Verwaltungsrecht

Unzulässige Klage nach Erledigung des Verwaltungsaktes nach § 39 Abs. 2 SGB X

Aktenzeichen  S 55 AS 2485/16

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 39 Abs. 2
SGG SGG § 54, § 86a, § 86b

 

Leitsatz

1 Nach Auskunftserteilung im Widerspruchsverfahren ist die dann noch erhobene Anfechtungsklage unzulässig. Das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Auskunftsersuchen, dessen sofortige Vollziehbarkeit angeordnet wurde, erledigt sich durch die Auskunft unabhängig von der Motivation der Vornahme der geforderten Handlung. (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Anfechtungsklage neben den besonderen Rechtsbehelfen des § 86b SGG ist nicht möglich mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes und aufgrund der Verdrängung des § 54 SGG durch die spezielleren §§ 86a, 86b SGG. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Fortsetzungsfeststellungklage scheitert sowohl daran, dass die Vollziehungsanordnung keinen eigenständigen Verwaltungsakt darstellt als auch am fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist kein Mittel objektiver Rechtskontrolle (Anschluss an LSG Bayern BeckRS 2015, 72063). (Rn. 20 und 23 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Das Gericht hat den Rechtsstreit gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört. Der Beklagte erklärte sein Einverständnis zur Entscheidung per Gerichtsbescheid.
Die Klage ist unzulässig.
1. Da der Kläger einen Bescheid des Beklagten angreift, kommt als statthafter Rechtsbehelf in der Hauptsache nur eine isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG in Betracht. Nach § 54 Abs. 1 SGG kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein.
Vorliegend hat sich der Verwaltungsakt mit der Übersendung der Nebenkostenabrechnung innerhalb der gesetzten Frist auf andere Weise nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt.
Der Verwaltungsakt verliert ohne Weiteres seine Wirkung bei Erfüllung des Gebotes sowie bei Zweckerreichung des Verwaltungsaktes, etwa Einhaltung der in einem Verwaltungsakt geregelten Verpflichtung (von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 39 Rn. 14).
Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung (wie vorliegend) erledigen sich bereits durch das Erschöpfen ihrer Rechtswirkungen oder auch durch anderweitige Zweckerreichung (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 91. EL September 2016, § 39 SGB X, Rn. 24).
Hierbei ist irrelevant, auf welcher Grundlage der Kläger seiner Ansicht nach die erforderliche Handlung vornahm, da er damit tatsächlich den Regelungsinhalt des Bescheids erfüllte.
Damit ist eine Anfechtungsklage nicht mehr statthaft.
2. Die Vollziehungsanordnung ist selbst kein Verwaltungsakt, sondern ein unselbstständiger Annex eines solchen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86a Rn. 17a). Gegen die Vollziehungsanordnung ist nur Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG möglich. Das entspricht § 80 Abs. 5 VwGO. Anfechtungsklage gegen die Vollziehungsanordnung neben den besonderen Rechtsbehelfen des § 86b SGG ist nicht möglich, da kein Verwaltungsakt vorliegt und die allgemeinen Vorschriften über die Klage nach § 54 SGG durch die Sondervorschriften der §§ 86a, b SGG verdrängt werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86a Rn. 22a).
Vorliegend wurde kein einstweiliger Rechtsschutz begehrt, eine Anfechtungsklage scheidet aus o.a. Gründen aus (unselbständiger Annex und Verdrängung einer Anfechtungsklage) sowie auch deshalb, weil die Vollziehungsanordnung sich gemeinsam mit dem Verwaltungsakt mit der Übersendung der Nebenkostenabrechnung erledigt hat.
Eine Fortsetzungsfeststellungsklage dürfte schon ausscheiden, da die Vollziehungsanordnung keinen eigenständigen Verwaltungsakt darstellte und im Übrigen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers nicht in Betracht kommt.
3. Das hilfsweise Klagebegehren ist auszulegen als Fortsetzungsfeststellungsklage der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 19.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2016.
Der Bescheid hat sich mit der Übersendung der Nebenkostenabrechnung innerhalb der gesetzten Frist auf andere Weise nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt.
Für die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers zur gesonderten gerichtlichen Überprüfung eines erledigten Auskunftsersuchens:
Die angestrebte Entscheidung muss geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern. Das berechtigte Interesse an einer Feststellung kann sein (zu alledem Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 131 Rn. 10a):
– Wiederholungsgefahr: Ausreichend ist die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergehen wird. Es genügt die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage.
– Präjudizialität für andere Rechtsverhältnisse, vor allem zur Durchsetzung von Folgeansprüchen, insbes. Schadensersatzansprüchen.
– Rehabilitationsinteresse, z. B. weil der Kläger durch die Begründung des Verwaltungshandelns oder die Umstände seines Zustandekommens in seinen Grundrechten, insbesondere in seiner Menschenwürde oder seinen Persönlichkeitsrechten, beeinträchtigt wird und zur Rehabilitierung ein Feststellungsinteresse hat (Stigmatisierung des Betroffenen, die geeignet ist, dessen Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen, was den konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens erfordert).
– tiefgreifender Eingriff in ein Grundrecht: In der Regel wird bei tiefgreifendem Grundrechtseingriff ein berechtigtes Feststellungsinteresse wegen eines Rehabilitationsbedürfnisses (s. oben) gegeben sein.
Vorliegend könnte sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allenfalls aus einer Wiederholungsgefahr ergeben.
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (BSG, 16.5.2007, B7b AS 40/06 R, Rn. 7, BSG,14.02.2013, B 14 AS 195/11 R, Rn. 16).
Das Bayerische Landessozialgericht stellt zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse fest:
„… die Fortsetzungsfeststellungsklage kein Mittel der objektiven Rechtskontrolle darstellt, sondern dass für die Prüfung des (subjektiven) Rechtsschutzinteresses vom Vortrag des von der Erledigung des Verwaltungsaktes Betroffenen ausgegangen werden muss, wobei er darzulegen hat, welche Umstände ein Interesse an der Fortführung des an sich erledigten Verfahrens begründen können“ (Bay LSG 11. Senat, 23.07.2015, L 11 AS 47/14, Rn. 18).
Hinsichtlich dieses Interesses kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung an:
Der Beklagte hat bereits gegenüber dem Sozialgericht Berlin mit Schreiben vom 20.07.2016 erklärt, den Vorgang intern ausgewertet zu haben, sodass eine Wiederholung ausgeschlossen sei.
Schließlich ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag überhaupt keinerlei Hinweis auf das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses, insbesondere auch nicht einer Wiederholungsgefahr.
4. Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gehören in einem Rechtszug – wie hier – weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen, werden gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben und die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind entsprechend anzuwenden.


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