangels streitigem Rechtsverhältnisses besteht somit auch kein Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. OVG Bremen, B.v. 24.6.2020 – 2 PA 99/20 – juris m.w.N.).
2. Dem Erfolg der beantragten einstweiligen Anordnung steht zudem das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Die einstweilige Anordnung darf nach diesem Grundsatz die Grenzen einer vorläufigen Regelung nicht überschreiten, weil andernfalls über die Erhaltung der Entscheidungsfähigkeit des Klageverfahrens hinaus vollendete Tatsachen geschaffen würden. Erstrebt ein Antragsteller – wie hier – eine der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich widersprechende teilweise oder gänzliche Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache, kommt eine einstweilige Anordnung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich das Begehren in der Hauptsache schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung des Sachverhalts mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz schlechthin unzumutbare, nicht anders abwendbare, Nachteile entstünden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zum einen fehlt es einer Feststellungklage vor dem Verwaltungsgericht an den notwendigen Erfolgsaussichten, zum anderen ist weder auch nur annährend glaubhaft gemacht, noch anderweitig ersichtlich, dass die Antragstellerin ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre. Die Antragstellerin steht ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes nicht schlechter da, als andere vergleichbare Schuhgeschäfte in Regionen mit „hohen“ Inzidenzwerten. Im Übrigen sinkt der Inzidenzwert auch im Landkreis … nachhaltig. Dieser ist am 03.05.2021 mit 110,4 ausgewiesen (https://experience.arcgis. com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4). In Anbetracht der sich deutschland-weit abzeichnenden Tendenz ist zu erwarten, dass auch der Antragstellerin in absehbarer Zeit zumindest wieder der (erweiterte) „Click& Meet“-Betreib erlaubt ist. In Anbetracht der hohen Voraussetzungen an die Vorwegnahme der Hauptsache reicht es auch nicht aus, dass die Antragstellerin wirtschaftliche Nachteile geltend macht, die bei einer Gleichstellung mit Betrieben nach § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV bzw. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Hs. 2 IfSG nicht gegeben wären. Eine wirtschaftliche Existenzgefährdung durch die bestehende Rechtslage ist jedenfalls nicht glaubhaft dargelegt. Die Antragstellerin macht insoweit nicht einmal individuelle Angaben zum streitgegenständlichen Betrieb, sondern verweist nur auf allgemeine Ausführungen des „Handelsverbands Deutschland“. Schlechthin unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile für die Antragstellerin vermag daher die beschließende Kammer nicht zu erkennen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt, erachtet es das Gericht für sachgerecht, den Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben