Verwaltungsrecht

Verpflichtung zur Vorsprache bei der Landesvertretung zur Beschaffung eines Heimreisedokuments

Aktenzeichen  Au 6 K 19.1208

Datum:
31.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3667
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 49 Abs. 2, § 60a Abs. 2c, Abs. 2d, § 82 Abs. 4 S. 1
BayVwVfG Art. 35 S. 1
BayVwZVG Art. 36 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen seine Verpflichtung zur Vorsprache bei der Landesvertretung zur Beschaffung eines Heimreisedokuments.
I.
Der Kläger will – nach eigenen Angaben und ohne irgendeinen Dokumentennachweis – in … geborener nigerianischer Staatsangehöriger vom Volk der Bini und katholischen Glaubens sein. Er reiste eigenen Angaben zufolge von Griechenland aus auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. September 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 15. Februar 2012 abgelehnt wurde, die Abschiebung nach Nigeria wurde angedroht. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 5.10.2012 – Au 7 K 12.30112). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Angaben des Klägers zu den Umständen seiner Einreise falsch und zu den Fluchtgründen unglaubhaft seien, sodass das Gericht zu der Überzeugung gelangt sei, der Kläger habe seinen Herkunftsstaat aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen verlassen. Die Angaben beim Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits sowohl zur Verfolgungsgeschichte als auch zu den Todesumständen seiner Familie seien in wesentlichen Punkten widersprüchlich und hätten sich zur Überzeugung des Gerichts insgesamt als unglaubhaft erwiesen (ebenda Rn. 15 f.).
Am 17. Mai 2013 stellte der Kläger beim Bundesamt einen Folgeantrag und legte zur Begründung Ausdrucke von angeblich auf sein Mobiltelefon gesendeten Nachrichten vor, die Drohungen ihm gegenüber aussprachen. Weiterhin legte er ein ärztliches Attest vom 30. März 2012 vor, in dem ausgeführt wurde, dass beim Kläger vorhandene Narben einem Steckschuss zugeordnet werden könnten. Ein weiteres ärztliches Attest eines Allgemeinarztes vom 12. Mai 2013 bescheinigt, dass der Kläger wegen unklarer Symptome ärztlichen Rat suchte, unter schlechten Träumen leide und zittere. Die vom Kläger gewünschte Therapie könne er jedoch nicht leisten.
Mit Bescheid vom 24. April 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und Abänderung des Bescheids vom 15. Februar 2012 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes ab. Vom Kläger benannte Mitteilungen per SMS auf sein mobiles Telefon seien allein in keiner Weise geeignet, eine tatsächliche Gefährdung bzw. Verfolgung im Heimatland zu beweisen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung würden solche Mitteilungen bei unterdrückter Rufnummernanzeige getätigt. Dass dies hier nicht der Fall gewesen sei, deute bereits auf eine vom Kläger selbst bestellte Mitteilung zur Verwendung im Asylverfahren hin. Der Bescheid ist seit 15. Mai 2014 bestandskräftig.
Am 6. März 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens aus gesundheitlichen Gründen mit dem Ziel, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetzes festzustellen.
Hierzu legte der Kläger ein fachärztliches Attest vor (…, Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 30.1.2015), wonach der Kläger über typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung klage. Als Anamnese wurde aufgeführt, der Kläger sei in geordneten Verhältnissen in einer katholischen Familie aufgewachsen, seine wesentliche Bezugsperson sei wegen der Abwesenheiten des in einer politischen Partei tätigen Vaters die Mutter gewesen […] Bis zum Massaker habe der Kläger ein geregeltes Leben geführt und sei zur Schule gegangen […] Der Einbruch der Gewalt in sein Leben durch die Gefangennahme, Folterung und Ermordung seiner Mutter in seiner Gegenwart seitens paramilitärischer, offensichtlich im Dienst der gerade herrschenden Regierung stehender Schergen habe ihn völlig unvorbereitet getroffen. Die Schilderung seiner Flucht müsse darauf bezogen werden, dass er die ganze Zeit über unter Dissoziation gelitten habe, verursacht durch Ängste ums Überleben. Diese unvollständige und teilweise unglaubwürdige Schilderung seiner Reise und seines Aufenthalts erkläre sich durch schwere Schuld- und Schamgefühle, weil er als einziger überlebt habe, wie man es typischerweise auch bei KZ-Überlebenden finde. Es komme so typischerweise zu einer bruchstückhaften Rekonstruktion der eigenen Biografie unter Auslassung wesentlicher traumatisierender Erlebnisse […] Bisher sei eine antidepressive medikamentöse Behandlung durch eine Fachärztin für Psychiatrie durchgeführt worden. […] Der Kläger befinde sich seit 3. November 2014 in psychotherapeutischer Behandlung. Er werde mit Trimipramin und Sertralin behandelt. Hinzu komme eine dringend bestehende Behandlungsbedürftigkeit bezüglich einer Psychotherapie. Die für die psychische Erkrankung dringend erforderliche Behandlung sei in Nigeria nicht gewährleistet. Darüber hinaus würde das Erleben einer Abschiebung ins Heimatland eine erheblichere Traumatisierung bedeuten, die höchstwahrscheinlich zu einer bleibenden Verschlechterung bis hin zu akuter Suizidalität führen würde. […] Aufgrund der noch nicht behandelten posttraumatischen Belastungsstörung bestehe eine erhöhte Sensibilität gegenüber Auseinandersetzungen mit Behörden. Geplante Befragungen müssten in einer entspannten, Sicherheit gebenden Umgebung stattfinden, da sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung mit dissoziativem Erleben, Panikzuständen und akuter Suizidalität drohe. Dies gelte insbesondere, falls bei der Befragung Uniformträger oder Amtspersonen des Herkunftslandes anwesend seien, was er wie eine Folter erleben würde. […] Es sei nachvollziehbar, dass Befragungen nur dann sinnvolle Ergebnisse erwarten ließen, wenn der Kläger nicht mehr von Abschiebung und Ermordung bedroht sei. Da er Zeuge von Schwerverbrechen der Regierung gewesen sei, müsse er weiterhin davon ausgehen, dass die entsprechenden Kreise ein großes Interesse daran hätten, ihn verstummen zu lassen (Behördenakte Bl. 348 f.).
Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. März 2017 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Antrag auf Wiederaufgreifen könne nicht entsprochen werden, weil sich die Sachlage auch aufgrund der nunmehr als Beweismittel vorgelegten Atteste nicht zu Gunsten des Klägers geändert habe. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Rahmen einer Ermessensentscheidung lägen nicht vor. Die vorgelegte fachärztliche Stellungnahme vom 30. Januar 2015, in der dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert worden sei, erfülle nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG schütze nur vor Gefahren, die aufgrund der spezifischen Umstände im Herkunftsland drohten. Soweit in der Stellungnahme auf Gefahren abgestellt werde, die aus Problemen im Vorfeld einer drohenden Abschiebung resultierten, stellten diese keine Gesundheitsgefahren in Bezug auf das Heimatland dar. Die in der Stellungnahme angeführte Gefahr einer erheblichen Retraumatisierung erfülle die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot ebenfalls nicht. Es wäre erforderlich gewesen, darzulegen, was der behandelnde Psychotherapeut unter Traumatisierung verstehe und welche konkreten gesundheitlichen Folgen bei dem Betroffenen damit verbunden wären. Eine landesweit mögliche Retraumatisierung sei nicht überzeugend dargelegt. Die getroffene Diagnose einer PTBS stütze sich vorrangig auf die vom Kläger behaupteten Ereignisse im Herkunftsland, die im Wesentlichen seinem Sachvortrag im Erstverfahren entsprächen. Diese seien aber sowohl vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 15. Februar 2012 als auch vom Verwaltungsgericht Augsburg im Urteil vom 5. Oktober 2012 als widersprüchlich, unglaubhaft und in wesentlichen Punkten nicht plausibel eingeschätzt worden. Die vorgelegte ärztliche Stellungnahme erfülle insgesamt nicht die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Diagnose einer PTBS aufgestellten Mindestanforderungen. Der vorgelegten Stellungnahme des Klinikums Augsburg vom 23. Mai 2016 sei zu entnehmen, dass die Behandlung wegen eines linksseitigen Harnleitersteines mit dessen Entfernung abgeschlossen wurde. Hinsichtlich der vorgetragen Behandlung wegen Bluthochdruck fehle es bereits an der erforderlichen konkreten wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterung im Fall einer Nichtbehandlung.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage hiergegen ab (VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 9 K 17.32051) und führte u.a. aus (ebenda Rn. 22 f.):
„Anhaltspunkte für einen besonderen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person der Kläger zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung bzw. gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich und zwar auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund seiner vorgetragenen psychischen Erkrankung möglicherweise erwerbsgemindert ist.
Für den Kläger kann […] bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden, dies gilt auch unter Berücksichtigung der vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen. Zum einen sind diese nicht aktuell, so datiert die letzte vorgelegte Stellungnahme vom 17. April 2018. Auch lässt diese nicht erkennen, dass der Kläger nicht arbeitsfähig wäre. Vielmehr wird ausgeführt, dass der Zustand des Klägers insbesondere auch daran liege, dass er Möglichkeiten zur beruflichen Integration nicht nutzen könne. Im Übrigen bestehen erhebliche Bedenken an der Verwertbarkeit des Gutachtens, da dieses bei der Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung maßgeblich auf die Beeinträchtigung des Klägers aufgrund von akustischen Visionen von Gewehrschüssen sowie Schreien seiner Mutter und seiner Schwester abstellt. Seine Mutter und seine Schwester seien bei der Entführung in einem Raum neben dem Kläger untergebracht worden, sodass er sie nicht sehen, aber deren Hilfeschreie hören konnte. Aufgrund von Schüssen und dem anschließenden Verstummen der Schreie habe er darauf schließen müssen, dass alle tot seien. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass im Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Oktober 2012 das Fluchtvorbringen des Klägers insbesondere in diesem Punkt als unglaubhaft gewertet wurde. Diese Einschätzung beruhte insbesondere darauf, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt die Entführung der Schwester nicht erwähnt hatte. Dieser Umstand wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Dort führte er nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts aus, dass er selbst gesehen habe, wie die Entführer diese umgebracht hätten. Der in den ärztlichen Stellungnahmen festgehaltene Tatsachenvortrag stellt demgegenüber nochmals eine Steigerung dar und widerspricht den vorangegangenen Darstellungen in wesentlichen Punkten. So gab der Kläger an, dass nicht nur die Schwester sondern nun auch die Mutter entführt wurde. Beide sollen im Raum neben ihm untergebracht worden sein, deren Tötung habe er nur aus dem Verstummen der Schreie geschlossen. Da dieser Vortrag Grundlage für die vom Facharzt festgestellte posttraumatische Belastungsstörung ist, kann der Diagnose nicht der von dem Kläger beigemessene Wert entnommen werden.“
Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, verneinte das Verwaltungsgericht ebenfalls mit dezidierter Begründung (VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 9 K 17.32051 – Rn. 28 ff.):
„Das Gericht hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger trotz der im gesamten Verfahren vorgelegten psychotherapeutischen Gutachten vom 30. Januar 2015, 30. Mai 2017 und 17. April 2018 an einer PTBS leidet, die auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland zurückgeht.
Der Kläger hat zwar mehrere psychotherapeutische Stellungnahmen eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vorgelegt, zuletzt vom 17. April 2018, die das Vorliegen einer PTBS diagnostizieren. Dennoch ist bei dem Kläger nicht eine derartige erhebliche konkrete Gefahr für Leib und/oder Leben auf Grund einer alsbaldigen schwerwiegenden und wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, so dass die vom Kläger geltend gemachten psychischen Erkrankungen (PTBS sowie schwere Depression) nicht die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen.
Bei der PTBS handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – BVerwGE 129, 251; B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12) angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie einer vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Gemäß der international classification of diseases (ICD-10: F43.1) entsteht die PTBS als „Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Ein traumatisches Ereignis/Erlebnis ist damit zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer PTBS. Ohne das Vorliegen eines Traumas kann die Diagnose einer PTBS folglich nicht gestellt werden. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vom Ausländer gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden. Der objektive Ereignisaspekt ist nämlich nicht Gegenstand der gutachtlichen ärztlichen Untersuchung zu einer PTBS (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris; VGH BW, B.v. 20.1.2006 – A 9 S 1157/06 – juris).
