Verwaltungsrecht

Überlassungspflicht für infektiöse Abfälle

Aktenzeichen  12 ZB 20.1855, 12 ZB 20.1856, 12 ZB 20.1858, 12 ZB 20.1859

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22521
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KrWG § 3 Abs. 23, Abs. 26, § 17 Abs. 4 S. 1
BayAbfG Art. 10 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Infektiöse Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* unterliegen keiner Überlassungspflicht, weil es sich nicht um Abfälle zur Beseitigung, sondern um Abfälle zur Verwertung handelt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 9 K 18.1776, Au 9 K 18.1780, Au 9 K 18.1781, Au 9 K 18.1782 2020-06-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die auf Zulassung der Berufung gerichteten Verfahren 12 ZB 20.1855, 12 ZB 20.1856, 12 ZB 20.1858 und 12 ZB 20.1859 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 20.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfahren auf Zulassung der Berufung, mit denen der Beklagte sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Juni 2020 wendet und sein Begehren weiterverfolgt, unter Aufhebung der streitgegenständlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abweisung der in erster Instanz erfolgreichen Feststellungsklage der Klägerin zu erwirken, nach der die von dieser in Bayern eingesammelten Klinikabfälle mit Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* Abfälle zur Verwertung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sind, die keiner gesetzlichen Überlassungspflicht unterliegen und die Klägerin deshalb berechtigt ist, die entsprechenden Entsorgungsnachweise zu nutzen, bleiben ohne Erfolg. Zulassungsgründe liegen – soweit überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt – nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die angefochtene Entscheidung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln hinsichtlich ihrer Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die von der Klägerin in Bayern eingesammelten Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03*, die sie der von ihr betriebenen Desinfektionsanlage mit angeschlossenem Wirbelschichtkraftwerk zur Behandlung infektiöser Abfälle zuführt, keiner gesetzlichen Überlassungspflicht unterliegen, weil es sich um gefährliche Abfälle zur Verwertung handelt. Damit ist die Klägerin berechtigt, die Abfälle unter Ausnutzung der hierfür erstellten Entsorgungsnachweise der von ihr betriebenen Anlage zuzuführen.
a) Mit Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage zulässig ist.
aa) Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt vor. Zwischen den Beteiligten bestehen Meinungsverschiedenheiten (vgl. zu dieser Voraussetzung allgemein Wysk, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 10 m.w.N.) darüber, ob für die von der Klägerin gesammelten Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* eine Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 4 Satz 1 KrWG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Abfallgesetz (BayAbfG) besteht. Der Beklagte hat die Klägerin durch Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 2. Oktober 2017 von seiner von der Auffassung der Klägerin abweichenden abfallrechtlichen Bewertung der umstrittenen Überlassungspflichten für Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* in Kenntnis gesetzt. Die Klägerin wird darin gebeten, die “Einstufung (als Abfälle zur Beseitigung) zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen”, dass die von ihr eingesammelten Abfälle “künftig an die GSB Sonderabfall-Entsorgung […] überlassen werden”, ohne dass insoweit aus objektiver Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB analog) zugleich eine rechtsfolgenverbindliche Regelung eines Einzelfalls mit Außenwirkung getroffen worden wäre (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG).
bb) Das Schreiben gibt, wovon das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgegangen ist, lediglich die Rechtsmeinung des Ministeriums wieder. Oberste Landesbehörden (Ministerien) treffen im Allgemeinen – von ausdrücklichen zuständigkeitsbegründenden Regelungen abgesehen – keine einzelfallbezogenen Anordnungen. Dies ist – gegebenenfalls – Aufgabe nachgeordneter Dienststellen. Demzufolge fehlen dem Schreiben vom 2. Oktober 2017 auch alle für einen Verwaltungsakt charakteristischen Formen. Die Klägerin musste das Schreiben vom 2. Oktober 2017 infolgedessen aus objektiver Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB analog) nicht als rechtsfolgenverbindliche Regelung verstehen, zumal es auch ausdrücklich als bloße “Bitte” formuliert ist. Die Auffassung des Beklagten, der Zulässigkeit der Feststellungsklage stehe das Subsidiaritätserfordernis des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, weil das Schreiben vom 2. Oktober 2017 als Verwaltungsakt zu werten sei und die Klägerin Anfechtungsklage habe erheben können, greift infolgedessen ins Leere.
b) Ebenso wenig ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) begegnet die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die von der Klägerin eingesammelten infektiösen Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* keiner Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 4 Satz 1 KrWG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG unterliegen, weil es sich nicht um Abfälle zur Beseitigung, sondern um Abfälle zur Verwertung handelt und die Klägerin deshalb befugt ist, diese unter Ausnutzung der von ihr erstellten Entsorgungsnachweise in die von ihr betriebene Desinfektionsanlage zu verbringen.
aa) Die Voraussetzungen für eine Überlassungspflicht an die … Sonderabfall-Entsorgung Bayern GmbH sind vorliegend nicht erfüllt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat. Die streitgegenständlichen Abfälle der Abfallschlüssel-Nr. 18 01 03* sind aufgrund ihrer Kennzeichnung gemäß § 3 Abs. 1 AVV zwar gefährliche Abfälle im Sinne von § 3 Abs. 5 KrWG in Verbindung mit § 48 Satz 2 KrWG. Es handelt sich jedoch gleichwohl nicht um Abfälle zur Beseitigung, sondern um Abfälle zur Verwertung im Rahmen eines mehraktigen Entsorgungsverfahrens, bei dem die Abfälle in der Desinfektionsanlage autoklaviert, zu Granulat zerkleinert und anschließend im Wirbelschichtkraftwerk für die Strom- und Dampferzeugung verwertet werden mit der Folge, dass sie keiner gesetzlichen Überlassungspflicht unterliegen. Die Behandlung der Abfälle in der Desinfektionsanlage stellt kein selbständiges Entsorgungsverfahren dar, weil die Vorbehandlung der Abfälle in dieser Anlage für sich genommen weder als eigenständige Verwertung noch als eigenständige Beseitigung qualifiziert werden kann. Vielmehr dient die Vorbehandlung der Abfälle deren späteren Verwertung im Wirbelschichtkraftwerk, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat.
Allein die Tatsache, dass im Rahmen der Vorbehandlung in der Desinfektionsanlage die (potentiell gefährlichen) infektiösen Eigenschaften der Abfälle beseitigt werden, rechtfertigt die Einordnung der Behandlung als Abfallbeseitigung nicht; denn die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Abfällen ist für die Frage, ob ein Verfahren der Abfallbehandlung als Verwertung oder als Beseitigung eingestuft werden kann, nicht entscheidungserheblich (vgl. EuGH, U.v. 27.2.2002 – C-6/00 – “ASA” -, NVwZ 2002, 579 Rn. 68; U.v. 13.2.2003 – C-228/00 – “Belgische Zementwerke” -, NVwZ 2003, 455 Rn. 47; siehe ferner Jacobj, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 105). Auch nach dem Gesetzentwurf zum KrWG vom 15. April 2011 (BR-Drs. 216/11, Begr. S. 177) dürfen umweltbezogene Aspekte, wie etwa die Schädlichkeit des Abfalls für die Abgrenzung von Abfällen zur Verwertung von solchen zur Beseitigung keine Rolle spielen. Vielmehr bleibt für die Einordnung nach § 3 Abs. 23 Satz 1 KrWG allein die Substitutionswirkung des Entsorgungsverfahrens maßgebend. Die infektiösen Abfälle verlieren durch die Vorbehandlung in der Desinfektionsanlage der Klägerin ihr Schadstoffpotential und damit ihre Gefährlichkeit. Mit der Desinfektion werden die infektiösen Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 03* zu nicht gefährlichen Abfällen der Schlüssel-Nr. 18 01 04 umgewandelt, damit diese anschließend im Wirbelschichtkraftwerk zur Energieerzeugung eingesetzt und damit dem in der Anlage 2 zum KrWG unter dem Code R1 aufgeführten Verfahren unterzogen werden können.
bb) Ebenso wenig rechtfertigt der Umstand, dass in den Entsorgungsnachweisen die Desinfektionsanlage und nicht das Wirbelschichtkraftwerk als Entsorgungsanlage angegeben ist, die Schlussfolgerung, dass es sich bei der Behandlung der Abfälle in der Desinfektionsanlage um eine Beseitigung handelt. Angaben in den Entsorgungsnachweisen sind lediglich im Rahmen des Nachweisverfahrens von Bedeutung, können aber nicht für die Qualifizierung einer Entsorgungsmaßnahme selbst herangezogen werden; sie geben lediglich den jeweils nächsten Behandlungsschritt der Abfälle unabhängig vom weiteren Entsorgungsweg an, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht zugleich auch darauf hingewiesen, dass weder die Vorschriften des Abfallwirtschaftsplans als Anlage zur AbfPV noch die Vollzugshilfe der LAGA vom Januar 2015 und deren Anlage 1 zur Qualifizierung der Vorbehandlung der Abfälle in der Desinfektionsanlage als Abfälle zur Beseitigung etwas beitragen können. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der Beklagte zieht dies in den Anträgen auf Zulassung der Berufung auch nicht mehr in Zweifel.
cc) Die in der Desinfektionsanlage erfolgende Vorbehandlung der Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 03* kann der späteren Verbrennung der Abfälle im Wirbelschichtkraftwerk, die selbst gemäß § 3 Abs. 23 Satz 1 Halbs. 1 KrWG als Verwertungsmaßnahme einzustufen ist, deshalb im Rahmen der gebotenen finalen Gesamtbetrachtung auch eindeutig zugeordnet werden. Die der Behandlung in der Desinfektionsanlage nachfolgende Verbrennung der Abfälle im Wirbelschichtkraftwerk stellt unzweifelhaft eine Verwertung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 2 KrWG in Verbindung mit Anlage 2 zum KrWG dar. Bei der Verbrennung von Abfällen handelt es sich um ein unter das in Anlage 2 zum KrWG fallendes, durch den Code R1 näher bezeichnetes Verwertungsverfahren, wenn – wie hier – Hauptzweck des Verfahrens die Verwendung der Abfälle als Mittel der Energieerzeugung ist. Die in der Desinfektionsanlage der Klägerin vorbehandelten Abfälle werden im Wirbelschichtkraftwerk als Ersatzbrennstoff verwendet. Auch wird anlässlich der Verbrennung der Abfälle ein Energieüberschuss erzielt, der zur Strom- und Dampferzeugung genutzt wird, wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat. Die von der Klägerin eingesammelten infektiösen Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 03* sind infolgedessen Abfälle zur Verwertung und unterliegen demnach nicht der gesetzlichen Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 4 Satz 1 KrWG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG. Damit ist die Klägerin entsprechend den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zugleich auch berechtigt, die von ihr für die Entsorgung der infektiösen Abfälle erstellten Entsorgungsnachweise zu nutzen.
c) Das Vorbringen des Beklagten stellt diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten dergestalt in Frage, dass eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Betracht käme.
aa) Dass die energetische Verwertung des erzeugten Granulats nach zuvor erfolgter Desinfektion des Abfalls möglicherweise auch andernorts erfolgen kann, steht der Einordnung durch das Verwaltungsgericht – anders als der Beklagte offenbar meint – nicht entgegen. Die Abfälle müssen gemäß § 3 Abs. 23 Satz 1 KrWG nicht innerhalb der Anlage einem sinnvollen Zweck zugeführt werden; es genügt, wenn dies “in der weiteren Wirtschaft” geschieht. An einer eindeutigen Zuordenbarkeit der Vorbehandlungsmaßnahme zu einem späteren Verwertungsverfahren ist daher ernstlich nicht zu zweifeln.
bb) Soweit der Beklagte rügt, dass das Verwaltungsgericht ohne Differenzierung nach potentiell enthaltenen Erregern alle Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 03* als Abfälle zur Verwertung betrachtet habe, verkennt er nicht nur, dass die Vorbehandlungsmaßnahme nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts dazu führt, dass nunmehr Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 04 vorliegen; er lässt darüber hinaus auch unberücksichtigt, dass es – wie bereits erwähnt – auf die Gefährlichkeit der Abfälle gerade nicht ankommt (vgl. EuGH, U.v. 27.2.2002 – C-6/00 – “ASA” -, NVwZ 2002, 579 Rn. 68; U.v. 13.2.2003 – C-228/00 – “Belgische Zementwerke” -, NVwZ 2003, 455 Rn. 47; siehe ferner Jacobj, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 105).
Im Übrigen sieht die Vollzugshilfe der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall LAGA M 18 zur Entsorgung von Abfällen aus Einrichtungen des Gesundheitsdienstes (Stand Januar 2015, S. 9) auch ausdrücklich vor, dass Abfälle der Schlüssel-Nr. 18 01 03*, sofern sie (wie hier) keine TSE Erreger enthalten, vor der endgültigen Entsorgung desinfiziert werden können, insbesondere in entsprechenden Anlagen, die den Anforderungen der DIN 58949 entsprechen, oder mit anerkannten Desinfektionsverfahren und anerkannten Desinfektionsmitteln und -verfahren behandelt werden dürfen. Die Desinfektionsanlage der Klägerin entspricht baulich und funktionell den Anforderungen der DIN 58949 (vgl. Genehmigungsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 2.10.2014). Dergestalt desinfizierte Abfälle können sodann mit Abfall der Schlüssel-Nr. 18 01 04 entsorgt werden. Eine stoffliche Verwertung von Abfällen der Schlüssel-Nr. 18 01 04 ist nach der LAGA M 18 (vgl. S. 10) auch keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr (ausnahmsweise) dann möglich, wenn die Anforderungen des Arbeitsschutzes beachtet werden und mit Blut und menschlichen Ausscheidungen verbundenen Gesundheitsrisiken Rechnung getragen wird. Lediglich eine – “außerbetriebliche” – Vorbehandlung hat aus Gründen des Arbeitsschutzes zu unterbleiben, bevor eine Zuführung zur thermischen Behandlung erfolgt (vgl. LAGA M 18, S. 10). Die Klägerin führt in ihrer Desinfektionsanlage jedoch gerade eine “betriebliche” und keine “außerbetriebliche” Vorbehandlung durch, wie sie in der LAGA M 18 (vgl. S. 10) erwähnt ist (vgl. siehe im Übrigen auch LAGA M 18, Anlage 1, 4/14 Spalte 4, 2. Alt.). Damit steht der energetischen Verwertung zuvor in einer entsprechenden Anlage desinfizierter Krankenhausabfälle nichts entgegen (so auch bereits VG Minden, U.v. 09.09.2013 – 11 K 2200/12 – juris, Rn. 48 ff.; VG Köln, U.v. 19.11.2013 – 14 K 1279/11 – juris, Rn. 48).
cc) Ebenso wenig verfolgt das von der Klägerin angewandte Vorbehandlungsverfahren den “offenkundigen Hauptzweck”, lediglich die in dem Abfall enthaltenen Keime gezielt zu beseitigen, wie der Beklagte rechtsirrig meint. Ziel der Vorbehandlungsmaßnahme als Bestandteil der Verwertung der Abfälle ist vielmehr, letztere überhaupt dem (erst nachfolgenden) Hauptzweck der energetischen Verwertung zuführen zu können. Dass auch Vorbereitungshandlungen Bestandteil eines Verwertungsverfahrens sein können, ist allgemein anerkannt (vgl. Jacobj, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 107; Reese, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 3 Rn. 316 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/6052, S. 74).
Ungeachtet dessen sieht die Vollzugshilfe LAGA M 18 der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall die von der Klägerin praktizierte Desinfektion von Abfällen der Schlüssel-Nr. 18 01 03* in einem entsprechenden Vorbehandlungs- bzw. Desinfektionsverfahren und die nachfolgende Entsorgung mit bzw. als Abfall der Schlüssel-Nr. 18 01 04 im Wege der stofflichen Verwertung durch energetischer Nutzung auch ausdrücklich vor, sofern die Anforderungen des Arbeitsschutzes beachtet und allen mit Blut und menschlichen Ausscheidungen verbundenen Gesundheitsrisiken Rechnung getragen wird (vgl. LAGA M 18, S. 10 und Anlage 1, 4/14 Spalte 4, 2. Alt.). Dass Letzteres nicht der Fall wäre, zeigt der Beklagte entgegen den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht substantiiert und in der Sache nachvollziehbar auf.
dd) Auch soweit der Beklagte darauf aufmerksam macht, dass anlässlich der Behandlung in der Desinfektionsanlage nicht nur Granulat erzeugt, sondern auch Kondensat frei wird, das in das Abwasser eingeleitet und dadurch beseitigt werde, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Das Entstehen von Kondensat ist notwendiger Bestandteil des Desinfektionsverfahrens und damit untrennbarer Teil der Vorbehandlung der Abfälle auf dem Weg zu deren energetischer Verwertung. Auf die Frage einer etwaigen Gefährlichkeit des Kondensats kommt es – wie bereits mehrfach erwähnt – nicht an. Ungeachtet dessen sieht die Vollzugshilfe LAGA M 18 (S. 9) ausdrücklich vor, dass Behältnisse mit Körperflüssigkeiten unter Beachtung von hygienischen und infektionspräventiven Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes entleert und deren Inhalt unter Beachtung wasserwirtschaftlicher Vorgaben (kommunale Abwassersatzung) dem Abwasser zugeführt werden kann. Weshalb für das Kondensat aus einer Desinfektionsanlage strengere Anforderungen gelten sollten, zeigt der Beklagte entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht auf.
Entgegen der Auffassung des Beklagten sind auch die Entsorgungsnachweise nicht geeignet, zur Qualifikation der streitgegenständlichen Abfälle als Abfälle zur Verwertung bzw. Abfälle zur Beseitigung irgendetwas beizutragen. Die Differenzierung richtet sich allein nach dem KrWG selbst. Im Nachweisverfahren ist rechtsverbindlich nur über die Zulässigkeit der Entsorgungsmaßnahme, nicht aber über deren Einstufung als Beseitigung oder Verwertung zu befinden (vgl. § 5 Abs. 3 NachwV).
ee) Der Einordnung der streitgegenständlichen Abfälle als Abfälle zur Verwertung und nicht zur Beseitigung steht ferner auch der Gesichtspunkt einer Ausnahme vom Vorrang des Verwertungsverfahrens nicht entgegen. Der Beklagte verkennt, dass das Gesetz selbst den Vorrang ausdrücklich anordnet (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 KrWG). Substantiierte Anhaltspunkte dafür, dass die Beseitigung den Schutz von Mensch und Umwelt besser gewährleisten würde als die Verwertung (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 3 KrWG; s. auch Mann, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 7 Rn. 9 a.E.) zeigt der Beklagte vor dem Hintergrund, dass sogar die Vollzugshilfe der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall – LAGA M 18 (S. 9 f.) – die Desinfizierung von Abfällen der Schlüssel-Nr. 18 01 03* und ihre anschließende Entsorgung mit Abfällen der Schlüssel-Nr. 18 01 04 im Wege der stofflichen Verwertung ausdrücklich gestattet (vgl. LAGA M 18 Anlage 1, 4/14 Spalte 4, 2. Alt.), nicht in der Sache nachvollziehbar auf (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Auch reicht allein der Umstand, dass bei einer Beseitigung weder Abwässer noch luftverunreinigende Stoffe anfallen, vor dem Hintergrund, dass es für die Abgrenzung von Verwertung und Beseitigung auf die Gefährlichkeit des Abfalls und etwaiger Folgewirkungen gerade nicht ankommt, für eine andere Beurteilung nicht aus. Der energetischen Verwertung von Abfällen kommt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 KrWG) im Vergleich mit einer bloßen Entsorgung im Wege einer lediglich thermischen Behandlung und Beseitigung unter dem Gesichtspunkt der Rohstoffsubstitution grundsätzlich der Vorrang zu (vgl. Jacobj, in: Versteyl/Mann/ Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 107 u. 116). Abfälle sollen solange wie irgend möglich im Stoffkreislauf gehalten, nicht aber vorzeitig durch Beseitigung aus dem Wirtschaftskreislauf entlassen werden (vgl. Reese, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 3 Rn. 344). Ungeachtet dessen stünde der Klägerin selbst bei einem Wegfall des Vorrangs der Verwertung vor der Beseitigung immer noch ein Wahlrecht zwischen beiden zu (vgl. Reese, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 7 Rn. 36; Schäfer, in: Jahn/Deifuß-Kruse/Brandt, KrWG, 2014, § 7 Rn. 18). Dass im Falle einer besseren Umweltverträglichkeit der Beseitigung gegenüber der Verwertung erstere verpflichtend sein soll, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Reese, a.a.O., Rn. 37).
Sofern der Beklagte deshalb eine generelle Beseitigungspflicht für alle (zunächst infektiösen) Krankenhausabfälle erreichen möchte, muss er auf die Normierung einer solchen Verpflichtung durch den (Bundes-)Gesetzgeber drängen, um den grundsätzlichen Vorrang der Verwertung (auch) für diese Art von Abfällen auszuschließen. Im Wege der richterlichen “Rechtsfortbildung” jedenfalls kann Entsprechendes nicht erreicht werden. Diese darf weder dazu führen, dass Richterinnen und Richter ihre eigenen materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerfGE 82, 6 [12]; 128, 193 [210]; 132, 99 [127] Rn. 75; 149, 126 [154] Rn.73) noch dass sie ebensolchen Vorstellungen der Exekutive entgegen dem Willen des Gesetzgebers zum Durchbruch verhelfen und sich dadurch dem vom Gesetzgeber selbst festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen; vielmehr ist die gesetzgeberische Grundentscheidung zu respektieren (vgl. BVerfGE 149, 126 [154] Rn. 73), die vorliegend darin besteht, dass der Verwertung der grundsätzliche Vorrang vor der Beseitigung zukommt (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 KrWG; siehe im Einzelnen auch Reese, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 7 Rn. 31; Mann, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 7 Rn. 7) und es auf die Gefährlichkeit bzw. Schädlichkeit der Abfälle für die Abgrenzung zwischen Verwertung und Beseitigung gerade nicht ankommen soll (vgl. BT-Drucks. 17/6052, S. 74). Damit besteht – ohne entsprechendes Handeln des (Bundes-)Gesetzgebers – keine Handhabe, von der öffentlichen Hand vorgehaltene, auf die Beseitigung von infektiösen Abfällen gerichtete Entsorgungsstrukturen, wie beispielsweise diejenigen der … Sonderabfall-Entsorgung Bayern GmbH, vor privater (Verwertungs-)Konkurrenz zu schützen. Die Verwaltungsgerichte dürfen sich nicht in die Rolle einer normsetzenden Instanz begeben (vgl. BVerfGE 96, 375 [394]; 109, 190 [252]).
2. Ebenso wenig kommt eine Zulassung der Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in Betracht (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die von dem Beklagten für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob die streitgegenständlichen Abfälle solche zur Verwertung oder zur Beseitigung sind, besitzt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil es zu ihr noch keine ausdrückliche höchstrichterliche Rechtsprechung gibt (vgl. Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 36). An der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit fehlt es vielmehr bereits dann, wenn sich die Fragestellung – wie hier – ohne weiteres aus dem Gesetz oder anhand des bislang erreichten Klärungsstands in der Rechtsprechung bzw. des allgemein anerkannten Meinungsstands im Schrifttum beantworten lässt (vgl. Kuhlmann, a.a.O., § 124 Rn. 36). Insoweit ist hinreichend geklärt, dass die Verwertung im Sinne von § 3 Abs. 23 KrWG auch vorbereitende Verfahren – wie vorliegend das der Desinfektion der Abfälle – umfasst (vgl. Reese, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 3 Rn. 316 m.w.N.). Zugleich steht nach der Rechtsprechung des EuGH fest, dass für die Abgrenzung zwischen Verwertung und Beseitigung umweltbezogene Aspekte, wie etwa die Schädlichkeit des Abfalls irrelevant sind (vgl. U.v. 27.2.2002 – C-6/00 – “ASA” -, NVwZ 2002, 579 Rn. 68; U.v. 13.2.2003 – C-228/00 – “Belgische Zementwerke” -, NVwZ 2003, 455 Rn. 47; siehe auch Jacobj, in: Versteyl/ Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 105 m.w.N.). Die durch das vorliegende Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich damit bereits allein aufgrund des in Rechtsprechung und Schrifttum erreichten Klärungsstandes beantworten. Soweit der Beklagte erreichen möchte, dass infektiöse Krankenhausabfälle ohne die Möglichkeit der desinfizierenden Vorbehandlung und nachfolgenden Verwertung generell als Abfälle zur Beseitigung eingeordnet werden, muss er den Bundesgesetzgeber, nicht aber die Verwaltungsgerichte bemühen.
3. Auch soweit der Beklagte sich mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2020 auf den Berufungszulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) beruft und in diesem Zusammenhang vor allem den Heizwert (Energieeffizienz) des Eingangsmaterials des Wirbelschichtkraftwerks als “nicht zugestanden” in Zweifel zieht, kann dieses Vorbringen schon deshalb nicht berücksichtigt werden kann, weil es erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO angebracht wurde. Ungeachtet dessen zeigt der Beklagte auch nicht substantiiert und in der Sache nachvollziehbar auf, dass das Kraftwerk der Klägerin entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen von Fußnote 1 der Anlage 2 zum KrWG nicht erfüllen würde bzw. die in der Rechtsprechung des EuGH (vgl. U.v. 13.2.2003 – C-228/00 – “Belgische Zementwerke” -, NVwZ 2003, 455 Rn. 41 ff; siehe hierzu auch Jacobj, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 109) entwickelten Kriterien für eine energetische Verwertung nicht gegeben wären. Vielmehr haben die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich folgendes zu Protokoll (vgl. S. 3) erklärt: “Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass der nach der Desinfektion entstandene Abfall dem Grundsatz nach das für die Anerkennung als Verwertung erforderliche Energieeffizienzkriterium erfüllt, d.h. mehr Energie erzeugt, als beim Verbrennungsvorgang verbraucht wird”.
Die Anträge auf Zulassung der Berufung bleiben deshalb insgesamt ohne Erfolg. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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