Verwaltungsrecht

Unterrichtsverbot wegen Corona Pandemie

Aktenzeichen  M 26 S 20.1657

Datum:
28.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9824
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1
GG Art. 19 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4 S.7,§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1, § 87a Abs. 2, Abs.3, § 113 Abs. 1 S. 1
RDGEG § 3, § 5
BayVwVfG Art. 35 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen das wegen der Corona-Pandemie verfügte Unterrichtsverbot an Schulen sowie das Verbot des Besuchs von Kindertagesstätten.
Die Antragstellerinnen zu 3. bis 6. sind schulpflichtige Kinder; die Antragstellerin zu 3. besucht die 10. Klasse eines Münchner Gymnasiums, die Antragstellerin zu 4. die 6. Klasse eines Münchner Gymnasiums, die Antragstellerin zu 5. die erste Klasse einer Münchner Grundschule und die Antragstellerin zu 6. einen Ganztagskindergarten. Der Antragsteller zu 1. Ist der Vater der Antragstellerinnen zu 3., 4. und 6., die Antragstellerin zu 2. Ist die Mutter der Antragstellerinnen zu 5. und 6. Die Eltern der Antragstellerinnen zu 3. Bis 6. Sind in Vollzeit berufstätig.
Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16. April 2020, Az. 51b-G8000-2020/122-216, wird unter Nummer 1 u.a. verfügt, dass an allen Schulen Bayerns der Unterricht und die sonstigen Schulveranstaltungen entfallen (Nr. 1.1) und dass der Besuch von Kindertagesstätten nicht möglich ist (Nr. 1.2). Die Regelung trat am 20. April 2020 in Kraft.
Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. April 2020, Az. 51b-G8000-2020/122-228, wurde die Allgemeinverfügung vom 16. April 2020 mit Wirkung vom 25. April 2020 außer Kraft gesetzt. Die Allgemeinverfügung vom 24. April 2020 enthält weiterhin ein grundsätzliches Unterrichts- und Schulveranstaltungsverbot an Bayerischen Schulen sowie ein Betretungsverbot von Kindertagesstätten. Ausgenommen hiervon sind ab dem 27. April 2020 Schüler aller Abschlussklassen (u.a. 12. Klasse Gymnasium, 10. Klasse Realschule und 9. und 10. Klasse Mittelschule, soweit zu einer Prüfung angemeldet). Des Weiteren ist ein Notbetreuungsangebot u.a. für Kinder in Kindertagesstätten und Kinder der Jahrgangsstufen 1 bis 6 vorgesehen, wenn der alleinerziehende Elternteil wegen Erwerbstätigkeit an der Betreuung gehindert ist oder wenn ein Erziehungsberechtigter in einem Bereich der kritischen Infrastruktur tätig ist, und wenn das Kind nicht durch eine andere im gemeinsamen Haushalt lebende volljährige Person betreut werden kann, keine Krankheitssymptome aufweist und nicht unter Quarantäne steht.
Wegen der Regelungen im Einzelnen wird auf die Allgemeinverfügung Bezug genommen.
Die Allgemeinverfügung trat am 25. April 2020 in Kraft und tritt am 10. Mai 2020 außer Kraft.
