Verwaltungsrecht

Unzulässigkeit eines Asylantrages einer in Griechenland internationalen Schutz genießenden Asylbewerberfamilie

Aktenzeichen  6 K 868/19 We

Datum:
31.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Weimar 6. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992
Art 4 EUGrdRCh
Art 33 Abs 2 Buchst a EUV 32/2013
Art 3 MRK
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die Asylanträge der Mitglieder einer Familie – darunter auch ein Kleinkind -, denen zuvor in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, dürfen gegenwärtig nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (juris: AsylVfG 1992) als unzulässig abgelehnt werden. Denn nach aktuellen Erkenntnissen ist weiterhin davon auszugehen, dass solchen Personen – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – die ernsthafte Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 GRCh (juris: EUGrdRCh) und Art. 3 EMRK (juris: MRK) droht.(Rn.18)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2019 (Az.: 7712103 – 438) wird mit Ausnahme der in Ziff. 3, S. 4, getroffenen Feststellung, dass die Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden dürfen, aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des – gerichtskostenfreien – Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt), mit welchem ihr Asylbegehren als unzulässig abgelehnt wurde.
Die am 1. Juli 1975 (Kläger zu 1.), am 1. Januar 1991 (Klägerin zu 2.) und am 19. April 2018 (Kläger zu 3.) geborenen Kläger sind irakische Staatsangehörige sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie gehören der Volksgruppe der Kurden an. Ihren eigenen Angaben zufolge reisten sie am 15. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 6. Februar 2019 ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragten.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 11. Februar 2019 gab der Kläger zu 1. an, dass er nicht nach Griechenland zurückkehren wolle, weil er bedroht worden sei. Diese Drohungen kämen nicht von Seiten der griechischen Regierung. Vielmehr hätten er und die Klägerin zu 2. ein großes Problem in Kurdistan gehabt, weshalb sie in Griechenland vorsichtig agiert hätten. Freunde hätten ihm – dem Kläger zu 1. – erzählt, dass man in Athen nach ihnen suchen würde und ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt habe. Zudem seien er und seine Frau in der griechischen Unterkunft von einem anderen Mann bedroht worden.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 27. Februar 2019 trug die Klägerin zu 2. übereinstimmend vor, dass sie und der Kläger zu 1. in der griechischen Unterkunft von einem anderen Mann bedroht worden seien. Ferner gab sie an, dass es in Griechenland für sie, den Kläger zu 1. und den Kläger zu 3. zu gefährlich sei, da ihr Vater und ihr Onkel nach ihnen suchen würden. Außerdem werde sie – die Klägerin zu 2. – noch von der Familie der Ex-Frau ihres Ehemannes sowie von der Familie ihres früheren Ehemannes verfolgt.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2019 (Az.: 7712103 – 438) – zugestellt am 20. Mai 2019 – wurden die Anträge der Kläger als unzulässig abgelehnt (Ziff. 1). Es wurde zudem festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 1 Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihnen die Abschiebung nach Griechenland oder in einen anderen zu ihrer Rücknahme bereiten oder verpflichteten Staat angedroht (Ziff. 3). Außerdem wurde festgestellt, dass die Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden dürfen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). Schließlich wurde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgesetzt. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
Am 24. Mai 2019 haben die Kläger gegen den Bescheid des Bundesamtes Klage erhoben. Sie sind der Ansicht, jedenfalls für vulnerable Personen würde eine Überstellung nach Griechenland in ständiger Rechtsprechung wegen drohender Menschenrechtsverletzungen abgelehnt werden. Laut der bestehenden Auskunftslage, wonach anerkannte Schutzberechtigte angesichts der Wirtschaftskrise in Griechenland und der wieder deutlich angestiegenen Zahl von geflüchteten Menschen, welche in Griechenland ankämen, weiterhin keinen Zugang zu Arbeit oder zu Sozialleistungen erhielten und ihnen Obdachlosigkeit drohe, stelle sich gerade die Situation von vulnerablen Personen als äußerst prekär dar. Vor allem mit Blick auf letzteren Umstand seien die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Anforderungen an eine menschenrechtskonforme Situation im Falle Griechenlands nicht mehr gewahrt.
Die Kläger beantragen,
1. den Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2019 (Az.: 7712103 – 438) aufzuheben,
hilfsweise,
2. unter insoweitiger Aufhebung jenes Bescheids die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihnen Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG mit Blick auf Griechenland vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angegriffenen Bescheids.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Behördenakte, auf die Sitzungsniederschrift und auf die Unterlagen zur Situation im Irak gemäß der in das Verfahren eingeführten Liste. Alle Unterlagen lagen bei der Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
I.
Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter sowie mit Einverständnis der Beteiligten ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
II.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2019 (Az.: 7712103 – 438) ist in dem nach § 77 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO).
