Verwaltungsrecht

Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  B 6 K 18.657

Datum:
27.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 52172
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 4 S. 1
GKG § 39 Abs. 1
VwGO § 161 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Die Parteien haben die Hauptsache mit den am 20.11. bzw. 22.11.2018 bei Gericht eingegangenen Erklärungen für erledigt erklärt. Das Verfahren ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Nach § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
In der Regel entspricht es der Billigkeit, demjenigen die Kosten zu überbürden, der im Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre. Bei der Billigkeitsentscheidung ist jedoch auch zu berücksichtigen, auf wen das erledigende Ereignis zurückzuführen ist.
Hat die Behörde, obwohl die Sach- und Rechtslage gleich geblieben ist, nachgegeben und den begehrten Verwaltungsakt erlassen, weil sie ihre Rechtsauffassung geändert hat, und damit aus eigenem Willensentschluss die Erledigung veranlasst, ist es billig, den Kläger von den Kosten freizustellen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 161 VwGO Rn. 18). Es gibt allerdings keinen allgemeinen Grundsatz, dass der klaglos stellenden Behörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen seien. Nur wenn die Behörde trotz im Wesentlichen unveränderter Sach- und Rechtslage erkennbar ihren Rechtsstandpunkt räumt, gibt dieses Verhalten Anlass, sie mit den Kosten zu belasten. Dies ist nicht der Fall, wenn die Klaglosstellung darauf beruht, dass der Kläger neues Tatsachenmaterial beigebracht hat (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Mai 2018, § 161 VwGO Rn. 24).
a) Erledigendes Ereignis ist hier der Erlass des Bescheides vom 13.11.2018, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 13.06.2018 aufgehoben hat und das Einreise- und Aufenthaltsverbot, das das Bundesamt im Bescheid vom 21.10.2016 auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung und damit bis 08.06.2019 befristet hatte, nunmehr auf den 13.11.2018 verkürzt hat.
b) Die Kosten des Verfahrens werden nach billigem Ermessen gegeneinander aufgehoben.
aa) Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger sind die Kosten nicht deshalb dem Beklagten aufzuerlegen, weil er vollumfänglich nachgegeben habe.
Denn mit dem Erlass des Bescheides hat der Beklagte nicht seine Rechtsauffassung geändert, obwohl sich an der Sachlage und den ihm darüber vorliegenden Erkenntnissen nichts geändert hat. Vielmehr hat er zeitnah auf die im Rahmen des Klageverfahrens dem Gericht (erst) am 10.10.2018 zusammen mit der Klagebegründung vorgelegten umfangreichen und aussagekräftigen Unterlagen reagiert. Damit beruht die Klaglosstellung darauf, dass die Kläger neues Tatsachenmaterial beigebracht haben, so dass es nicht geboten ist, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen, weil er das Einreise- und Aufenthaltsverbot ex nunc aufgehoben hat.
bb) Vielmehr ist zu prüfen, wer nach summarischer Prüfung nach dem Sach- und Streitstand unmittelbar vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses obsiegt hätte, wenn das Gericht über die Klagen streitig entschieden hätte.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Klagen zulässig. Insbesondere war auch die Klägerin zu 2 gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Auch ihr ist, abgeleitet aus Art. 6 Abs. 1 GG, der Rechtsweg eröffnet, um durchzusetzen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt ihr Wohnort im Bundesgebiet zum gemeinsamen Lebensmittelpunkt bestimmt werden kann (zur insoweit vergleichbaren Rechtslage bei der Ausweisung eines Ausländers vgl. BVerwG, U. v. 03.05.1973 – 1 C 20/70 – BVerwGE 42, 141/142 = NJW 1973, 2077/2077; seither st. Rspr.).
Die Klagen, mit denen beantragt worden war, den Beklagten zu verpflichten, die Sperrwirkung rückwirkend bis 06.06.2018, d.h. das Einreise- und Aufenthaltsverbot um weitere sechs Monate zu verkürzen, waren jedoch nicht im vollem Umfang begründet. Den Klägern stand gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO nur der weniger weit reichende Anspruch auf erneute Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu.
Gemäß § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- oder Aufenthaltsverbot aufgehoben oder die Befristung und Aufenthaltsverbotes zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers verkürzt werden. Aus dem Verweis auf § 11 Abs. 3 AufenthG (§ 11 Abs. 4 Satz 4 AufenthG) folgt, dass diese Ermessensentscheidung wie die Befristung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung aller betroffenen Belange zu treffen ist (BVerwG, U. v. 22.02.2017 – 1 C 27/16 – BVerwGE157,356 = InfAuslR 2017, 336 jew. Rn. 23 zu § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Eine (weiter gehende) Verpflichtungsklage hat deshalb nur Aussicht auf Erfolg, wenn sich das Ermessen der Behörde dahingehend verdichtet hat, dass nur eine Befristung auf den beantragten Zeitpunkt ermessensgerecht ist (BVerwG, BVerwGE157, 356 =InfAuslR 336 jew. Rn. 27)..
Nach der nach Erledigung des Rechtsstreits gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung hatten die Kläger nach Vorlage der Chat-Verlaufe, die widerlegen, dass es sich bei der Beziehung der Kläger lediglich um eine Zweckehe handelt, einen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes erneut überprüft. Das Ermessen des Beklagten hatte sich jedoch nicht darauf reduziert, dass der Beklagte allein dann ermessensgerecht handelte, wenn er die Sperrwirkung um weitere sechs Monate rückwirkend auf den 06.06.2018 verkürzte.
cc) Schließlich ist weiter zu berücksichtigen, dass die Kläger, obwohl ihnen bereits vor Erlass des Bescheides vergleichbare Chatprotokolle und andere Unterlagen zur Verfügung gestanden haben dürften, mit der Vorlage dieser für die entscheidende Frage, ob eine „Scheinehe“ vorliegt, wesentlichen Unterlagen bis zur Klageerwiderung, die am 10.10.2018 bei Gericht einging, gewartet hat. Damit hatte ihr Verhalten einen entscheidenden Anteil an der Erledigung des Rechtsstreits (für eine Überbürdung der Kosten in voller Höhe auf den Kläger in diesen Fällen BayVGH, B. v. 21.05.1976 – 4 XIV 75 – BayVBl 1976, 632).
dd) Sind beide Seiten durch Rechtsanwälte vertreten, sind ihre außergerichtlichen Kosten etwa gleich hoch. Die Kosten können gegeneinander aufgehoben werden. Ist nur eine Seite durch einen Rechtsanwalt vertreten, fallen ihr bei der Aufhebung der Kosten deutlich mehr Kosten zur Last als der Gegenseite. Eine Aufhebung der Kosten ist in dieser Lage nur angezeigt, wenn die dadurch verursache ungleichmäßige Kostenbelastung, insbesondere unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten, billigem Ermessen entspricht (Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 90).
Im Hinblick auf die dargelegten Erfolgsaussichten und der erst während des Gerichtsverfahrens erfolgten Vorlage der ausschlaggebenden Unterlagen erscheint dem Gericht die Aufhebung der Kosten, auch wenn sie die Beteiligten ungleich belastet, gerechtfertigt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 2 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG. Auch wenn hier eine subjektive Klagehäufung vorliegt, ist für die Begehren der beiden Kläger nicht jeweils der Auffangstreitwert anzusetzen und beide Werte dann nach § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen. In den Fällen, in denen beide Ehegatten im Interesse ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft eine Verkürzung der Befristung der Wirkungen der Abschiebung des ausländischen Ehepartners erstreben und damit in Rechtsgemeinschaft den Erlass eines Verwaltungsaktes erreichen wollen, handelt es sich um einen wirtschaftlich einheitlichen Streitgegenstand (BVerwG, B. v. 28.01.1991 – 1 B 95/90 – NVwZ-RR 1991, 669/670; BayVGH, B. v. 08.11.2010 – 19 C 10.2010 – NVwZ-RR 2011, 303/304 in Abgrenzung zu den Klagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels jeweils für jedes Familienmitglied), der es rechtfertigt, den Auffangstreitwert nur einmal festzusetzen).


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