Am … April 2020 haben die Antragsteller Klage gegen das in der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 16. April 2020 angeordnete Unterrichtsverbot an Schulen und das Verbot des Besuchs von Kindertagesstätten erhoben. Gleichzeitig wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Anfechtungsklage ge gen die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16. April 2020, Az. 51b-G8000-2020/122- 216, wird gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO angeordnet.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, § 28 Abs. 1 IfSG stelle keine taug liche Rechtsgrundlage für das verfügte Unterrichtsverbot dar, da sowohl der Parlamentsvorbehalt als auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt seien. In der Abwägung der beteiligten Interessen sei dem Schutz einer kleinen, potentiell gefährdeteren Bevölkerungsgruppe einseitig zu Lasten deutlich weniger betroffener Bevölkerungsgruppen ein zu hohes Gewicht eingeräumt worden und dabei insbesondere die Interessen von Kindern und Jugendlichen, die einen Großteil der krisenbedingten Belastungen tragen müssten, nicht angemessen berücksichtigt worden. Die Grundrechte der weniger betroffenen Bevölkerungsgruppen wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vor allem aber der Schutz der Familie, das Recht auf Bildung sowie die Berufsfreiheit seien vollständig unberücksichtigt geblieben. Der Antragsgegner verletze durch die Schließung von Schulen seine Verpflichtung aus Art. 126 Abs. 1 Satz 2 der bayerischen Verfassung. Insbesondere in Kombination mit den Ausgangsbeschränkungen verletze die Schulschließung die Antragstellerinnen auch in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Da die Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. Vollzeit berufstätig seien und sich Haushalt und Kinderbetreuung paritätisch aufteilten, seien sie in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3, Art. 6 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Der Eingriff in die Grundrechte der Antragsteller sei unverhältnismäßig. Die Schließung von Schulen sei schon nicht zur Zielerreichung geeignet, denn ein empirischer Nachweis, dass von Kindern eine wesentliche Gefahr ausgeht, fehle. So sei in einer großangelegten isländischen Studie bei keinem einzigen Kind unter 10 Jahren SARS-CoV-2 nachgewiesen worden; auch bei den erfassten Covid-19-Fällen sei ihr Anteil verschwindend gering. Die Eingriffe seien überdies nicht erforderlich, da das Ziel der Entkopplung von der Influenzawelle laut Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen erreicht sei. Darüber hinaus ergebe sich aus der Entwicklung der Fallzahlen, dass die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland und Bayern seit Beginn der Kalenderwoche 16 rückläufig sei; ausweislich der sog. Basisreproduktionszahl stecke ein Infizierter inzwischen weniger als eine weitere Person an. Trotz Erreichung dieser in der ursprünglichen Allgemeinverfügung genannten Ziele seien die streitgegenständlichen Verbote verlängert worden, was nicht mehr gerechtfertigt sei. Keine der von den Antragstellerinnen besuchten Einrichtungen habe einen adäquaten Ersatz für den Fortfall eines auf Interaktion angelegten Unterrichts geschaffen, zumal von den heute vorhandenen technischen Möglichkeiten digitalen Unterrichts im Wege der Videokonferenz nahezu kein Gebrauch gemacht worden sei.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten durch die Vorsitzende und Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind zulässig, aber unbegründet.
1. Die Anträge sind zulässig. Die den Anträgen zugrundeliegenden Klagen richten sich bei sachgerechter Auslegung anhand des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) gegen das in der Allgemeinverfügung vom 24. April 2020 aus der Vorgängerregelung übernommene und aktuell geltende allgemeine Verbot von Unterrichts- und Schulveranstaltungen bzw. gegen das Verbot des Besuchs von Kindertagesstätten, dem auch die Antragstellerinnen 3. bis 6. weiterhin unterfallen. Denn von den ab dem 27. April 2020 geltenden Ausnahmeregelungen für Besucher von Abschlussklassen (Nr. 2.4) profitieren die Antragsteller nicht. Erledigung in der Hauptsache ist daher entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht eingetreten.
