Verwaltungsrecht

Verwaltungsrechtsweg bei Aufsichtsbeschwerde gegen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft

Aktenzeichen  5 C 21.1640

Datum:
30.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41355
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 17
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
StPO § 172
EGGVG § 23
GVG § 17a Abs. 3

 

Leitsatz

Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Für Klagen, die eine Verletzung des Petitionsrechts aus Art. 17 GG geltend machen, dem auch die Aufsichtsbeschwerde, die Dienstaufsichtsbeschwerde und die Gegenvorstellung (hier gegen eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft) unterfallen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 21.988 2021-05-25 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft T. stellte mit Verfügung vom 26. April 2020 eine Selbstanzeige des Klägers wegen Freiheitsberaubung und Misshandlung Schutzbefohlener in seiner Zeit als Mitarbeiter eines Kinderheims ein. Mit Schreiben vom 6. Mai 2020 legte er hiergegen „Rechtsmittel“ bei der Generalstaatsanwaltschaft M. ein. Der Generalstaatsanwalt gab mit Bescheid vom 19. Juni 2020 seiner Beschwerde keine Folge. Die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO entspreche der Rechtslage. Daraufhin legte der Kläger eine Petition an den Bayerischen Landtag ein, die nach Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen am 28. Januar 2021 für erledigt erklärt wurde.
Am 25. Februar 2021 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Behörden Staatsanwaltschaft T., Generalstaatsanwaltschaft M. und das Bayerische Staatsministerium der Justiz, erhoben und beantragt, festzustellen, dass genannte Behörden das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. August 2018 betreffend Verjährung missachtet und zu Unrecht das Ermittlungsverfahren eingestellt hätten sowie die sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen anzuordnen.
Mit Schreiben vom 1. März 2021 bat das Gericht um Klarstellung, ob der Kläger ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 StPO beantrage oder sich gegen die Behandlung seiner Dienstaufsichtsbeschwerden durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz und die Generalstaatsanwaltschaft M. wende. Mit Schreiben vom 8. März 2021 erklärte der Kläger, dass er kein Klageerzwingungsverfahren anstrebe, da es nur dem Verletzten zustehe. Er wende sich gegen die Behandlung/Entscheidung der von ihm gestellten Aufsichtsbeschwerden durch die Generalstaatsanwaltschaft und das Bayerische Staatsministerium der Justiz. Er halte an seiner Klage vor dem Verwaltungsgericht aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG fest. Die Nichtbeachtung des Urteils des Bundesgerichtshofs sei verfahrensrechtlich fehlerhaft.
Der Beklagte beantragte, den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht M. zu verweisen, hilfsweise hierüber nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab zu entscheiden sowie hilfsweise die Klage abzuweisen. Aufgrund der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 EGGVG sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.
Mit Beschluss vom 25. Mai 2021 erklärte das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für zulässig. Eine Auslegung des Klagebegehrens in ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 StPO gegen den ausdrücklichen Willen des Klägers komme nicht in Betracht. Das Klagebegehren sei über die Formulierung des Klageantrags hinaus so zu verstehen, dass der Kläger eine gerichtliche Überprüfung begehre, ob Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und Bayerisches Staatsministerium der Justiz die klägerischen Beschwerden rechtmäßig behandelt hätten. Hierfür sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Der Beklagte hat Beschwerde eingelegt. Das Verwaltungsgericht habe das Begehren des Klägers unzutreffend erfasst. Dieser mache geltend, dass seine Beschwerden falsch verbeschieden worden seien, so dass er eine sachlich-rechtliche Nachprüfung der Einstellungsverfügung und der sie bestätigenden Folgeentscheidungen begehre. Er begehre eine Anordnung der Wiederaufnahme der Ermittlungen. Dies sei der tatsächliche Inhalt seines Klagebegehrens, wofür abschließend die Vorschriften der Strafprozessordnung gelten würden. Im Übrigen greife § 23 EGGVG. Da strafprozessuale Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nicht vor den Verwaltungsgerichten geprüft werden könnten, müsse dies auch für Entscheidungen des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz gelten, die sich unmittelbar auf strafprozessuale Entscheidungen der Staatsanwaltschaft bezögen. Die Anordnung der Wiederaufnahme der Ermittlungen im Rahmen der Fachaufsicht würde einen Justizverwaltungsakt im Sinn von § 23 EGGVG darstellen. Der notwendige funktionale Zusammenhang zwischen der begehrten Maßnahme und den in § 23 EGGVG genannten Gebieten sei gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
