Verwaltungsrecht

VerfGH Weimar: Erfolgloser Eilantrag gegen § 26a Abs 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung (juris: CoronaVInfSchV TH 2) bzgl der Einführung von Distanzunterricht und anderer Regelungen bzgl des Schulbetriebs unter Pandemiebedingungen – Folgenabwägung

Aktenzeichen  3/22

Datum:
14.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VERFGHT:2022:0114.VERFGH3.22.00
Normen:
§ 26a Abs 1 CoronaVInfSchV TH 2
§ 26a Abs 2 CoronaVInfSchV TH 2
§ 28a Abs 7 S 1 Nr 7 IfSG
§ 28a Abs 8 S 1 Nr 7 IfSG
Art 20 S 1 Verf TH
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle setzt für die Annahme der offensichtlichen Begründetheit des Antrags in der Hauptsache (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – VerfGH 106/20 -, juris Rn. 34 f. m. w. N.) voraus, dass sich die Unvereinbarkeit der angegriffenen Regelungen mit der Thüringer Verfassung geradezu aufdrängt. Bedarf es hingegen einer tiefergehenden Prüfung, ob eine Regelung – nicht zuletzt auch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung – mit der Thüringer Verfassung vereinbar ist, ist nicht von einer offensichtlichen Begründetheit des Antrags in der Hauptsache auszugehen.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe

A.
Die Antragstellerin ist die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2022, eingegangen beim Thüringer Verfassungsgerichtshof am 4. Januar 2022, hat sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dieser richtet sich gegen § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung sowie die Punkte 3.3. und 3.4. der Allgemeinverfügung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 28. Dezember 2021 zum Vollzug der Thüringer Verordnung über die Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Kindertageseinrichtungen, der weiteren Jugendhilfe, Schulen und für den Sportbetrieb (ThürSARS-CoV-2-KiJuSSP-VO).
I.
1. Die vorgenannten Regelungen haben folgenden Wortlaut:
a) § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung:
„§ 26a
Schulbetrieb
 (1) 1Die Organisation des Schulbetriebs, insbesondere die Ausgestaltung des Unterrichts in Form von Distanzunterricht, Unterricht im Rahmen von Wechselmodellen oder Unterricht in festen, beständigen Gruppen, kann in allen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie an Schulen in freier Trägerschaft ab 3. Januar 2022 auf Anordnung des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums erfolgen. 2Die Einrichtung einer Notbetreuung kann angeordnet werden.
 (2) Der Anspruch der Schüler auf Förderung in einem Schulhort nach § 10 Abs. 2 des Thüringer Schulgesetzes (ThürSchulG) in der Fassung vom 30. April 2003 (GVBI. S. 238) in der jeweils geltenden Fassung kann durch Anordnung nach Absatz 1 eingeschränkt werden. Art und Umfang der aufgrund dieser Anordnung eingeschränkten Hortbetreuung legt die Schulleitung vor Ort unter Berücksichtigung der jeweiligen räumlichen und personellen Kapazitäten fest; die Vorgaben des Zugangs zur Notbetreuung sind zu beachten.
 […]“ 
b) Die Punkte 3.3. und 3.4. der Allgemeinverfügung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 28. Dezember 2021:
„3.3. Zur Organisation des Unterrichts am 3. und 4. Januar 2022
Am 3. und 4. Januar 2022 erfolgt an allen Schulen eigenständiges Lernen im Rahmen von Distanzunterricht. Das eigenständige Lernen soll sich dabei inhaltlich im Wesentlichen auf die Wiederholung und Festigung des Unterrichtsstoffes in den Kernfächern vor den Weihnachtsferien konzentrieren. Für Kinder der Klassenstufe 1 bis 6 sowie aller Klassenstufen der Förderschule wird an diesen beiden Tagen eine erweiterte Notbetreuung ohne Zugangsvoraussetzungen angeboten.
3.4. Zur Organisation des Unterrichts ab 5. Januar 2022
Während des Zeitraumes nach Ziffer 3.3 ermittelt die Schulleitung für die Schülerinnen und Schüler sowie das gesamte Personal die Corona-Infektionslage der Schule (schulische Lageeinschätzung).
Berücksichtigung finden dabei bekannte Infektionen mit SARS-CoV-2 sowie Quarantänemaßnahmen bei Schülern, Lehrkräften und sonstigem Personal der Schule. Ab 5. Januar kann die weitere Organisation des Unterrichts bei mehr als einer mit SARS-CoV-2 infizierten Person unter Berücksichtigung der Corona-Infektionslage an der Schule (schulische Lageeinschätzung) wochenweise und abgestuft im eingeschränkten Präsenzbetrieb umgesetzt werden:
1. nach Entscheidung der Schulleitung in der Primarstufe, in der gesamten Förderschule oder für einzelne Klassen oder Klassenstufen, inklusive der Klassenstufen 5 und 6 der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in Form von Unterricht in festen Lerngruppen,
2. nach Entscheidung der Schulleitung ab Klassenstufe 7 für die weiterführenden Schulen oder deren einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen in Form von Wechselunterricht; dies gilt nicht für Förderschulen,
3. nach Entscheidung der Schulleitung für einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen in Form von Distanzunterricht oder nach Entscheidung des zuständigen Staatlichen Schulamtes für die gesamte Schule in Form von Distanzunterricht. Für die Klassenstufen 1 bis 6 sowie an Förderschulen ist dann eine Notbetreuung nach Ziffer 3.5. einzurichten.
Vorrangig sind Maßnahmen nach Nr. 1 und 2 zu prüfen. Sind diese Maßnahmen aufgrund der SARS-CoV-2 Infektionslage an der Schule (bekannte Infektionen mit SARS-CoV-2, Quarantänemaßnahmen) sowie insbesondere unter Berücksichtigung der bisher auf dem Infektionsschutz basierenden schulorganisatorischen und pädagogischen Gesichtspunkten, nicht ausreichend, können Maßnahmen nach Nr. 3 ergriffen werden. Diese sind vorrangig für einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen zu prüfen und bedürfen für die gesamte Schule der Entscheidung des zuständigen Staatlichen Schulamtes.
Unterricht in festen Lerngruppen kann unter Wechsel des pädagogischen Personals erfolgen. Bei der Bildung von Betreuungsgruppen (Hort) sollen die gebildeten Lern-gruppen berücksichtigt werden.
Wechselunterricht erfolgt unter Berücksichtigung des Mindestabstandes und einem möglichst wöchentlichen Wechsel der Lerngruppen. Für die nicht in der Schule befindliche Lerngruppe erfolgt eigenständiges Lernen.
Distanzunterricht erfolgt mindestens durch Zurverfügungstellung, Rückmeldung und Erteilung des Lehrstoffes bzw. der zu erledigenden Aufgaben im eigenständigen Lernen, wobei alle technisch an der Schule bestehenden und zugelassenen Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Thüringer Schulcloud zu nutzen sind.
Mischformen innerhalb einer Schule sowie Klasse oder Jahrgangsstufen sind entsprechend der Situation vor Ort möglich.
Für den Zeitraum dieser Allgemeinverfügung ist die Corona-Infektionslage der Schule (schulische Lageeinschätzung) zur Festlegung der weiteren schulischen Organisation wöchentlich bis einschließlich Donnerstag erneut zu bewerten, um für die folgende Woche schulorganisatorische Maßnahmen für eine Rückkehr zum Präsenzbetrieb oder abgestufte Maßnahmen nach Nr. 1 bis 3 zu treffen.
Für Schüler der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe, für Fachschüler in den Abschlussklassen der Fachschule im Fachbereich Sozialwesen sowie für Berufs-schüler mit 3,5-jähriger Ausbildung, bei denen die Abschlussprüfungen oder der erste Teil der gestreckten Abschlussprüfungen bevorstehen, findet Präsenzunterricht statt.
Lehrkräfte, die sich auf Grund einer Anordnung der zuständigen Behörde nach § 1 Abs. 4 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO in Quarantäne befinden oder aufgrund § 39 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO in Verbindung mit §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 36 Abs. 1 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO von dem Einsatz im Präsenzunterricht befreit sind, haben den Distanzunterricht abzusichern.
Die Schulleitung hat zu prüfen, ob bei Verweigerung der Erfüllung der 3G-Pflicht ausnahmsweise und unter vorrangiger Heranziehung von befreiten und in Quarantäne befindlichen Lehrkräften ein sinnvoller Einsatz im Distanzunterricht kurzfristig möglich ist.[…]“
2. Der Verordnungsgeber hat in Art. 1 Nr. 10 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung vom 23. Dezember 2021 (GVBl. 2022, S. 1) § 26a Abs. 1 und 2 neu in die Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung aufgenommen: Die Regelung trat am 28. Dezember 2021 in Kraft.
3. In der veröffentlichten Begründung zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung vom 23. Dezember 2021 führt der Verordnungsgeber auf Seite 5 f. wörtlich aus:
„Zu § 26a:
Mit der Regelung wird auf die anhaltend hohen und mit der sich aufbauenden fünften Infektionswelle in Folge der Omikron-Variante, durch die es auch zu häufig auftretenden Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei Kindern im schulfähigem Alter kommt und weiterhin kommen wird, reagiert. Dass mit der Regelung geschaffene System von kontaktbeschränkenden Maßnahmen in der Schulorganisation beinhaltet die Möglichkeit unterhalb der Schwelle der Aufrechterhaltung des vollen Präsenzbetriebs Infektionsschutz zu gewährleisten und dabei den Schulbetrieb je nach den Erfordernissen vor Ort so zu organisieren, dass Unterricht so weit wie möglich weiter stattfinden kann.