Die Antragsteller sind antragsbefugt. Offenbleiben kann dabei, ob die Bayerische Verfassung oder andere Rechtsnormen den Antragstellerinnen einen Anspruch auf Unterricht einräumen bzw. ob Dreijährige gerade gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Besuch einer Kindertagesstätte haben. Jedenfalls sind sie als Schüler der Grundschule bzw. des Gymnasiums bzw. KiTa-Kind Adressaten der sie belastenden Verbotsregelungen der Nrn.1.1 und 1.2 der Allgemeinverfügung, wonach ihnen der Schulbesuch bzw. der Besuch der Kindertagesstätte verboten ist. Da die verfügten Schul- und Kindergartenschließungen Einschränkungen auch für die Eltern insbesondere in Bezug auf die Berufsausübung mit sich bringen können, sind die Antragsteller zu 1. Und 2. wohl ebenfalls antragsbefugt.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anträge ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners ebenfalls gegeben. Zwar ist das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn ein Obsiegen dem Rechtsschutzsuchenden keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringt und damit der Rechtsschutz nutzlos ist (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Vorb. § 40 Rn. 38). Bei Anlegung eines nicht zu strengen Maßstabs ist im vorliegenden Fall das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, da die Aufhebung des Unterrichts- und KiTa-Besuchsverbots für die Antragstellerinnen dazu führen würde, dass für sie Präsenzunterricht in der Schule bzw. Betreuung im Kindergarten angeboten werden müsste. Dass dies schlechterdings aus organisatorischen oder infektionsschutzrechtlich zwingenden Gründen nicht möglich wäre, ist nicht ersichtlich, da bereits ein Angebot der Notbetreuung besteht.
2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Bei summarischer Prüfung spricht viel dafür, dass die Klagen der Antragsteller gegen Nrn. 1.1 und 1.2 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. April 2020 erfolglos sein werden, weil sich die dort getroffenen Regelungen nach der im Eilverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig erweisen und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Im Rahmen des Eilverfahrens geht das Gericht davon aus, dass sich das in Nummer 1.1 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung angeordnete Unterrichtsverbot und das in Nummer 1.2 verfügte Verbot des Besuchs einer Kindertageseinrichtung auf § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes, das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) geändert worden ist (IfSG), als Rechtsgrundlage stützen können (2.1). Die Verbote sind auch sonst formell und materiell rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig (2.2).
2.1. Die angegriffenen Verfügungen finden in § 28 Abs. 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Bei § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt es sich um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – „wie“ des Eingreifens – ist der Behörde jedoch ein Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-) Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.
Die Tatbestandsvoraussetzung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG – d.h. die Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheiden – ist derzeit nach der aktuellen Einschätzung des vom Gesetzgeber durch § 4 Absatz 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert-Koch-Instituts (RKI) (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risiko
bewertung.html) unverändert im ganzen Bundesgebiet und damit auch im Freistaat Bayern erfüllt.
Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird (BayVGH, B.v. 30.3.2020, 20 CS 20.611). Das angeordnete Unterrichtsverbot und das Verbot des Besuchs von Kindertagesstätten sind demnach vom Tatbestandsmerkmal „Schutzmaßnahmen“ gedeckt.
Im Rahmen der bisherigen Eilentscheidungen sind sowohl das erkennende Gericht als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vorläufig davon ausgegangen, dass die bislang auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützten Maßnahmen mit dem Vorbehalt des Gesetzes vereinbar sind, weil Generalklauseln als Auffangnormen typischerweise auch dazu dienen, auf vom Gesetzgeber nicht vorhersehbare Situationen reagieren zu können und eine Rechtsgrundlage für erforderliche Maßnahmen zu schaffen. Sollte sich aufgrund der Fortentwicklung der Pandemielage jedoch zeigen, dass die grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahmen nicht mehr nur kurzfristiger Natur sind, sondern längere Zeit fortdauern, erscheint allerdings zweifelhaft, ob der Vorbehalt des Gesetzes als wesentlicher Grundsatz einer parlamentarischen Staatsform ohne den Erlass eines Maßnahmegesetzes durch den parlamentarischen Bundesgesetzgeber als Rechtsgrundlage für mittelfristig und langfristig wirkende Maßnahmen, die intensiv in Grundrechte eingreifen, gewahrt werden kann (BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793).
2.2. Die angefochtenen Verbote von Schulunterricht und sonstigen Schulveranstaltungen sowie des Besuchs von Kindertagesstätten in Nummern 1.1 und 1.2 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung sind bei summarischer Prüfung rechtmäßig.
2.2.1 Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Wahl des Instruments der Allgemeinverfügung für die vorliegend getroffenen Maßnahmen nicht zu beanstanden.
