Verwaltungsrecht

Untersagung des Inverkehrbringens eines Produkts gegen Milbenbefall bei Hühnern

Aktenzeichen  20 CS 20.435

Datum:
10.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16910
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 21, § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 86 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1. Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels fällt ein Erzeugnis, wenn es ausdrücklich als ein Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen oder tierischen Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die Eigenschaften eines Mittels zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten habe (st. Rspr. BVerwG BeckRS 2015, 41469 Rn. 14). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels ist allein die Bezeichnung eines therapeutischen Nutzen oder der pharmakologische Wirksamkeit ausreichend, ohne dass es auf den tatsächlichen Nutzen oder die Wirksamkeit ankommt. Dabei ist der Begriff der „Bezeichnung“ eines Erzeugnisses weit auszulegen (Anschluss an EuGH BeckRS 2007, 70926 Rn. 43). (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der arzneimittelrechtliche Krankheitsbegriff ist denkbar weit gefasst. Eine Krankheit ist danach jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d.h. beseitigt oder gelindert werden kann. Eingeschlossen werden alle Beschwerden, die von der gesundheitlichen Norm abweichen, ohne Rücksicht darauf, ob die Normabweichungen nur vorübergehend oder nicht erheblich sind (Anschluss an BGH NJW 1958, 916). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 19.5847 2020-02-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Änderung von Ziffer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 11.697,80 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Untersagung des Inverkehrbringens des von ihr in Deutschland vertriebenen Produkts NOR-MITE.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2019, dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am 4. November 2019, traf der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin folgende Anordnung:
„1. Der Firma Pulte GmbH und Co. KG wird ab Zugang dieses Bescheides das Inverkehrbringen von „Nor-Mite“ Produkten ohne entsprechende Zulassung der zuständigen Bundesoberbehörde oder ohne Genehmigung für das Inverkehrbringen durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder des Rates der Europäischen Union untersagt.“
Der Beklagte ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 an.
Den von der Antragstellerin erhobenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2020 im Wesentlichen mit der Begründung ab, es handele sich nach summarischer Prüfung bei dem Gegenstand der Untersagungsverfügung um ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, dem die nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG erforderliche Zulassung fehle.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vorliegenden Beschwerde. Sie verweist insbesondere darauf, dass es sich bei dem Befall eines Hühnerbestandes mit einem Ektoparasiten wie der Roten Vogelmilbe schon nicht um eine Krankheit im Sinne der arzneimittelrechtlichen Vorschriften handele. Außerdem sei das Produkt als Futtermittel zugelassen und habe rein repellierende, jedoch keine therapeutische oder pharmakologische Wirkung. Dies sei für den Verbraucherkreis fachkundiger Geflügelhalter auch ohne weiteres erkennbar.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 30. Oktober 2019 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Antragstellerin dringt mit dem Vorbringen ihrer Beschwerde, an das der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren grundsätzlich gebunden ist, im Ergebnis nicht durch. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, das das Produkt der Antragstellerin anhand der gesetzlichen und der von der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien als Präsentationsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG einstuft, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass sich die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der auf Grundlage des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG erlassenen Untersagungsverfügung voraussichtlich als rechtmäßig erweist.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG kann die zuständige Behörde insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt oder deren Ruhen angeordnet ist.
§ 21 AMG regelt das Inverkehrbringen zulassungspflichtiger Fertigarzneimittel, sofern sie Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG sind.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, der die unionsrechtliche Begriffsbestimmung des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2012/26/EU (ABl. L 299/1 vom 27.10.2012) zur Schaffung eines einheitlichen Gemeinschaftskodex für Arzneimittel übernommen hat, sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind.
Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels fällt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Rechtsprechung des EuGH folgt (EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – juris Rn. 44 ff.; BVerwG, U.v. 20.11.2014 – 3 C-25/13 – juris Rn. 14; auch schon BVerwG, U.v. 24.11.1994 – 3 C 2/93 – juris) ein Erzeugnis, wenn es ausdrücklich als ein Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen oder tierischen Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die Eigenschaften eines Mittels zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten habe (EuGH, a.a.O. juris Rn. 46). Damit erfasst Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) der Richtlinie alle Produkte mit therapeutischer oder prophylaktischer Zweckbestimmung, ohne dass es auf einen therapeutischen Nutzen oder ihre pharmakologische Wirksamkeit ankommt (vgl. Müller in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 2 AMG Rn. 20, 26). Allein die Bezeichnung eines solchen Nutzens oder einer solchen Wirksamkeit ist ausreichend (EuGH, B.v. 15.11.2007 – C-319/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:678 – Rn. 43).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der „Bezeichnung“ eines Erzeugnisses weit auszulegen. Die Richtlinie 2001/83 hat demnach, soweit sie das Kriterium der Bezeichnung des Arzneimittels zugrunde legt, nicht nur Arzneimittel mit tatsächlicher therapeutischer oder medizinischer Wirkung erfassen sollen, sondern auch Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder die nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer Bezeichnung von ihnen erwarten darf. Die Richtlinie zielt somit darauf, den Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln zu schützen, sondern auch vor verschiedenen Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (EuGH 15.11.2007 – Rn. 43 mit Verweis auf Urteil Bennekom Rn. 17 EuGH, Rs. 227/82, Slg. 1983, 3883). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist davon auszugehen, dass ein Erzeugnis im vorgenannten Sinn „bezeichnet“ wird, wenn es, gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich ausdrücklich als ein solches „bezeichnet“ oder „empfohlen“ wird (EuGH, U.v. 15.11.2007 a.a.O. Rn. 44 unter Verweis auf Urteil Bennekom, a.a.O. Rn. 18 und Urteil Monteil und Samanni – C-60/89 – Rs. 1991 I-01547 – ECLI:ECLI:EU:C:1991:138 Rn.23).
Nach einheitlicher Rechtsprechung ist der arzneimittelrechtliche Krankheitsbegriff denkbar weit gefasst. Eine Krankheit ist danach jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d.h. beseitigt oder gelindert werden kann. Eingeschlossen werden alle Beschwerden, die von der gesundheitlichen Norm abweichen, ohne Rücksicht darauf, ob die Normabweichungen nur vorübergehend oder nicht erheblich sind (BGHSt 11,304; BVerwGE 37, 209, 214; Müller in Kügel/Müller/Hofmann, a.a.O. § 2 Rn. 75 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
1.
Nach diesen Grundsätzen hat die Beschwerde nichts Rechtserhebliches dargelegt, das die Annahme des Verwaltungsgerichts, es handele sich bei NOR-MITE um ein Präsentationsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, in Zweifel ziehen könnte. Insbesondere rügt die Beschwerdebegründung zu Unrecht, es seien nur einzelne Gesichtspunkte für das Bestehen einer Arzneimitteleigenschaft dargelegt worden.
a.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG liegen vor.
(1)
Der zur Frage des Bestehens einer Präsentationsarzneimitteleigenschaft allein maßgeblichen streitgegenständlichen Produktbeschreibung lassen sich detaillierte Angaben zum Krankheitsbild der Dermanyssose entnehmen (Blatt 33-37 der Behördenakte). Bei dieser handelt es sich um eine Krankheit i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, die durch den starken Juckreiz infolge der Bissverletzungen der Roten Vogelmilbe verursacht wird. Die Schwere der Folgen der Milbenbisse dürfte dabei unmittelbar mit der Intensität des Befalls zusammenhängen. Die Symptome der Krankheit werden wie folgt beschrieben: u.a. Unruhe, Schreckhaftigkeit, Schäden am Federkleid, Anämie (blasse Kämme), Nachlassen der Lege- oder Mastleistung (Johannes Eckert, Lehrbuch der Parasitologie für die Tiermedizin: 112 Tabellen, Georg Thieme Verlag, S. 401f.). Dieser Annahme tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen; vielmehr misst die Antragstellerin selbst in der Produktbeschreibung dem Befall mit der Roten Vogelmilbe Krankheitswert – insbesondere durch die Folgen der Milbenbisse – zu. Insbesondere vermag die Beschwerde angesichts der Erläuterungen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 24. April 2020 zum Begriff der „Infestation“ nicht mit dem Einwand durchzudringen, der Befall mit der Roten Vogelmilbe habe nicht an sich schon Krankheitswert. Vielmehr handelt es sich begrifflich – so legt es die Antragstellerin selbst in der Begründung ihrer Beschwerde vom 23. März 2020 dar – bei einer Infestation mit Schädlingen um eine Parasitose und damit um eine Krankheit im Sinn des Arzneimittelrechts; dies gilt auch bei einem Befall mit Ektoparasiten, also Schädlingen, die den Wirt nach der Blutmahlzeit wieder verlassen.
(2)
NOR-MITE ist nach der Produktbeschreibung auch zur Heilung, Linderung oder Verhütung eines krankhaften Milbenbefalls bestimmt, weil jedenfalls schlüssig bei einem durchschnittlich informiertem Verbraucher – auch wenn man zugunsten der Antragstellerin auf einen fachkundigen Verbraucherkreis abstellen sollte – angesichts seiner Aufmachung ein entsprechender Eindruck entsteht.
Zwar wird das Krankheitsbild der Dermanyssose, zu dem ein entsprechend starker Befall mit der Roten Vogelmilbe führen kann, in der Produktbeschreibung nicht ausdrücklich erwähnt. Jedoch werden die Symptome dieser Geflügelkrankheit in einer Art und Weise geschildert, die der Zielgruppe der Geflügelhalter den Krankheitswert eines Milbenbefalls vor Augen führt (Blutflecken auf den Eiern, Stiche, Stress, vermehrte Pickaktivität, Anämie; Rückgang der Leistung, erhöhtes Krankheitsrisiko; Schwächung des Immunsystems, Anfälligkeit für andere Krankheiten), was einer ausdrücklichen Benennung der Krankheit gleichstehen dürfte. Unterstützt wird die Produktpräsentation durch eine bildliche Darstellung des Wirkmechanismus (Seite 37 der Behördenakte), die die Problematik des Milbenbefalls ersichtlich nicht auf Stall und Einstreu beschränkt, sondern sowohl die Wirkung der Milbe als auch des Produktes am betroffenen Huhn selbst veranschaulicht. Sofern das Beschwerdevorbringen darauf abstellt, es seien lediglich Stall und Einstreu und nicht das Huhn selbst befallen, setzt es sich zu der streitgegenständlichen Produktpräsentation in Widerspruch.
Die Produktbeschreibung enthält ferner Angaben zu „Dosierung“ und „Behandlungsdauer“, die jedenfalls in Kombination mit Formulierungen wie „Befallsniveau“ Begrifflichkeiten darstellen, die als arzneimitteltypisch anzusehen sind und darauf schließen lassen, dass eine Krankheit behandelt werden soll. Beim Verbraucher entsteht so der Eindruck, dass NOR-MITE sowohl präventiv eingesetzt werden als auch starken Befall mit der Roten Vogelmilbe beseitigen kann. Schließlich wird unter Bezugnahme auf Fipronil (ein wirksames, aber wegen der Rückstandsproblematik zur Anwendung an lebensmittelproduzierenden Tieren verbotenes Mittel, vgl. Zeit Online vom 3. August 2017, https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2017-08/fipronil-gift-eier-verbraucherschutz-bioeier-rueckruf-landwirtschaft unter Hinweis auf seine Wirksamkeit gegen die Rote Vogelmilbe, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2020) und die Darstellung, es handele sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um eine ökologische (und gleich wirksame) Alternative, eine erfolgreiche Bekämpfung der Milben und deren Folgen behauptet. Dies kann bei fachkundigen Geflügelhaltern, die die Risiken eines Befalls mit der Roten Vogelmilbe und die Schwierigkeiten seiner Bekämpfung kennen dürften (https://www.dgs-magazin.de/NeuerImpfstoff-gegen-die-Rote-Vogelmilbe-in-Sicht, QUIEPTYxMDY5NTMmTUIEPQ3Mg.html, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2020), die Kaufentscheidung für ein Produkt, dem therapeutischer Nutzen zugeschrieben wird, beeinflussen.
(3)
Der Bezeichnung als Futtermittel kommt im hier konkret zu entscheidenden Einzelfall – anders als das Beschwerdevorbringen meint – bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nur eine geringe Bedeutung zu. Zwar wird ein verständiger Durchschnittsverbraucher im Allgemeinen nicht annehmen, dass ein Produkt entgegen eines ausdrücklichen Hinweises oder einer anderen Bezeichnung ein Arzneimittel ist. Allerdings können im Einzelfall Umstände hinzutreten, die es gleichwohl als Arzneimittel erscheinen lassen, etwa die Art der Bewerbung oder die preisende Nennung von (vermeintlich) arzneilich wirksamen Bestandteilen (OVG Münster, U.v. 26.9.2019 – 13 A 3290/17 – PharmR 2019, 669 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. März 1991 – C-369/88 – ECLI:ECLI:EU:C:1991:137 (Delattre) -, juris, Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 – NVwZ, 2009, 1038-1040 – juris, Rn. 22 und vom 25. Juli 2007 – 3 C 21.06 – NVwZ 2008, 439-442 -, juris, Rn. 40, jeweils m.w.N.; Schneider, PharmR 2010, 289). Hier ist die streitgegenständliche Produktpräsentation ausschließlich auf die (arzneiliche) Wirkung gegen die Rote Vogelmilbe ausgerichtet. Deswegen kann allein die Bezeichnung als „Ergänzungsfuttermittel“ oder „natürliches Mineralfutter“ kein relevantes Kriterium zum Ausschluss der Arzneimitteleigenschaft und zur Einstufung des Produkts als Futtermittel nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 AMG sein. Die in diesem Zusammenhang erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung eines Nahrungsergänzungsmittels zu einem Präsentationsarzneimittel erging hingegen zur Fragestellung, ob ein verständiger Durchschnittsverbraucher annehmen werde, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Produkt tatsächlich ein Arzneimittel sei, wenn es in der empfohlenen Dosis keine pharmakologische Wirkung habe und hatte damit einen völlig anderen Sachverhalt zum Gegenstand, da hier wesentlich die Kenntnis von der fehlenden pharmakologischen Wirkung war (BVerwG, U.v. 25.7.2007 – 3 C 23.06 – PharmR 2008, 78 -).
(4)
Schließlich ist weder aus dem Wortlaut der Norm noch sonst ersichtlich, dass in die Gesamtbetrachtung zur Feststellung der Eigenschaft als Präsentationsarzneimittel mögliche Gesundheitsrisiken des Produktes einzustellen wären und dass eine vermeintliche gesundheitliche Unbedenklichkeit, die die Antragstellerin wegen der Zulassung der verwendeten Inhaltsstoffe als Futtermittel behauptet, zu einem Ausschluss eines Präsentationsarzneimittels führen könnte. Denn für die Frage, ob es sich um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG handelt, kommt es – wie bereits dargestellt – anders als bei der Frage, ob ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG (Funktionsarzneimittel) vorliegt, auf die Frage der Wirksamkeit und eines (damit verbundenen) möglichen Gesundheitsrisikos nicht an. Der Bezug auf die von der Beschwerde in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – PharmR 2020, 202), die die Abgrenzung zwischen einem Nahrungsergänzungsmittel und einem Funktionsarzneimittel zum Gegenstand hat, ist deshalb vorliegend nicht weiterführend.
b.
Das Produkt fällt aufgrund seiner Aufmachung auch weder als Biozid-Produkt noch als Futtermittel unter den Negativkatalog des § 2 Abs. 3 Nr. 5 oder 6 AMG.
Der Einwand der Beschwerde, dem Mittel fehle aufgrund der rein repelletorischen Wirkung die Arzneimitteleigenschaft, weil nicht behauptet werde, dass es am Huhn selbst heilende Wirkung entfalte, ist ungeeignet, die positiv festgestellte Eigenschaft als Präsentationsarzneimittel (wieder) in Frage zu stellen. Gleiches gilt für den Fall, dass es sich bei den Inhaltsstoffen von NOR-MITE um zugelassene Futtermittelzusatzstoffe handeln sollte.
Wie dargestellt ist für die Frage, ob ein Produkt ein Präsentationsarzneimittel ist, allein die Produktbeschreibung ausschlaggebend, weil diese bei dem Verbraucher den Eindruck hervorruft, es handele sich um ein Arzneimittel. Damit erfolgt die Kategorisierung ganz wesentlich anhand der sprachlichen Gestaltung des Produktauftritts. Die tatsächliche Wirkungsweise hinsichtlich des Ob und Wie ist hingegen bedeutungslos, weshalb ein darauf bezogenes Beschwerdevorbringen unerheblich ist. Vielmehr hätte die Antragstellerin die Produktbeschreibung auf den repellierenden Wirkmechanismus bzw. die Futtermitteleigenschaft ihres Produktes beschränken können, ohne ihm einen krankheitsverhindernden oder -heilenden Zweck zuzuschreiben.
2.
Insoweit ist es – auch unter Heranziehung der Grenzfallregelung des § 2 Abs. 3 a AMG – für den vorliegenden Fall nicht streitentscheidend, ob dem Produkt tatsächlich Eigenschaften eines Biozids Art. 3 Abs. 1 lit a i.V.m. Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (Biozid-VO), Produktart 19 (Repellentien und Lockmittel) oder/und eines Futtermittels im Sinne des § 3 Nr. 12 bis 16 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches zukommen; bei positiv festgestellter Arzneimitteleigenschaft gebührt dem Arzneimittelrecht wegen seines höheren Schutzniveaus Vorrang (Müller in Kügel/Müller/Hofmann, a.a.O. § 2 Rn. 232; EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:678 – Rn. 37, juris unter Verweis auf EuGH, U.v. 28.10.1992, Ter-Voort, C-219/91, Slg. 1992, I-5485, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
3.
Ob dem streitgegenständlichen Produkt angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Änderung des Produktauftritts (https://www.pulte.de/Milben; https://feldundstall.de/kaufen/futtermittelzusatzstoffe/pulte-nor-mite-zusatzfutter/?v=3a52f3cc22ed6, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2020;) zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wohl maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung immer noch die Eigenschaft eines Präsentationsarzneimittels zugeschrieben werden muss (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 3 C 34/06 – juris Rn. 19: VGH-BW, U.v. 8.12.2010 – 9 S 783/10 – juris Rn. 17 m.w.N.; einschränkend OVG Nds., U.v. 13.2.2011 – 13 LC 92/09 – juris Rn. 2), ist mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt und muss daher der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (vgl. hierzu OVG Lüneburg, U.v. 3.2.2011 – 13 LC 92/09 – juris Rn. 2).
4.
Soweit die Beschwerde schließlich rügt, das Verwaltungsgericht sei der grundsätzlich auch im Eilverfahren bestehenden Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 86 Rn. 3) nicht nachgekommen, weil es Fipronil unzutreffend als Arzneimittel und nicht als Reinigungsmittel behandelt, sowie den Befall mit temporären Ektoparasiten fälschlich als Parasitose und damit als Krankheit gewertet habe, bleibt es der Antragstellerin unbenommen, im Hauptsacheverfahren durch das Stellen von Beweisanträgen auf eine ausreichende Ermittlung der entscheidungserheblichen Fragen hinzuwirken.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung und Änderung des Streitwertes auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 25.1 und 5.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, nachdem der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt hat, dass die Antragstellerin im Jahr 2018 mit dem Verkauf der streitgegenständlichen Produkte einen Deckungsbeitrag von 23.395,59 EUR erzielt hat. Dieser Betrag war für die Festsetzung des Streitwerts im Eilverfahren zu halbieren.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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