1. Die auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffene Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten hält einer rechtlichen Prüfung nicht Stand. Nach der genannten Vorschrift ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist zwar vorliegend mit Blick auf Griechenland der Fall, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm zunächst erfüllt sind. Doch stellt sich die auf jener Basis getroffene Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten im konkreten hiesigen Fall der Kläger als nicht mit Unionsrecht vereinbar dar.
a) Durch Art. 4 GRCh wird – wie auch durch Art. 3 EMRK – jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausnahmslos verboten. Die Norm hat mit ihrer fundamentalen Bedeutung allgemeinen und absoluten Charakter (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – („Jawo“) C-163/17, Rn. 78 –, zit. nach juris). Zu beachten ist ferner, dass die Gewährleistung von Art. 4 GRCh auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens, insbesondere im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes, gilt. In ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist es den Mitgliedstaaten deshalb nach Art. 33 Abs. 2 lit. a RL 2013/32/EU verboten, einen Asylantrag trotz Zuerkennung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als unzulässig abzulehnen, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat die ernsthafte Gefahr droht, eine unmenschliche oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu erfahren (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – („Hamed“ und „Omar“) C-540/17 und C-541/17, Rn. 35 –, zit. nach juris). In der Konsequenz müssen Verstöße gegen Art. 4 GRCh im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung daher nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung berücksichtigt werden. Vielmehr führen sie bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung an sich (bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes: BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 – 1 C 35/19, Rn. 23 –, zit. nach juris). Das Nichtvorliegen der ernsthaften Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein, bildet insofern eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21, Rn. 16 –, zit. nach juris).
Jedoch wird die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit nur dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlauben würde, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen sowie eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde, welcher mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 M. S. S./Belgien und Griechenland –, ZAR 2011, 395, 397; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, zit. nach juris). Die so beschriebene Schwelle ist selbst in Situationen, welche sich durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person kennzeichnen, nicht erreicht, sofern jene Situationen nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, zit. nach juris), also die elementarsten Bedürfnisse „Bett, Brot, Seife“ nicht befriedigt werden können (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 – A 4 S 721/20, Rn. 5 –, zit. nach juris; OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A, Rn. 28 –, zit. nach juris). Es genügt ferner auch nicht, dass anerkannt Schutzberechtigte – im Gegensatz zu Zielstaatsangehörigen – zur Kompensation der Mängel des Sozialsystems des Mitgliedstaats regelmäßig nicht auf familiäre Unterstützung rekurrieren können (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – („Jawo“) C-163/17, Rn. 94 –, zit. nach juris). Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof zuletzt kontinuierlich die „fundamentale Bedeutung“ des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union betont, der die Annahme rechtfertigt, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten im Stande sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der Grundrechte zu bieten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – („Jawo“) C-163/17, Rn. 80-82 –, zit. nach juris). Daher hängt die Beurteilung der Frage, ob die so beschriebene, besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, letztlich von sämtlichen Umständen des konkreten Einzelfalles ab (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – („Ibrahim u. a.“) C-297/17 u. a., Rn. 84,– zit. nach juris; BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 – 1 C 35/19, Rn. 27 –, zit. nach juris).
Unter Berücksichtigung der jüngst ergangen, oben zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, mit denen letzterer eine „harte Linie“ vorgegeben hat (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19, Rn. 4 f. –, zit. nach juris), muss die Wahrung des Existenzminimums i. S. d. Art. 4 GRCh allein ergebnisbezogen betrachtet werden. Insofern gilt folgender Grundsatz: Lassen sich extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse, welche die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRCh bergen, durch eigene Handlungen (z. B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfs- oder Unterstützungsleistungen Dritter – wobei es sich sowohl um private Dritte als auch um nichtstaatliche Hilfe- oder Unterstützungsorganisationen handeln kann – abwenden, liegt schon keine ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not vor, die unter Umständen eine staatliche Schutzpflicht zu (ergänzenden) staatlichen Leistungen nach sich ziehen kann. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Leistungen vor Ort vermeintlich tätiger nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen dabei für international Schutzberechtigte auch tatsächlich bestehen und zugänglich sind. Darüber hinaus müssen sie von den Schutzberechtigten auch hinreichend verlässlich sowie in dem gebotenen Umfang dauerhaft in Anspruch genommen werden können. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist es auch unerheblich, dass auf die betreffenden Leistungen in der Regel kein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21, Rn. 25 –, zit. nach juris).
In Anbetracht der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten vermag der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in einem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. im Kapitel VII der RL 2011/95/EU gerecht werden, per se nicht auszureichen, um die Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 lit. a RL 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis einzuschränken, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRCh nicht erreicht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 – 1 C 35/19, Rn. 24 m. w. N. –, zit. nach juris). Denn insofern darf jeder Mitgliedstaat annehmen, dass sich die anderen Mitgliedstaaten an das geltende Unionsrecht und die dort anerkannten Grundrechte halten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU, was selbst dann gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen bezieht, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Ausnahme hiervon kann nur in den Fällen in Betracht kommen, in denen das gemeinsame Europäische Asylsystem in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat auf größere praktische Funktionsstörungen trifft und eine Person dadurch wirklich ernsthafte Gefahr läuft, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh zu erfahren (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 25 –, zit. nach juris).
Im Rahmen der Gefahrenprognose, ob eine Verletzung des Art. 4 GRCh bei Rücküberstellung in den Schutz gewährenden Mitgliedstaat droht, stellt der Europäische Gerichtshof auf das Vorliegen einer ernsthaften Gefahr („serious risk“) ab, was auch dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“) in seiner Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht entspricht (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 27 –, zit. nach juris).
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung i. S. d. § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO von der Richtigkeit sowohl der Prognosebasis als auch der anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu treffenden Prognose verschaffen (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 28 m. w. N. –, zit. nach juris). Sodann hat es auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben sowie im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob es im Zielland entweder systemische oder allgemeine Schwachstellen gibt, welche gerade die rücküberstellte Person als anerkannten Flüchtling der Gefahr extremer materieller Not i. S. v. der Art. 4 GRCh aussetzen würde (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 29 –, zit. nach juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe, stellt sich die Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegend als rechtswidrig dar, weil den Klägern bei ihrer Rücküberstellung nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh bzw. des Art. 3 EMRK droht. Das Gericht ist zu der vollen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO gelangt, dass die Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten werden und es ihnen dadurch für einen längeren Zeitraum nicht möglich sein wird, ihre elementarsten Bedürfnisse – „Bett, Brot, Seife“ – zu befriedigen.
aa) Dabei ist zunächst auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel die Annahme gerechtfertigt, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Griechenland keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern für einen längeren Zeitraum obdachlos sein werden.
Als zurückkehrende international Schutzberechtigte werden die Kläger in Griechenland grundsätzlich selbst in der Verantwortung stehen, sich eine Unterkunft zu organisieren. Für anerkannt Schutzberechtigte gilt die Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Ein staatliches Programm in Gestalt einer Wohnraumzuweisung existiert in Griechenland nicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Bayreuth vom 21. August 2020, S. 1, sowie an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 2). Auch gibt es keine speziellen Unterbringungsplätze für anerkannt Schutzberechtigte (AIDA, Country Report: Greece 2019 Update, S. 218; BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 26). Die Unterkünfte des UNHCR-Unterbringungsprogramms „ESTIA“ stehen anerkannt Schutzberechtigten nicht zur Verfügung, da sich das Programm nur an Asylbewerber richtet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 2 und an das VG Potsdam vom 23. August 2019, S. 2). In der Folge müssen sich international Schutzberechtigte Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt beschaffen.
Gänzlich unabhängig von der Frage, ob und wie viel Wohnraum sich anerkannt Schutzberechtigte überhaupt finanzieren können, ist festzuhalten, dass das private Anmieten von Wohnraum für erstere zudem noch erschwert wird durch das in Griechenland traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 26 m. w. N.). Immer wieder gibt es Berichte von Betroffenen, wonach auch Probleme bei der Kommunikation mit Vermietern, Diskriminierung am Wohnungsmarkt und fremdenfeindliche Haltungen seitens der lokalen Behörden auftreten. Schließlich gelingt es den meisten Schutzberechtigten aufgrund des Mangels an erschwinglichen Immobilien und der hohen Nachfrage, insbesondere in Attika, nicht, eine Mietwohnung zu finden (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 16). Menschen, die weder über eine Unterkunft verfügen noch die Mittel besitzen, um sich eine zu beschaffen, leben häufig in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom und Wasser oder werden obdachlos (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 26 m. w. N.).
Was mögliche Unterstützungsleistungen durch Dritte anbelangt, muss konstatiert werden, dass international Schutzberechtigte die griechischen Erstaufnahmezentren bzw. die für Asylwerber vorgesehenen Unterkünfte seit Mai 2020 innerhalb von 30 Tagen nach Zuerkennung ihres Schutzstatus verlassen müssen. Dies hatte u. a. zur Folge, dass sich NGO-Partner aus dem ESTIA II-Programm zurückzogen. Im Ergebnis stellt das durch die Europäische Union finanzierte und überwiegend von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) durchgeführte „HELIOS-2-Programm“ (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) das einzige verfügbare Unterkunftsprogramm für Schutzberechtigte dar (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 14 m. w. N.). Dieses richtet sich vornehmlich an anerkannt Schutzberechtigte, deren Anerkennung ab dem 1. Januar 2018 datiert, konkret wird eine Anerkennung ab dem 1. Januar 2019 präferiert. Umfasst werden verschiedene Unterstützungsmaßnahmen bei der Wohnungssuche sowie beim Abschluss eines Mietvertrags. Ziel des Programms ist es, die Schutzberechtigten dabei zu unterstützen, eigenständige Mitglieder der griechischen Gesellschaft zu werden und einen Übergang vom derzeitigen System der vorübergehenden Unterbringung zu bilden. Ferner sieht es vor, dass anerkannt Schutzberechtigte Mietzuschüsse zur Anmietung von Wohnraum für mindestens sechs und höchstens zwölf Monate erhalten sollen. Allerdings ist das Programm pro Halbjahr auf maximal 5.000 Personen für eine Wohnungsbeihilfe begrenzt, weshalb die Unterstützung für die Unterbringung in der Praxis nur bei einem Teil der Schutzberechtigten in Griechenland ankommt. Tatsächlich haben im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis Ende 2020 insgesamt 71.812 Personen internationalen Schutz in Griechenland erhalten. Von jenen konnten nur rund 16 % Mietzuschüsse aus dem HELIOS-Programm beziehen (vgl. Pro Asyl / RSA, Stellungnahme – Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 9).
Die Antragsfrist für die Teilnahme an dem Programm beträgt, je nachdem welcher Quelle gefolgt wird, zwölf Monate ab der Zuerkennung des Schutzstatus (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 15) bzw. 30 Tage ab der Zuerkennung des Schutzstatus (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Magdeburg vom 26. November 2020, S. 3).