Die getroffenen Regelungen stützen sich auf § 28 Abs. 1 IfSG. Für hierauf gestützte Maßnahmen ist die Form einer Rechtsverordnung nicht zwingend vorgeschrieben (allerdings nach § 32 IfSG möglich), so dass Maßnahmen in der Handlungsform des Verwaltungsakts erlassen werden können. Hieraus folgt, dass dem zuständigen Ministerium auch die Form der Allgemeinverfügung zu Gebote steht, wenn sich die zu treffende Maßnahme an eine Vielzahl von Personen richtet. Wenngleich die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten alle schulpflichtigen Schüler und in Kindertagesstätten angemeldete Kinder in Bayern und damit eine Vielzahl von Personen betrifft, handelt es sich demnach um die Regelung eines Einzelfalls im Sinne von Art. 35 Satz 1 und 2 BayVwVfG, da die Zahl der von der Regelung umfassten Fälle und der Adressatenkreis nach allgemeinen Merkmalen bestimmt bzw. bestimmbar sind und sich die Regelung auf einen konkreten Sachverhalt bezieht, indem sie anlassbezogen ergangen und zeitlich befristet ist sowie konkret bestimmte Fallkonstellationen erfasst. Es liegt mithin eine konkretgenerelle Regelung vor, die mit der Handlungsform der Allgemeinverfügung getroffen werden kann (vgl. VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222).
2.2.2. § 28 Abs. 1 IfSG erlaubt als formellgesetzliche Grundlage neben den in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG genannten Grundrechten auch Eingriffe in Grundrechte, die einem Regelungsvorbehalt unterliegen oder vorbehaltslos gewährleistet sind. Hierzu gehören namentlich die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG. Für diese gilt das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht (Maunz/Dürig, Art. 19 GG Rn. 54 m.w.N.). Der Schutzbereich des Art. 6 GG ist durch die angegriffenen Regelungen nicht betroffen.
2.2.3. Die überwiegende Schließung von Schulen und Kindergärten ist auch materiell rechtmäßig; insbesondere erweist sie sich als derzeit noch verhältnismäßig.
Bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Die Befugnis steht damit sowohl inhaltlich als auch zeitlich unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632).
Das weitgehende Verbot von Unterricht und sonstigen Schulveranstaltungen in Nummer 1.1 und das vollständige Verbot des Besuchs von Kindertagesstätten in Nummer 1.2 der Allgemeinverfügung genügen diesen Anforderungen zurzeit. Das erkennende Gericht vermag derzeit nicht zu erkennen, dass die genannten Verbote zur Verfolgung des durch § 1 Abs. 1 IfSG vorgegebenen Ziels – Vorbeugung übertragbarer Krankheiten beim Menschen, frühzeitige Erkennung von Infektionen und Verhinderung ihrer Weiterverbreitung – offensichtlich nicht geeignet wären. Bei der Auswahl und Beurteilung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung einer neuartigen Viruserkrankung muss den zuständigen Gesundheitsbehörden ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden, zumal die Wirksamkeit der derzeit getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen freilich nicht abschließend wissenschaftlich untersucht und belegt ist (so bereits VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222). Wissenschaftliche Studien wie beispielsweise die in Bezug auf Großbritannien und die USA durchgeführte Studie des Imperial College London („Impact of nonpharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand, 16 March 2020, abrufbar unter https://www.imperial.ac.uk/mrcglobalinfectiousdiseaseanalysis/news…wuhancoronavirus) lassen aber durchaus vermuten, dass Maßnahmen der sozialen Distanzierung wie die Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen neben anderen Maßnahmen einen wichtigen und entscheidenden Baustein bei der Verlangsamung der Ausbreitung der Infektionen darstellen. Auch das Robert-Koch-Institut weist in seinem
Epidemiologischen Gutachten 19/20 „Wiedereröffnung von Bildungseinrichtungen –
Überlegungen, Entscheidungsgrundlagen und Voraussetzungen“ (Online-Version vom 23. April 2020) mit nachvollziehbaren und überzeugenden Argumenten darauf hin, dass auch Kinder bei asymptomatischen oder präsymptomatischen Übertragungen des Corona-Virus, die ohne Schutzmaßnahmen im Alltag nur schwer verhindert werden können, eine wichtige Rolle spielen dürften. Zugleich können sich vor allem jüngere Kinder nicht in vollem Umfang an kontaktreduzierende und Hygienemaßnahmen halten. Daher wird auch ein Schulstart nach der durch Corona bedingten Pause beginnend mit den ältesten Schülern angeraten – begleitet von einem Monitoring, um von dessen Ergebnissen die Entscheidung über die Öffnung weiterer und jüngerer Klassen abhängig zu machen.
