Verwaltungsrecht

Verlassen der Autobahn zur Verrichtung der Notdurft – Ablehnung eines Dienstunfalls

Aktenzeichen  3 ZB 17.1652

Datum:
24.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13798
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Mit der Entscheidung, die auf der Familienheimfahrt benutzte Autobahn zu verlassen und in einiger Entfernung in einen Feldweg auf der Suche nach einem geeigneten Ort zum Austreten abzubiegen, wird eine neue Gefahrensituation geschaffen, die dem Dienstherrn nicht zugerechnet werden kann. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 15.935 2017-07-11 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 11.226,07 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Verkehrsunfalls seiner verstorbenen Ehefrau, die zuletzt im Beamtenverhältnis auf Widerruf als Studienreferendarin im Dienst des Beklagten stand, als Dienstunfall.
Dem Unfall lag das folgende Geschehen zugrunde: Am 18. Juni 2015 fuhr die Ehefrau des Klägers auf der Autobahn A70 von ihrer Unterkunft im Landkreis Wunsiedel, in der sie unter der Woche wegen ihrer Tätigkeit an der dortigen Staatlichen Wirtschaftsschule wohnte, zu ihrer Familienwohnung im Landkreis Coburg. Um ca. 18.00 Uhr verließ sie an der Ausfahrt Stadelhofen die Autobahn, um auszutreten. Dazu fuhr sie ca. 3 km auf der Staatsstraße 2191 in Richtung Hollfeld und bog nach Durchfahrt der Ortschaften Wotzendorf und Eichenhüll rechts in einen Waldweg ab. Auf dem Rückweg kam die Ehefrau des Klägers noch vor Wiedererreichen der Ortschaft Eichenhüll rechts auf das Bankett der Staatsstraße 2191 und stieß beim Gegenlenken mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen. Drei Wochen nach ihrer Entlassung aus der Klinik erlitt die Ehefrau des Klägers eine Lungenembolie, an deren Folgen sie am 22. Juli 2015 verstarb. Mit Bescheid vom 31. August 2015, der durch den Widerspruchsbescheid vom 20. November 2015 bestätigt wurde, lehnte das Landesamt für Finanzen die Anerkennung des Unfalls der Ehefrau des Klägers als Dienstunfall sowie die Gewährung von Unfallfürsorgeleistungen ab und forderte die vorläufigen Zahlungen von Unfallfürsorgeleistungen in Höhe von 11.226,07 Euro zurück.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht zu Recht mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen eines Wegeunfalls (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBeamtVG) nicht vorlägen. Die Ehefrau des Klägers habe mit ihrer Entscheidung, die auch in dem von ihr befahrenen Streckenabschnitt mit Parkplätzen und Raststätten ausgestattete Autobahn A70 zu verlassen, einen neuen Geschehensverlauf eingeleitet, der deutlich von der bloßen Familienheimfahrt abzugrenzen sei. Diese neue, mit einem Fahrtrichtungswechsel verbundene Handlungssequenz lasse sich nicht mehr als nur belanglose bzw. geringfügige Unterbrechung einstufen, sondern stelle eine deutliche Zäsur dar.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Die Zulassungsbegründung erfüllt bereits nicht die an die Darlegung der einzelnen Gründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu stellenden Anforderungen, jedenfalls aber liegen sie nicht vor. Um ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-)Richtigkeit des angefochtenen Urteils darzulegen, hätte der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenbehauptung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen müssen. Dies ist ihm in seiner Begründungsschrift, in der im Wesentlichen die im Klageverfahren vorgetragenen Argumente wiederholt werden, nicht gelungen.
Insbesondere hat er sich nicht mit der tragenden Begründung des Erstgerichts, die Ehefrau des Klägers habe mit ihrer Entscheidung von der Autobahn abzufahren, ihren Weg nicht nur geringfügig unterbrochen, auseinander- und ihr etwas entgegengesetzt. Mit seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe es übersehen, dass eine körperliche Ausnahmesituation und besondere Umstände bei seiner Ehefrau aufgrund ihrer vierwöchigen Schwangerschaft vorgelegen haben, legt der Kläger nicht dar, weshalb das Verwaltungsgericht damit entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden habe. Ungeachtet dessen ist dieser Aspekt nicht geeignet, das erstinstanzliche Urteil in Zweifel zu ziehen, da diese in der privaten Sphäre der Beamtin liegenden Umstände für sich gesehen keinen dienstlichen Bezug begründen, der den von der direkten Strecke abweichenden Weg als mit dem Dienst zusammenhängend erscheinen lassen würde. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die verstorbene Ehefrau des Klägers mit ihrer Entscheidung, die Autobahn zu verlassen und in etwa 3 km auf der Staatsstraße 2191 in südöstlicher Richtung durch die Ortschaften Wotzendorf und Eichenhüll zu fahren sowie anschließend in einen Feldweg auf der Suche nach einem geeignet Ort zum Austreten abzubiegen, eine neue Gefahrensituation geschaffen hat, die dem Dienstherrn nicht zugerechnet werden kann.
Mit seiner Feststellung, dass die Ehefrau des Klägers ihren Weg jedenfalls nicht nur geringfügig unterbrochen hat, konnte das Verwaltungsgericht die Frage, ob ein Umweg (Nr. 46.2.2.1. BayVV-Versorgung) oder ein Abweg (Nr. 46.2.2.2. BayVV-Versorgung) vorlag, dahinstehen lassen; soweit die Zulassungsbegründung versucht, einen Umweg wegen einer „ganz unerheblichen“ Verlängerung des Weges bzw. einen Abweg wegen des sich auf dem Rückweg zur Autobahn ereigneten Unfalls („zum Ziel hin“), in Zweifel zu ziehen, befasst sie sich demnach mit einer nicht entscheidungstragenden Aussage des angefochtenen Urteils.
2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten) liegt nicht vor. Der Kläger macht in seiner Zulassungsbegründung schon nicht deutlich, in welchem konkreten rechtlichen Punkt das Urteil zweifelhaft oder in welcher tatsächlichen Hinsicht der Sachverhalt besonders schwierig zu ermitteln sein soll. Damit ist eine besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten nicht dem Erfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt worden.
3. Soweit der Kläger meint, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu, ist das Darlegungserfordernis gleichfalls nicht erfüllt. Der Kläger formuliert schon keine Rechtsfrage, die in einem Berufungsverfahren über den Einzelfall hinausgehend für eine Vielzahl von Fällen klärungsbedürftig und auch klärungsfähig wäre.
4. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Hierzu wäre auszuführen gewesen, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssten einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird. Abgesehen davon ist das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 (2 C 17.16) offenkundig nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Dieses Urteil betraf den Dienstunfallschutz von Beamten in einem Toilettenraum des Dienstgebäudes während der Dienstzeit und damit die Auslegung des gesetzlichen Merkmals „in Ausübung des Dienstes“ (i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie der Richterinnen und Richter des Landes Berlin, der dem Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG entspricht). Demgegenüber steht im hiesigen Verfahren die Frage im Streit, ob ein sog. Wegeunfall (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBeamtVG) vorliegt, d.h. sich der Unfall bei dem Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges ereignet hat.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG (wie Vorinstanz). Aufgrund des Versterbens der Beamtin bemisst sich der Streitwert mangels wiederkehrender Leistung allein nach der Höhe der angefochtenen Rückzahlungsverpflichtung für die gewährten Unfallfürsorgeleistungen in Höhe von 11.226,07 Euro (vgl. Bescheid vom 31. August 2015, Bl. 25 Behördenakte).
6. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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