Verwaltungsrecht

Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung bei Ruhestandsversetzung

Aktenzeichen  3 B 16.1866

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133282
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
UrlV § 10 Abs. 3 S. 3
BayBesG Art. 61 Abs. 1 S. 2
BayBG Art. 87 Abs. 2 S. 3
BeamtStG § 26
BGB § 288 Abs. 1 S. 2, § 291

 

Leitsatz

1 Gibt es keine ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, dann tritt auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ein Verfall des Urlaubsanspruches 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei zwingenden dienstlichen Gründen iSd Art. 87 Abs. 2 S. 3 BayBG kann es sich nur um solche Gründe handeln, die ihren Ursprung nicht in der persönlichen Sphäre des Beamten, sondern in der Sphäre des Dienstherrn haben (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Erkrankung mit anschließender Dienstunfähigkeit des Beamten ist kein zwingender dienstlicher Grund (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 12.1710 2014-03-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 wird abgeändert. Der Beklagte wird zur Abgeltung des klägerischen Urlaubsanspruchs 2010 verurteilt, dem Kläger 693,80 Euro nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 7. Oktober 2013 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Kläger 9/10, der Beklagte 1/10.
III. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Das Verwaltungsgericht, auf dessen Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Urteil verwiesen wird, hat mit Urteil vom 25. März 2014 die Klage sowohl in Bezug auf die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 als auch in Bezug auf die verlangte Mehrarbeitsentschädigung abgewiesen.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er beantragte zuletzt,
dem Kläger unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts einen Urlaubsabgeltungsanspruch für 2010 für vier Urlaubstage in Höhe von insgesamt 693,80 Euro zuzüglich Zinsen zuzusprechen. Zudem sei der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger in Abänderung des Bescheids vom 28. November 2016 für die nicht mehr durch Freizeit auszugleichende Mehrarbeit eine Entschädigung zuzüglich Zinsen zu zahlen.
Zur Mehrarbeitsentschädigung führte der Bevollmächtigte des Klägers aus, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die aufgetretene Erkrankung des Klägers sei kein dienstlicher Grund, halte einer Überprüfung nicht stand, wie unter Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. März 2013 (W 1 K 12.455) bereits im Berufungszulassungsverfahren dargelegt worden sei. Der Beamte dürfe in einem solchen Fall nicht leer ausgehen. Nur dann, wenn die Dienstbefreiung dadurch unmöglich werde, dass er auf eigenen Antrag aus dem Beamtenverhältnis ausscheide, könne eine Mehrarbeitsvergütung nicht mehr gezahlt werden. Insgesamt gehe es um 351:32 Überstunden. Zur Vermeidung weiterer Wiederholungen werde im Übrigen auf den Zulassungsantrag vom 13. Mai 2014 verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In Bezug auf die Urlaubsabgeltung 2010 entspreche die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO i.V.m. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Im Einzelnen anzuführende Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalte die Berufungsbegründung der Klagepartei insoweit nicht. Hierfür genüge es nicht, wenn sich die Berufungsbegründung dem Vorbringen im Zulassungsverfahren lediglich entnehmen ließe. Selbst wenn man insoweit das Erfordernis der Berufungsgründe unterstelle, werde nicht belastbar dargelegt, dass am 31. März 2012 noch nicht mehr als fünfzehn Monate verstrichen seien, um einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 bejahen zu können.
Wegen den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Über die Berufung konnte durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung des Klägers gemäß § 130a VwGO einstimmig für teilweise begründet – Urlaubsabgeltung 2010 – und teilweise für unbegründet – Mehrarbeitsentschädigung erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Parteien wurden hierzu gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört.