Soweit der Antragsteller auf eine Isländische Studie mit dem Titel „Spread of SARSCoV-2 in the Icelandic Population“ verweist, die belege, dass Kinder keine Rolle bei der Weiterverbreitung des Virus spielten, vermag das Gericht hieraus keine gesicherten Schlüsse zu ziehen. Zutreffend ist, dass Kinder ohne Vorerkrankungen nach derzeitigem Erkenntnisstand bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus wohl kaum Symptome zeigen, jedenfalls aber kaum einen schweren Krankheitsverlauf entwickeln. Die Studie aus Island ist hinsichtlich der Ansteckungsrate von Kindern allerdings in der virologischen Wissenschaft nicht unumstritten, zumal sie auf der Untersuchung Freiwilliger sowie Heimkehrern von Reisen beruht und daher Bedenken hinsichtlich der Repräsentativität bestehen. Zudem kam eine Haushaltskontakt-Studie aus China („Epidemiology and Transmission of COVID-19 in Shenzhen China“, https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.03.03.20028423v3) zu dem Ergebnis, dass Kinder aller Altersgruppen und Erwachsene in etwa gleiche „Attack Rates“ haben (=Rate derjenigen, die sich bei einem exponierten Haushaltsmitglied infiziert haben). Dabei ergab sich kein Unterschied zwischen 20- bis 30-Jährigen, 10- bis 19-Jährigen und 0- bis 9-Jährigen (vgl. zu beiden Studien Prof. Drosten, NDR-Podcast, https://www.ndr.de/nachrichten/info/33-HerdenimmunitaetnochlangenichtinSicht,podcastcoronavirus192.html).
Schließlich ist auch aus den vom Antragsgegner auf S. 8 seiner Antragserwiderung angegebenen Zahlen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Situation an den Schulen ersichtlich, dass sich auch Schüler – genau wie Lehrer – mit dem neuartigen Coronavirus infizieren. Zwar ist mangels hinreichender Datenlage wissenschaftlich derzeit noch weitgehend ungeklärt, wie infektiös gerade kleine Kinder, die sich mit dem Virus infiziert haben, tatsächlich sind, weil kleine Kinder bislang kaum Gegenstand wissenschaftlicher Studien waren. Insgesamt muss angesichts der dargestellten Erkenntnisse derzeit aber davon ausgegangen werden, dass Kinder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Rolle bei der Weiterverbreitung des Virus spielen, was durch den überwiegend symptomfreien Verlauf der Infektionen besonders virulent ist. Daher kann auch der Maßnahme des verfügten Besuchs von Kindertagesstätten die Eignung derzeit nicht abgesprochen werden.
Das erkennende Gericht kann im Rahmen des Eilverfahrens auch nicht feststellen, dass andere zur Erreichung des Ziels der Verhinderung weiterer Infektionen mit COVID-19 möglicherweise ebenfalls geeignete Regelungsmodelle, wie etwa die von den Antragstellern vorgeschlagene Beschulung und Betreuung unter Anordnung von infektiologisch sinnvollen Auflagen wie Einhaltung von Hygienemaßnahmen, Schichtbetrieb, kleinere Gruppen, Verkürzung der täglichen Schulzeit u.Ä., in ihrer Wirkung dem vom Antragsgegner gewählten und nach wie vor festgehaltenen vollständigen Unterrichts- und Betreuungsverbot mit Ausnahme der Schüler in Abschlussklassen (Nr. 2.4) gleichkommen und daher als milderes Mittel zurzeit in Betracht zu ziehen sind. Wie bereits ausgeführt ist in einer durch zahlreiche Unsicherheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägten epidemischen Lage wie der vorliegenden nicht nur dem Verordnungsgeber, sondern auch den zuständigen Behörden bei Erlass einer Allgemeinverfügung wie der vorliegenden ein Beurteilungsspielraum im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen (so bereits VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222), soweit und solange sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen. Insoweit wird man feststellen dürfen, dass der in der gesamten Bundesrepublik Deutschland vor ca. einem Monat vorgenommene sogenannte „Shutdown“ mit einer weitgehenden Einschränkung des öffentlichen Lebens, wozu auch die vollständige Schließung von Schulen gehörte, erste Erfolge in Form einer Abflachung der Infektionskurve und der Verbesserung maßgeblicher Parameter, etwa der Reproduktionszahl R, gebracht hat (vgl. dazu die Informationen des RKI unter https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/17/Art_02.html). Ob diese Erfolge auch durch die Anordnung weniger einschneidender Maßnahmen erzielt worden wären, ist zumindest zweifelhaft. Das Gericht kann derzeit auch nicht eindeutig feststellen, dass Hygienekonzepte – zumal bei jüngeren Kindern – ein gleich wirksames Mittel zur Verhinderung einer ungehemmten Ausbreitung der Virusinfektion darstellen. Die Entscheidung, zunächst den Unterricht für höhere Klassen wieder zuzulassen und namentlich Grundschüler hintanzustellen, ist aufgrund der Überlegung, dass jüngeren Kindern die Einhaltung von Maßnahmen des Infektionsschutzes, beispielsweise was das Einhalten von Abständen zu anderen, eine angemessene Handhygiene oder das Berücksichtigen einer Hust- und Niesetikette betrifft, vergleichsweise schwerer fällt als Älteren, ohne weiteres nachvollziehbar.
Schließlich stellt auch die von den Antragstellern ins Feld geführte Beschränkung von Schutzmaßnahmen allein auf die „Risikogruppe“ kein offensichtlich gleichermaßen wirksames Mittel dar. Zum einen ist die Risikogruppe angesichts dessen, dass eine Vielzahl jüngerer Menschen keine Kenntnis von etwaigen Vorerkrankungen hat, vorliegend schon nicht abgrenzbar. Des Weiteren bestehen nach der Meinung wissenschaftlicher Experten Zweifel daran, dass am Beginn einer derartigen Epidemie ein vollständiges Kontaktverbot nur für die „Risikogruppe“ ein wirksames Mittel zur hinreichenden Verlangsamung der Ausbreitungsgeschwindigkeit darstellt, um eine Überbelastung des Gesundheitssystems mit ausreichender Sicherheit zu verhindern. Denn die Risikogruppe dürfte zu groß und der erreichbare Grad der Immunität zu gering sein, um das Infektionsgeschehen in absehbarer Zeit zu stoppen (vgl. z.B. „Der Spiegel vom 2.4.2020, online abrufbar unter https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirusisteinekontaktsperrenurfuerrisikogruppeneinealternativea-0f25ccea-780b- 47cea06ff76e98e6924d). Zudem dürfte es kaum möglich sein, die „Risikogruppe“ im erforderlichen Maß zu isolieren, da ältere Menschen vielfach besonders auf Kontakt zu anderen wie beispielsweise Pflegekräften angewiesen sind. Schließlich wäre das vollständige „Einsperren“ einer großen Gruppe der Bevölkerung für diese mit ungleich intensiveren Grundrechtseingriffen verbunden als die derzeit ergriffenen Maßnahmen für die Antragsteller, da der „Risikogruppe“ die Bewegungsfreiheit nahezu vollständig genommen werden müsste. Die Antragsteller hingegen können ihr Recht auf Bewegungs- und Handlungsfreiheit infolge der mit der 2. BayIfSMV eingeführten gelockerten Ausgangsbeschränkungen trotz der Schul- und KiTa-Schließungen in vielfältiger Weise ausüben, indem sie insbesondere Spazierengehen, jeweils einen haushaltsfremden Freund an der frischen Luft treffen, ihren Beruf ausüben sowie einkaufen können.
Das vollständige Unterrichts- und Kindertagesstättenbesuchsverbot mit Ausnahme der Abschlussklassen erweist sich in Abwägung der maßgeblichen Rechtsgüter derzeit auch noch als angemessen. Insofern ist der im öffentlichen Interesse verfolgte Schutz des Lebens und der Gesundheit der Einzelnen sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems mit dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag und dem korrespondierenden – wohl doch auch subjektiven (dazu Geis in: Meder/Brechmann, BV, Art. 128 Rn. 2b) Recht der Antragstellerinnen auf (schulische) Bildung und Ausbildung (Art. 128 Abs. 1 Bayerische Verfassung, Art. 1 Satz 1 BayEUG) sowie deren allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Berufsausübungsrecht der Eltern in Ausgleich zu bringen.
Hierbei ist zunächst festzustellen, dass es sich angesichts der fortgeschritten zeitlichen Dauer der Schulschließungen um einen sehr intensiven Eingriff in die grundrechtlich geschützten Interessen der Schüler und Eltern handelt, weil Schüler in ihrer schulischen Entwicklung zurückbleiben können, die Situation für viele mit außerordentlichen psychischen Belastungen einhergeht und Eltern ihren Beruf oft nicht mehr im gewünschten oder erforderlichen Maß ausüben können. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Neuinfektionen zwar zurückgegangen; gleichwohl befinden sich Deutschland und Bayern weiterhin in einer kritischen pandemischen Lage. Nach dem gegenwärtigen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (Stand: 28.4.2020) gibt es 156.337 an das RKI übermittelte, laborbestätigte COVID-19-Fälle, darunter 5.913 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen. Bezogen auf die Einwohnerzahl (Fälle pro 100.000 Einwohner) wurden die höchsten Inzidenzen aus Bayern (317) gemeldet. Die Reproduktionszahl r, die angibt, wie viele Menschen im Durchschnitt von einer infizierten Person angesteckt werden, wird aktuell mit 0,9 angegeben. Trifft der von manchen Experten prognostizierte zu erwartende Durchseuchungsgrad der Bevölkerung von mindestens 60% zu, kann es, soweit weder ein Impfstoff noch ein antivirales Medikament in absehbarer Zeit zur Verfügung steht, bei einer Letalitätsrate von angenommenen 3% zu weit mehr Todesopfern kommen. In einer derartigen Lage erscheint es dem Gericht grundsätzlich angemessen, wenn sich der Antragsgegner sowohl im schulischen als auch außerschulischen Bereich für eine vorsichtige und nur stufenweise Lockerung entscheidet, zumal sich ein durch diese erstmaligen Lockerungen verursachter Rückfall in einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen erst mit einer zwei- bis dreiwöchigen Verzögerung zeigen würde und möglicherweise nur schwer wieder einzudämmen wäre. Dass der Antragsgegner nach entsprechender Prüfung und Abwägung der Vorteile und Risiken den Schulunterricht ab dem 27. April 2020 nur stufenweise, zunächst nur für die Abschlussklassen und mit entsprechenden infektionsschutzrechtlichen Vorgaben zulässt und erst zu einem späteren Zeitpunkt weiter öffnen wird (siehe dazu https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/6945/faqzumunterrichtsbetriebanbayernsschulen.html#allgemeinesunterrichtsbetrieb), erscheint daher derzeit verhältnismäßig. Die Entscheidung, zunächst den Unterricht für höhere Klassen wieder zuzulassen und namentlich Grundschüler hintanzustellen, ist aufgrund der Überlegung, dass kleineren Kindern die Einhaltung von Maßnahmen des Infektionsschutzes, beispielsweise was das Einhalten von Abständen zu anderen, eine angemessene Handhygiene oder das Berücksichtigen einer Hust- und Niesetikette betrifft, vergleichsweise schwerer fällt als Älteren, ohne weiteres nachvollziehbar. Auch rechtfertigt sich die Ausnahme zunächst nur für Abschlussklassen wegen der Grundrechtsrelevanz der Schulschließungen für die hiervon Betroffenen im Hinblick auf ihr Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 GG.