Verwaltungsrecht

Verlängerung der wegen Eheschließung erteilten Aufenthaltserlaubnis nach der Trennung

Aktenzeichen  19 ZB 20.1221

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23046
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6
EMRK Art. 8 Abs. 2
AufenthG § 28 Abs. 2, Abs. 3, § 31 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 124a Abs. 4

 

Leitsatz

1. Eine Berufungszulassung scheidet aus, wenn sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine besondere Härte durch erhebliche Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung kann sich nur dann ergeben, wenn die Beeinträchtigungen mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beeinträchtigungen durch Erkrankung oder die allgemeinen Lebensverhältnisse im Heimatland sowie Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung sind typische Rückkehreffekte, die keine ehebedingte besondere Härte zu begründen vermögen. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 8 Abs. 2 EMRK kommt insbesondere bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 11 K 16.1570 2020-01-28 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten für das Zulassungsantragsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin, eine am 3. September 2012 mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet eingereiste russische Staatsangehörige, der nach Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen in Dänemark am 20. September 2012 und Nachholung des Visumverfahrens eine zuletzt bis 26. Februar 2016 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt worden war, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis (nach § 28 bzw. § 31 AufenthG) weiter. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 7. Juli 2016 den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. I des Bescheids), die Klägerin zur Ausreise aufgefordert (Nr. II), für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung angedroht (Nr. III) sowie im Fall der Abschiebung das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf ein Jahr ab Ausreise festgesetzt (Nr. IV). Zur Begründung wurde ausgeführt, die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG werde versagt, da keine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft mehr vorliege. Das Verlassen des Bundesgebiets stelle für die Klägerin keine außergewöhnliche Härte dar. Diese ergebe sich insbesondere weder zum Schutz des Familien- noch Privatlebens der Klägerin nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Auch die seitens einer Allgemeinärztin diagnostizierten Erkrankungen begründeten weder eine besondere noch eine außergewöhnliche Härte, zumal das Attest nicht den Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit einer ärztlichen Bescheinigung in einem Verwaltungsverfahren entspreche.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht gegeben seien, da eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann (spätestens) seit ihrem Auszug aus der Ehewohnung am 15. Januar 2016 nicht mehr bestehe. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG als eigenständiges Aufenthaltsrecht. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die eheliche Lebensgemeinschaft habe vorliegend nicht mindestens drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestanden. Eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG sei nicht gegeben. Die Klägerin habe den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht und sei erst im Dezember 2013 zu ihrem (nunmehr) geschiedenen Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland gezogen. Sie spreche ihre Heimatsprache. Anhaltspunkte dafür, dass sie den Lebensverhältnissen in ihrer Heimat in einer Weise entfremdet wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würde, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die geltend gemachten gesundheitlichen Belange führten zu keiner anderen Beurteilung. Die Klägerin werde zwar in Deutschland von ihrer (hier lebenden) Tochter unterstützt, lebe allerdings im Bundesgebiet allein und versorge sich selbst, sie habe auch Behördentermine allein wahrgenommen. Ihre Tochter übernehme für sie mangels eigener Deutschkenntnisse den Schriftverkehr. Die Klägerin habe vor ihrem Zuzug bereits in der Russischen Föderation Rente bezogen. Es sei deshalb zu erwarten, dass es ihr nach einer Rückkehr gelingen werde, im Heimatland Fuß zu fassen. Ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft sei ihr auch nicht im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG unzumutbar. Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte nach dieser Regelung sei, dass der zugezogene Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet habe. Gehe die Beendigung hingegen vom stammberechtigten Ehepartner aus, sei dem zugezogenen Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, sondern unmöglich. Gleichwohl sei auch in solchen Fällen stets eine Bewertung und Gesamtabwägung aller Umstände erforderlich. Davon ausgehend habe die Klägerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben. Auch nach Befragung der Klägerin und Zeugeneinvernahme ihres Ehemanns in der mündlichen Verhandlung sowie unter Berücksichtigung der beigezogenen Behörden- und Strafakten ergebe sich nach Überzeugung des Gerichts nicht, dass der Klägerin das Festhalten an der Ehe unzumutbar gewesen wäre. Die Klägerin habe ungeachtet geltend gemachter tätlicher Angriffe ihres Mannes an der Ehe festgehalten. Die Trennung sei vielmehr auf Wunsch ihres geschiedenen Ehemannes erfolgt. Auch ergebe sich letztlich aus den Schilderungen der Klägerin das Bild einer Ehe, die von unterschiedlichen Erwartungen über das gemeinsame Leben in Deutschland geprägt gewesen sei. Die vorgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten bis zum Auszug der Klägerin hätten jedenfalls nicht derart schwer gewogen, dass die Klägerin nach ihren Darlegungen von sich aus die Trennung beabsichtigt habe. Die geltend gemachten tätlichen Angriffe im Januar 2016 seien auch nicht so schwer gewesen, dass sie ärztlich hätten behandelt werden müssen. Die Ermittlungsverfahren hierzu seien eingestellt worden, da sich aufgrund der widersprechenden Angaben der Beteiligten nicht habe feststellen lassen, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen habe. Die vorgelegten Atteste – sowohl seitens der Klägerin als auch seitens ihres geschiedenen Ehemannes – datierten von Juni, Juli und August 2016. Die Auseinandersetzung von 28. Juli 2016, welche die Klägerin als maßgeblich erachte, sei erst nach der Trennung erfolgt und sei somit nicht Trennungsanlass gewesen. In der Gesamtschau sei die Trennung vom Ehemann ausgegangen, der auch den Scheidungsantrag eingereicht habe. In der Gesamtschau sei deshalb die häusliche Situation bzw. die Lage der Klägerin nicht durch Angst vor psychischer und physischer Gewalt ihres Ehemannes, sondern von häufigen Streitigkeiten und gegenseitigem Unverständnis geprägt gewesen. Unabhängig davon, ob eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vom Antrag der Klägerin umfasst sei, habe die Beklagte zutreffend dargelegt, dass auch die danach erforderliche außergewöhnliche Härte nicht vorliege.
Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt jedenfalls nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9). Eine Berufungszulassung scheidet aus, wenn sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 10). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu stellen sind, hängt im Übrigen wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Erstgerichts begründet worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 2 m.w.N.).
Die Klägerin rügt, es sei unzutreffend, wenn das Erstgericht davon ausgehe, dass vorliegend nicht von einer besonderen Härte auszugehen sei. Der geschiedene Ehemann der Klägerin sei mehrmals gewalttätig gegen diese geworden und habe auch die Tochter der Klägerin tätlich angegriffen. Mehrmals habe die Polizei eingreifen müssen, um die Klägerin zu beschützen. Die Tatsache, dass das Ermittlungsverfahren durch den zuständigen Staatsanwalt eingestellt worden sei, bedeute nicht, dass es sich um Kleinigkeiten gehandelt habe. Auch sei die Tatsache, dass der Scheidungsantrag vom Ehemann der Klägerin gestellt worden sei, nicht das entscheidende Argument dafür, sagen zu können, dass die Fortsetzung der Ehe für die Klägerin nicht unzumutbar gewesen sei. Es sei für die Klägerin schwer zu erkennen gewesen, dass sich ihr geschiedener Ehemann in Zukunft nicht ändern werde. Sie habe sich vorgemacht, durch eigenes Verhalten den geschiedenen Ehemann von der Gewalttätigkeit abzubringen. Sie sei psychisch nicht in der Lage anzuerkennen, dass all die Opfer, die sie für den Ehemann und die Ehe erbracht habe, umsonst gewesen seien. Sie habe ihr Land verlassen, dort ihre Existenz aufgegeben und die deutsche Sprache erlernt, obwohl das in ihrem Alter wirklich schwer gewesen sei. Zudem habe ihr der Ehemann den Notgroschen abgenommen. Der von der Klägerin aus Russland mitgebrachte Betrag in Höhe von 10.000 Euro werde von diesem bis heute nicht herausgegeben. Auch eine Vielzahl persönlicher Gegenstände sei im Besitz des Ehemanns geblieben. Die Ehe sei eine Enttäuschung in jeglicher Hinsicht für die Klägerin gewesen. Der erlebte Stress habe zu einer äußerst schweren Krebserkrankung geführt. Juristisch gesehen sei die Klägerin blind. Sie sei deswegen auf weitere Behandlung und Unterstützung angewiesen. Auch sei sie spätestens seit 2013 ununterbrochen in der Bundesrepublik. Sie sei faktisch zu einer Inländerin geworden. Seit mehreren Jahren habe sie sich nicht mehr in Russland aufgehalten. Ihre einzige Tochter und Verwandte lebten in Deutschland. Eine Rückkehr sei unzumutbar.
Durch das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsantragsverfahren werden die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt und es werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die der weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Hinblick auf dessen tragende Feststellungen, wonach die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, liegen nicht vor.