Bei der Diagnose kommt es daher entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an. Wesentlicher Bestandteil der Begutachtung ist die inhaltliche Analyse der von einem Arzt oder einem Psychotherapeuten selbst erhobenen Aussagen in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Asylsuchender sein Verfolgungsschicksal schlüssig zur Überzeugung des Gerichts darlegen muss. Ihm obliegt es, die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Weise zu schildern, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (BayVGH, B.v. 7.9.2012 a.a.O. Rn. 7). Die Angaben des Asylbewerbers zu der die behauptete traumatische Belastungsstörung auslösenden, ein Abschiebungsverbot im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründenden Vorgeschichte unterliegen der Beweis- und Tatsachenwürdigung des Gerichts (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2012 – 9 ZB 12.30293 – Rn 8).
Liegt ein fachärztliches Attest vor, das dem Ausländer eine PTBS bescheinigt, so kann das Gericht zwar regelmäßig mangels hinreichender Sachkunde die Bescheinigung nicht von sich aus als nicht aussagekräftig ansehen. Anders ist es aber dann, wenn die Bescheinigung nicht nachvollziehbar ist, weil sie nicht erkennen lässt, dass objektiv bestehende, diagnoserelevante Zweifel berücksichtigt wurden (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251, juris).
So liegt der Fall hier. Wie unter 1. c) bereits ausgeführt, sind die Angaben des Klägers zum behaupteten traumatischen Ereignis unglaubhaft. Sie widersprechen sich in wesentlichen Gesichtspunkten, insbesondere hinsichtlich der angeblichen Ermordung von Mutter und Schwester. Auch bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger als maßgeblichen Grund für seine Niedergeschlagenheit und seine depressive Verstimmung an, dass er untätig in der Asylbewerberunterkunft sitze und den ganzen Tag nur seinen Gedanken nachhänge. Die Perspektivlosigkeit belaste ihn sehr. Traumatische Erlebnisse in seinem Heimatland führte er nicht an. Nach Auffassung des Gerichts ist damit kein – glaubhaftes – traumatisches Ereignis dargelegt worden, das die Diagnose einer PTBS rechtfertigen könnte. Am Vorliegen einer PTBS bestehen auch deswegen durchgreifende Zweifel, da der Kläger sich erstmals im November 2014 in psychiatrische Behandlung begeben hat, also drei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland im September 2011. Dabei drängt es sich geradezu auf, dass der Grund für die Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlung im negativen Ausgang des Asylverfahrens zu sehen ist.
Bezüglich der geltend gemachten Nierenstein-Erkrankung und der notwendigen Behandlung des Bluthochdrucks des Klägers schließt sich das Gericht der Bewertung durch das Bundesamt im angegriffenen Bescheid vom 23. März 2017 an. Im Klageverfahren wurden keine Umstände oder neue Tatsachen vorgetragen, die eine andere Bewertung rechtfertigen würden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere Medikamente wegen Bluthochdrucks in Nigeria erhältlich sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Dezember 2018, Seite 23). Es ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger die benötigten Medikamente in Nigeria erhalten wird bzw. es ihm in finanzieller Hinsicht möglich sein wird, diese zu beschaffen.
In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass es dem Kläger, der nach erfolglosem Abschluss des ersten Asylverfahrens und erfolglosem Abschluss des Asylfolgeverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist, zumutbar ist, sich „gesetzestreu“ zu verhalten und freiwillig auszureisen und damit die für den Fall einer freiwilligen Rückkehr geleisteten Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch zu nehmen, um dadurch seine finanzielle Situation gerade in der Anfangszeit nach seiner Rückkehr nach Nigeria zu verbessern. So gibt es z.B. Starthilfe nach dem von Bund und Ländern finanzierten REAG/GARP-Programm, für die Kläger insgesamt 1.750 EUR (500 EUR pro Erwachsener, 250 EUR pro Kind unter 12 Jahren). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Reintegrationsleistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“, die u.a. auch eine Bevorratung mit den erforderlichen Medikamenten umfassen. Auf diese Programme wurde der Kläger auch mit Zustellung des verfahrensgegenständlichen Bescheids hingewiesen.“
Der Kläger wurde vom Beklagten erstmals am 7. Januar 2013 niederschriftlich zur Beschaffung eines Reisepasses und von Identitätspapieren sowie zur Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatsstaats aufgefordert, gab jedoch an, keine Identitätspapiere vorlegen zu können und auch nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Er verweigerte in diesem Zusammenhang und auch bei den folgenden Aufforderungen und Belehrungen jeweils, den Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers auszufüllen und zu unterschreiben. Der Beklagte stellte ihm daraufhin Duldungen aus. Einen ersten Vorsprachetermin in … bei Vertretern seines Heimatsstaats nahm der Kläger am 9. April 2013 nicht wahr, weil er vortrug, noch einer augenärztlichen Behandlung zu bedürfen; in der weiteren Folge lehnte er die Teilnahme an derartigen Vorsprachen unter Verweis auf die o.g. Atteste und angebliche Drohanrufe aus Nigeria ab. Ebenso reagierte er auf weitere Aufforderungen, Vorsprachetermine wahrzunehmen. Das Amtsgericht … verurteilte ihn wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (AG, U.v. 25.8.2016 -, Behördenakte Bl. 382, 452). Der Kläger lehnte auch in den Folgejahren immer wieder die Wahrnehmung von Vorspracheterminen unter Verweis auf ärztliche Atteste und darauf ab, er sei nicht transportfähig zu den Vorführungen oder nicht reisefähig.
Der Kläger erkannte am 7. November 2018 vorgeburtlich in … die Vaterschaft für ein von einer nigerianischen Staatsangehörigen, die in … lebt, noch zu gebärendes Kind an und vereinbarte eine gemeinsame elterliche Sorge. Am … 2019 wurde das Kind in … geboren (Behördenakte Bl. 742). Die Kindesmutter begehrte die Umverteilung des Klägers zu ihr nach, denn ihr Kind benötige intensiven und regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater, was durch die große Entfernungen zwischen … und … mit einer 12-stündigen Fahrt mit Regionalzügen erschwert sei. Der Kläger sei ein guter Vater, gebe ihr wichtige Unterstützung und habe sie bereits während der Schwangerschaft und auch während des Aufenthalts im Krankenhaus unterstützt, indem er sich um das Geschwisterkind gekümmert habe (ebenda Bl. 755). Die Kindesmutter hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG; ihr mit dem Kläger gemeinsames Kind nach § 33 AufenthG (ebenda Bl. 896 f.).
Seine damalige Bevollmächtigte beantragte für den Kläger eine Aufenthaltserlaubnis, denn er besuche sein Kind regelmäßig und habe auch während der Schwangerschaft seine Lebensgefährtin besucht und unterstützt; er bemühe sich aktuell, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten (ebenda Bl. 756).
Die im Klageverfahren Bevollmächtigten beantragten für den Kläger ebenfalls die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und führten unter Verweis auf ein ärztliches Attest aus, der Kläger sei wegen schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht in der Lage, an einer Sammelanhörung teilzunehmen. Beigefügt war ein Attest (B., Allgemeinarzt, Attest vom 9.7.2019, ebenda Bl. 859), wonach beim Kläger ein schwer einstellbarer Bluthochdruck vorliege, er für sein Alter ungewöhnlich hochdosiert Blutdruck senkende Medikamente einnehmen müsse und daneben noch wiederholt Beschwerden durch Steine im Harnleiter und im Nierenbereich habe. Er sei in größter Sorge, dass diese Beschwerden in seinem Heimatland nicht nach den Regeln der modernen Medizin behandelt werden könnten. Ein psychischer Ausnahmezustand sei bei ihm deutlich erkennbar. Dass er in dieser Situation an einer Sammelanhörung teilnehmen könne, sei hausärztlicherseits nicht anzunehmen.
Gleichwohl beantragten sie für den Kläger die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für eine Tätigkeit als Autowäscher von mindestens 80 Stunden/Monat.
Der Beklagte forderte den Kläger über beide Bevollmächtigte zur Wahrnehmung eines bevorstehenden Vorsprachetermins am 22. Juli 2019 bei der Auslandsvertretung der Botschaft der Republik Nigeria, geplant in, auf; nachdem beide Bevollmächtigte nicht die Bereitschaft des Klägers zur freiwilligen Wahrnehmung dieses Termins erklärten, verpflichtete der Beklagte den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. Juli 2019, zum Zweck der Identifizierung und Ausstellung eines Passes oder Passersatzes, der zur Rückkehr in sein Heimatland berechtige (Heimreisedokument), bis spätestens 23. Juli 2019 während den Geschäftszeiten bei der Auslandsvertretung der Botschaft der Bundesrepublik Nigeria […] vorzusprechen und ein entsprechendes Heimreisedokument nach den Bestimmungen des vermuteten Heimatstaates zu beantragen. Hierzu habe er Gelegenheit am Montag, den 22. Juli 2019 um 9:30 Uhr zum organisierten Termin (Sammeltermin) der Auslandsvertretung […] sich einzufinden und ein entsprechendes Heimreise-Dokument zu beantragen (Nr. 1.1 des Bescheids). Der Kläger habe das ausgestellte Heimreise-Dokument unverzüglich, spätestens jedoch 3 Tage nach Erhalt, dem Beklagten zu übergeben (Nr. 1.2). Für den Fall, dass er seiner in Nr. 1.1 festgelegten Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, erfolge die zwangsweise Vorführung durch die Polizei bei der Auslandsvertretung der Botschaft der Bundesrepublik Nigeria, oder – falls die Auslandsvertretung einen Außentermin abhalte – am Ort dieses Außentermins (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nummer 1 dieses Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig sei und kein gültiges Reisedokument besitze, wozu er aber verpflichtet sei. Eigenständig sei der Kläger seiner Passbeschaffungspflicht trotz Aufforderungen nicht nachgekommen. Die Verpflichtung zur Vorsprache bei der Auslandsvertretung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sei das einzig verbleibende Mittel, den Kläger zu veranlassen, nach den Vorschriften seines vermuteten Heimatstaates ein Heimreisedokument zu beantragen und dadurch seiner Ausreisepflicht nachzukommen. Sie sei unter Berücksichtigung der privaten Interessen des Klägers und dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Passpflicht und der vollziehbaren Ausreisepflicht ermessensgerecht. Der Kontaktaufnahme mit den Behörden seines vermuteten Heimatstaates stünden nach Abschluss der Asylverfahren auch keine zielstaatsbezogenen Hindernisse entgegen. Die Androhung der Vorführung durch unmittelbaren Zwang sei geeignet, die Wahrnehmung des Termins durchzusetzen. Ein Zwangsgeld als milderes Mittel komme wegen der Erwerbslosigkeit des Klägers nicht in Betracht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei mit Blick auf das Ziel des Gesetzgebers, bei vollziehbar ausreisepflichtigen Personen den Aufenthalt zeitnah zu beenden, und wegen der finanziellen Belastung des öffentlichen Haushalts durch Bezug von Sozialleistungen geboten. Der wegen ungenügender Mitwirkung fortbestehende rechtswidrige Aufenthalt solle nicht durch ein in seiner Länge nicht absehbares Gerichtsverfahren fortgesetzt werden können.
Hiergegen ließ der Kläger am 13. August 2019 Klage erheben und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid des Landratsamtes … vom 16. Juli 2019 aufzuheben.
Zur Klagebegründung wurde das bisherige Vorbringen vertieft und ein neueres fachärztliches Attest vorgelegt (Dr., Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 15.1.2020), wonach der Kläger sich bei ihm seit dem 3. November 2014 in regelmäßiger Behandlung befinde; die Sitzungen hätten alle 4-6 Wochen stattgefunden. Er sei in völlig verzweifelten Zustand in der Praxis erschienen und habe erklärt, sich umbringen zu wollen. Zuvor sei er zum üblichen Vorstellungstermin beim Landratsamt gewesen und hätte dort eine Erklärung unterschreiben sollen, die er so gedeutet habe, dass ihm nunmehr akut die Deportation drohe. Auch bekomme er keine finanzielle Unterstützung mehr. Wegen seiner schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen habe er sich bisher der zwangsweisen Vorführung in der nigerianischen Botschaft entzogen. Da er wisse, dass ihm nach einer zwangsweisen Rückführung die Ermordung als wichtiger Zeuge von R.egierungskriminalität drohe, ferner die Behandlung seines seelischen Leidens sowie der Nierenkrankheit und des Bluthochdrucks nicht möglich wäre, sei seine Panik nachvollziehbar. Die Diagnosen seien eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1), eine Panikstörung (F 41.0), eine Insomnie (G 47.0), Nierensteine (N 20.0) und eine Blutdruckerhöhung (I 10.90). Der Kläger klage weiterhin über typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung und über Panikattacken sowie Schlafstörungen und Einschränkungen der Merkfähigkeit, was eine Unfähigkeit zur Folge habe, sein Leben zu planen. Entlastung und Entspannung erlebe er nur in Gegenwart seiner Frau und seines Sohnes. Der Gedanke, für diesen sorgen zu wollen, erlaube ihm die Distanzierung von seiner bisherigen Suizidalität. Die medikamentöse Behandlung erfolge durch Trimipramin 2 x 25 mg und Bluthochdruck- und Schmerzmittel nach hausärztlicher Verordnung. Als abschließende Beurteilung wurde angegeben, eine zwangsweise Rückführung oder auch nur eine zwangsweise Vorführung in der Botschaft des Heimatlandes zwecks Ausstellung von Dokumenten werde eine anhaltende Panikreaktion bewirken und mit großer Wahrscheinlichkeit den Übergang der latenten in eine akute Suizidalität und sei daher nicht zumutbar. Wegen des seelischen Leidens sowie der Nierensteine und des Bluthochdrucks bestehe keine Reisefähigkeit […].
Der Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt
Klageabweisung.
Er legte ein auf Auswertung der Aktenlage und persönliche Untersuchung des Klägers gestütztes fachärztliches Attest (Dr., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Gutachten vom 13.12.2019) zur Reisefähigkeit des Klägers vor:
Anamnese: Der Kläger habe geschildert, seine Familienmitglieder seien erschossen worden; die Täter seien nicht in Uniform gewesen, sondern zivil gekleidet. Nur weil einer seiner Entführer ihn mochte und seine Fesseln gelöst habe, sei ihm die Flucht gelungen, sonst hätte man auch ihn getötet. Während des Flüchtens sei auf ihn geschossen worden. Seither erlebe er Nachhall, Erinnerungen und das Gefühl, unmittelbar in der traumatisierenden Situation zu sein und abrupt auftretende Panikattacken […] Auch habe er Angst vor dunkelhäutigen Menschen und Uniformierten, da diese ihn an die Täter erinnern würden.
Untersuchungsbefunde: Der Kläger sei wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen, vom Affekt her wenig schwingungsfähig, wirkte angespannt und depressiv und weinte zwischendurch. […] Es ergab sich kein Anhalt für das Vorliegen einer psychotischen Störung oder Wahnerleben. Suizidalität sei angegeben worden für den Fall, dass er abgeschoben würde.
Diskussion und Beurteilung: Diagnostisch sei von einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 D 43.1) und einer depressiven Episode, gegenwärtig mittelgradig (ICD 10 F 32.1), auszugehen. Die depressive Episode könnte ebenfalls Folge der posttraumatischen Belastungsstörung sein, zumal sie im Zusammenhang mit der Flucht symptomatisch geworden sei. […] Sie wäre aber auch zu erklären durch die chronische Unsicherheit in Bezug auf das Bleiberecht und die ständige Angst, von den Behörden abgeholt zu werden. Diesbezüglich bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit. Die Gedächtnisstörungen in Bezug auf sein Geburtsdatum und bezüglich seines genauen Fluchtweges ließen sich diagnostisch nicht einordnen. Möglich wäre das Vergessen des Fluchtwegs aufgrund der die Flucht bedingenden traumatisierenden Erfahrung. Klinisch gebe es keine Hinweise auf eine Störung, die eine isolierte Gedächtnisstörung nur zum eigenen Geburtsdatum bediene. Die im psychischen Befund beschriebenen Gedächtnisstörungen (in Bezug auf sein Geburtsdatum und bezüglich des genauen Fluchtwegs) ordnete der Gutachter eher dem Wunsch zu, nicht zu viel von seiner Identität preiszugeben bzw. Fluchtwege und Fluchthelfer nicht zu verraten. Dies sehe er mit hoher Wahrscheinlichkeit als wie beschrieben an. Zeichen für eine Panikstörung, wie in den Vorbefunden beschrieben, ergäben sich nicht. […] Dies sei ebenfalls durch die posttraumatische Belastungsstörung wie auch die aktuelle Bedrohungssituation durch eine mögliche Abschiebung zu erklären. […] Möglich sei auch eine Simulation in Bezug auf die Ursachen der Panik. Der Kläger gebe an, Angst vor Mördern in seinem Land zu haben. Möglich sei aber auch, dass er lediglich Angst habe, Deutschland verlassen zu müssen – ohne Bezug auf zu erwartende Übergriffe in seinem Heimatland. Dass er Panikattacken bekomme, wenn er hier in Deutschland Uniformierte sehe, stehe auch in Differenz zur Aussage, dass die Mörder seiner Eltern zivil und eben nicht in Uniform gekleidet gewesen seien. Gutachterlicherseits bestehe ob der Beschwerdenvalidität in diesem Punkt Unsicherheit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehe jedoch Symptomverdeutlichung. Der Kläger benutze wiederholt Superlative und entsprechende Verben, um seinen aktuellen Zustand zu beschreiben. Dies sei aus gutachterlicher Sicht nachvollziehbar, gehe es doch darum zu verdeutlichen, wie schlecht es ihm im Moment gehe. Der Symptombeginn, wie er vom Kläger geschildert wurde – also sofort nach dem von ihm beschriebenen Trauma – sei untypisch für eine posttraumatische Belastungsstörung. […] Auch in diesem Punkt sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zumindest die Schilderung des Symptombeginns Zeichen für Aggravation sei.
Der Gutachter hielt den Kläger für reisefähig und gehe von einer Verschlechterung der Symptomatik aus, wenn der Kläger von konkreten Vorbereitungen einer Rückführung erfahre. Daher empfehle er, dass der Kläger während der gesamten Phase der Rückführung (bei Bekanntgabe der Rückführung, während der Rückführung und nach Ankunft in seinem Heimatland) von einer medizinischen Fachkraft begleitet bzw. in seinem Heimatland in Empfang genommen werde. Dort werde dann zu klären sein, ob er sich in eine spezialisierte Behandlung begeben wolle. Da eine Selbstgefährdung bei Depressionen und posttraumatische Belastung sehr häufig sei, weise er darauf hin, dass dies auch beim Kläger zutreffen könnte. Es wäre im Falle einer Rückführung fachärztlich auch angezeigt, ihm ein Anxiolytikum anzubieten, zum Beispiel Lorazepam […] Auch bezüglich des hohen Blutdrucks sollten Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, sollte das Lorazepam nicht ausreichen […].
Mit nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 15. Januar 2020 lehnte der Beklagte die Anträge des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten ist unbegründet, weil die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife der Prozesskostenhilfe nicht mehr offen sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Happ in Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife für den von Asylbewerber-Leistungen lebenden Kläger sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht mehr offen, vielmehr wird sich die Klage voraussichtlich als unbegründet erweisen.
1. Die Klage ist voraussichtlich noch zulässig.
Die Vorspracheverpflichtung ist ein belastender Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, für den in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft ist (§ 42 Abs. 1 VwGO) und der sich noch nicht erledigt hat.
Ein Verwaltungsakt erledigt sich, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 11/15 -InfAuslR 2017, 137/139 Rn. 29). Eine Erledigung kann gemäß Art. 43 Abs. 2 Alt. 4 BayVwVfG insbesondere durch Zeitablauf eintreten. Zwar ist der vom Antragsgegner im Bescheid bestimmte Termin bei der nigerianischen Auslandsvertretung am 22. Juli 2019 um 9.30 Uhr inzwischen verstrichen. Dadurch hat sich die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen und zur Antragstellung aber nicht erledigt. Vielmehr macht die auf § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, Art. 36 Abs. 1 BayVwZVG gestützte Androhung der polizeilichen Vorführung in Ziffer 2 deutlich, dass die Verpflichtung auch danach fortbesteht und einen Grundverwaltungsakt darstellt, der, nachdem ihm nicht nachgekommen wurde, nunmehr zwangsweise im Wege der polizeilichen Vorführung durchgesetzt werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 18 A 1176/13 – juris Rn. 16).
2. Die Klage ist voraussichtlich unbegründet, da der angefochtene Bescheid voraussichtlich rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Rechtsgrundlage für die Anordnung des persönlichen Erscheinens beim Vorsprachetermin – allgemein und konkret am 22. Juli 2019 – ist § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift kann, soweit es erforderlich ist, zur Vorbereitung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz angeordnet werden, dass ein Ausländer bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint. Wenn der Ausländer einer solchen Anordnung nicht Folge geleistet hat, darf sie nach § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zwangsweise durchgesetzt werden. Die Ausgestaltung der Vorsprachepflicht nach § 82 Abs. 4 AufenthG hat die Behörde, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, nach Ermessen vorzunehmen. Sie kann – und muss – es bei der bloßen Vorspracheanordnung belassen, wenn sie davon ausgehen kann, dass der Ausländer einer derartigen Anordnung voraussichtlich Folge leisten wird. Falls sie hingegen aufgrund festgestellter tatsächlicher Umstände damit rechnen muss, dass der Adressat eine Vorspracheanordnung missachten und damit seine Mitwirkungspflicht nach § 82 AufenthG verletzen wird, muss sie auf geeignete Weise sicherstellen, dass die Vorsprache ohne Zeitverzögerung stattfinden und ihren Zweck erfüllen wird (BVerwG, U.v. 8.5.2014 – 1 C 3/13 – BVerwGE 149, 320-333, Rn. 23).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger ist aufgrund des unanfechtbaren Abschlusses seines Asylverfahrens und nach Ablauf der ihm durch das Bundesamt gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Für die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung ist ein gültiges Heimreisedokument erforderlich. Ein solches kann der Kläger trotz wiederholter Belehrung über seine Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung (vgl. § 48 Abs. 3 AufenthG) nicht vorweisen.
§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfordert dabei nicht, dass die Staatsangehörigkeit des Betroffenen nachgewiesen ist, sondern lässt vielmehr die Vermutung für eine bestimmte Staatsangehörigkeit genügen. Eine solche Vermutung besteht bereits dann, wenn sachliche Anhaltspunkte für eine bestimmte Staatsangehörigkeit vorliegen, ohne dass ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht sein muss (vgl. hierzu OVG BB, B.v. 1.12.2010 – OVG 3 S 70.10 – juris Rn. 7).
Im Fall des Klägers liegen solche Anhaltspunkte vor, die auf eine nigerianische Staatsangehörigkeit schließen lassen. Denn der Kläger hat seit seiner Einreise wiederholt sowohl im asylrechtlichen Verfahren als auch bei Vorsprachen bei der Ausländerbehörde angegeben, nigerianischer Staatsangehöriger zu sein. Eine andere Staatsangehörigkeit hat der zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtete Kläger (§ 49 Abs. 2 AufenthG) zu keinem Zeitpunkt behauptet.
b) Die Anordnung ist auch verhältnismäßig im weiteren Sinne und damit erforderlich im Sinne von § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Die Ausländerbehörde hat vor Anordnung des persönlichen Erscheinens stets sorgfältig zu prüfen, ob dies zur Vorbereitung oder Durchführung von Maßnahmen nach ausländerrechtlichen Regelungen verhältnismäßig, das heißt geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ist dies zu bejahen, hat die Ausländerbehörde darüber hinaus das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben und dabei insbesondere Fragen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen.
Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen bei der Vertretung der nigerianischen Republik ist im Hinblick auf die behauptete Staatsangehörigkeit geeignet, die Identität des Klägers einschließlich seiner Staatsangehörigkeit zu klären. Sie führt im günstigsten Fall zur Ausstellung eines Reisepasses oder Heimreisedokuments für den ausreisepflichtigen Kläger.
Sie ist erforderlich, da der Kläger freiwillig seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Er ist seit dem 7. Januar 2013 wiederholt und erfolglos vom Beklagten über seine Passbesitzpflicht und seine Mitwirkungspflichten hieran belehrt worden – auf Grund der hartnäckigen Weigerung des Klägers erfolglos.
Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen ist verhältnismäßig im engeren Sinn. Der Kläger ist bisher seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Identitätspapieren nicht nachgekommen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Sie verlangt vom Kläger nichts Unmögliches, da ihm das Erscheinen und die Beantragung von Identitätspapieren beim nigerianischen Generalkonsulat in tatsächlicher Hinsicht möglich ist. Auch ist sie nicht von vornherein und offensichtlich untauglich und deshalb unzumutbar. Selbst wenn der Vortrag des Klägers zutreffen würde, wäre die Vorsprache beim nigerianischen Generalkonsulat geeignet, die bestehenden Unsicherheiten bzgl. der Staatsangehörigkeit des Klägers durch ein identitätsklärendes Gespräch mit den Angehörigen der Auslandsvertretung im Wege des Ausschlussverfahrens zu klären. Insbesondere mit Blick auf den eher geringen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG und dem Fehlen sonstiger persönlicher Umstände, die gegen eine solche Verpflichtung sprechen, ist die getroffene Anordnung zur Vorsprache nicht unzumutbar:
aa) Soweit der Kläger unter Hinweis auf die über die Jahre im Wesentlichen gleich lautenden psychiatrischen Atteste (Dr., Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 18.7.2019, Behördenakte Bl. 890 ff.; zuletzt Attest vom 15.1.2020) meint, ihm sei eine Konfrontation mit Repräsentanten des nigerianischen Staats nicht zumutbar, greift dieser Einwand nicht durch, da dieser Einwand bereits durch gegenläufige Verwaltungsgerichtsentscheidungen verworfen ist.
Ausgangspunkt des aktuellen Attests ist die Anamnese, sein sich zwischenzeitlich gebesserter Zustand habe sich seit einigen Monaten wieder verschlimmert, wozu auch der Kummer beitrage, dass er seinen Sohn vaterlos in Deutschland zurücklassen solle. Zur Vorbereitung einer Abschiebung solle er trotz seiner schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen in der nigerianischen Botschaft vorgeführt und nach Ausstellung der erforderlichen Dokumente unverzüglich nach Nigeria abgeschoben werden, wo ihm wegen der politischen Einstellung seiner Familie der Tod drohe, nachdem er bereits den Mord an seiner Mutter, Vater und Schwester habe miterleben müssen (so Dr., Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 18.7.2019, Behördenakte Bl. 890).
Diese Anamnese ist mit Blick auf das angebliche Verfolgungsschicksal des Klägers für den Beklagten irrelevant. Bereits mit Bescheid vom 15. Februar 2012 hat das Bundesamt den hierauf gestützten Asylantrag abgelehnt und wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Klage abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 5.10.2012 – Au 7 K 12.30112). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Angaben des Klägers zu den Umständen seiner Einreise falsch und zu den Fluchtgründen unglaubhaft seien, sodass das Gericht zu der Überzeugung gelangt sei, der Kläger habe sein Herkunftsstaat aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen verlassen. Die Angaben beim Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits sowohl zur Verfolgungsgeschichte als auch zu den Todesumständen seiner Familie seien in wesentlichen Punkten widersprüchlich und hätten sich zur Überzeugung des Gerichts als unglaubhaft erwiesen (ebenda Rn. 15 f.).
Damit steht für den Beklagten nach § 42 AsylG bindend fest, dass der Rückkehr und Rückführung des Klägers nach Nigeria keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegenstehen, insbesondere er dort weder eine Verfolgung noch eine unzureichende medizinische Behandlung zu erwarten hat. Soweit der Kläger dies nach dem Attest subjektiv anders sehen mag, ist dies für den Beklagten rechtlich unerheblich.
Dies gilt bis heute, denn weder der vom Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. April 2014 abgelehnte Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG wegen angeblicher Mitteilungen per SMS noch sein weiterer, auf ein früheres, auf im Wesentlichen gleicher Anamnese beruhendes fachpsychiatrisches Attest gestützter und vom Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. März 2017 abgelehnter Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG führten zu einer anderen Entscheidung (VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 9 K 17.32051). Vielmehr führte das Verwaltungsgericht dazu u.a. aus (ebenda Rn. 22 f.), es bestünden erhebliche Bedenken an der Verwertbarkeit des Gutachtens, da dieses bei der Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung maßgeblich auf die Beeinträchtigung des Klägers aufgrund von akustischen Visionen von Gewehrschüssen sowie Schreien seiner Mutter und seiner Schwester abstelle. […] Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass im Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Oktober 2012 das Fluchtvorbringen des Klägers insbesondere in diesem Punkt als unglaubhaft gewertet wurde. […] Der in den ärztlichen Stellungnahmen festgehaltene Tatsachenvortrag stelle demgegenüber nochmals eine Steigerung dar und widerspreche den vorangegangenen Darstellungen in wesentlichen Punkten. Da dieser Vortrag Grundlage für die vom Facharzt festgestellte posttraumatische Belastungsstörung sei, könne der Diagnose nicht der von dem Kläger beigemessene Wert entnommen werden.
Dies gilt auch mit Blick auf die fachärztliche Behauptung, in Nigeria sei für den Kläger weder eine adäquate psychotherapeutische noch eine regelmäßige internistische Versorgung gewährleistet (so Dr., Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 18.7.2019, Behördenakte Bl. 891), da bezüglich der geltend gemachten Nierenstein-Erkrankung und der notwendigen Behandlung des Bluthochdrucks des Klägers insbesondere Medikamente wegen Bluthochdrucks in Nigeria erhältlich seien (VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 9 K 17.32051 – Rn. 34 mit Verweis auf Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Dezember 2018, Seite 23). Es sei auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger die benötigten Medikamente in Nigeria erhalten wird bzw. es ihm in finanzieller Hinsicht möglich sein wird, diese zu beschaffen. Woher der Attestgeber seine gegenläufigen landesspezifischen Erkenntnisse zieht, legt er hingegen nicht offen.