Zu Absatz 1:
Absatz 1 stellt die Ermächtigung des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums dar, ab dem 3. Januar 2022 die im Tatbestand der Vorschrift genannten kontaktbeschränkenden Maßnahmen anzuordnen. Die in Absatz 1 enthaltenen Vorgaben, feste beständige Gruppen und Wechselmodelle (Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht) zur Unterrichtsgestaltung vorsehen zu können, ermöglichen es der einzelnen Schule kontaktreduzierende schulorganisatorische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Fortführung des Schulbetriebs zu ergreifen und damit dem pandemiebedingten erhöhten Krankenstand sowie den Quarantäneanordnungen auf Seiten der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler zu begegnen. Präsenzunterricht hat nach wie vor oberste Priorität und die Schulleitungen sind gehalten, die einschränkenden Maßnahmen unter gewissenhafter Abwägung des Rechts auf Bildung und dem Gesundheitsschutz der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler festzulegen.
Die Schulleitungen schätzen hierfür einmal wöchentlich die Corona-Infektionslage der Schulen ein. Hierbei werden vor allem bekannt gewordene Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 sowie Quarantäneanordnung bei Schülerinnen und Schülers sowie bei den Lehrkräften und dem sonstigen Personal berücksichtigt.
Die Festlegung von Einschränkungen des Präsenzbetriebs kann dann wochenweise und wie folgt abgestuft umgesetzt werden:
1. nach Entscheidung der Schulleitung in der Primarstufe, in der gesamten Förderschule oder für einzelne Klassen oder Klassenstufen, inklusive der Klassenstufen 5 und 6 der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in Form von Unterricht in festen Lerngruppen,
2. nach Entscheidung der Schulleitung ab Klassenstufe 7 für die weiterführenden Schulen oder deren einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen in Form von Wechselunterricht; dies gilt nicht für Förderschulen,
3. nach Entscheidung für einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen in Form von Distanzunterricht oder nach Entscheidung des zuständigen Staatlichen Schulamtes für die gesamte Schule in Form von Distanzunterricht. Für die Klassenstufen 1 bis 6 sowie an Förderschulen ist dann eine Notbetreuung nach Abs. 4 einzurichten.
Vorrangig sind Maßnahmen nach Nummer 1 und 2 zu prüfen. Sind diese Maßnahmen aufgrund der Corona-Infektionslage an der Schule sowie insbesondere unter Berücksichtigung der bisher auf dem Infektionsschutz basierenden schulorganisatorischen und pädagogischen Gesichtspunkten, nicht ausreichend, kann als letztes Mittel zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs Distanzunterricht auch für eine gesamte Schule erforderlich werden. Das Erfordernis von Distanzunterricht ist vorrangig für einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen zu prüfen und bedarf für die gesamte Schule der Entscheidung des zuständigen Staatlichen Schulamtes.
Näheres zu den Maßnahmen nach Nummer 1 bis 3 wird durch Allgemeinverfügung des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums festgelegt.“
II.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung sowie die Punkte 3.3. und 3.4. der Allgemeinverfügung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 28. Dezember 2021 verstießen gegen das Grundrecht auf schulische Bildung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und Art. 20 und Art. 22 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Thüringer Verfassung – ThürVerf) und seien daher verfassungswidrig und nichtig.
1. Ursprünglich hat die Antragstellerin beantragt, § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung und die Punkte 3.3. und 3.4. der Allgemeinverfügung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 28. Dezember 2021 durch einstweilige Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
a) Im Rahmen der Begründung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führte sie aus, ihr Antrag sei zulässig. Sie sei als Landtagsfraktion antragsberechtigt und ihr Antrag sei auch nicht offensichtlich unbegründet. Zudem liege ein tauglicher Verfahrensgegenstand vor, da alle Normen angegriffen werden könnten, gleich welchen Ranges. Auch die strengen Darlegungsvoraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung seien erfüllt. Das bundesweit einzigartige Vorhaben der Landesregierung mache wieder die (Schul-)Kinder zum Adressaten von Eindämmungsmaßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung und sei am falschen Adressaten ausgerichtet und ganz offensichtlich generell untauglich. Hieraus würden sich schwerwiegende Beeinträchtigungen ergeben, was nicht zuletzt auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 – Az. 1 BvR 971/21 und 1 BvR 1069/21 – zu entnehmen sei. Mit jedem Tag, an dem Kinder nicht am Präsenzunterricht teilnehmen könnten, seien ihre persönlichen Bildungsmöglichkeiten und zukünftigen Lebenschancen gravierend beeinträchtigt. Dies sei auch der Grund, weshalb § 28a Abs. 8 Nr. 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nunmehr folgerichtig die generelle Schließung von Schulen untersage. Zudem zeige sich immer wieder, dass die Unterbrechung der Übertragungswege auf Dauer unmöglich sei. Die Rechtssuche im ordentlichen Rechtsweg, auch im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, sei für die Antragstellerin nicht vorrangig bzw. überhaupt nicht zu erzielen.
b) Die Antragstellerin ist der Ansicht, ihr Antrag sei auch begründet. Jegliche Anordnungen von Schulschließungen verstießen aufgrund des § 28a Abs. 8 Nr. 7 IfSG gegen höherrangiges einfaches Bundesrecht. Zudem liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf schulische Bildung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 20 und Art. 22 Abs. 1 ThürVerf vor. Die Anordnung von Distanzunterricht, gleich auf welche rechtsförmliche Weise, stelle nichts anderes als eine Schulschließung dar. Wesentliches Merkmal des Distanzunterrichts seien die Abwesenheit vom Lernort und die in ausschließlicher Eigentätigkeit des Schülers stattfindende Lerntätigkeit.
Die durch die Allgemeinverfügung geschaffenen Regelungen wiesen bereits in ihrem äußeren Anschein darauf hin, dass kein einzelsachverhaltsbezogener Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung vorliege, sondern eine Rechtsverordnung. So seien die Regelungen insbesondere bei Punkt 3.4. derart unbestimmt und auch von weiteren Voraussetzungen und Verfügungen Dritter abhängig, dass kein Verwaltungsakt mehr vorliege.
2. Mit Schreiben vom 4. Januar 2022 hat der Verfassungsgerichtshof die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass sich ein Verfahren über die einstweilige Anordnung gegen einen Hoheitsakt richten muss, der auch Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein kann, und ihr Gelegenheit gegeben, ergänzend zur Zulässigkeit des Antrags vorzutragen.
3. Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2022 führte die Antragstellerin aus, dass der noch einzuleitende Antrag im Hauptsacheverfahren ein solcher nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 der ThürVerf i. V. m. § 11 Nr. 4, § 42 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG), gerichtet gegen § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung sein solle. Sie führte unter Verweis auf den Wochenbericht des RKI vom 6. Januar 2022 und des COVID-19 vaccine surveillance report Week 1 der UK Health and Security Agency nochmals aus, dass Kinder und Jugendliche weiterhin kaum gefährdet seien und die Fallsterblichkeit der Omikron-Variante der der Influenza entspreche.
4. Die Antragstellerin beantragt nunmehr,
1. § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung wird durch einstweilige Anordnung mit der Maßgabe vorläufig außer Vollzug gesetzt, dass Einschränkungen des Präsenzunterrichts, insbesondere die Ausgestaltung des Unterrichts in Form von Distanzunterricht, Unterricht im Rahmen von Wechselmodellen oder Unterricht in festen, beständigen Gruppen in allen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie an Schulen in freier Trägerschaft ab 3. Januar 2022 derzeit unzulässig sind.
2. Der Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin die notwendigen Aus-lagen zu erstatten.
III.
1. Der Anhörungsberechtigte zu 1. hat von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Die Anhörungsberechtigte zu 2. hat mit Schriftsatz vom 7. Januar 2022 wie folgt Stellung genommen:
Der Antrag sei bereits unzulässig, weil es an einem tauglichen Antragsgegenstand und an einer substantiierten Darlegung eines Anordnungsgrundes fehle. Die Allgemeinverfügung stelle keine Rechtsnorm dar, die Gegenstand eines abstrakten Normenkontrollverfahrens sein könne. Zudem äußere sich die Antragstellerin nicht zu konkreten Nachteilen, die im Falle des Nichtergehens der einstweiligen Anordnung entstehen würden.
Der Antrag sei zudem unbegründet. Die Folgenabwägung gehe zu Lasten der Antragstellerin aus.
Durch die vorläufige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen würde es zu einer erhöhten Gefahr einer erheblichen Weiterverbreitung des Virus, insbesondere durch die neuartige Omikron-Variante, sowie zu einer erhöhten Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems, insbesondere im Intensivbereich, kommen. Am Vollzug des § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung bestehe ein erhebliches allgemeinen Interesse. Es handele sich hierbei um keine unmittelbaren Infektionsschutzmaßnahmen. Diese Maßnahmen würden aber mittelbar dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit von Kontakten einzuschränken sowie die Entwicklung von Gruppendynamiken zu verhindern, und lieferten somit gemeinsam mit weiteren Maßnahmen der Verordnung einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Infektionsübertragungen. Die 7-Tage-Inzidenz je 100.000 Einwohnern sei in Thüringen im Vergleich mit allen Bundesländern am höchsten. Bei Kindern im schulfähigen Alter sei sie zudem nochmals deutlich höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Hinzu komme, dass die Ausbreitung der Omikron-Variante des Corona-Virus unmittelbar bevorstehe, die einen starken Anstieg der Erkrankungen, die über die bisherigen Inzidenzwerte weit hinausgehen dürfte, erwarten lasse. Dies sei speziell in Thüringen problematisch, da hier die Inzidenzwerte und die Hospitalisierungsrate noch immer erheblich höher seien als im Bundesschnitt.
