Verwaltungsrecht

Überschreitung der Klagefrist trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung

Aktenzeichen  4 ZB 20.126

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40214
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 58 Abs. 2, § 60 Abs. 2 S. 1, § 74 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Wird in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Widerspruchsbescheids in einer Fußnote zusätzlich erläutert, dass die Einlegung der Klage beim Verwaltungsgericht per einfacher E-Mail nicht ausreicht, sind die Angaben zur Form der Klageerhebung jeweils für sich genommen zutreffend und auch in der Zusammenschau nicht irreführend. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO erwartet, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand spätestens zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird, setzt der Beginn dieser Antragsfrist keine positive Kenntnis von der Fristversäumnis voraus. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 18.187 2019-11-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.273,14 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch den Beklagten für die Jahre 2013 bis 2017.
Die Zweitwohnungsteuer wurde mit Bescheid vom 9. Dezember 2016 für das Jahr 2013 auf 839,13 Euro, mit Bescheid vom 18. Januar 2017 für das Jahr 2014 auf 849,33 Euro sowie mit Bescheid vom 24. April 2017 für 2015 und die Folgejahre auf jeweils 861,56 Euro festgesetzt. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom Landratsamt G.-P. mit Bescheid vom 8. Dezember 2017, zugestellt am 9. Dezember 2017, zurückgewiesen. Die vom damaligen Bevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 8. Januar 2018 erhobene Klage zum Verwaltungsgericht München, die am selben Tag in den „Nachtbriefkasten der Justizbehörden in München“ am Justizpalast eingeworfen wurde, ging erst am 11. Januar 2018 beim Verwaltungsgericht ein. In dessen Eingangsmitteilung vom 22. Januar 2018 wurde dieses Datum als Eingangsdatum genannt.
Nachdem der damalige Bevollmächtigte mit Gerichtsschreiben vom 10. Dezember 2018 auf den verspäteten Klageeingang hingewiesen worden war, beantragte er mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug vor, er habe am 8. Januar 2018 erfolglos versucht, die Klageschrift am Verwaltungsgericht einzuwerfen. Der vor dem Gericht installierte Briefkasten sei zugeschraubt gewesen; der am Rand des Gebäudes angebrachte Nachtbriefkasten sei für normale Post nicht gedacht gewesen. Die Briefkastenanlage vor dem Justizpalast für die „Justizbehörden in München“ gelte auch für das Verwaltungsgericht.
Mit Urteil vom 14. November 2019 wies das Verwaltungsgericht die Klage wegen Nichteinhaltung der Klagefrist als unzulässig ab. Durch den Einwurf in den Briefkasten der Allgemeinen Einlaufstelle I der Justizbehörden in München am 8. Januar 2018 sei die Klagefrist nicht gewahrt worden. Soweit der dortige Briefkasten auch für gerichtliche Post genutzt werden könne, seien die hierzu möglichen Adressaten im Einzelnen aufgeführt; das Verwaltungsgericht München sei dabei nicht genannt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei abzulehnen, da die Voraussetzungen des § 60 VwGO nicht vorlägen. Es spreche bereits viel dafür, dass der Antrag nicht innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist gestellt worden sei. Der Anschein, dass eine verwaltungsgerichtliche Klage auch am Briefkasten der Zentralen Einlaufstelle der Justizbehörden fristwahrend eingereicht werden könne, sei bereits durch die Mitteilung des Verwaltungsgerichts vom 22. Januar 2018 beseitigt worden. Der Wiedereinsetzungsantrag sei jedenfalls unbegründet, da der Bevollmächtigte der Klägerin nicht ohne Verschulden gehandelt habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
a) Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt die Klägerin ohne Zuordnung zu einem bestimmten Zulassungsgrund vor, bei dem Zentralbriefkasten der Münchner Justizbehörden sei aufgrund der Aufschrift zu unterstellen, dass die Post auch an die nicht aufgeführten Gerichte weitergeleitet werde. Weiter sei zu unterstellen, dass die Post innerhalb Münchens schon am nächsten Tag in das Postfach des Verwaltungsgerichts eingelegt werde. Bei üblichem Ablauf sei daher von einer fristgerechten Klageerhebung auszugehen. Zudem sei die Rechtsbehelfsbelehrung:des Landratsamts weder vollständig noch richtig gewesen, so dass sich die Klagefrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr verlängert habe. Eine Abgabe der Klageschrift an der im Widerspruchsbescheid angegebenen Postanschrift sei für den Bevollmächtigten der Klägerin nicht möglich gewesen, da sich dort kein allgemeiner Briefkasten befinde. Insoweit stimme die Rechtsmittelbelehrungnicht mit den örtlichen Gegebenheiten überein. Bei dem in der Rechtsbehelfsbelehrung:angegebenen Postfach ergebe sich das Problem, dass die Einlegung der Post nicht dokumentiert werde, so dass das Postfach für den Nachweis einer rechtzeitigen Klageeinreichung nicht geeignet sei. In der Rechtsbehelfsbelehrung:werde zudem zwar darauf verwiesen, dass die Klageerhebung schriftlich, zur Niederschrift oder elektronisch in einer für den Schriftformersatz zugelassenen Form zu erfolgen habe; die Möglichkeit der Erhebung per Fax werde aber nicht erwähnt. Das Einlegen per Fax werde damit ausgeschlossen; folgerichtig sei auch die Faxnummer nicht angegeben.
b) Mit diesen Ausführungen werden der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend gemacht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund liegt aber nicht vor. Die Klägerin hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
aa) Die dem Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2017 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:war nicht unrichtig erteilt, so dass entgegen der Annahme in der Zulassungsbegründung nicht anstelle der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO galt.
Die angegebene „Hausanschrift: B. straße 30, … M.“ war korrekt. Es handelte sich dabei um den Standort des Gerichts, an dem die Klageschrift zu den üblichen Bürozeiten hätte abgegeben oder zu Protokoll des Urkundsbeamten hätte erhoben werden können. Ob darüber hinaus die faktische Möglichkeit bestand, einen Schriftsatz in einen dort angebrachten Hausbriefkasten einzuwerfen, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen. Denn selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre die Angabe der „Hausanschrift“ in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig gewesen, da damit keine Aussage über das Vorhandensein eines jederzeit zugänglichen Briefkastens getroffen wurde.
Auch die in der Rechtsbehelfsbelehrung:enthaltene Angabe zur „Postfachanschrift: Postfach …, … M.“, derer es von Gesetzes wegen nicht zwingend bedurft hätte (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1966 – V C 196.65 – BVerwGE 25, 261), war inhaltlich zutreffend. Die Mitteilung dieser Adresse ermöglichte es der Adressatin des Widerspruchsbescheids, den Klageschriftsatz auf postalischem Weg an das Verwaltungsgericht zu senden. Dass diese Form der Übermittlung hinsichtlich des Nachweises einer rechtzeitigen Klageerhebung mit gewissen Beweisnachteilen verbunden war, stellte die Ordnungsgemäßheit der Angabe nicht in Frage.
Eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:ergibt sich auch nicht daraus, dass dort nicht eigens auf die Möglichkeit der Klageerhebung per Fax hingewiesen wurde. Nach § 58 Abs. 1 VwGO musste der Widerspruchsbescheid eine Belehrung lediglich über die Art des einzulegenden Rechtsbehelfs, das Gericht, bei dem dieser anzubringen war, den Sitz des Gerichts und die einzuhaltende Frist enthalten. Über die bei der Einlegung des Rechtsbehelfs einzuhaltende Form musste dagegen nicht zwingend belehrt werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2018 – 1 C 6.18 – BVerwGE 163, 26 Rn. 13 m.w.N.).
Eine Rechtsbehelfsbelehrung:ist zwar auch dann unrichtig, wenn sie einen nicht erforderlichen Zusatz enthält, der irreführend und dadurch generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.). Auch dies war hier aber nicht der Fall. Nach der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:war die Klage „schriftlich, zur Niederschrift oder elektronisch in einer für den Schriftformersatz zugelassenen Form“ zu erheben; angefügt war in einer Fußnote die Erläuterung, dass die Einlegung per einfacher E-Mail nicht zugelassen sei. Diese Angaben zur Form der Klageerhebung waren jeweils für sich genommen zutreffend und auch in der Zusammenschau nicht irreführend. In der Übermittlung des Klageschriftsatzes per Telefax liegt nach heute allgemeinem Verständnis eine Sonderform der schriftlichen Klageerhebung im Sinne des § 81 Abs. 1 VwGO, bei der lediglich auf das Vorliegen einer Originalunterschrift verzichtet wird (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 81 Rn. 9 m.w.N.). Dass diese technische Möglichkeit nicht zusätzlich zu den drei genannten Optionen erwähnt und dementsprechend keine Telefaxnummer angegeben wurde, konnte daher aus Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) nicht im Sinne eines Ausschlusses verstanden werden. Die Gleichwertigkeit der schriftlichen Klageerhebung per Brief oder Fax ließ sich im Übrigen auch der Internetseite der Bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (www.vgh.bayern.de) entnehmen, auf die in der Fußnote zu der Rechtsbehelfsbelehrung:ausdrücklich hingewiesen wurde.
bb) Die somit für die Klageerhebung mangels Anwendbarkeit des § 58 Abs. 2 VwGO geltende Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO wurde mit dem erst am 11. Januar 2018 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 8. Januar 2018 nicht eingehalten. Ob dieses Fristversäumnis auf einem der Klägerin zurechenbaren Verschulden ihres damaligen Bevollmächtigten oder etwa auf einer verzögerten Weiterleitung seitens der Münchner Justizbehörden an das Verwaltungsgericht beruhte, bedarf keiner weiteren Prüfung. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt, wie im angegriffenen Urteil ausgeführt, schon deshalb nicht in Betracht, weil der entsprechende Antrag erst mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2018 und damit weit nach Ablauf der zweiwöchigen Frist nach Wegfall des Hindernisses (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) gestellt wurde.
Der Beginn der Antragsfrist setzt keine positive Kenntnis von der Fristversäumnis voraus; das Hindernis entfällt vielmehr schon in dem Zeitpunkt, in dem Zweifel an der Einhaltung der Frist aufkommen müssen, was regelmäßig bei Zugang einer entsprechenden Eingangsmitteilung durch das Gericht der Fall ist (vgl. BVerfG, B.v. 7.1.2003 – 2 BvR 447/02 – NJW 2003, 1516; Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 60 Rn. 39 m.w.N.). Dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin, der als Steuerberater zur berufsmäßigen Prozessvertretung vor den Verwaltungsgerichten in Abgabenangelegenheiten zugelassen war (§ 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwGO) und daher entsprechende Sorgfaltspflichten zu beachten hatte, wurde vom Verwaltungsgericht bereits mit Schreiben vom 22. Januar 2018 das Eingangsdatum „11.01.2018“ mitgeteilt. Er hätte daher – zumal in Anbetracht des von ihm gewählten ungewöhnlichen Übermittlungswegs – ohne weiteres schon Ende Januar 2018 erkennen müssen, dass der Klageschriftsatz nicht innerhalb der gesetzlichen Frist bei Gericht eingegangen war.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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