Verwaltungsrecht

Verpflichtung des Verwaltungsgerichts zur Überprüfung des mit der erneuten Sachentscheidung verbundenen Wiederaufgreifens des Verfahrens

Aktenzeichen  8 C 5/20

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:070721U8C5.20.0
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Die mit der Sachentscheidung in einem Bescheid verbundene Entscheidung zugunsten des Wiederaufgreifens stellt keine selbständige, der Bestandskraft fähige Regelung dar.
2. Hat die Behörde das Wiederaufgreifen des Verfahrens zu einem Verpflichtungsbegehren mit der ablehnenden Sachentscheidung in einem Bescheid verbunden, darf das Verwaltungsgericht sie nur dann zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichten, wenn nicht allein dessen Voraussetzungen, sonder auch diejenigen für ein Wiederaufgreifen gegeben sind. Deren gerichtliche Prüfung erfordert kein darauf gerichtetes Begehren eines Prozessbeteiligten.

Verfahrensgang

vorgehend VG Dresden, 29. Mai 2019, Az: 6 K 2666/17, Urteil

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren im Wege der Wiederaufnahme die Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung ihres 1986 an die Beigeladenen verkauften und von diesen an Dritte weiterverkauften Grundstücks P.straße … in L.
2
Anfang 1986 holten die Kläger als damalige Eigentümer des Grundstücks ein Gutachten ein, das den Wert des Grundstücks auf 63 620 DDR-Mark schätzte. Im Juni 1986 stellten sie für ihre Familie einen Ausreiseantrag. Am 5. November 1986 verkauften die Kläger das Grundstück an die Beigeladenen zu dem ermittelten Schätzwert. Sie vereinbarten zudem ein kostenfreies Wohnrecht bis zu ihrer Ausreise, die im Mai 1987 erfolgte.
3
Im September 1990 beantragten die Kläger die Rückübertragung des Grundstücks mit der Begründung, die Beigeladenen seien bei dessen Erwerb durch das Ministerium für Staatssicherheit unterstützt worden. Daraufhin übertrug ihnen das Amt zur Regelung von offenen Vermögensfragen des Landratsamts Dresden das Eigentum am Grundstück zurück. Auf den Widerspruch der Beigeladenen hob das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Bescheid auf, lehnte den Restitutionsantrag der Kläger ab und stellte deren Entschädigungsberechtigung fest. Mit Urteil vom 16. Juni 1993 wies das Verwaltungsgericht Dresden die Klage hiergegen ab. Die Beigeladenen hätten am Grundstück redlich Eigentum erworben. Sie hätten sich die durch den Ausreiseantrag entstandene Zwangslage der Kläger nicht zunutze gemacht und keinen über den geschäftstypischen Vorteil hinausgehenden Vorteil erlangt. Sie hätten den Schätzpreis sowie bis 15 000 DDR-Mark für Haushaltsgegenstände gezahlt. Auch für ein Ausnutzen einer persönlichen Machtstellung lägen keine Tatsachen vor. Der Erwerb habe im Einklang mit den Rechtsvorschriften der DDR und deren ordnungsgemäßer Verwaltungspraxis gestanden. Die Wohnraumlenkungsverordnung sei auf den Verkauf von Eigenheimen nicht anwendbar gewesen. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft; eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde nicht erhoben.
4
Im März 2003 beantragten die Kläger, das Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen und ihnen das Grundstück zurück zu übertragen. Zur Begründung bezogen sie sich auf drei Dokumente, die sie erst nach einer Akteneinsicht beim Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen am 13. Dezember 2002 zur Kenntnis hätten nehmen können. Sie machten geltend, diese neuen Dokumente begründeten Zweifel an der Redlichkeit der Beigeladenen beim Grundstückserwerb.
5
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 gab die Beklagte dem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens statt (Ziff. 1) und lehnte den Antrag auf Rückübertragung des Grundstücks erneut ab (Ziff. 2). Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2017 wies die Landesdirektion Sachsen den nur gegen Ziffer 2 des Ausgangsbescheides gerichteten Widerspruch der Kläger zurück.
6
Das Verwaltungsgericht hat die auf Ziffer 2 des Ausgangsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides beschränkte Klage abgewiesen. Die Kläger hätten bereits keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens. Das Gericht könne die Rechtmäßigkeit des Wiederaufgreifens auf den entsprechenden Antrag der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung hin überprüfen. Diesen gegenüber sei die Wiederaufgreifensentscheidung noch nicht bestandskräftig geworden. Weil der Bescheid vom 1. Dezember 2009 sie wegen der erneuten Ablehnung der Rückübertragung in Ziffer 2 nicht materiell beschwere, hätten sie gegen das Wiederaufgreifen in Ziffer 1 keinen Widerspruch erheben können und müssen. Insoweit gelte nichts Anderes als bei einer Feststellung der Restitutionsberechtigung mit gleichzeitiger Ablehnung des Rückübertragungsbegehrens. Es hätten keine Gründe für ein Wiederaufgreifen vorgelegen. Die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG seien nicht gegeben, weil die von den Klägern vorgelegten Dokumente nach dem rechtlichen Maßstab des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 16. Juni 1993 keine Unredlichkeit der Beigeladenen beim Grundstückserwerb belegten.
7
Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das Verwaltungsgericht hätte die Entscheidung über das Wiederaufgreifen nicht überprüfen dürfen. Sie sei ein selbstständiger, bestandskräftig gewordener Verwaltungsakt, der den Weg für eine erneute Sachentscheidung öffne. Den Beigeladenen fehle das Rechtsschutzbedürfnis dafür, sie erst im Klageverfahren zur Überprüfung zu stellen. Das Urteil sei auch nicht aus anderen Gründen richtig. Das Verwaltungsgericht habe den Anspruch der Kläger auf Rückübertragung des Grundstücks nach der heutigen objektiven Rechtslage überprüfen müssen. Danach seien die Beigeladenen beim Erwerb des Grundstücks unredlich gewesen.
8
Erst im Revisionsverfahren haben die Kläger Kenntnis davon erlangt, dass die Beigeladenen das Grundstück im Jahr 2019 an Dritte verkauft haben, die im März 2020 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden sind.
9
Die Kläger beantragen nunmehr,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 29. Mai 2019 zu ändern, Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 1. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landesdirektion Sachsen vom 7. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass den Klägern ein Anspruch auf Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung des Grundstücks P.straße … in … L., Flurstück … der Gemarkung L., gegen die Beigeladenen zusteht.
10
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen jeweils,
die Revision zurückzuweisen.
11
Sie verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.
12
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und verteidigt ebenfalls das vorinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 137 Abs. 1 und § 144 Abs. 4 VwGO).
14
Die Klage ist mit dem in der Revisionsverhandlung gestellten Antrag zulässig, da der nunmehr geltend gemachte Anspruch auf Erlösauskehr (§ 3 Abs. 4 Satz 3 VermG) an die Stelle des durch die Veräußerung des Grundstücks erloschenen Restitutionsanspruchs tritt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 1997 – 7 C 63.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 20 Rn. 8). Den für die Begründetheit der Klage erforderlichen Rückübertragungsanspruch im Zeitpunkt der Weiterveräußerung des Grundstücks verneint das Verwaltungsgericht aufgrund teils unrichtiger Erwägungen. Seine Annahme, es habe das Wiederaufgreifen des Verfahrens nur auf entsprechenden Antrag der Beigeladenen überprüfen dürfen, widerspricht § 42 Abs. 1 und § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (1). Das Urteil erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (2). Die Anforderungen des § 51 VwVfG waren als Voraussetzung des begehrten Zweitbescheides auch ohne entsprechenden Antrag zu prüfen; einer (Teil-)Bestandskraft war die Wiederaufgreifensentscheidung schon wegen ihrer Verbindung mit der erneuten Antragsablehnung nicht fähig. Wiederaufgreifensgründe hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint. Damit hat die rechtskräftige Ablehnung der Rückübertragung weiterhin Bestand (3).
15
1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, es dürfe die von den Klägern nicht angegriffene Wiederaufgreifensentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 1. Dezember 2009 ebenso wie eine mit der Ablehnung der Rückübertragung verbundene Berechtigtenfeststellung – nur – auf Antrag der beigeladenen Verfügungsberechtigten prüfen. Diesen müsse mangels eigener Widerspruchsbefugnis ein solches, hier im Sachantrag zu sehendes Überprüfungsbegehren zur Wahrung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) offenstehen, weil andernfalls die Wiederaufgreifensentscheidung – wie eine Berechtigtenfeststellung – bestandskräftig werde. Beide Annahmen stehen nicht mit Bundesrecht in Einklang.
16
Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis auf Fälle eines ausdrücklich darauf gerichteten Begehrens eines Beteiligten widerspricht § 42 Abs. 1 und § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Danach dürfen die Verwaltungsgerichte die Verwaltung nur dann zur Vornahme eines Verwaltungsakts verpflichten, wenn sich dem zur Zeit der Verurteilung geltenden Recht ein Anspruch hierauf entnehmen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1980 – 4 C 90.77 – Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 17 S. 26; Beschluss vom 21. März 2012 – 2 B 101.11 – juris Rn. 7). Dies erfordert grundsätzlich, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen aller Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bejaht, und gilt daher auch im Hinblick auf § 51 Abs. 1 VwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 – 9 C 285.86 – BVerwGE 78, 332 ). Hat die Behörde ihre Entscheidung für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens mit der ablehnenden Sachentscheidung in einem Bescheid verbunden, darf das Verwaltungsgericht sie nur dann zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichten, wenn neben dessen Voraussetzungen auch diejenigen für das Wiederaufgreifen gegeben sind. Diese gerichtliche Überprüfung von einem darauf gerichteten Begehren eines Prozessbeteiligten abhängig zu machen, findet weder im Prozessrecht noch in sonstigen Vorschriften eine Stütze.
17
Die gerichtliche Überprüfungsbefugnis ist ferner nicht dadurch eingeschränkt, dass die positive Entscheidung über das Wiederaufgreifen nicht mit dem Widerspruch angegriffen wurde. Jedenfalls dann, wenn diese Entscheidung gemeinsam mit der Ablehnung des Antrags in der Sache in einem Bescheid getroffen wird, stellt sie keine selbstständige, der Bestandskraft fähige Regelung dar. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Wiederaufgreifens eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens. Der Weg zu der begehrten erneuten Sachentscheidung kann nur durch eine Durchbrechung der Bestands- oder Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung eröffnet werden. Dies erfordert zunächst eine positive Entscheidung über das Wiederaufgreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 15.08 – BVerwGE 135, 121 Rn. 25). Jedenfalls bei einer Verbindung mit der zugleich getroffenen Sachentscheidung stellt eine solche Wiederaufgreifensentscheidung indessen nur ein Element des Verfahrens dar und unterliegt daher der gerichtlichen Überprüfung schon im Rahmen eines dagegen gerichteten, zulässigen Rechtsbehelfs. Das gilt auch dann, wenn die Behörde die Wiederaufgreifensentscheidung wie hier in den Tenor des angegriffenen Verwaltungsakts aufgenommen und zur Verdeutlichung der Entscheidungselemente mit einer eigenen Ziffer versehen hat. Ein gesonderter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über das Wiederaufgreifen ist zur Eröffnung der gerichtlichen Prüfungsbefugnis nicht erforderlich.
18
Ob und in welchem Umfang diese Grundsätze auch dann gelten, wenn die Entscheidung über das Wiederaufgreifen gesondert vor der Sachentscheidung ergeht, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
19
2. Das angegriffene Urteil beruht auf dem unzutreffend verengten Verständnis der gerichtlichen Prüfungsbefugnis. Es erweist sich indessen aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Wegen der Verbindung des Wiederaufgreifens und der ablehnenden Sachentscheidung in dem angegriffenen Bescheid vom 1. Dezember 2009 durfte das Verwaltungsgericht die Beklagte schon nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur dann zu der Vornahme des begehrten Verwaltungsaktes verpflichten, wenn auch die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlagen. Letzteres hat das Verwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht verneint. Der allein in Betracht kommende Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist nicht gegeben.
20
a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Die Regelung setzt voraus, dass die zulässigerweise geltend gemachten neuen Beweismittel auf der Grundlage der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten. Dazu müssen sich aus der neuen Beweislage Tatsachen ergeben, die nach der Rechtsauffassung, die die bestandskräftige Entscheidung im Erstverfahren trägt, zu einer günstigeren Entscheidung zwingen. Die danach maßgebliche Rechtsauffassung ergibt sich zunächst aus der Begründung des Verwaltungsaktes, gegebenenfalls in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Wurde der Verwaltungsakt gerichtlich bestätigt, ist die diese Bestätigung tragende Rechtsauffassung maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2017 – 8 C 7.16 – BVerwGE 159, 136 Rn. 26).
21