Die Klägerin stellt im Zulassungsantragsverfahren nicht in Frage, dass sie die für die Erteilung einer eigenständigen Aufenthaltserlaubnis für Ehegatten nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche Voraussetzung einer mindestens dreijährigen rechtmäßigen Ehebestandszeit im Bundesgebiet nicht erfüllt. Soweit sie der Auffassung ist, von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet sei gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzusehen, da es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich sei, der Klägerin den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, ergeben sich dafür aus ihrem Zulassungsantragsvorbringen keine durchgreifenden Anhaltspunkte:
Soweit die Klägerin mit dem Vortrag, eine Rückkehr nach Russland sei ihr unzumutbar, geltend machen will, es seien die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG (Vorliegen einer besonderen Härte, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht) gegeben sind, setzt sie sich mit dem ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründen im Urteil des Erstgerichts nicht auseinander. Festzuhalten ist, dass eine besondere Härte in Gestalt einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung sich nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben kann, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung im Zusammenhang stehen. Gegen eine Einbeziehung von zielstaatsbezogenen Gefahren in die Härteregelung des § 31 AufenthG sprechen Sinn und Zweck der Regelung sowie systematische Erwägungen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124 bis 139). Beeinträchtigungen durch etwa eine Erkrankung oder die allgemeinen Lebensverhältnisse im Heimatland vermögen in der Regel keine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG zu begründen, weil sie nicht mit der Ehe und ihrer Auflösung in zumindest mittelbarem Zusammenhang stehen (z.B. BayVGH, B.v. 3.7.2014 – 10 CS 14.687 – juris Rn. 13).
Davon ausgehend handelt es sich bei den insoweit von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen um typische Rückkehreffekte und zielstaatsbezogene Erwägungen, die keine ehebedingte besondere Härte zu begründen vermögen. Der Umstand, dass sich die Klägerin im Heimatland erneut eine (wirtschaftliche) Existenz aufbauen müsste, ist typischerweise mit einer Rückkehrverpflichtung verbunden. Dass die Klägerin nach ihrem mehrjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet bei Rückkehr in das Heimatland zunächst gewissen Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird, vermag nicht den Begriff der besonderen Härte zu erfüllen, weil mit derartigen Schwierigkeiten alle nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehrenden Ausländer konfrontiert sind und Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Herkunftsstaats als typisch anzusehen sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 9). Die Klägerin hat den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht, sie ist (nach eigenen Angaben) ausgebildete Betriebswirtin und bezieht im Heimatland eine Rente. Sie hat im Rahmen ihrer Antragstellung auf Aufenthaltserlaubnis angegeben, eine Wohnung in Russland beizubehalten. Offen kann bleiben, ob die Angaben ihres geschiedenen Ehemannes, sie verfüge über mehrere vermietete Immobilien in Russland, zutreffen. Gegebenenfalls kann sie (finanzielle) Unterstützung durch ihre volljährige, in Deutschland lebende Tochter (nach eigenen Angaben Diplombetriebswirtin) erwarten. Dahinstehen kann, ob die nicht belegte Behauptung, der geschiedene Ehemann habe ihr 10.000 Euro abgenommen, auch eine Vielzahl persönlicher Sachen seien in dessen Besitz geblieben, zutrifft. Darlegungen darüber, dass die Klägerin insoweit zivilrechtlich oder strafrechtlich gegen den geschiedenen Ehemann vorgeht, erfolgten nicht.
Soweit die Klägerin durch den Vortrag, sie sei wegen ihrer gesundheitlichen Probleme, die sich als Folge des erlebten Stresses darstellten, auf weitere Behandlung und Unterstützung angewiesen, aus der Rückkehrverpflichtung resultierende Beeinträchtigungen ehebedingter Natur vortragen will, ist zunächst festzuhalten, dass sich das Verwaltungsgericht auch mit diesem Vortrag bereits auseinandergesetzt hat. Darauf ist die Klägerin nicht eingegangen. Nicht ersichtlich ist zudem, dass die Klägerin auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds (hier: ihrer Tochter) angewiesen wäre. Auch dazu hat sich das Verwaltungsgericht geäußert. Erwachsene Kinder und Eltern sind in aller Regel nicht in besonderer Weise auf gegenseitigen Beistand angewiesen (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 19 ZB 15.558 – juris Rn. 20). Eine substantiierte Darlegung (und ggf. Glaubhaftmachung), welcher konkrete Hilfebedarf bei der Klägerin anfällt und welche etwaigen Hilfeleistungen die mit ihr nicht zusammenlebende Tochter erbringt, fehlt.