Auf der anderen Seite sei zu berücksichtigen, dass derzeit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – flächendeckend Präsenzunterricht stattfinde. Die in § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung genannten und auf Kontaktreduzierung ausgerichteten Maßnahmen hätten gerade die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs zum Ziel. Die Bestimmungen würden keine nach § 28a Abs. 8 Nr. 7 i. V. m. § 33 Nr. 3 IfSG unzulässigen Schulschließung ermöglichen. Ermächtigungsgrundlage seien § 32 Satz 1 i. V. m. mit § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 7 IfSG. Letzterer ermächtige zur Erteilung von Auflagen für die Fortführung des Betriebs von Schulen durch den Verordnungsgeber. Die Durchführung von Distanzunterricht, Unterricht im Rahmen von Wechselmodellen und Unterricht in festen und beständigen Gruppen setze gerade voraus, dass Lernende und Unterrichtende weiter miteinander agierten, so dass in diesem Falle nicht von einer Schulschließung gesprochen werden könne. Dieser Wertung stehe auch der Wortlaut des Infektionsschutzgesetzes nicht entgegen. Dort werde der Begriff der Schließung neben der Aufhebung der Präsenzpflicht verwendet, so beispielsweise in § 56 Abs. 1 und 11 IfSG.
B.
I.
Die Entscheidung ergeht nach § 26 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung und nach § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 ThürVerfGHG ohne Mitwirkung des Mitglieds Dr. von der W…. An die Stelle von Herrn Dr. von der W… tritt nach § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1 ThürVerfGHG Herr O….
Der Ausschluss des Mitglieds Dr. von der W… wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 14 Abs. 1 ThürVerfGHG ergibt sich, wie bereits im Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 24. Juni 2020, VerfGH 17/20, dargelegt, aufgrund seiner Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat zum Corona-Pandemiemanagement, der sich am 4. Juni 2020 konstituiert hat und seither seine beratende Tätigkeit für die Landesregierung ausübt.
An der Entscheidung wirkt wegen des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze der aus dem Verfassungsgerichtshof ausgeschiedene Präsident Dr. h.c. Kaufmann nicht mehr mit. Die Befugnisse des Präsidenten nimmt daher nach § 7 Satz 2 und § 8 Abs. 1 Satz 4 ThürVerfGHG aufgrund des Ausschlusses des Mitglieds Dr. von der W… wegen Besorgnis der Befangenheit das berufsrichterliche Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Heßelmann wahr. An die Stelle des ausgeschiedenen Präsidenten in seiner richterlichen Funktion tritt das stellvertretende Mitglied Peters, an die Stelle des kürzlich verstorbenen Mitglieds Prof. Dr. Baldus tritt das stellvertretende Mitglied Reiser-Uhlenbruch und an die Stelle des verhinderten Mitglieds Menzel tritt das stellvertretende Mitglied Licht.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 7. Januar 2022 klargestellt, dass sich ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung allein gegen § 26a Abs. 1 und 2 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung richtet.
2. Es kann offen bleiben, ob der Antrag in zulässiger Weise erhoben wurde, insbesondere ob die Beschlussfassung zur Antragstellung den Anforderungen der Geschäftsordnung der Fraktion entsprach und ob die Darlegungsanforderungen erfüllt wurden.
3. Der gegen § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung gerichtete Antrag der Antragstellerin ist jedenfalls unbegründet.
a) Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 ThürVerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen. Bei der Prüfung bleiben die Gründe, die für oder gegen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht. Etwas anderes gilt nur, wenn der Antrag im Hauptsacheverfahren von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. In den übrigen Fällen sind die Nachteile, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die Maßnahme später aber für verfassungswidrig erklärt wird, gegen die Folgen abzuwägen, die entstehen, wenn die Anordnung erlassen wird, die Maßnahme sich im Hauptsacheverfahren aber als verfassungsgemäß erweist. (st. Rspr., siehe ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – VerfGH 106/20 -,juris Rn. 33). Dabei ist mit Rücksicht auf den Grundsatz der Gewaltenteilung für die vorläufige Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm zu Grunde zu legen, dass an deren Vollzug grundsätzlich ein erhebliches Allgemeininteresse besteht (st. Rspr., vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 – VerfGH 17/20 -, juris Rn. 72 m. w. N.).
b) Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten.
aa) Der – noch zu stellende – Normenkontrollantrag der Antragstellerin in der Hauptsache erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist somit als offen anzusehen.
