Verwaltungsrecht

Verbundene Beschwerden, Hundehaltungsanordnung, Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 CS 22.982, 10 C 22.983

Datum:
3.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15352
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 93 S. 1
LStVG Art. 18 Abs. 2
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 15 S 21.2231, AN 15 K 21.2232 2022-03-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerdeverfahren 10 CS 22.982 und 10 C 22.983 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 22.982 wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.
V. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren 10 CS 22.982 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde in dem Verfahren 10 CS 22.982 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2022, mit dem dieses die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. November 2021 mit einer Reihe von Anordnungen bezüglich der von ihr gehaltenen Dobermann-Pinscher-Mix-Hündin hinsichtlich der Maulkorbpflicht wiederhergestellt, den Eilantrag im Übrigen jedoch, insbesondere hinsichtlich der Verpflichtung zu dem Besuch einer Hundeschule, abgelehnt hat. Mit ihrer Beschwerde in dem Verfahren 10 C 22.983 wendet sie sich der Sache nach überdies gegen die in dem genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts ausgesprochene lediglich anteilige Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Hauptsache- und Eilverfahren mit dem Ziel der vollumfänglichen Bewilligung von Prozeskostenhilfe. Dazu beantragt sie – unter Beiordnung der Bevollmächtigten – der Sache nach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren 10 CS 22.982.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 16. November 2021 ordnete die Antragsgegnerin − unter anderem − für die genannte Hündin der Antragstellerin die Leinenpflicht an (Nr. 1), belegte diese zudem mit einer Maulkorbpflicht (Nr. 2), regelte die Überlassung der Hündin an zuverlässige Personen (Nr. 3 Satz 1) und die Verpflichtung der Antragstellerin, die jeweilige Person zur Beachtung der Nrn. 1 und 2 anzuhalten (Nr. 3 Satz 2), verpflichtete die Antragstellerin zu dem Besuch einer Hundeschule mit mindestens 12 Einheiten (Nr. 4a) Satz 1), zur Vorlage eines schriftlichen Nachweises über eine Anmeldung hierzu bis spätestens zum 30. November 2021 (Nr. 4a) Satz 2), zur Übersendung der schriftlichen Bestätigung über die Ableistung des Trainings bis zum 1. März 2022 (Nr. 4b)), ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 2, 3 und 4 an (Nr. 5) und drohte bei Zuwiderhandlung gegen die Nrn. 1 oder 2 jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an, bei Zuwiderhandlungen gegen die Nrn. 3, 4a) und 4b) jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 150,- Euro (Nr. 6). Die Antragsgegnerin stützte sich hierbei auf einen gemeldeten Beißvorfall im Zusammenhang mit der Hündin vom 25. August 2020 sowie weitere Vorfälle beziehungsweise Beschwerden im Zeitraum vom 13. Juni 2021 bis zum 16. August 2021.
Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2021 hat die Antragstellerin hiergegen Anfechtungsklage erhoben sowie beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 11. März 2022 hat das Verwaltungsgericht − unter anderem − die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin insoweit wiederhergestellt, als sich deren Klage gegen die in den Nrn. 2 und 3 des Bescheides angeordnete Maulkorbpflicht richtet, und die aufschiebende Wirkung im Hinblick auf die in Nr. 6 des Bescheides angeordnete Zwangsgeldandrohung insoweit angeordnet, als diese sich wiederum auf die in den Nrn. 2 und 3 angeordnete Maulkorbpflicht bezieht, den Eilantrag im Übrigen jedoch abgelehnt (Nr. 1) und für das Hauptsacheverfahren (Nr. 4) und das Eilverfahren (Nr. 5) lediglich anteilig Prozesskostenhilfe bewilligt.
Mit Schriftsatz vom 22. März 2022 hat die Antragstellerin hiergegen Beschwerde(n) eingelegt mit dem Antrag (I.),
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. März 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Dezember 2021 gegen Nrn. 1 bis 4 der Antragsgegnerin vom 16. November 2021 wiederherzustellen sowie hinsichtlich Nr. 6 anzuordnen.
Dazu stellt sie – neben dem Antrag, der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen (II.) – den Antrag, ihr – unter Beiordnung der Bevollmächtigten − Prozesskostenhilfe zu bewilligen (III.).
Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor: Soweit das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung der Aktenlage von der Notwendigkeit des Besuchs einer Hundeschule aufgrund einer Überforderung der Antragstellerin wegen eines Beißvorfalls ausgehe und sich hierbei auf Zeugenaussagen und die Schilderung von Polizeibeamten gestützt habe, stünden dem die Aussagen von Personen aus dem Bekannten- und Nähebereich der Antragstellerin entgegen, welche weder ein aggressives noch undiszipliziertes Verhalten der Hündin hätten wahrnehmen können. Außerdem habe die Vertreterin der Hundeschule, bei welcher antragstellerseits zumindest drei Stunden besucht worden seien, die Hündin als unproblematisch bezeichnet. Vor diesem Hintergrund erschließe sich der Antragstellerseite die Erforderlichkeit des Besuchs einer Hundeschule von mindestens zwölf Einheiten nicht. Dazu legt die Antragstellerseite unter anderem Kopien von eidesstattlichen Versicherungen des Lebensgefährten, einer Nachbarin, eines Bekannten sowie der Mutter eines Freundes des Sohnes der Antragstellerin vor. Die im Zusammenhang mit der eidesstattlichen Versicherung des Lebensgefährten erwähnten Videosequenzen wurden nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 27. April 2022 hat die Antragsgegnerin hierauf erwidert und beantragt der Sache nach,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Verfahren 10 CS 22.982 und 10 C 22.983 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
2. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
a) Die zulässige Beschwerde in dem Verfahren 10 CS 22.982 ist unbegründet. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, die angegriffene Entscheidung abzuändern.
aa) Nach Art. 18 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 LStVG können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn in dem zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Nach der Rechtsprechung ist von einer solchen konkreten Gefahr auszugehen, wenn große Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19 m.w.N.). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (vgl. BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 40 m.w.N.).
bb) Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall bejaht, dass von der Hündin der Antragstellerin eine konkrete Gefahr im vorgenannten Sinn ausgeht. Dabei hat es zunächst darauf abgestellt, dass die Hündin der Antragstellerin ein großer Hund im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung ist, der auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumläuft. Sodann hat es festgestellt, dass es auch schon am 25. August 2020 zu einem Beißvorfall gekommen ist (vgl. BA S. 17). Speziell bei der Prüfung der Verpflichtung zum Besuch einer Hundeschule ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass diese nicht zu beanstanden sei, weil die Halter – nach Zeugenaussagen, Schilderungen der Polizei sowie einem Beschwerdebrief der Anwohner vom 21. Oktober 2021 − in Bezug auf die Hündin unangemessene Erziehungsmethoden praktizieren würden, teilweise überfordert wären und die Antragstellerin zudem bereits einer tierschutzrechtlichen Anordnung zum Besuch einer Hundeschule aus dem Jahr 2019 nicht nachgekommen sei (vgl. BA S. 21). Das Verwaltungsgericht hat hierbei auch berücksichtigt, dass die Vertreterin der Hundeschule die Hündin zwar als unproblematisch bezeichnet, hierbei aber ausdrücklich hinzugefügt hatte, nach nur drei Terminen kein abschließendes Urteil abgeben zu können (vgl. BA S. 21 f.).
cc) Das Beschwerdevorbringen und die hierbei vorgelegten Darlegungs- und Beweismittel stellen die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert in Frage. Die abgegebenen Erklärungen stammen von Laien, denen es an Expertise zur Begutachtung von Hunden fehlt. Außerdem stellen selbst Sachverständigengutachten und Wesenstests nur eine Momentaufnahme dar und besagen lediglich, dass ein Hund in der geprüften Situation zu diesem Zeitpunkt kein gesteigert aggressives Verhalten gezeigt hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 − 10 B 20.439 – juris Rn. 21 m.w.N.). Dies gilt selbstverständlich und umso mehr für Aussagen von Laien über ihre Wahrnehmung von Begegnungen mit einem Hund. Abgesehen davon sind die von der Antragstellerin vorgelegten Erklärungen erkennbar nicht geeignet, die Position der Antragstellerin zu stützen, weil sie vage, pauschal und unsubstantiiert sind (vgl. Senatsakte, Bl. 6 Rückseite: „als ich den Hund gelegentlich sah“, Bl. 7: „zu keinem Zeitpunkt beide Personen den Hund geschlagen oder misshandelt haben“, S. 7 Rückseite: „einige Male beim Gassi getroffen“). Teilweise betreffen sie keine eigene Wahrnehmung (vgl. Senatsakte, Bl. 7 Rückseite: „Mein Sohn … ist befreundet. Er besucht … oft“), teilweise bestätigen die Erklärungen auch die tatsächlichen Feststellungen sowie die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts (vgl. Senatsakte, Bl. 6: „klopfte ich ihm [erg. dem Hund – Anm. d. Senats] auf den Mund“). Was die Aussage der Vertreterin der Hundeschule angeht, blendet die Antragstellerseite aus, dass diese sich gerade noch kein abschließendes Urteil gebildet hatte, was das Verwaltungsgericht entsprechend verwertet hat (s.o.).
dd) Zu den übrigen Anordnungen der Antragsgegnerin hat die Antragstellerseite keine Ausführungen gemacht, so dass insoweit bereits dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genüge getan ist.
b) Die zulässige Beschwerde in dem Verfahren 10 C 22.983 ist ebenfalls unbegründet. Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist nach § 88 VwGO dahin auszulegen, dass diese auch unter Aufhebung der Nrn. 4 und 5 des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in vollem Umfang für das Hauptsache- und Eilrechtsschutzverfahren begehrt. Dies beruht darauf, dass die Antragstellerin gegen „den Beschluss“ Beschwerde erhoben hat, und ihr Rechtsschutzbegehren auch in der „Begründung des Antrages auf Prozesskostenhilfe“ nicht weiter eingegrenzt hat. Der Senat verweist insofern zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. In Bezug auf die Beschwerde in dem Verfahren 10 C 22.983 ist hierbei festzustellen, dass das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz kostenpflichtig ist.
4. Die Streitwertfestsetzung in dem Verfahren 10 CS 22.982 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 35.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 22.983 ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG jeweils eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
5. Dem ebenfalls gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren – unter Beiordnung der Bevollmächtigten – (vgl. Senatsakte, Bl. 3: „Kosten des … Verfahrens“) ist aus den hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens 10 CS 22.982 angeführten Gründen (s.o.) kein Erfolg beschieden.
6. Dieser Beschluss nach § 152 Abs. 1 VwGO ist unanfechtbar.


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