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die bestehenden Ange bote einer Beschulung zu Hause mittels moderner Kommunikationstechnologie zwar keinen gleichwertigen Ersatz für den Schulunterricht, aber jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum eine gewisse Kompensation hierfür darstellen. Wie die Antragsteller selbst darlegen, kann diese Form der Beschulung „nur ausnahmsweise“ zur Verwirklichung des Bildungsauftrags und des Bildungsrechts ausreichen. In einer solchen Ausnahmesituation befindet sich gegenwärtig das Schulwesen aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus immer noch. Außerdem ist anzunehmen, dass gerade bei den Antragstellern die im Antrag zutreffend genannten Wirkbedingungen für einen Lernerfolg zu Hause, nämlich der Zugang zu technischen Einrichtungen und ein gewisses Engagement und Bildungsniveau der Eltern, vorliegen dürften. Bei sogenannten „bildungsfernen“ Betroffenen mag dies anders sein. Außerdem ist auf Nummern 4 und 5 der Allgemeinverfügung zu verweisen, wonach immerhin für Schüler und Kindergartenkinder von Eltern in systemrelevanten Berufen unter den dort genannten Voraussetzungen ein Betreuungsangebot in den Schulen besteht. Im Übrigen ist der Antragsgegner ersichtlich bemüht, die kompensatorische Maßnahme des Lernens zu Hause ständig zu optimieren (siehe die Hinweise und Standards für das Lernen zuhause (https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/6947/neuehinweiseundstandardsfuerdaslernenzuhauseveroeffentlicht.html) und den Eltern hierfür vielfache staatliche Hilfe anzubieten. Soweit die Antragsteller ausführen, dass die kompensatorischen Lernangebote im konkreten Fall evident unzureichend seien, ist es ihnen zuzumuten, sich deswegen zunächst an die betreffenden Schulen und Lehrer zu wenden und um Abhilfe zu bitten. Dass sie dies bereits erfolglos versucht haben, wurde nicht dargelegt.
Daher genügt das Unterrichtsverbot mit Ausnahmetatbeständen für Abschlussklassen
im konkreten Fall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Den Staat trifft mit fortschreitender Zeitdauer der Maßnahme allerdings eine vertiefte Prüf- und Rechtfertigungsverpflichtung unter dem Gesichtspunkt, ob die angeordneten Maßnahmen weiterhin „notwendig“ i.S.v. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und damit (noch) verhältnismäßig sind (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611). Durch die Befristung der Allgemeinverfügung ist sichergestellt, dass diese unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei ist hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren relevanten Verbots des Schul- und Kindertagesstättenbesuchs eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen und zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Verbot unter geeigneten Auflagen und möglicherweise auch regional begrenzt zu lockern. Den Antragsgegner trifft hierbei insbesondere die Pflicht, wissenschaftliche Untersuchungen zur Gefahr der Verbreitung des Virus gerade durch Kinder zu veranlassen oder zu fördern sowie – in Abhängigkeit vom weiteren Infektionsgeschehen – geeignete Konzepte zu erarbeiten, die allen Schülern in absehbarer Zeit einen Schulbesuch zumindest in beschränktem Umfang ermöglichen. 3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrp. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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