1. Soweit dem Kläger ein unionsrechtlicher Urlaubsabgeltungsanspruch für 2010 für vier Urlaubstage in Höhe von insgesamt 693,80 Euro abgesprochen worden ist, ist die Berufung zulässig (a.) und begründet (b.).
a. Dem Erfordernis einer besonderen Berufungsbegründungsschrift ist mit dem Schriftsatz der Klagepartei vom 21. September 2016 genügt worden. Diese nimmt auf die schon mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgetragenen Gründe Bezug. Zwar ist der nachfolgende Klammerzusatz „(Ziff. I. 4)“, wie der Beklagte zutreffend bemerkt, allein auf die unter 2. noch abzuhandelnde Mehrarbeitsvergütung bezogen. Mit dem Betreff der Berufungsbegründungsschrift, der den Streitgegenstand Urlaubsabgeltung 2010 ausdrücklich ausweist, und dem gestellten Berufungsantrag ergibt sich jedoch unzweifelhaft, dass der Berufungskläger nach wie vor auch insoweit die Durchführung des Berufungsverfahrens erstrebt. Nach den Umständen des konkreten Einzelfalls sind die Anforderungen an die grundsätzlich zulässige Bezugnahme auf die Begründung des Berufungszulassungsantrags hier niedrig anzusetzen, da der Senat mit Beschluss vom 14. September 2016 (3 ZB 16.1858) die ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ausführlich begründet hat. Diesen Zweifeln liegt ein einfach festzustellender Fristberechnungsfehler zugrunde, den der Kläger in der Begründung des Berufungszulassungsantrags angeführt hatte. Bei dieser Sachlage erschöpften sich weitergehende Anforderungen an die darzulegenden Berufungsgründe in einer bloßen Förmelei.
b. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist ein Verfall des Urlaubsanspruchs 2010 mit Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht eingetreten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 31.1.2013 – 2 C 10.12 – BayVBl 2013, 478, juris Rn. 21 f.), der sich der Senat angeschlossen hat (BayVGH, B.v. 15.7.2016 – 3 ZB 15.2146 – juris Rn. 16), tritt ein Verfall des Urlaubsanspruchs mit Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Urlaubsabgeltungsanspruch zum einen dann ein, wenn nationalstaatlich ein hinreichend langer Übertragungszeitraum geregelt ist und dieser abgelaufen ist. Hinreichend lang ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Übertragungszeitraum, wenn er deutlich länger als das Urlaubsjahr, also deutlich länger als ein Jahr ist; ein Übertragungszeitraum muss den Beschäftigten, die während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsbzw. dienstunfähig sind, ermöglichen, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant sowie verfügbar sein können, und er muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten. Einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten hat der EuGH gebilligt (EuGH, U.v. 22.11.2011 – Rs. C -214/10 – NJW 2012, 290 Rn. 40 ff.).
Gibt es keine ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, dann tritt auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ein Verfall des Urlaubsanspruches 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein. Der EuGH leitet aus dem Umstand, dass die RL 2003/88/EG nach ihrem sechsten Erwägungsgrund den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung Rechnung getragen hat, her, dass bei der Berechnung des Übertragungszeitraums der Zweck des Anspruchs auf Jahresurlaub, wie er sich aus Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub ergibt, berücksichtigt werden muss. Nach Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens ist der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen. Diese Vorschrift beruht nach der Rechtsprechung des EuGH auf der Erwägung, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann. Das rechtfertigt die Annahme, dass der Urlaubsanspruch 18 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfällt.
Das Verwaltungsgericht hält die damals durch finanzministerielle Schreiben bestimmte Vollzugspraxis zur Urlaubsverordnung, ohne dies ausdrücklich auszusprechen oder zu begründen, für eine solche nationalstaatliche Regelung. Ob dies zutrifft, bedarf vorliegend keiner Erörterung. Denn auch auf der Basis dieses Rechtsstandpunkts wäre die Verfallsfrist von 15 Monaten für den Urlaubsanspruch 2010 mit Ablauf des 31. März 2012 noch nicht überschritten gewesen. Dies hatte der Beklagte in seinem Schreiben vom 19. September 2013 noch zutreffend erkannt. Im Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 4. April 2013 heißt es auf Seite 5: „Im Ergebnis bedeutet das, dass Urlaubsjahre, die bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses seit mehr als 15 Monaten abgelaufen sind, unberücksichtigt bleiben.“ Dies entspricht auch der später in § 10 Abs. 3 Satz 3 UrlV normierten Rechtslage (vgl. auch Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 93 BayBG Rn. 66e) und steht in Übereinstimmung mit den Fristbestimmungsvorschriften der §§ 186 ff. BGB. Zu einer Überschreitung der 15-Monatsfrist ist es bis zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung nicht gekommen.
c. Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beruht auf § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. die Schriftsätze der Klagepartei vom 30. September 2013 und 24. Februar 2014 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren).
2. Soweit der Kläger eine Mehrarbeitsvergütung für nicht mehr durch Freizeit auszugleichende Mehrarbeit in Höhe von 351 Stunden und 32 Minuten verlangt, bleibt die Berufung ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit zu Recht mit der Begründung abgewiesen, die Mehrarbeitsvergütung könne gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 2 BayBesG nur dann geleistet werden, wenn im Einzelnen nachgewiesen sei, dass eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht innerhalb eines Jahres möglich gewesen sei. In der Person des Beamten liegende Gründe, die die fristgerechte Dienstbefreiung hinderten, erfüllten die Voraussetzungen der genannten Vorschrift nicht, was in Ziffer 61.1.1 Satz 4 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten (BayVwVBes) dahingehend konkretisiert werde, dass eine Mehrarbeitsvergütung nicht geleistet werden könne, wenn ein geplanter Freizeitausgleich aufgrund persönlicher Gründe – worunter ausdrücklich sowohl eine plötzlich aufgetretene Krankheit sowie die Pensionierung zu fassen sei – nicht möglich gewesen sei.
Entgegen der vom Kläger in Bezug genommenen, vereinzelt gebliebenen, Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (U.v. 5.3.2013 – W 1 K 12.455 – juris) ist der Senat nicht der Auffassung, dass zwingende dienstliche Gründe deshalb vorliegen, weil der Kläger wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 26 BeamtStG in den Ruhestand versetzt worden ist. Damit würde das Verhältnis von Ursache und Wirkung verkehrt und das der Risikosphäre des Beamten zuzuordnende allgemeine Lebensrisiko des Beamten, zu erkranken und dadurch dienstunfähig zu werden, auf den Dienstherrn verlagert. Deshalb geht die Rechtsprechung ganz überwiegend davon aus, dass es sich bei zwingenden dienstlichen Gründen im Sinne des Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG nur um solche Gründe handeln kann, die ihren Ursprung nicht in der persönlichen Sphäre des Beamten, sondern in der Sphäre des Dienstherrn haben. Eine Erkrankung mit anschließender Dienstunfähigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht als zwingender dienstlicher Grund anerkannt worden (vgl. neben den bereits vom Verwaltungsgericht benannten Rechtsprechungsnachweisen BayVGH, B.v. 17.9.2014 – 3 ZB 13.1516 – juris; NdsOVG, B.v. 29.4.2013 – 5 LA 186/12 – ZBR 2013, 265; OVG NW, B.v. 27.8.2015 – 6 A 712/14 – juris). Daran ändert es auch nichts, dass für die Ruhestandsversetzung wegen dauernder Dienstunfähigkeit des Klägers die vom Verwaltungsgericht Würzburg benannten dienstlichen Gründe angeführt werden können. Dessen weitere – nicht entscheidungstragende – Einschätzung, dass Urlaub und Freizeitausgleich der Erholung und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bzw. Beamten dienten und daher Rechtsansprüche darstellten, die im Falle der Unmöglichkeit ihrer Erfüllung nicht nur im europäischen Unionsrecht, sondern auch in der vorliegenden Fallgestaltung zu Sekundäransprüchen führten, trifft in Anbetracht der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht zu.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 VwGO und § 127 BRRG nicht erfüllt sind.


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