bb) Auch der Vortrag der Antragstellerin, § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung eröffne dem für das Schulwesen zuständigen Ministerium die Möglichkeit zur allgemeinen Anordnung von Distanzunterricht, was durch § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 7 IfSG ausgeschlossen sei, führt zu keiner anderen Einschätzung. Zwar kann im Einzelfall einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch dann stattgegeben werden, wenn ein Antrag in der Hauptsache zulässig und offensichtlich begründet wäre und die Rechtsverletzung bei Verweigerung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte (ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – VerfGH 106/20 -, juris Rn. 34 f. m. w. N.). Eine solche offensichtliche Begründetheit ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
(1) Nach summarischer Prüfung ist durchaus davon auszugehen, dass die Durchführung von allgemeinem Distanzunterricht im Sinne der generellen Aussetzung von Präsenzunterricht für alle Klassen einer Schule eine Schulschließung darstellt. Hierfür spricht letztlich auch der Wille des Bundesgesetzgebers. So sah der ehemalige § 28b Abs. 3 Satz 2 IfSG dem Gesetzeswortlaut nach als bundeseinheitliche Schutzmaßnahme vor, dass die „Durchführung von Präsenzunterricht“ für Schulen zu untersagen ist, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen den Schwellenwert von 200 überschreitet. Im Rahmen der Begründung wird hierzu ausgeführt, dass „Schließungen von Bildungseinrichtungen” anzuordnen sind, wenn die maßgebliche Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 200 überschritten hat (BTDrucks 19/28444, S. 14). Auch der Ausgestaltung der derzeit gültigen Gesetzeslage durch den Bundesgesetzgeber ist zu entnehmen, dass die generelle Anordnung von Distanzunterricht keine bloße Auflage nach § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 7 IfSG, sondern die Schließung einer Gemeinschaftseinrichtung im Sinne von § 33 IfSG nach § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 8 IfSG darstellt. So wurde nach der Sachverständigenanhörung am 15. November 2021 zur Klarstellung in die Gesetzesbegründung zu § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 7 IfSG noch der Satz aufgenommen, dass als Auflagen für die Fortführung des Betriebs von Gemeinschaftseinrichtungen keine Aussetzung des Präsenzunterrichts festgelegt werden dürfe (BTDrucks 20/89, S. 14). Eine solche Aussetzung des Präsenzunterrichts kann auch nicht mit einer Aufhebung der Präsenzpflicht gleichgesetzt werden, so dass auch unerheblich ist, dass letztere – nicht nur nach dem Wortlaut des § 56 Abs. 1a Nr. 1 und Abs. 11 IfSG, auf den die Anhörungsberechtigte zu 2. in ihrer Stellungnahme hinweist – keine Schulschließung darstellt.
Es spricht daher in der Gesamtschau vieles dafür, dass eine Aussetzung des Präsenzunterrichts in Gestalt einer allgemeinen Anordnung von Distanzunterricht an den Thüringer Schulen generelle Schulschließungen i. S. d. § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 7 IfSG darstellt und somit von der in § 28 und § 28a IfSG i. V. m. § 32 IfSG den Landesregierungen erteilten Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung nach dem Ende der durch den Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht gedeckt wäre.
(2) Hieraus lässt sich jedoch nach summarischer Prüfung nicht schließen, dass auch § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage in § 28 und § 28a IfSG i. V. m. § 32 IfSG, auf die der Verordnungsgeber die Verordnung stützte, bereits verlässt.
Die Regelung ist zwar sehr weit gefasst, sodass sie das zuständige Ministerium sowohl nach dem Wortlaut als auch der amtlichen Begründung (Seite 5) zu sämtlichen Maßnahmen in der Schulorganisation unterhalb der Schwelle der Aufrechterhaltung des vollen Präsenzbetriebs ermächtigt. Jedoch lässt sich der Verordnungsbegründung nicht entnehmen, dass der Verordnungsgeber beabsichtigt, das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport zu generellen Schulschließungen zu ermächtigen. So soll laut Begründung das mit der Regelung geschaffene System dazu dienen, es den einzelnen Schulen zu ermöglichen, kontaktreduzierende schulorganisatorische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Fortführung des Schulbetriebs zu ergreifen und damit dem pandemiebedingten erhöhten Krankenstand sowie den Quarantäneanordnungen auf Seiten der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler zu begegnen. Dem Präsenzunterricht kommt ausdrücklich nach wie vor die oberste Priorität zu. Es werden einzelne Abstufungen vorgesehen, falls nach wöchentlicher Einschätzung der Corona-Infektionslage durch die Schulleitungen, Einschränkungen des Präsenzbetriebs erforderlich werden sollten. Vorrangig soll in diesem Fall der Unterricht in festen Lerngruppen oder in Form von Wechselunterricht erfolgen. Falls diese Maßnahmen unter Berücksichtigung von auf dem Infektionsschutz basierenden schulorganisatorischen und pädagogischen Gesichtspunkten nicht ausreichend sind, soll als letztes Mittel Distanzunterricht für einzelne Klassen- oder Jahrgangsstufen oder auch einer gesamten Schule – nach Entscheidung durch das zuständige Staatliche Schulamt – angeordnet werden können. Es sprechen somit gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport allein die Ermächtigung einräumt, Auflagen zur Fortführung des Schulbetriebs i. S. d. § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 7 IfSG zu erteilen und als ultima ratio im Einzelfall Schulen in nach § 28a Abs. 7 Satz 2 Var. 2 i. V. m. § 28 IfSG zulässiger Weise zu schließen.