1. Die zulässige Rechtswegbeschwerde des Beklagten (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2021 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 GVG bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für das Klagebegehren des Klägers der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO eröffnet ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Streitsache nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO).
Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Gericht, wenn der beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs. Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift ist eine Verweisung nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d.h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.1992 – 5 B 144.91 – NVwZ 1993, 358 = juris Rn. 2). Andernfalls entscheidet das angegangene Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen. Hierdurch wird der prozessuale Anspruch, also der für die Zulässigkeit des Rechtswegs maßgebliche Streitgegenstand bestimmt (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 3; BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 5 C 19.2302 – Juris Rn. 6). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zu Recht den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet gehalten.
Der Kläger hat ausdrücklich erklärt, sich gegen (Fach-) Aufsichtsentscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zu wenden. Eine solche hatte er jedenfalls bei der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, der der Beschwerde mit Bescheid vom 19. Juni 2020 keine Folge gab. Damit macht der Kläger sein Petitionsrecht aus Art. 17 GG geltend, dem auch die Aufsichtsbeschwerde, die Dienstaufsichtsbeschwerde und die Gegenvorstellung unterfallen (Klein/Schwarz in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juni 2021, Art. 17 GG Rn. 50; Brocker in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 48. Edition Stand 15.08.2021, Art. 17 Rn. 10). Nicht maßgeblich für die Bestimmung des Streitgegenstandes und damit des Rechtsweges sind rechtlich nachfolgende Prüfungspunkte zur Zulässigkeit der Klage im Übrigen und zur Begründetheit der Klage. Das bedeutet, dass die Frage, ob der Kläger sein Klageziel, eine Abänderung der negativen Petitionsbescheide, auf der Grundlage von Art. 17 GG erreichen kann, für die Frage des Rechtswegs unerheblich ist.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Für Klagen, die eine Verletzung des Petitionsrechts aus Art. 17 GG geltend machen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (BVerfG, B.v.19.5.1988 – 1 BvR 644/88 – NVwZ 1989, 953; B.v. 27.9.2011 – 2 BvR 1558/11 – NVwZ-RR 2012,1; BVerwG, U.v. 28.11.1975 – VII C 53.73 – NJW 1976, 637/638; BayVerfGH, E.v. 2.5.2017 – 64-VI-15 – BayVBl 2017, 674).
Entgegen der Auffassung des Beklagten regelt § 172 StPO die Anfechtungsmöglichkeiten des Klägers bezüglich der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nicht abschließend. Die Möglichkeit, Fachaufsichtsbeschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu erheben, wird durch § 172 StPO nicht beschränkt. Verfahrenseinstellungen können durch jedermann zum Gegenstand einer formlosen Intervention und der damit verbundenen innerbehördlichen Überprüfung gemacht werden. Eine Beschwerde, die sich gegen eine Einstellung der Staatsanwaltschaft wendet, weist einen Doppelcharakter als Einstellungs- und subsidiäre Aufsichtsbeschwerde auf. Deshalb muss das Vorbringen in Konstellationen, in denen es an den formellen Voraussetzungen der Einstellungsanfechtung fehlt, immer noch als Aufsichtsbeschwerde behandelt und beschieden werden (Kölbel in Münchner Kommentar zur StPO, 1 Auflage 2016, § 172 StPO Rn. 6 f.; Heghmanns in Heghmanns/Herrmann, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 6. Auflage 2021 Rn. 824).
Die Streitsache ist auch nicht durch § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG einem anderen Gericht zugewiesen. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG liegen nicht vor. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG entscheiden über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen Gerichte. Eine Maßnahme einer Justizbehörde liegt aber nur vor, wenn die jeweils in Rede stehende Amtshandlung in Wahrnehmung einer Aufgabe vorgenommen wird, die der jeweiligen Behörde als ihre spezifische Aufgabe auf einem in der genannten Vorschrift aufgeführten Rechtsgebiete zugewiesen ist (BVerwG, U.v. 14.4.1988 – 3 C 65/85 – juris Rn. 40 f.; BGH, B.v. 15.11.1988 – IVa ARZ (VZ) 5/88 – Juris Rn. 23). Es reicht daher nicht aus, dass eine Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit einem konkreten Ermittlungsverfahren steht. Die zu beurteilenden Entscheidungen der Justizbehörden im Bereich der Aufsicht stellen keine Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege dar. Sie sind nicht im Rahmen spezifischer Aufgaben der Strafrechtspflege ergangen, sondern beruhen auf dem Petitionsrecht aus Art. 17 GG, dem jede Behörde unterliegt. Soweit dem Beschluss vom 29. Januar 1998 – 5 C 97.2604 – anderes zu entnehmen ist, hält der Senat nicht daran fest.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 GKG) eine Festgebühr anfällt.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).


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