b) Das Verwaltungsgericht hat die von den Klägern mit ihrem Wiederaufgreifensantrag vorgelegten Unterlagen zutreffend als neu im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG eingeordnet. Neu sind Beweismittel, soweit sie bis zum Abschluss der vorangegangenen Verfahren – einschließlich der daran anschließenden gerichtlichen Verfahren – noch nicht existierten oder vom Kläger unverschuldet nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2017 – 8 C 7.16 – BVerwGE 159, 136 Rn. 24). Letzteres ist hier zu bejahen. Das Verwaltungsgericht hat – für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend – festgestellt, dass die vorgelegten Unterlagen bis kurz vor der Akteneinsicht der Kläger beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR am 13. Dezember 2002 auch dieser Behörde nicht bekannt gewesen seien. Sie konnten daher unverschuldet früher nicht beigebracht werden.
22
c) Diese Unterlagen belegen aber auf der Grundlage der bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz keinen neuen Sachverhalt, der nach der von der Vorinstanz zutreffend zugrunde gelegten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 16. Juni 1993 eine den Klägern günstigere Entscheidung zur Folge gehabt hätte.
23
aa) Das Verwaltungsgericht hat den Grundstückserwerb der Beigeladenen in jener Entscheidung als redlich im Sinne von § 4 Abs. 3 VermG angesehen, weil keines der Regelbeispiele der Norm erfüllt sei. Als unredlich hat es einen Erwerbsvorgang angesehen, der auf einer sittlich anstößigen Manipulation beruht. Das Vorliegen des Regelbeispiels einer Unredlichkeit nach § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG wegen Verstoßes gegen zum Erwerbszeitpunkt in der DDR geltende allgemeine Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätze oder eine ordnungsgemäße Verwaltungspraxis hat es verneint, weil es davon ausging, die Vorschriften der Verordnung über die Lenkung des Wohnraums der DDR – Wohnraumlenkungsverordnung – hätten Wohnraum in Eigenheimen nicht erfasst. Diese Rechtsauffassung stimmt zwar nicht mit der später ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2012 – 8 C 10.11 – Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 25 Rn. 18). Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist sie für die gerichtliche Überprüfung des Wiederaufgreifens aber gleichwohl maßgeblich. Der von der Vorinstanz festgestellte Verstoß des Grundstückserwerbs der Beigeladenen gegen die Wohnraumlenkungsverordnung hätte danach keine den Klägern günstigere Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Folge gehabt.
24
bb) Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. b VermG hat das Verwaltungsgericht bereits im Urteil vom 16. Juni 1993 nicht gesehen. Sie lassen sich nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz auch den nunmehr vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen.
25
cc) Entsprechendes gilt im Hinblick auf eine Unredlichkeit nach § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG. Das für diesen Unredlichkeitsgrund nach dem Urteil vom 16. Juni 1993 erforderliche manipulative Element des Erwerbsvorgangs ergibt sich nach den Feststellungen der Vorinstanz aus den nunmehr vorgelegten Unterlagen ebenfalls nicht. Verfahrensrügen haben die Kläger dagegen nicht erhoben.
26
dd) Für eine über die Regelbeispiele des § 4 Abs. 3 VermG hinausgehende sonstige Unredlichkeit im Sinne einer sittlich anstößigen Manipulation des Erwerbsvorgangs hat das Verwaltungsgericht in den neu vorgelegten Dokumenten ebenfalls keine Belege erkannt.
27
ee) Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne (§§ 48 f. VwVfG) sind ebenfalls nicht gegeben. Eine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge einer Verpflichtung der Behörde, trotz Fehlens von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 VwVfG erneut in der Sache zu entscheiden und dem Antrag der Kläger stattzugeben, ist aus dem vom Verwaltungsgericht bindend festgestellten Sachverhalt nicht zu begründen. Die mit Urteil vom 16. Juni 1993 rechtskräftig bestätigte Ablehnung der Rückübertragung ist nicht schlechthin unerträglich, weil den Klägern eine Wiedergutmachung in Gestalt eines Entschädigungsanspruchs zuerkannt wurde und sie keine Rechtsmittel gegen das genannte, weitere Ansprüche verneinende Urteil eingelegt haben.
28
3. Fehlt es damit schon an den rechtlichen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen, sodass die Revision keinen Erfolg haben konnte.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.


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