(3) Die Frage, ob § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung aufgrund seines weiten Wortlautes dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Bestimmtheitsgebot hinreichend Rechnung trägt oder – falls dies nicht der Fall sein sollte – sich der Bereich der Regelung, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt, klar und bestimmt abgrenzen lässt und ihr Anwendungsbereich somit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, ist aufgrund ihrer Komplexität im Hauptsacheverfahren zu prüfen und diesem vorbehalten. Von einer offensichtlichen Begründetheit des Antrags in der Hauptsache kann folglich nicht ausgegangen werden.
(4) In Anbetracht der Tatsache, dass § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung in der Vergangenheit seitens des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport als Ermächtigung herangezogen wurde, um tageweise Distanzunterricht und damit die Schließung von allen Thüringer Schulen anzuordnen, sieht sich der Verfassungsgerichtshof – auch wenn die entsprechende Allgemeinverfügung und der dortige Punkt 3.3. nicht Gegenstand des Antrags der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist – ausnahmsweise veranlasst, darauf hinzuweisen, dass § 26a Abs. 1 Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung schon im Hinblick auf § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 7 IfSG nicht zur allgemeinen Untersagung der Durchführung von Präsenzunterricht an den Thüringer Schulen – und damit zu Schulschließungen über den Einzelfall hinaus – ermächtigt.
cc) Da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mithin als offen anzusehen sind, ist eine Rechtsfolgenabwägung vorzunehmen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, da sonst bei vergleichender Betrachtungsweise gerade kein schwerer Nachteil im Sinne des Gesetzes droht (ThürVerfGH, Beschluss vom 11. Januar 2021 – VerfGH 109/20 -, juris Rn. 25)
Eine Folgenabwägung gebietet es nicht, die einstweilige Anordnung zu erlassen.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte die abstrakte Normenkontrolle im Hauptsacheverfahren Erfolg, gäbe es keine ausreichende Ermächtigung des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums, zum Zwecke des Infektionsschutzes allgemeine Anordnungen zur Organisation des Schulbetriebs, insbesondere zur Ausgestaltung des Unterrichts in Form von Distanzunterricht, Wechselunterricht oder Unterricht in festen, beständigen Gruppen zu treffen. Alle in diesem Zusammenhang getroffenen Anordnungen wären zu Unrecht erfolgt.
Diesbezüglich wurde jedoch von der Antragstellerin nicht schlüssig dargelegt, dass entsprechende – dann zu Unrecht erfolgte – Anordnungen des Ministeriums zur Schulorganisation zu schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Eingriffen in die Grundrechte der Schüler führen. Sie verweist insoweit lediglich auf das Grundrecht auf schulische Bildung aus Art. 20 und Art. 23 Abs. 1 ThürVerf.
Bei dem in Art. 20 Satz 1 ThürVerf verankerten Recht auf Bildung handelt es sich aber nicht um ein subjektives Grundrecht (ThürVerfGH, Beschluss vom 19. November 2014- VerfGH 24/12 – juris Rn 31 f.), sondern um ein zentrales Staatsziel. Demgegenüber gewährleistet Art. 20 Satz 2 ThürVerf ein subjektiv-öffentliches Recht auf freien und gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen nach Maßgabe der Gesetze (ThürVerfGH, Beschluss vom 19. November 2014 – VerfGH 24/12 – juris Rn 33). Er umfasst auch das Recht auf schulische Bildung. Diese Gewährleistung einer Teilhabe am Schulunterricht beschränkt sich allerdings auf den Rahmen des Möglichen sowie der vorhandenen sächlichen und personellen Gegebenheiten und beinhaltet keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und einen bestimmten Umfang der Durchführung des Unterrichts (vgl. hierzu auch ThürOVG, Beschluss vom 2. Februar 2021 – 4 EO 56/21 -, juris Rn. 13). Soweit sich der Staat folglich hinsichtlich des Rechts auf schulische Bildung auf einen Vorbehalt des Möglichen berufen kann, gilt das nicht nur für den Fall, dass die gewünschten staatlichen Bildungsleistungen wegen aktuell unüberwindlicher personeller, sächlicher oder organisatorischer Zwänge tatsächlich nicht erbracht werden können, sondern auch hinsichtlich der Entscheidung, ob und inwieweit hierfür die nur begrenzt zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel verwendet werden sollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 -, juris Rn. 56). Eine auf die Befugnis des Staates zur Schulgestaltung oder seine Befugnis zur Entscheidung über die Verwendung knapper öffentlicher Mittel gestützte Maßnahme zur Änderung schulischer Strukturen stellt grundsätzlich auch dann keinen Eingriff in das Recht auf schulische Bildung dar, wenn dadurch bisher eröffnete Bildungsmöglichkeiten entfallen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 -, juris Rn. 64). Insoweit können die Schüler allenfalls verlangen, dass ein nach allgemeiner Auffassung für ihre Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbarer Mindeststandard schulischer Bildung gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 -, juris Rn. 64). Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte und wurden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen, dass seitens des zuständigen Ministeriums Anordnungen drohen, die die unverzichtbaren Mindeststandards schulischer Bildung nicht mehr wahren.
Soweit dem Grundrecht auf schulische Bildung auch ein abwehrrechtlicher Gehalt dahingehend zukommt, dass sich Schülerinnen und Schüler gegen staatliche Maßnahmen wenden können, welche die an ihrer Schule eröffneten Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihres Rechts auf schulische Bildung einschränken, ohne dass diese Maßnahmen das in Ausgestaltung von Art. 7 Abs. 1 GG geschaffene Schulsystem als solches betreffen (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 -, juris Rn. 61 ff.), kann durch Anordnungen des Ministeriums zum Schulbetrieb zwar die in den jeweiligen Schulen eröffnete und auch wahrgenommene schulische Bildung tangiert sein. Die Antragstellerin hat aber weder vorgetragen noch ist anderweitig ersichtlich, dass in das Grundrecht auf schulische Bildung in seiner abwehrrechtlichen Dimension – falls die beantragte einstweilige Anordnung nicht erginge – ungerechtfertigt eingegriffen würde und es in einer unüberschaubaren Vielzahl von Fällen verletzt würde. So findet der Schulbetrieb derzeit nahezu ausschließlich im Präsenzbetrieb statt (siehe Berichterstattung des MDR: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/schulen-praesenzunterricht-ferien-pandemie-100.html, zuletzt abgerufen am 14. Januar 2022) und dem Präsenzbetrieb kommt – was nicht zuletzt auch der Begründung der Verordnung zu entnehmen ist – Priorität zu.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung und hätte die abstrakte Normenkontrolle im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg, wären in der Folge Anordnungen des für das Schulwesen zuständigen Ministeriums zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus und zur Verhinderung eines Anstiegs der Infektionszahlen an den Schulen nur eingeschränkt möglich. § 39 der Thüringer Verordnung über die Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Kindertageseinrichtungen, der weiteren Jugendhilfe, Schulen und für den Sportbetrieb (ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO) sieht nach den §§ 34 bis 38 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO nur die Möglichkeit vor, Anordnungen im Einzelfall zu treffen. Dagegen dient die Regelung, die das für das Schulwesen zuständige Ministerium ermächtigt, vorbeugend Anordnungen zur Organisation des Schulbetriebs zu erlassen, in allgemeiner Weise dem Zweck, Infektionen zu vermeiden. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass in Schulen aufgrund der Vielzahl von Personenkontakten sowie der räumlichen und sonstigen Rahmenbedingungen im Lehrbetrieb – nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Ausbreitung der Omikron-Variante (siehe https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Omikron-Faelle/Omikron-Faelle.html?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 14. Januar 2022) – ein höheres Ansteckungsrisiko für eine größere Gruppe von Schulkindern und mittelbar auch deren Familienangehörige besteht. Insoweit handelt es sich bei § 26a Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung um ein Teilelement einer komplexen Pandemiebekämpfungsstrategie. Dem Verordnungsgeber kommt bei der Bewertung der Gefahrenlage und der Beurteilung der Wirksamkeit der vielfältigen zur Pandemiebekämpfung zur Verfügung stehenden Maßnahmen ein umfassender Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Durch eine Außervollzugsetzung würde in diesen eingegriffen und es entfiele ein Teilelement der Pandemiebekämpfung, wodurch nicht auszuschließen ist, dass die Gesamtstrategie des Verordnungsgebers in ihrer Wirkung reduziert würde.
Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, unterscheiden sich ihrer Schwere nach nicht von den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben würden und überwiegen diese somit nicht deutlich.
III.
Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei. Eine Erstattung der Auslagen nach § 29 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfGHG ist nicht angezeigt.
Die Entscheidung ist hinsichtlich Punkt B.II.2. mit 5 zu 4 Stimmen, im Übrigen einstimmig ergangen.


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