Ist dem Kläger aber die dauerhafte freiwillige Rückkehr nach Nigeria möglich und zumutbar und seine notfalls zwangsweise Abschiebung mangels zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse rechtmäßig, ist dem Kläger im Umkehrschluss erst recht die vergleichsweise kurze Vorsprache bei nigerianischen Repräsentanten in Deutschland rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar.
Hinzu kommt, dass der Kläger die fachärztlich befürchtete Kreislaufinstabilität in einer akuten körperlichen Zwangssituation mit einer Dekompensation mit tödlichem Ausgang (so Dr., Facharzt für Psychiatrie u.a., Attest vom 18.7.2019, Behördenakte Bl. 891; zuletzt Attest vom 15.1.2020) durch rechtmäßiges Alternativverhalten in Gestalt einer freiwilligen Teilnahme am Vorsprachetermin – statt einer zwangsweisen Vorführung – vermeiden kann.
bb) Soweit der Kläger unter Hinweis auf weitere allgemeinärztliche Atteste (zuletzt B., Allgemeinarzt, Attest vom 9.7.2019, ebenda Bl. 859) meint, er brauche wegen eines schwer einstellbaren Bluthochdrucks an einer Sammelanhörung nicht teilzunehmen, greift auch dieser Einwand nicht durch, da dieser Einwand bereits durch gegenläufige Verwaltungsgerichtsentscheidungen verworfen und durch das zuwiderlaufende Verhalten des Klägers widerlegt ist.
Dass der Kläger für sein Alter ungewöhnlich hochdosiert Blutdruck senkende Medikamente einnehmen müsse und daneben noch wiederholt Beschwerden durch Steine im Harnleiter und im Nierenbereich habe sowie in größter Sorge sei, dass diese Beschwerden in seinem Heimatland nicht nach den Regeln der modernen Medizin behandelt werden könnten, was zu einem psychischen Ausnahmezustand führe, so dass in dieser Situation an einer Sammelanhörung teilnehmen zu können, hausärztlicherseits nicht angenommen werde (B., Allgemeinarzt, Attest vom 9.7.2019, ebenda Bl. 859), ist hinsichtlich der zielstaatsbezogenen Aspekte behördlich und verwaltungsgerichtlich widerlegt (vgl. VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 9 K 17.32051 – Rn. 34).
Dass der Kläger deswegen reiseunfähig sei, wie die Klägerbevollmächtigten geltend machen, ist bereits durch sein eigenes Verhalten widerlegt:
Zum einen hat die Kindesmutter im Umverteilungsantrag nach … angegeben, der Kläger gebe ihr wichtige Unterstützung und habe sie bereits während der Schwangerschaft und auch während des Aufenthalts im Krankenhaus unterstützt, indem er sich um das Geschwisterkind gekümmert habe, trotz der großen Entfernung zwischen … und … mit einer 12-stündigen Fahrt mit Regionalzügen (ebenda Bl. 755). Wenn der Kläger aber in Regionalzügen zwölf Stunden von … nach … reisen kann, kann er erst recht zweieinhalb Stunden in Regionalzügen von … zum Vorsprachetermin am … Flughafen reisen.
Zum anderen scheint die seelische und körperliche Belastbarkeit des Klägers für eine Tätigkeit als Autowäscher von mindestens 80 Stunden/Monat auszureichen. Weshalb er dann nicht belastbar genug sein sollte, an einer Vorsprache teilzunehmen, erschließt sich dem Verwaltungsgericht nicht.
Darüber hinaus ist das medizinische Vorbringen auch insoweit widerlegt, als ein beklagtenseitig vorgelegtes ärztliches Attest (Dr., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Gutachten vom 13.12.2019) die Reisefähigkeit des Klägers bejaht und nur für den Fall der zwangsweisen Rückführung nach Nigeria Vorkehrungen für eine begleitete Abschiebung empfiehlt, nicht aber für eine Inlandsreise in Deutschland, bei welcher der Kläger ebenfalls mit Uniformierten (Zugbegleitpersonal, Bundespolizei am Bahnhof) konfrontiert sein kann, was ihm jedenfalls bei den Zugfahrten nach … keine Beschwerden bereitet hat und daher zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts auch Zugfahrten nach München nicht entgegensteht.
c) Behördliche Ermessensfehler im Sinne von Art. 40 VwVfG und § 114 VwGO liegen nicht vor.
Der Beklagte trifft ausdrücklich eine Ermessensentscheidung, in der er zur Durchsetzung der Beschaffung von Heimreisedokumenten mit Blick auf die fehlende politische Verfolgung eine Vorsprache bei der Auslandsvertretung als zumutbar erachtet und dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht den Vorrang einräumt. An diesen Erwägungen hat der Beklagte auch mit Blick auf den im behördlichen und gerichtlichen Verfahren erfolgten Sachvortrag des Klägers festgehalten und damit seine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung der vorstehend gemachten Ausführungen zutreffend ergänzt. So ist, wie der Beklagte richtigerweise ausführt, der nunmehrige Vortrag nicht geeignet, eine nigerianische Staatsangehörigkeit auszuschließen. Dies genügt grundsätzlich für eine Vorspracheverpflichtung.
d) Nicht zu beanstanden ist auch die angeordnete zwangsweise Vorführung des Klägers in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides.
Dies gilt auch in Anbetracht dessen, dass unmittelbarer Zwang grundsätzlich gegenüber Zwangsgeld und Ersatzvornahme subsidiär ist (Art. 29 Abs. 3 VwZVG). Ob der grundsätzliche Vorrang des Zwangsgeldes wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zur zwangsweisen Vorführung gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG auch im vorliegenden Fall gilt, kann dahinstehen. Zu Recht geht der Beklagte davon aus, dass aufgrund der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers ein Zwangsgeld als grundsätzlich milderes Mittel keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg erwarten lässt. Denn der Kläger bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die angedrohte polizeiliche Vorführung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Dem Kläger wurde mit dem Vorsprachetermin am 22. Juli 2019 Gelegenheit zur freiwilligen Vorsprache gegeben, die er bis heute ohne rechtfertigenden Grund (vgl. oben) verweigert hat.
3. Nicht Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers auf Aufenthaltserlaubnis.


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