Verwaltungsrecht

Unerheblichkeit eines Gehörsverstoßes

Aktenzeichen  9 ZB 19.32081

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15936
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3, § 144 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2

 

Leitsatz

Auch wenn ein Gehörsverstoß im Einzelfall vorliegt, führt dieser entsprechend dem Rechtsgedanken des § 144 Abs. 4 VwGO nicht zur Zulassung der Berufung, wenn er sich aus Sicht des Berufungsgerichts nicht oder nicht mehr auswirkt, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist und der Verstoß nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur einzelne Feststellungen betrifft, die mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis bedeutungslos bleiben (vgl. BVerwG BeckRS 2003, 30308946; BayVGH BeckRS 2013, 54638; vgl. auch BVerfG BeckRS 2002, 23782). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 18.31135 2019-04-16 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen der Ablehnung eines vor dem Verwaltungsgericht am 16. April 2019 unbedingt gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 9 ZB 19.30999 – juris Rn. 4). Auch wenn danach ein Gehörsverstoß im Einzelfall vorliegt, führt dieser entsprechend dem Rechtsgedanken des § 144 Abs. 4 VwGO nicht zur Zulassung der Berufung, wenn er sich aus Sicht des Berufungsgerichts nicht oder nicht mehr auswirkt, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist und der Verstoß nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur einzelne Feststellungen betrifft, die mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis bedeutungslos bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2003 – 8 C 1.02 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 13.30084 – juris Rn. 2 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8.8.2002 – 2 BvR 1030/02 – juris Rn. 5).
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt, „Zu der Tatsache, dass der Kläger aufgrund seiner Erlebnisse in Sierra Leone insbesondere den Kontakten mit homosexuellen Männern an einer schweren psychischen Erkrankung leidet (PTBS, Depression) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob und welche Erkrankungen vorliegen und ob eine solche Erkrankung in Sierra Leone behandelbar ist.“ Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, dass er trotz Belehrung nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt worden und die Verspätung nicht genügend entschuldigt worden sei. Die Klägerbevollmächtigte habe das Mandat bereits im Februar 2019 übernommen und deswegen ausreichend Zeit gehabt. Die beantragte Beweisaufnahme würde den Rechtsstreit verzögern.
Ob das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit dieser Begründung ablehnen durfte, kann offenbleiben. Denn nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sachlage war die Klage unbegründet, ohne dass es dabei auf die Beweisfrage oder die Begründung für die Ablehnung der Beweiserhebung ankam. Auch in einem Berufungsverfahren wäre dem Beweisangebot mangels Entscheidungserheblichkeit jedenfalls deshalb nicht nachzugehen, weil die Vorlage von Bescheinigungen zu einer Anwesenheit des Klägers in einem Bezirkskrankenhaus am 12. April 2019 und zu einem dortigen Termin am Nachmittag nach der mündlichen Verhandlung am 16. April 2019, die Benennung und Vorlage von Medikamenten zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen und der Vortrag, dass sich der Kläger in schlechter psychischer Verfassung befinde, auch in der Gesamtschau nicht den Darlegungsanforderungen hinsichtlich einer Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entsprechen. Hierzu hätte es der Vorlage eines im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG aussagekräftigen ärztlichen Attestes bedurft (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 9 ZB 17.30407 – juris Rn. 6 m.w.N.), dem sich u.a. die Diagnose, der Schweregrad der Erkrankung und die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, entnehmen lassen. Daran fehlt es.
2. Auch das Zulassungsvorbringen, wesentlicher Sachvortrag des Klägers sei unberücksichtigt geblieben und das Gericht habe versäumt, im Rahmen seiner Amtsermittlungs- und Aufklärungspflicht wesentlichen Sachverhalt abschließend aufzuklären, rechtfertigt nicht die Annahme eines Gehörsverstoßes. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 9 ZB 18.33046 – juris Rn. 5). Ein Verfahrensfehler kann zwar ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag aber nicht auf.
a) Das Verwaltungsgerichts hat im angegriffenen Urteil ausgeführt, dass Atteste, aus denen hervorgeht, dass bei einer Rückkehr des Klägers in sein Herkunftsland mit einer erheblichen oder sogar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen wäre, nicht vorgelegt wurden, und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts keine weitere Aufklärung gebiete, weil es Aufgabe des Klägers sei, relevante Unterlagen über seinen Gesundheitszustand rechtzeitig vorzulegen und auch, sich bei entsprechendem Bedarf rechtzeitig in medizinische Behandlung zu begeben, um Unterlagen zu erlangen (s. UA S. 7). Eine willkürliche Sachverhaltswürdigung oder ein Aufklärungsmangel liegen darin nicht, weil die Erkrankung – wie bereits dargelegt – nicht ausreichend substantiiert worden war. Auf die Fragen der Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Sierra Leone und hier insbesondere der Finanzierbarkeit einer Behandlung, hinsichtlich der der Kläger ebenfalls die fehlende Aufklärung rügt, kam es somit entscheidungstragend nicht an.
b) Auch soweit nach dem Zulassungsvorbringen ein Aufklärungsmangel darin gesehen wird, dass das Verwaltungsgericht nicht ermittelt habe, ob der Kläger tatsächlich homosexuell sei, wird übersehen, dass es schon mangels Entscheidungserheblichkeit keine Veranlassung hierzu gab. Das Gericht hat die Frage nach der Homosexualität letztlich offengelassen, weil es selbst bei Wahrunterstellung keine Verfolgungsgefahr für den Kläger festgestellt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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