Zum 1. Januar 2019 hat Griechenland das soziale Wohngeld eingeführt. Die Höhe beträgt maximal 70 € pro Einzelperson und 210 € pro Mehrpersonenhaushalt. Um diese Leistung beziehen zu können, müssen Antragsteller einen noch mindestens sechs Monate gültigen, in der Steuerdatenbank „TAXIS-Net“ eingetragenen Mietvertrag nachweisen. Weitere Voraussetzung des sozialen Wohngelds ist ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren Dauer, wobei im Falle international Schutzberechtigter die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 2 und an das VG Potsdam vom 23. August 2019, S. 1, 2; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 19).
Zwar besteht die Möglichkeit, Personen, welche nicht über die nötigen Eigenmittel verfügen, in einer Unterbringung der kommunalen Obdachlosenunterkünften einzuquartieren. Diese sind aber nur begrenzt vorhanden. So gibt es etwa in Athen vier Einrichtungen für Obdachlose, die jedoch chronisch überfüllt sind und derzeit schon Wartelisten führen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 26 m. w. N.). Soweit die Berichte Informationen über Wohnraum enthalten, der punktuell von Nichtregierungsorganisationen, bspw. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS, angeboten wird, lassen sich zugleich auch Anhaltspunkte dafür ausmachen, dass die Zahl der Unterkünfte in Athen insgesamt nicht ausreichend ist. Es finden sich jedenfalls keine weiteren bestätigten Hinweise dazu, dass weitere Programme von Nichtregierungsorganisationen bekannt wären, die international Schutzberechtigten beim Zugang zu Wohnraum unterstützen würden. Im Gegenteil, die Organisationen Greek Council for Refugees, Solidarity Now, Arsis und PRAKSIS haben vielmehr angegeben, derzeit – von HELIOS abgesehen – keine Wohnungen oder Wohnunterstützung für Schutzberechtigte anzubieten (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 18 m. w. N.).
Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass die Kläger als anerkannt Schutzberechtigte derzeit in Griechenland größte Schwierigkeiten dabei haben werden, sich eine menschenwürdige Unterkunft zu beschaffen. Insbesondere lässt sich nicht annehmen, die durch das HELIOS 2-Programm gewährte Unterstützung von anerkannt Schutzberechtigten werde die prekäre Wohnsituation schon teilweise abfangen. Denn zum einen sind im Falle der Kläger die oben genannten Antragsfristen – unabhängig davon, welche von beiden letztlich anzulegen wäre – bereits verstrichen. Zum anderen wird das „HELIOS-2-Programm“ nach Angaben des Auswärtigen Amtes anerkannt Schutzberechtigten, die nach Griechenland zurückkehren, nicht zur Verfügung gestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 2; RSA & Pro Asyl, Stellungnahme im Verfahren „Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands“ vom 4. Juni 2020, S. 6). Eine Unterstützung durch das HELIOS-2-Programm scheidet für die Kläger somit gänzlich aus.
Auch ein Leistungsbezug des sozialen Wohngeldes kommt für die Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland den obigen Darlegungen entsprechend nicht in Betracht. Sie können nämlich keinen fünfjährigen Aufenthalt in Griechenland nachweisen.
Des Weiteren stellen fehlende Berichte über das massenhafte oder vermehrte Auftreten von Obdachlosigkeit bei anerkannt Schutzberechtigten keinen Anhaltspunkt dafür dar, dass die Möglichkeiten zur Unterbringung in Obdachlosenunterkünften, Unterkünften der Nichtregierungsorganisationen oder durch private Vernetzungen tatsächlich angenommen und genutzt würden (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 16. November 2021 – 1 LB 371/21, Rn. 45 f. –, zit. nach juris). Denn in diesem Zusammenhang gilt es maßgeblich zu berücksichtigen, dass sich die Unterbringungssituation von international Schutzberechtigten in Griechenland in den vergangenen Monaten noch weiter verschärft hat. Daher nimmt die Kammer in Einklang mit der zuletzt ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung an, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AsylG) jedenfalls eine relevante Zahl an internationalen Schutzberechtigten in Griechenland von Obdachlosigkeit betroffen sind und jenes Schicksal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch den hiesigen Klägern droht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 2982/20.A, Rn. 43-63 m. w. N. –, zit. nach juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 – 10 LB 244/20, Rn. 47-50 m. w. N. –, zit. nach juris).
Soweit die Deutsche Botschaft in Athen im Juni 2021 in einer Stellungnahme angab, Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen stelle weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar, wurde gleichzeitig indes eingeräumt, dass es sehr schwierig sei, die Situation der Obdachlosigkeit in einer griechischen Großstadt oder gar im ganzen Land belastbar einzuschätzen, v. a. weil es wahrscheinlich auch Obdachlosigkeit gebe, die sich nicht sofort offenbare. Weitere Quellen gelangen hingegen zu einem anderen Schluss. So legt Pro Asyl dar, dass international Schutzberechtigte in Griechenland meist in der Obdachlosigkeit landeten und sich die Situation in den letzten Monaten weiter verschärft habe. Auch sei die Anzahl international Schutzberechtigter wegen der beschleunigten Asylverfahren im Jahr 2020 – verglichen mit den Vorjahren – sprunghaft angestiegen: Der griechische Staat habe insgesamt 35.372 Menschen internationaler Schutz gewährt, was die doppelte Anzahl im Vergleich zu 2019 sei (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6). Aufgrund einer Gesetzesänderung im Asylrecht seien seit dem 1. Juni 2020 alle Schutzsuchenden verpflichtet, die Flüchtlingslager bzw. Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht gewesen seien, innerhalb von 30 Tagen ab der Schutzzuerkennung zu verlassen. Auf diese Weise seien damals entsprechende Aufforderungen an 11.237 Menschen gegangen, ihre Unterkünfte am 1. Juni 2020 zu verlassen. Tatsächlich hätten viele Schutzberechtigte jener Aufforderung Folge geleistet. Hinzu kämen Tausende international Schutzberechtigte, die bereits obdachlos seien und inoffiziell in Camps oder unter anderen, unzumutbaren Wohnungsbedingungen lebten, weil sie nie in Aufnahmeeinrichtungen gewohnt hätten oder diese bereits hätten verlassen müssen (ProAsyl, Stellungnahme im Verfahren „Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands“ vom 4. Juni 2020, Rn. 31).
Ferner sollen im Zeitraum September bis November 2020 insgesamt 6.626 Personen von den griechischen Inseln auf das Festland verbracht worden sein (BT-Drs. 19/25036 vom 8. Dezember 2020, S. 4). Viele würden obdachlos auf den Straßen der Großstädte hausen und auf Almosen angewiesen sein (Der Standard vom 30. September 2020: Das Elend der anerkannten Flüchtlinge auf dem griechischen Festland, https://www.derstandard.de/story/2000120349076/das-elend-der-anerkannten-fluechtlinge-auf-dem-griechischen-festland; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A, 47 m. w. N. –, zit. nach juris). Als derjenige Ort, an welchem das Elend der aus den Lagern ausgewiesenen anerkannten Geflüchteten besonders sichtbar werde, lasse sich der Viktoriaplatz in Athen nennen. Dort würden die obdachlos gewordenen Geflüchteten über längere Zeiträume ohne medizinische Versorgung, Hygieneinfrastruktur und staatliche Unterstützung leben (BT-Drs. 19/24115 vom 6. November 2020, S. 1; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6).
In der Gesamtschau erfüllen die Kläger weder die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des sozialen Wohngeldes noch kommen sie für Leistungen des ESTIA- oder HELIOS 2-Programms in Frage. Vielmehr werden sie im Falle einer Rückkehr nach Griechenland bei der Unterkunftssuche aller Voraussicht nach auf sich allein gestellt sein.
Die Kläger können auch nicht auf ihre Eigeninitiative, Netzwerke ihrer Landsleute oder die Unterstützung von Kirchen und lokalen sowie internationalen Nichtregierungsorganisationen verwiesen werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Möglichkeiten eigener Handlungen sowie Unterstützungsleistungen privater Dritter und vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen zwar in die Bewertung, ob die Rückführung oder Abschiebung die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRCh mit sich bringt, einbezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21, Rn. 26 –, zit. nach juris). Doch hat diese Rechtsprechung für den hiesigen Fall keine Auswirkungen, weil den obigen Darlegungen entsprechend angenommen werden muss, dass Unterbringungsmöglichkeiten durch kirchliche Projekte oder Nichtregierungsorganisationen in Griechenland – sollten solche überhaupt noch vorhanden sein – nur äußerst begrenzt zur Verfügung stehen und zudem dauerhaft überlastetet sind. Die Kläger verfügen hier weder über verwandtschaftliche noch über freundschaftliche Beziehungen zu in Griechenland lebenden Personen, die ihnen beim Finden einer Unterkunft und deren Finanzierung bzw. Anmietung helfen könnten. Sonstige finanzielle Unterstützungsleistungen durch andere Familienmitglieder sind ebenfalls nicht zu erwarten, da es gerade der Vater und der Onkel der Klägerin zu 2. sind, von welchen neben anderen eine Verfolgung ausgehen soll.
Es ist insbesondere auch nicht möglich, die Kläger auf „informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden zu verweisen, da der Aufenthalt in derartigen Gebäuden einerseits illegal wäre und sich andererseits für die Familie, vor allem mit Blick auf den erst 3-jährigen Kläger zu 3., wegen der dort zumeist vorherrschenden menschenunwürdigen Zustände als unzumutbar darstellen würde (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 – 10 LB 244/20, Rn. 49 –, zit. nach juris; OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A, Rn. 62 –, zit. nach juris).
bb) Darüber hinaus ist es beachtlich wahrscheinlich, dass es den Klägern bei einer Rückkehr nach Griechenland nicht möglich sein wird, wenigstens ihr Existenzminimum aus eigener Erwerbstätigkeit zu sichern.
Zwar besteht dem Grundsatz nach ein Zugang zum Arbeitsmarkt für rechtlich dauerhaft und legal im Land lebende Personen – mithin auch für anerkannt Schutzberechtigte –, welcher zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsbürger gewährt wird (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 27; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 24). Faktisch jedoch stellt sich der Arbeitsmarkt für anerkannt Schutzberechtigte als kaum zugänglich dar, weil in der Praxis die Vorlage zahlreicher behördlicher Dokumente und die Erfüllung weiterer Voraussetzungen verlangt wird (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 11). So benötigen international Schutzberechtigte für eine legale Anstellung eine gültige Aufenthaltserlaubnis (ADET-Bescheid), eine Steueridentifikationsnummer und eine Sozialversicherungsnummer (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 24). Um aber eine Sozialversicherungsnummer überhaupt beantragen zu können, müssen international Schutzberechtigte in Griechenland eine gültige Aufenthaltserlaubnis (ADET) besitzen. Ohne letztere können sie folglich keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Allerdings bestehen in der Praxis Wartezeiten zwischen der Beantragung und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von bis zu einem Jahr (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 14).
Entscheidend hinzu kommt, dass der Eintritt von international Schutzberechtigten in den griechischen Arbeitsmarkt derzeit von der allgemein schlechten Wirtschaftslage, der Sprachbarriere für nicht griechisch sprechende Personen und der hohen Arbeitslosigkeit zusätzlich erschwert wird (vgl. AIDA, Country Report Greece, Update 2019, S. 219; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 25). Soweit es einige Nichtregierungsorganisationen gibt, die punktuell Programme zur Fortbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche anbieten, stehen die Chancen zur Vermittlung einer Arbeitsstelle schlecht. Weder hat die staatliche Arbeitsagentur OAED annähernd genügend Ressourcen zur aktiven Arbeitsvermittlung – der Betreuungsschlüssel liegt bei 1 Mitarbeiter für über 1.000 Arbeitslose – für griechische Staatsbürger noch existiert ein Programm zur Arbeitsintegration von Geflüchteten. Während in der Vergangenheit zumindest in den Branchen Landwirtschaft, Bauwesen, haushaltsnahe und sonstige Dienstleistungen Migration in den griechischen Arbeitsmarkt stattgefunden hat, haben sich die Arbeitschancen durch die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise inzwischen generell deutlich verschlechtert (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 27). Schließlich wurde die griechische Wirtschaft hart von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Schutzmaßnahmen getroffen. So ist die griechische Konjunktur den Angaben der Europäischen Kommission zufolge im Jahr 2020 um zehn Prozent zurückgegangen. Zugleich weist Griechenland mit 16,2 % (Stand: November 2020) die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der EU auf (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 21).
Unter Zugrundelegung jener Gegebenheiten, insbesondere der hohen Arbeitslosenquote und den weiteren Gesichtspunkten, die den Zugang zum Arbeitsmarkt zusätzlich erschweren, wie im Fall der Kläger deren mangelnden sprachlichen Kenntnisse sowie des Fehlens privater Netzwerke, ist es kaum denkbar, dass der Kläger zu 1. oder die Klägerin zu 2. in absehbarer Zeit nach ihrer Rückkehr nach Griechenland eine Erwerbstätigkeit finden, welche es ihnen ermöglichen würde, ihr Existenzminimum selbst zu erwirtschaften.
cc) Zugang zu staatlichen Sozialleistungen, mit deren Hilfe sie in Griechenland ihr Existenzminimum sichern könnten, werden die Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht erlangen.
Bei einem legalen, mindestens zwei Jahre andauernden Voraufenthalt haben anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland grundsätzlich Zugang zu der seit Februar 2017 schrittweise eingeführten sozialen Grundsicherung. Dabei fußt das System der Sozialhilfe auf drei Säulen: Die erste Säule bildet ein Sozialgeld i. H. v. 200 € pro Einzelperson (vgl. AIDA, Country Report Greece, Update 2019, S. 222). Sie setzt eine elektronische griechisch-sprachige Antragstellung voraus (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 2 f.). Die zweite Säule sieht Sach- und Beratungsleistungen vor, was u. a. die Ausgabe trockener Grundnahrungsmittel (z. B. Mehl, Reis etc.), Kleidung sowie Hygieneartikel umfasst. Die dritte Säule, welche den Bereich der Arbeitsmarktintegration beinhalten soll, befindet sich erst noch im Aufbau (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 3 und das VG Stade vom 6. Dezember 2018, S. 4 f.; BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 24).
Doch auch an dieser Stelle muss festgehalten werden, dass Bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise die Inanspruchnahme dieser Rechte durch international Schutzberechtigte erschweren (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 7-10). Eine etablierte Verwaltungspraxis konnte bislang nicht entstehen. Der Leistungsbezug der allgemeinen Sozialhilfe setzt indes voraus, dass verschiedene Dokumente wie Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherungsnummer, Bankverbindung und Steuererklärung über das Online-Portal „Taxis-Net“ eingereicht werden, wobei der Nachweis eines dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland mit einer entsprechenden Steuererklärung des Vorjahres nachgewiesen wird (vgl. ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26. August 2021, S. 9). Den Angaben des Auswärtigen Amtes zufolge bedarf es für den Bezug der sozialen Grundsicherung sogar eines Nachweises über einen dauerhaften legalen Mindestaufenthalts von zwei Jahren (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020, S. 3 und an das VG Berlin vom 4. Dezember 2019, S. 9; auch OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 2982/20.A, Rn. 92 –, zit. nach juris). Antragsteller müssen die Unterlagen ausnahmslos online sowie in griechischer Sprache einreichen. Von Seiten des Staates werden hierfür keine Dolmetscher bereitgestellt (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 24).
Grundsätzlich gilt, dass auch Obdachlose in Griechenland einen Anspruch auf das garantierte Mindesteinkommen haben. Hierzu ist es aber zwingend notwendig, dass sie die bereits genannten weiteren erforderlichen Dokumente und eine mit diesen Dokumenten zu beantragende Bescheinigung über ihre Obdachlosigkeit einreichen. Nicht erfasst werden dabei Personen, die in besetzten Häusern leben, irregulär in Flüchtlingslagern untertauchen, tageweise bei Landsleuten unterkommen oder regelmäßig ihren Aufenthaltsort auf der Straße wechseln. Außerdem werden Obdachlosenbescheinigungen, die zur Beantragung des garantieren Mindesteinkommens eingereicht werden sollen, nur dann ausgestellt, wenn auch alle anderen Voraussetzungen der beantragten Leistung erfüllt sind. Schon aus diesem Grund ist es in der Praxis vielen Obdachlosen nicht möglich, einen Nachweis über ihre Obdachlosigkeit zu erbringen. Pro Asyl stellt in diesem Zusammenhang klar, dass das garantierte Mindesteinkommen nach Griechenland zurückkehrenden international Schutzberechtigten wegen der genannten Bedingungen faktisch nicht zur Verfügung stehe (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 19).
Dazu, ob und wie viele Schutzberechtigte überhaupt das garantierte Mindesteinkommen erhalten, finden sich keine Berichte. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: So teilt Pro Asyl mit, statistisch werde nicht erfasst, wie viele international Schutzberechtigte das garantierte Mindesteinkommen erhielten (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 18 m. w. N.). Andere Quellen berichten sogar davon, dass die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bisher überhaupt keine soziale Grundsicherung beziehe (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 24; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Stade vom 6. Dezember 2018, S. 5).
Da es sich bei den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Griechenland um aus dem Ausland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte handelt, scheidet bei ihnen der Bezug der sozialen Grundsicherung bereits wegen des fehlenden, aber vorausgesetzten legalen Voraufenthalts aus. Insofern kommt auch dem Vortrag der Beklagten, wonach den Angaben des UNHCR zufolge 94 % der international Schutzberechtigten im ESTIA-Programm eine Sozialversicherungsnummer und 66 % eine Steuernummer besäßen, keine Relevanz zu. Wie dargelegt, existieren keine besonderen staatlichen Hilfsangebote für international Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem.
Die Kläger werden indes keine anderen staatlichen Sozialleistungen erhalten. Leistungen aus dem sog. „Cash-Card-System“ des UNHCR kommen für sie deshalb nicht in Betracht, weil nur Asylbewerber Mittel aus jenem System beziehen können. Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung stehen den Klägern schon aufgrund fehlender entsprechender Vorversicherungszeiten nicht zur Verfügung. So bliebe letztlich höchstens noch die von der griechischen Arbeitsagentur OAED für international Schutzberechtigte ausgegebene Arbeitslosenkarte, welche zur kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, kostenlosem Eintritt in Museen, zu Ermäßigungen für Gas-, Wasser- und Stromrechnungen, Rabatten in einigen Fast-Food-Restaurants, Mobilfunkangeboten und beruflichen Fortbildungsmaßnahmen berechtigt. Mit den aus dieser Arbeitslosenkarte zu erzielenden Vergünstigungen allein könnten die Kläger, bei denen es sich um eine Kleinfamilie handelt, ihr Existenzminimum aber offensichtlich nicht sichern.
dd) Zuletzt können die Kläger zur Sicherung ihres Existenzminimums auch nicht auf die Unterstützung von Kirchen oder lokalen bzw. internationalen Nichtregierungsorganisationen verwiesen werden, selbst wenn diese, wie oben bereits erwähnt, grundsätzlich berücksichtigt werden müssen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21, Rn. 26 –, zit. nach juris).
Zwar lässt sich dem Grunde nach konstatieren, dass Nichtregierungsorganisationen bei der Integration Schutzberechtigter eine wichtige Rolle spielen. In Griechenland gibt es sowohl aktive internationale als auch lokale Nichtregierungsorganisationen (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 27). Diese betreiben etwa Suppenküchen, in denen Bedürftige – u. a. anerkannt Schutzberechtigte – Mahlzeiten erhalten können. Die orthodoxe Kirche und die Zivilgesellschaft übernehmen Hilfeleistungen und bieten dadurch ein elementares Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrung (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A, Rn. 93 m. w. N. –, zit. nach juris).
Doch haben sich die Verhältnisse in Griechenland auch in diesem Punkt zunehmend verschärft. Berichten von Pro Asyl zufolge würden Zugangsbeschränkungen in der Praxis die Möglichkeit, die wenigen vorhandenen Suppenküchen zu nutzen, begrenzen. Von fünf in der Region Attika vorhandenen Suppenküchen verlange „Equal Society“ bei der Essensausgabe die Vorlage von Dokumenten wie einer Steuererklärung, einer Meldeadresse oder einer Obdachlosenbescheinigung sowie einer Sozialversicherungsnummer, andernfalls werde keine Mahlzeit ausgegeben. Ferner würde „Helping Hands – Evangeliki“ derzeit keine neuen Personen aufnehmen. Selbst die Caritas verfüge nicht über Dolmetscher und verlange eine Registrierung (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 11).
Keinem der aktuellen, oben aufgeführten Erkenntnismitteln lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Unterstützungsleistungen durch Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Zivilgesellschaft in einem solchen Umfang zur Verfügung stünden, dass zurückkehrende international Schutzberechtigte auf diese dauerhaft und hinreichend verlässlich rekurrieren könnten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern oder auch nur ihr Existenzminimum zu gewährleisten.
b) Etwas anderes ergibt sich insbesondere auch nicht aus den von der Beklagten mit Schriftsatz vom 16. April 2020 angeführten gerichtlichen Entscheidungen. Soweit diese die Auffassung der Beklagten untermauern sollen, dass ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr der Kläger nach Griechenland aufgrund der dortigen Lebensbedingungen nicht gegeben sei, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn die zitierten Entscheidungen stammen letztlich durchgängig aus dem Jahr 2019 oder sind sogar noch älter. Demgegenüber nimmt die herrschende jüngere instanz- und obergerichtliche Rechtsprechung an, dass Asylanträge von Personen, denen bereits in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, derzeit nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden dürfen, da vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls nach aktuellen Erkenntnissen die ernsthafte Gefahr besteht, dass solchen Personen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK droht (so zuletzt: OVG Bremen, Urteil vom 16. November 2021 – 1 LB 371/21 –, zit. nach juris; vgl. ebenso OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A –, zit. nach juris; VG Aachen, Urteil vom 6. Mai 2020 – 10 K 1722/18.A –, zit. nach juris; VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 – 12 K 491/19.A –, sowie vom 6. Februar 2020 – 12 K 492/19.A –, zit. nach juris; VG Meiningen, Urteil vom 28. Januar 2020 – 2 K 648/19 –, zit. nach juris; VG Magdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 6 A 390/19 –, zit. nach juris).
Augenscheinlich hat allein das Verwaltungsgericht Cottbus in jüngster Zeit eine andere Ansicht diesbezüglich vertreten (VG Cottbus, Urteil vom 6. Oktober 2021 – 5 K 1855/18.A –, juris). Unabhängig davon, wie diese Ansicht zu bewerten wäre, ging es in dem dortigen Verfahren indes um einen „arbeitsfähigen, alleinstehenden, anerkannt schutzberechtigten Mann“, dem in Griechenland keine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK drohen solle. Die Grundsätze jener Entscheidung lassen sich folglich nicht auf den hiesigen Fall, bei dem es um einen Familienverband mit dem Kläger zu 3. als Kleinkind, mithin als vulnerabler Person, geht. Hier muss folglich das Existenzminimum nicht nur einer arbeitsfähigen, gesunden und ungebundenen Person, sondern das der gesamten Familie gesichert werden.
Ebenso wenig verfängt der Hinweis der Beklagten auf das Verfahren Az.: 2 K 311/19 Me beim Verwaltungsgericht Meiningen. Dass sich dort eine achtköpfige Familie aus Syrien mit Kindern im Alter von 2-13 Jahren – den betreffenden Vortrag als wahr unterstellt – entschlossen hat, freiwillig nach Griechenland zurückzukehren, stellt sich als deren eigene Entscheidung dar. Dieser kann jedoch aus Sicht des Gerichts keine, über den betreffenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen.
Der Vortrag der Beklagten, in dem Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 sei, ebenso wie in der E-Mail vom 13. Juli 2020, eine Zusicherung in der durch das Bundesverfassungsgericht geforderten Weise zu sehen, welche die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließe, überzeugt ebenfalls nicht. So enthalten die Schreiben bei wertender Betrachtung bloße allgemeine Erklärungen ohne konkreten Fallbezug darüber, dass die Qualifikations-Richtlinie 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt worden sei. Auf dieser Grundlage werde allen international Schutzberechtigten eine richtlinienkonforme Behandlung zugesichert. Diese eher pauschalen Erklärungen genügen jedoch – v. a. vor dem Hintergrund der obigen Schilderungen der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort – nicht, um als echte Zusicherung des griechischen Staates dienen zu können, durch welche die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung hinreichend verlässlich ausgeschlossen wird (vgl. zu einer älteren Erklärung der griechischen Behörden BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31. Juli 2018 – 2 BvR 714/18, Rn. 93 –, zit. nach juris). Daneben ist eine Zusicherung hinsichtlich einer zumindest vorübergehenden Unterbringung i. S. d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit den beiden Erklärungen ersichtlich nicht gegeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. Juni 2020 – 10 LA 111/20, Rn. 15 –, zit. nach juris).
2. Eine Umdeutung der auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG basierenden Unzulässigkeitsentscheidung scheidet aus. Denn im Fall der Kläger sind die Voraussetzungen eines anderen Unzulässigkeitstatbestands nicht erfüllt (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 C 15/18, Rn. 40 –, zit. nach juris).
3. Die Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG (Ziff. ) ist verfrüht ergangen, weil das Bundesamt nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung verpflichtet ist, den Asylantrag der Kläger materiell zu prüfen und im Zuge dessen auch über Abschiebungsverbote zu entscheiden hat.
4. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. S. 1 bis 3 des angegriffenen Bescheids stellt sich als rechtswidrig dar, da der Asylantrag der Kläger, wie oben dargelegt, nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig hätte abgelehnt werden dürfen. In der Konsequenz entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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