Soweit sich die Klägerin als “faktische Inländerin” sieht und daraus ersichtlich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG ableiten will, ist zunächst festzuhalten, dass dieser Begriff nicht einheitlich definiert ist, vielmehr in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben wird. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet “faktische Inländer” als “im Bundesgebiert geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten” (U.v. 16.7.2002 – 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit “hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommenen Ausländer” (vgl. z.B. B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 24). Davon ausgehend ist die Klägerin keine “faktische Inländerin”.
Soweit die Klägerin mit der unzutreffenden Behauptung, sie sei “faktische Inländerin” auf eine von Art. 8 EMRK geschützte Verwurzelung im Bundesgebiet hinweisen will, ist dafür nichts näher dargelegt:
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Der Schutz auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe aller sonstigen (außerhalb der Kernfamilie bestehenden) familiären, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 8 Abs. 2 EMRK kommt insbesondere bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falls ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist.
Eine diesen Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die “aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet” (VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S. 2359 – 10 m.w.N. – juris). Das Ausmaß der “Verwurzelung” bzw. die für den Ausländer mit einer “Entwurzelung” verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen.
Davon ausgehend hat die Klägerin auch in Anbetracht ihres mehrjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nichts dafür dargetan, dass sie hier anerkennenswerte Bindungen (z.B. Integrationsleistungen) erlangt bzw. aufgebaut hat, die sich – in Beziehung gesetzt zu den noch vorhandenen Bindungen an das Heimatland und im Rahmen einer (am Vortrag der Klägerin ausgerichteten) einzelfallbezogenen Würdigung der gegenläufigen Interessen – durchsetzen könnten. Insbesondere war der Grund für ihren Aufenthalt allein die eingegangene Ehe. Die Klägerin hat den Großteil ihres Lebens im Heimatland verbracht, dort eine Berufsausbildung erlangt, war dort berufstätig. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass eine Wiedereingliederung in die heimatstaatlichen Verhältnisse ohne größere Schwierigkeiten (falls erforderlich insbesondere mit Unterstützung ihrer volljährigen Tochter) nicht möglich sein wird, sind nicht dargetan.
Soweit die Klägerin im Rahmen ihres Zulassungsantragsvorbringens das Vorliegen einer besonderen Härte gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 3. Alt. AufenthG (Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft wegen der Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange; insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist) behauptet, setzt sie sich insoweit ebenso wenig mit den umfassenden und zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander. Zurecht weist das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 25.6.2018 – 10 ZB 17.2436 – juris Rn. 12) darauf hin, dass es Grundvoraussetzung für die Annahme der dritten Fallgruppe des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist, dass der zugezogene Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat. Gehe die Beendigung hingegen (wie hier) vom stammberechtigten Ehepartner aus, sei dem zugezogenen Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, sondern unmöglich. Auch kommt das Verwaltungsgericht (zusätzlich) aufgrund einer Bewertung und Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Annahme dieses Härtegrundes nicht vorliegen. Es genügt nicht, wenn die Klägerin demgegenüber im Zulassungsantragsverfahren lediglich eine andere Auffassung vertritt. Die Klägerin wiederholt ihre bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragenen Behauptungen ohne sich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander zu setzen und ohne insoweit ggf. neue Umstände darzulegen. Zurecht hat das Verwaltungsgericht insbesondere gewürdigt, dass in Anbetracht der unterschiedlichen Aussagen der Klägerin und ihres geschiedenen Ehemannes die von der Klägerin betreffend den Januar 2016 geltend gemachten tätlichen Angriffe nicht so schwer waren, dass sie ärztlich behandelt werden mussten, die dazu geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingestellt wurden und insbesondere die Auseinandersetzung vom 28. Juli 2016 (auch insoweit Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, da aufgrund der widersprechenden Angaben der Beteiligten kein Tatnachweis zu führen sei; jeweils erfolglose Beschwerden zur Generalstaatsanwaltschaft; Verwerfung des Antrags der Klägerin auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren durch das Oberlandesgericht) erst nach der Trennung erfolgte und somit nicht Trennungsanlass war.
Da die Klägerin im Zulassungsantragsverfahren ausschließlich auf die Frage des Vorliegens einer besonderen Härte eingeht, fehlt es an einer Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Hinblick auf eine eventuell beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Soweit ihrem Vortrag entnommen werden könnte, er solle auch im Hinblick auf § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gelten (wofür nichts ersichtlich ist), sind ernstliche Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, es fehle an der insoweit erforderlichen außergewöhnlichen Härte, nicht dargelegt und liegen auch ersichtlich nicht vor.
In Anbetracht der getätigten Ausführungen war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten für das Zulassungsantragsverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben