Verwaltungsrecht

Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit

Aktenzeichen  M 1 K 16.50007

Datum:
4.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1
AsylG AsylG § 56 Abs. 1, § 71 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Nach § 71 Abs. 7 S. 1 AsylG gilt – solange keine andere Entscheidung ergeht – im Falle der Stellung eines Asylfolgeantrags die letzte räumliche Beschränkung fort, wenn der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt war. Ob die räumliche Beschränkung in der Zeit zwischen dem Abschluss des früheren Asylverfahrens und der Stellung des Asylfolgeantrags aufgehoben worden ist, ist im Rahmen des § 71 Abs. 7 S. 1 AsylG ohne Belang (vgl. OVG Münster BeckRS 2015, 43064). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Das Verwaltungsgericht München erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Stuttgart.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Republik Gambia.
Wohl am 30. Juli 2014 hatte er in Italien einen Asylantrag gestellt, der wohl erfolglos geblieben ist.
Ein in der Bundesrepublik Deutschland am 13. Januar 2015 eingeleitetes Asylverfahren ist – unter Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) – seit 24. November 2015 rechtskräftig negativ abgeschlossen; an diesem Tag erlangte das die Klage des Klägers gegen den Dublin-Bescheid des Bundesamts vom 24. Februar 2015 abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2015 (A 2 K 1178/15) Rechtskraft. Im Rahmen dieses Asylverfahrens teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger mit „Zuweisungsentscheidung“ vom 19. Januar 2015 zur vorläufigen Unterbringung dem Landratsamt Esslingen zu (Bl. 46 der Asylakte …); er hatte sich unverzüglich in der Aufnahmeeinrichtung in … zu melden.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben am 6. Dezember 2015 aus der Bundesrepublik aus- und nach Italien weitergereist. Am 20. Dezember 2015 ist er erneut in das Bundesgebiet eingereist. An diesem Tag wurde er um … Uhr in einem aus Österreich kommenden Zug in Rosenheim von der Bundespolizei aufgegriffen und in die Justizvollzugsanstalt (JVA) … verbracht. Das Amtsgericht Rosenheim ordnete mit Beschluss vom 21. Dezember 2015 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung an, die mit der Festnahme am 20. Dezember 2015 beginnt und spätestens am 31. Januar 2016 endet. Bei seiner Festnahme hatte der Kläger ein am 19. Dezember 2015 in Mailand ausgestelltes Dokument bei sich, das besagt, dass sein Antrag auf internationalen Schutz in Italien abgelehnt wurde.
Nach einer Eurodac-Treffermeldung vom 21. Dezember 2015 hat der Kläger bereits in Italien einen Asylantrag gestellt (Treffer „IT1“). Das Bundesamt richtete daher am 23. Dezember 2015 ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO an die zuständige italienische Stelle. Die Zwei-Wochen-Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO lief nach Berechnung des Bundesamts am 6. Januar 2016 ab. Die zuständige italienische Stelle wies das Wiederaufnahmegesuch am 11. Januar 2016 zurück, akzeptierte es aber schließlich am 19. Januar 2016 auf erneute Anfrage des Bundesamts.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom … Dezember 2015 stellte der Kläger beim Bundesamt einen erneuten Asylantrag.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2016, zugestellt am 13. Januar 2016, wurde der Asylantrag des Klägers für unzulässig erklärt (Nr. 1) und die Abschiebung nach Italien angeordnet (Nr. 2). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3).
Am … Januar 2016 erhob der Kläger die vorliegende Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 11. Januar 2016 mit dem Antrag auf Bescheidsaufhebung. Er meint, das Verwaltungsgericht Stuttgart sei wegen seiner ursprünglichen Zuweisung in den Landkreis Esslingen örtlich zuständig. Weder die Aus- und Wiedereinreise noch der aktuelle Aufenthalt in der JVA … änderten etwas an dieser Zuweisung, insbesondere weil er nunmehr einen erneuten Asylantrag gestellt habe.
Mit Beschluss vom 27. Januar 2016 (M 1 S 16.50008) ordnete das Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung der Klage vom … Januar 2016 gegen den Bescheid des Bundesamts vom 11. Januar 2016 an. Daraufhin wurde die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung beendet und eine für 28. Januar 2016 vorgesehene Abschiebung nach Italien storniert.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Asylakten Bezug genommen.
II.
Das Verwaltungsgericht München erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Stuttgart (§ 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i. V. m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG).
Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Stuttgart ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat.
Eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz ist hier gegeben, weil sich der Kläger gegen eine Entscheidung des für Asylverfahren zuständigen Bundesamts wendet, die auf der Grundlage der Dublin III-VO die Unzulässigkeit seines Asylantrags, die Abschiebungsanordnung nach Italien und die Bestimmung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zum Inhalt hat (vgl. Scheidler in Gärditz, VwGO, 1. Aufl. 2013, § 52 Rn. 18).
Der Kläger hat seinen Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Bezirk des Verwaltungsgerichts Stuttgart zu nehmen. Dies ergibt sich aus § 71 Abs. 7 Satz 1 Asylgesetz (AsylG), nach dem die letzte räumliche Beschränkung fort gilt, wenn der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt war. Der Asylantrag vom 30. Dezember 2015, der nach seit 24. November 2015 rechtskräftiger Klageabweisung durch das Verwaltungsgericht Stuttgart erfolgt ist, stellt dabei einen Folgeantrag nach § 71 AsylG dar, weil als unanfechtbare Ablehnung des Asylantrags im Sinne dieser Vorschrift jede Ablehnung zu qualifizieren ist, ohne Rücksicht darauf, ob eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags stattgefunden hat (Hailbronner, AuslR, Stand Jan. 2016, § 71 AsylG Rn. 24 und 30). Unerheblich ist nach dem Gesetzeswortlaut, der an die letzte räumliche Beschränkung „während des früheren Asylverfahrens“ anknüpft, ob die räumliche Beschränkung des vorangegangenen Asylverfahrens möglicherweise aufgehoben worden ist (vgl. OVG NRW, B. v. 10.3.2015 – 18 B 1316/14 – juris Rn. 7). Den vorgelegten Asylakten lässt sich entnehmen, dass der Kläger im Rahmen des Asylerstverfahrens vom Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 19. Januar 2015 dem Landratsamt Esslingen zur vorläufigen Unterbringung zugeteilt worden war (vgl. § 50 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Die entsprechende räumliche Beschränkung ergibt sich aus § 56 Abs. 1 AsylG.
Im Rahmen des weiteren, derzeit laufenden Asylverfahrens ist bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 Satz 1 VwGO, § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) keine andere Zuweisungsentscheidung ergangen. Insbesondere kann eine solche nicht in der Begründung der Zurückschiebehaft und der Inhaftierung in … gesehen werden, weil diese zeitlich vor der Stellung des erneuten Asylantrags lag (vgl. OVG NRW, a. a. O.).
Örtlich zuständig für die Entscheidung über die vorliegende Streitsache ist damit das für den Landkreis Esslingen zuständige Verwaltungsgericht Stuttgart.
Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 75 Nr. 12 i. V. m. § 11 Abs. 2 AufenthG wurde zusammen mit der Dublin-Regelung und als deren Annex angefochten, so dass die gerichtliche Zuständigkeit insoweit der der Hauptsacheregelung folgt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (§ 83 Satz 1 VwGO, § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).


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