Verwaltungsrecht

Unzulässige Klage gegen erledigten Duldungsverwaltungsakt

Aktenzeichen  4 ZB 18.1935

Datum:
5.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2272
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 43 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 86, § 113 Abs. 1 S. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 124a Abs. 5 S. 4
AGVwGO Art. 15 Abs. 2
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1 Ob und wie lange ein Verwaltungsakt wirksam bleibt, hängt nicht von dessen rechtlicher Bewertung ab, sondern davon, ob er nachträglich zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben wird oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist; Rechtsschutz gegen erledigte Verwaltungsakte kann nur im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage erlangt werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Ermittlung des Inhalts einer behördlichen Verfügung ist nicht allein der isolierte Wortlaut der Entscheidungssätze heranzuziehen, sondern auch die dem Verwaltungsakt beigefügte Begründung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 17.2024 2018-07-30 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Duldungsbescheid, eine damit verbundene Androhung unmittelbaren Zwangs und eine entsprechende Kostenfestsetzung.
Nachdem die Klägerin sich wiederholt geweigert hatte, den Austausch des Wasserzählers in ihrem Anwesen zu dulden, wurde sie mit Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2017 verpflichtet, das Betreten ihres Grundstücks und der erforderlichen Räume durch Bedienstete der Beklagten zum Zweck der Auswechselung des Wasserzählers am Vormittag des 6. November 2017 zu dulden (1.), wobei für den Fall der Nichterfüllung die Vollziehung durch unmittelbaren Zwang angedroht wurde (2.); zudem wurde sie zur Tragung der Kosten in Höhe von 54,11 Euro (Gebühr 50 Euro, Auslagen 4,11 Euro) verpflichtet (3.).
Nachdem sie ihren dagegen eingelegten Widerspruch mit Schreiben vom 2. November 2017 zurückgenommen hatte, ließ die Klägerin am 23. November 2017 Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 23. Oktober 2017 erheben.
Mit Urteil vom 30. Juli 2018 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die gegen die Nrn. 1 und Nr. 2 des Bescheids erhobene Anfechtungsklage sei mangels Statthaftigkeit bereits unzulässig, da sich die auf den 6. November 2017 bezogene Duldungsverfügung und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung erledigt hätten; eine Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage sei trotz richterlichen Hinweises nicht erfolgt. Die Kostenentscheidung in Nr. 3 des Bescheids sei rechtmäßig. Auch Art. 16 Abs. 5 KG stehe der Kostenerhebung nicht entgegen, wobei streitig sei, inwieweit dabei die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung zu prüfen sei. Bei erledigten kostenpflichtigen Verwaltungsakten sei eine Prüfung am Maßstab des § 161 Abs. 2 VwGO vorzunehmen. Nach dieser summarischen Prüfung erweise sich die Duldungsverfügung als rechtmäßig, so dass auch die Sachbehandlung durch die Beklagte als ordnungsgemäß und die Kostenfestsetzung als rechtmäßig anzusehen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da kein Zulassungsgrund vorliegt.
a) Die Klägerin beruft sich auf „ernstliche Bedenken an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils“ und trägt vor, mit dem Bescheid habe sich die Beklagte die Möglichkeit verschafft, das Grundstück der Klägerin zu betreten und den Wasserzähler auszubauen (und so ein wichtiges Beweismittel zu beseitigen), ohne dass der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt worden sei, dagegen in geeigneter Weise vorzugehen. Die dadurch bewirkte Eile habe dazu geführt, dass – nach telefonischer Mitteilung an den Bevollmächtigten – zunächst ein formal unzulässiger Widerspruch erhoben worden sei. Auch bei Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes sei nicht mit einer rechtzeitigen Entscheidung vor dem Zeitpunkt der Zwangsmaßnahme zu rechnen gewesen. Der Bescheid sei daher willkürlich und verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör. Diese Rechts- und Verfassungswidrigkeit könne sich nicht „erledigen“, so dass der Ausgangsbescheid hätte aufgehoben werden müssen. Der Ausgangsbescheid sei auch deshalb widersprüchlich, weil die Zwangsmaßnahme für einen bestimmten Tag, der Einsatz unmittelbaren Zwangs aber „ab sofort“ angedroht worden sei. Auch ein in dieser Weise in sich widersprüchlicher Bescheid könne sich nicht durch Zeitablauf erledigen.
Diese Ausführungen sind nicht einmal ansatzweise geeignet, im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen. Die Klägerin hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, B.v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524/06 – NVwZ 2009, 515/516 m.w.N.).
aa) Die der Zulassungsbegründung zugrundeliegende Vorstellung, die Rechts- oder Verfassungswidrigkeit eines Verwaltungsakts stehe der späteren Erledigung entgegen, so dass die Anfechtungsklage statthaft bleibe, widerspricht den gesetzlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts. Ob und wie lange ein Verwaltungsakt wirksam bleibt, hängt nicht von dessen rechtlicher Bewertung ab, sondern nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG davon, ob er nachträglich zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben wird oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Im vorliegenden Fall bezog sich die Regelungswirkung der Duldungsverfügung und der dazu ergangenen Zwangsmittelandrohung auf den im Bescheid genannten Vormittag des 6. November 2017, so dass mit dem Ende dieses Zeitraums Erledigung durch Zeitablauf eingetreten war. Rechtsschutz gegen erledigte Verwaltungsakte (die der Betroffene für rechts- oder verfassungswidrig hält) kann nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage und nur bei Geltendmachung eines entsprechenden Feststellungsinteresses begehrt werden. Da die Klägerin dies hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids nicht beachtet, sondern bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung an dem Aufhebungsantrag festgehalten hat, war die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen.
bb) Unabhängig davon greifen die im Zulassungsverfahren erhobenen rechtlichen Einwände gegen die Duldungsanordnung und die Zwangsmittelandrohung nicht durch, so dass auch die vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung der nicht erledigten Kostenforderung (Nr. 3 des Bescheids) getroffene Bewertung nicht zu beanstanden ist. Die Annahme der Klägerin, mit der Bestimmung des Termins 6. November 2017 im Bescheid vom 23. Oktober 2017 sei es ihr faktisch verwehrt worden, gegen den Bescheid „in geeigneter Weise vorzugehen“, ist eindeutig unzutreffend. Der genannte Bescheid war, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist, von der Beklagten nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt worden, so dass bereits durch eine rechtzeitige Klageerhebung vor dem genannten Termin die aufschiebende Wirkung dieses Rechtsmittels eingetreten wäre (§ 80 Abs. 1 VwGO); damit wäre effektiver Rechtsschutz in jedem Fall möglich gewesen. Dass die anwaltlich vertretene Klägerin stattdessen – entgegen der dem Bescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung- unzulässigerweise (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO) zunächst einen Widerspruch eingelegt und nach dessen Rücknahme nicht sogleich Anfechtungsklage erhoben hat, lag ausschließlich in ihrer eigenen Verantwortung.
cc) Die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids folgt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht daraus, dass dieser in sich widersprüchlich und damit nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG inhaltlich zu unbestimmt gewesen wäre. Es trifft zwar zu, dass die in Nr. 2 des Bescheids als Voraussetzung einer Anwendung unmittelbaren Zwangs genannte Nichterfüllung der Duldungspflicht „ab sofort“ nicht vereinbar ist mit dem in Nr. 1 genannten Zeitraum der Duldungspflicht „am 06.11.2017, Vormittag“. Bei der Ermittlung des Inhalts einer behördlichen Verfügung ist aber nicht allein der isolierte Wortlaut der Entscheidungssätze heranzuziehen, sondern auch die dem Verwaltungsakt beigefügte Begründung (BVerwG, U.v. 22.10.1987 – 3 C 33.85 – NJW 1988, 506 m.w.N.). Danach konnte im vorliegenden Fall nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) nicht zweifelhaft sein, dass auch der unmittelbare Zwang erst angewandt werden sollte, falls die Klägerin der Duldungspflicht am Vormittag des 6. November 2017 nicht nachkam. Dies ergibt sich aus der Begründung der Zwangsmittelandrohung (Seite 4 des Bescheids), die ausdrücklich nochmals auf die „Verpflichtung zur Duldung des Betretens am 06.11.2017, Vormittag und die damit verbundene Anwendung unmittelbaren Zwangs“ hinweist.
b) Auch der in der Zulassungsbegründung zwar nicht ausdrücklich, jedoch der Sache nach geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel) liegt nicht vor.
Die Klägerin führt insoweit aus, im Protokoll der mündlichen Verhandlung finde sich nicht explizit die Mitteilung, dass sie vom Gericht auf die Möglichkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage hingewiesen worden sei. Das Gericht habe zwar zunächst auf seine „derzeitige Einschätzung“ hingewiesen, wonach eine Erledigung der Nrn. 1 und 2 des Ausgangsbescheids eingetreten sei. Anschließend seien aber andere, davon völlig unabhängige Themen erörtert worden. Daraus resultiere eine (erneute) Hinweispflicht des Gerichts, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden.
Dieses Vorbringen lässt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkennen, dass es sich hier um ein prozessual unzulässiges „Überraschungsurteil“ handeln könnte. Voraussetzung dafür wäre, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. Kraft in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 108 Rn. 110 m.w.N.). Dies war hier schon deshalb nicht der Fall, weil die Einzelrichterin gemäß § 86 Abs. 3 VwGO auf die eingetretene Erledigung der Nrn. 1 und 2 des angegriffenen Bescheids eingangs der Sitzung ausdrücklich hingewiesen hatte. Dass sich diese auf einer „derzeitigen Einschätzung“ beruhenden Zweifel an der Statthaftigkeit der Klage im weiteren Verlauf der Sitzung zerstreut haben könnten, hätte die Klägerin allenfalls dann annehmen können, wenn sich die Richterin diesbezüglich geäußert und ihre bisherige Einschätzung ausdrücklich revidiert hätte; dies ist aber weder vorgetragen noch dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen. Der bloße Umstand, dass den Beteiligten Gelegenheit gegeben wurde, die materiellrechtlichen Einwände gegen den Bescheid zu erörtern, konnte jedenfalls nicht so verstanden werden, dass an der Zulässigkeit der Klage nun keine Zweifel mehr bestünden. Zu einem erneuten richterlichen Hinweis bestand demgemäß keine Veranlassung, zumal das Gericht ungeachtet des Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich nicht verpflichtet ist, seine Bewertung der Streitsache den Beteiligten vorab mitzuteilen (Kraft, a.a.O.).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG (vgl. den heutigen Beschluss im Verfahren 4 C 18.2022).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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