Verwaltungsrecht

Untersagung der Nutzung von Kellerräumen als Aufenthaltsräume

Aktenzeichen  9 CS 19.1924

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30506
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 63 Abs. 1, Art. 76 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Allein durch Zeitablauf (hier: 60 Jahre) kann ein Bestandsschutz für rechtswidrige bauliche Anlagen nicht entstehen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Bauvorhaben nur im Wege einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO zulassungsfähig, kann von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit nicht die Rede sein. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde ist – unabhängig von einer Kenntnis oder Unkenntnis – nicht geeignet, ein für die Ausübung des Verwaltungsermessens beachtliches Vertrauen darin zu begründen, gegen baurechtswidrige Zustände werde auch künftig nicht eingeschritten. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 S 18.2519 u.a. 2019-08-19 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.250,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Untersagung der Nutzung von Kellerräumen als Aufenthaltsräume.
Der Antragsteller ist Mieter des Anwesens F…, FlNr. 2…4/4 Gemarkung N.-L. in N. Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 1955 wurde für dieses Grundstück eine Baugenehmigung für den Teilwiederaufbau des früheren Gebäudes F… erteilt. Nach dem einen Genehmigungsstempel tragenden Plan „Kellergeschoss“ waren dort sechs Kellerräume und ein Heizraum vorgesehen, wobei die Nutzungsbeschreibung des als K2 bezeichneten Kellerraums in die Bezeichnung „Waschküche“ umgeändert wurde.
Nachdem bei einer Ortseinsicht zur Überprüfung der Vorschriften des Prostitutionsgesetzes am 9. März 2018 festgestellt worden war, dass im Kellergeschoss dieses Anwesens von den als Kellerräumen und Heizraum genehmigten Räumen vier als Schlafräume, einer als Aufenthaltsraum/Küche und einer als Büro genutzt wurden, untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. März 2018 die Nutzung der sechs Kellerräume und der Waschküche im Anwesen F… als Aufenthaltsräume; die Nutzung sei sofort, spätestens 3 Tage ab Zustellung des Bescheids einzustellen (Nr. 1 des Bescheids). Die Antragsgegnerin ordnete den Sofortvollzug an (Nr. 2) und drohte für den Fall, dass der Nutzungsuntersagung nicht sofort Folge geleistet wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 10.500 Euro, aufgegliedert je Kellerraum bzw. Waschküche in Höhe von 1.500 Euro, an (Nr. 3).
Mit Bescheid vom 20. März 2018 hob die Antragsgegnerin die in Nr. 3 des Bescheids vom 13. März 2018 ausgesprochene Zwangsgeldandrohung auf und drohte für den Fall, dass die Nutzung der sechs Kellerräume als Aufenthaltsräume im oben genannten Anwesen nicht innerhalb einer Frist von 3 Tagen ab Zustellung dieses Bescheids eingestellt wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 10.500 Euro, 1.500 Euro je Kellerraum bzw. Waschküche an.
Mit weiterem Bescheid vom 16. Mai 2018 bestimmte die Antragsgegnerin zur vollständigen Erfüllung der Anordnung Nr. 1 des Bescheids vom 13. März 2018 eine Nachfrist von drei Tagen ab Zustellung dieses Bescheids (Nr. 1) und drohte in Nr. 2 für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist ein Zwangsgeld von insgesamt 9.000 Euro an.
Gegen sämtliche Bescheide erhob der Antragsteller Klagen zum Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden ist. Seine Anträge, die aufschiebende Wirkung seiner Klagen wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht bezüglich der Bescheide vom 13. März und 20. März 2018 mit Beschluss vom 19. August 2019 abgelehnt. Die Nutzungsuntersagung sei aller Voraussicht nach rechtmäßig. Aus dem Akteninhalt, insbesondere den darin enthaltenen Lichtbildern und Aktenvermerken ergebe sich, dass die Kellerräume vom Antragsteller zumindest zeitweise immer wieder als Aufenthaltsräume genutzt worden seien. Nach der Baugenehmigung vom 16. Dezember 1955 seien die Räume im Kellergeschoss als Kellerräume, Waschküche bzw. Heizraum, jedenfalls nicht als Aufenthaltsräume genehmigt worden. Somit liege eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung vor. Eine bevorstehende rechtswidrige Nutzung könne auch vorbeugend untersagt werden. Konkrete Anhaltspunkte für eine solche Nutzung der Räume würden sich sowohl aus den Angaben des Antragstellers zur langjährigen Nutzung der Räume zur Prostitution als auch aus seiner Angabe ergeben, die Nutzung der Kellerräume zur Ausübung der Prostitution sei nur vorsorglich aufgelassen worden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Obwohl der Antragsgegnerin über Jahrzehnte bekannt gewesen sei, dass die Räume im Keller seit über 60 Jahren für die Ausübung der Prostitution genutzt worden seien, habe sie nichts dagegen unternommen. Bei „Dutzenden von Kontrollen“ sei diese Nutzung kein einziges Mal gerügt worden. Die Nutzung der Kellerräume als Aufenthaltsräume sei offensichtlich genehmigungsfähig. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht vom Fehlen der gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlichen Mindesthöhe von 2,40 m ausgegangen; insoweit komme Bestandsschutz in Betracht. Entgegen dem Verwaltungsgericht fehle es auch nicht an dem für einen Aufenthaltsraum erforderlichen zweiten Rettungsweg, da über die Kellerräume K2 und K3 zweite Rettungswege vorhanden seien.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. August 2019 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klagen des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 13. März 2018, 20. März 2018 und 16. Mai 2018 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 19. August 2019 sei lediglich die Nutzungsuntersagung vom 13. März 2018, geändert mit Bescheid vom 20. März 2018. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht noch nicht über die selbständige Zwangsgeldandrohung vom 16. Mai 2018 entschieden. Die Nutzung der Kellerräume zu Aufenthaltszwecken, hier zur Ausübung der Prostitution, sei nicht genehmigt und auch offensichtlich nicht genehmigungsfähig. Die untere Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin habe diese Nutzung auch nicht über 60 Jahre geduldet. Die Vornahme von Kontrollen, etwa des Ordnungsamts (Gewerbeüberwachung) oder des Gesundheitsamts seien hierfür ohne Belang. Ein schlichtes Unterlassen bauaufsichtlichen Einschreitens, wie es in einem Aktenvermerk aus dem Jahre 1957 dokumentiert sei, könne den Erlass einer Nutzungsuntersagung nicht hindern und wegen des Zeitablaufs keine Rechtswirkungen mehr erzeugen. Mangels Vorliegen einer Baugenehmigung könne auch kein Bestandsschutz geltend gemacht werden. Inwieweit eine Abweichung von der Raumhöhe möglich wäre und ein erforderlicher zweiter Rettungsweg durch einzelne Baumaßnahmen hergestellt werden könne, könne nur in einem Baugenehmigungsverfahren geprüft werden. Ein diesbezüglicher Bauantrag sei bisher vom Antragsteller nicht eingereicht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2018 (Az. Z 1-2018-80) gerichtet ist. Wie sich dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. August 2019 entnehmen lässt, waren Gegenstand dieser Entscheidung lediglich die Bescheide der Antragsgegnerin vom 13. März 2018 (Verfahren AN 9 S 18.02519) und vom 20. März 2018 (Verfahren AN 9 S 18.02520). Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht über den Eilantrag betreffend den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2018 (Verfahren AN 9 S 18.02521) noch nicht entschieden.
2. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, stellt die Nutzung der Kellerräume als Aufenthaltsräume gegenüber der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 1955 genehmigten Nutzung als Kellerräume, Waschküche bzw. Heizraum eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Änderung dar, weil für diese abweichende Nutzung schon im Hinblick auf Art. 45 Abs. 1 und 2 BayBO andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht kommen (vgl. Art. 57 Abs. 4 BayBO).
Dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Nutzung der Kellerräume als Aufenthaltsräume entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts offensichtlich genehmigungsfähig ist. Soweit der Antragsteller geltend macht, hinsichtlich des Fehlens der gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlichen Mindesthöhe von 2,40 m für Aufenthaltsräume „greife oder könnte Bestandsschutz greifen“, reicht hierfür der bloße Hinweis darauf, die Kellerräume seien seit 60 Jahren für die Ausübung der Prostitution genutzt worden, nicht aus. Allein durch Zeitablauf kann ein Bestandsschutz für rechtswidrige bauliche Anlagen nicht entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.2173 – juris Rn. 9; B.v. 2.9.2019 – 9 CS 19.1170 u.a. – juris Rn. 14).
Soweit im Beschwerdevorbringen behauptet wird, die in den Kellerräumen K2 und K3 vorhandenen Fenster seien als zweite Rettungswege anzusehen, setzt sich der Antragsteller nicht mit den entgegenstehenden Feststellungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 13. März 2018 auseinander, wonach diese Fenster nicht die für die Anerkennung als zweiter Rettungsweg nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayBO gemäß Art. 35 Abs. 4 BayBO erforderliche Breite von mindestens 0,60 m und Höhe von mindestens 1 m aufweisen.
Ob eine Abweichung von der erforderlichen Raumhöhe möglich wäre und ein erforderlicher zweiter Rettungsweg durch einzelne Baumaßnahmen hergestellt werden kann, kann nur in einem Baugenehmigungsverfahren geprüft werden. Ist ein Bauvorhaben nur im Weg einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO zulassungsfähig, kann aber von einer „offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit“ nicht mehr die Rede sein (vgl. BayVGH, B.v. 2.6.2017 – 9 ZB 15.1216 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Schließlich ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der bloße Zeitablauf allein die Bauaufsichtsbehörden nicht hindert, gegen einen auch seit langen Jahren bestehenden rechtswidrigen Baubestand einzuschreiten (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.2173 – juris Rn. 10). Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde ist – unabhängig von einer Kenntnis oder Unkenntnis – nicht geeignet, ein für die Ausübung des Verwaltungsermessens beachtliches Vertrauen darin zu begründen, gegen baurechtswidrige Zustände werde auch künftig nicht eingeschritten (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2015 – 9 ZB 14.2580 – juris Rn. 19). Ein zur bloßen Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde hinzukommendes besonderes Verhalten, aufgrund dessen der Antragsteller annehmen durfte, die Behörde werde von ihrer bauaufsichtlichen Einschreitungsbefugnis keinen Gebrauch machen, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Der allgemeine Hinweis, bei „Dutzenden von Kontrollen“ sei die Nutzung der Kellerräume für die Ausübung der Prostitution nicht gerügt worden, reicht hierfür nicht aus, weil sich daraus bereits nicht ergibt, ob diese Kontrollen durch die Bauaufsichtsbehörde oder andere Behörden vorgenommen worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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