Verwaltungsrecht

Unzulässiger und teilweise unbegründeter Antrag auf Abänderung einer gerichtlichen Eilentscheidung bzgl. einer drohenden Rückführung nach Frankreich

Aktenzeichen  10 AS 18.442

Datum:
23.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8607
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 146
AufenthG § 5 Abs. 4
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Ein Eilbegehren ist unzulässig, wenn über denselben Streitgegenstand bereits rechtskräftig entschieden wurde. (Rn. 1 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zulässigkeit eines Antrags auf Abänderung einer gerichtlichen Eilentscheidung setzt voraus, dass veränderte oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen werden, aus denen sich die Möglichkeit einer Änderung der früheren Eilentscheidung ergibt; andernfalls fehlt die Antragsbefugnis. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 S 16.5695 2017-09-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, mit dem er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 verfügte Abschiebungsandrohung (1.), hilfsweise die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Berufungszulassungsantrags vom 20. Februar 2018 gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. September 2017 (2.) begehrt, ist unzulässig. Der Antrag bleibt auch ohne Erfolg, soweit man das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers entsprechend seiner Anregung im Schriftsatz vom 20. März 2018 gemäß § 88 VwGO sachgerecht in einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO umdeutet, den im rechtskräftig abgeschlossenen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergangenen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. September 2017 (M 12 S 16.5695) zu ändern und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen (3.). Der Senat sieht schließlich kein Bedürfnis, der weiteren Anregung des Antragstellers im Schriftsatz vom 20. März 2018 nachzukommen und von der in § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO normierten gerichtlichen Änderungsbefugnis Gebrauch zu machen, weil die Eilentscheidung des Erstgerichts mit der dort durchgeführten Interessenabwägung derzeit nicht korrekturbedürftig erscheint (4.).
1. Der Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist schon unzulässig, weil über denselben Streitgegenstand bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Denn das Bayerische Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 7. September 2017, den Bevollmächtigten des Antragstellers gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 7. Februar 2018, den auf den diesbezüglichen Grundverwaltungsakt (s. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) – die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis – bezogenen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO abgelehnt. Dieser Beschluss ist in formeller und materieller Rechtskraft erwachsen, weil der Antragsteller den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht mit dem statthaften Rechtsmittel der Beschwerde (§ 146 Abs. 4 VwGO) angefochten hat (zur formellen Rechtskraft und materiellen Bindungswirkung gerichtlicher Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 98; Gersdorf in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand 1.7.2016, § 80 Rn. 194; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 80 Rn. 529 ff. jeweils m.w.N.). Eine gerichtliche Änderungsbefugnis besteht insoweit demgemäß nur mehr gemäß § 80 Abs. 7 VwGO.
Die Einwände der Bevollmächtigten des Antragstellers, eine Beschwerde gegen den ablehnenden erstinstanzlichen Beschluss sei vorliegend „gerade nicht statthaft und zielführend, da im Falle einer Ablehnung der Beschwerde während des Klageverfahrens und einem späteren negativen Urteil die Möglichkeit bestehen müsse, während des Zulassungsantrags die aufschiebende Wirkung anzuordnen/wiederherstellen zu lassen“, zudem existiere gemäß § 80b Abs. 2 VwGO die Möglichkeit der jederzeitigen Rückgängigmachung des Endes der aufschiebenden Wirkung einer Klage, weshalb § 80 Abs. 5 VwGO auch in zweiter Instanz (noch) heranzuziehen sei, gehen an der Sache vorbei und verkennen das gesetzlich bestimmte System des einstweiligen Rechtsschutzes und das Verhältnis zwischen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 VwGO und Abänderungsverfahren gemäß § 80 Abs. 7 VwGO.
2. Eine Möglichkeit, entsprechend dem Hilfsantrag des Antragstellers, „die aufschiebende Wirkung des Berufungszulassungsantrags vom 20. Februar 2018 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. September 2017 anzuordnen“, sieht die Verwaltungsprozessordnung nicht vor; der diesbezügliche Antrag ist daher nicht statthaft.
3. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers bleibt aber auch ohne Erfolg, soweit man dieses im Wege sachgerechter Auslegung gemäß § 88 VwGO in einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO umdeutet, den im rechtskräftig abgeschlossenen erstinstanzlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergangenen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. September 2017 (M 12 S 16.5695) zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Dieser Antrag ist nach dem rechtskräftigen Abschluss des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. September 2017 zwar statthaft. Jedoch setzt die Zulässigkeit eines Änderungsantrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO weiter voraus, dass der Antragsteller veränderte oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachte Umstände vorträgt, aus denen sich die Möglichkeit einer Änderung der früheren Eilentscheidung ergibt; andernfalls fehlt die Antragsbefugnis (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 103; Gersdorf in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand 1.7.2016, § 80 Rn. 200; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 80 Rn. 575 f.). Solche veränderten oder im erstinstanzlichen Eilverfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände legt der Antragsteller aber nicht in schlüssiger Weise dar. Vielmehr behauptet er lediglich unter Bezugnahme auf seine ausführlichen Begründung im Antragsschriftsatz vom 20. Februar 2018 einen „nicht unerheblichen Tatsachenirrtum“ des Verwaltungsgerichts bei dessen Entscheidung über den Eilantrag und die Klage, weil das Verwaltungsgericht einen fehlerhaften Sachverhalt zu Grunde gelegt und entscheidende Umstände (zugunsten des Antragstellers) unberücksichtigt gelassen habe. Tatsächlich rügt der Antragsteller damit aber letztlich (nur), das Verwaltungsgericht habe die ihm im Eil- und parallelen Klageverfahren vorliegenden bzw. von den Beteiligten unterbreiteten Tatsachen nicht im Sinne des Antragstellers bewertet bzw. gewichtet. Auch im Hinblick auf die von Antragstellerseite geltend gemachte „ungeklärte Rechtsfrage … in Bezug auf Europarecht, welche (vom Verwaltungsgericht) unberücksichtigt blieb“, sowie die behaupteten „erheblichen rechtlichen Fehler, die offensichtlich zur Fehlerhaftigkeit der früheren Entscheidung führen“, sieht der Senat veränderte Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Antragstellers die Bedeutung bzw. Auswirkung der Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling in einem anderen Staat der Europäischen Union in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris Rn. 29 m.w.N.).
4. Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die Entscheidung über einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen nach pflichtgemäßer Ermessensausübung ohne weitere Voraussetzung – also insbesondere ohne veränderte Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO – ändern, wenn das Gericht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage (besseren Rechtserkenntnis) gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig einstuft (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 102; Gersdorf in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand 1.7.2016, § 80 Rn. 198 f.; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 80 Rn. 566 ff.). Der Senat sieht allerdings kein Bedürfnis, der weiteren Anregung des Antragstellers im Schriftsatz vom 20. März 2018 nachzukommen und von der in § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO normierten gerichtlichen Änderungsbefugnis Gebrauch zu machen, weil ihm die Eilentscheidung des Erstgerichts mit der dort durchgeführten Interessenabwägung bei summarischer Prüfung jedenfalls derzeit nicht korrekturbedürftig erscheint. Zum einen ergibt die summarische Prüfung des umfangreichen Zulassungsvorbringens des Antragstellers nicht, dass die vor allem auf die Terrorismusausschlussklausel des § 5 Abs. 4 AufenthG gestützte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers eindeutig rechtswidrig oder ein Erfolg des Zulassungsantrags und der diesbezüglichen Klage zumindest (überwiegend) wahrscheinlich wäre. Zum anderen werden mit der dem Antragsteller drohenden Rückführung nach Frankreich auch aufgrund seiner dortigen Flüchtlingsanerkennung weder vollendete Tatsachen geschaffen, noch sieht der Senat mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK (familiäre Beziehungen zur im Bundesgebiet lebenden Ehefrau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, und dem am 31.1.2015 in München geborenen gemeinsamen Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit) derzeit das private Interesse des Antragstellers als so gewichtig an, dass mit dem Vollzug der Ausreisepflicht bis zur endgültigen Klärung im Zulassungsbzw. Hauptsacheverfahren, ob der streitbefangene Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 rechtmäßig ist, gewartet werden müsste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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