Verwaltungsrecht

Verwirkung des Anspruchs des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten

Aktenzeichen  15 ZB 17.45

Datum:
10.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6996
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
BayBO Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Speziell im öffentlichen Nachbarrecht können mit Blick auf das besondere nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis auch materielle Abwehrrechte sowie Schutzansprüche des Nachbarn auf bauordnungsrechtliches Eingreifen verwirkt werden, wenn der Beschwerte eine lange Zeit (hier: 5 Jahre) abgewartet hat und aufgrund der Umstände des Enzelfalls mit der Geltendmachung des Nachbarrechts schlechthin nicht mehr zu rechnen war (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 50638; BeckRS 2002, 21960). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

N 6 K 14.1816 2016-10-11 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt als Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung G. vom Beklagten ein bauordnungsrechtliches Einschreiten gegen eine auf dem nördlich angrenzenden Grundstück des Beigeladenen (FlNr. …) in unmittelbarer Nähe zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichteten Stützmauer und einer dahinter (d.h. auf dem Beigeladenengrundstück) erfolgten Aufschüttung.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 2014 lehnte das Landratsamt D. einen Antrag des Klägers vom 5. September 2014 ab, gegenüber dem Beigeladenen die Beseitigung der Stützmauer und der Aufschüttung anzuordnen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass eine konkrete Einsturzgefahr der Mauer nicht erkennbar sei. Ein bauaufsichtliches Einschreiten aus Sicherheitsgründen sei nicht geboten. Zwar könnten wegen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO) grundsätzlich Abwehrrechte bestehen, der Kläger habe einen Einschreitensanspruch hinsichtlich der Mauer, die im Jahr 2009 errichtet und bislang in keiner Weise beanstandet worden sei, aber verwirkt.
Der Kläger erhob am 4. November 2014 beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage mit den Anträgen, den Bescheid vom 9. Oktober 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Anordnung des Sofortvollzugs gegenüber dem Beigeladenen die Beseitigung der Mauer und der Aufschüttung innerhalb eines Monats sowie hierfür ein Zwangsgeld i.H. von 30.000 Euro anzuordnen. Während des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens legte der Kläger dem Verwaltungsgericht ein vom Landgericht D* … im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits zwischen ihm und dem Beigeladenen in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vom 3. Juli 2015 vor, das hinsichtlich der streitgegenständlichen Stützwand zu folgendem Prüfergebnis kommt (Seite 19):
„Die Gründung der Mauer entspricht nicht den anerkannten Regeln der Technik. Sie ist nicht ausreichend frosttief und auf einem nicht drainierten Schotterpaket gegründet. Die fehlende Frosttiefe und fehlende Dränung kann mittelfristig zu Verformungen des Bodens unter dem Schotterpaket und darauf folgenden Bewegungen der Mauer führen, wodurch Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit eingeschränkt werden können.“
Mit Urteil vom 11. Oktober 2016 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die Verpflichtungsklage des Klägers ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die ohne Baugenehmigung errichtete Stützmauer mit einer Höhe von 3,90 m über dem vorhandenen Gelände bzw. 2,55 m gemessen ab dem ursprünglichen Geländeverlauf sei zwar wegen Überschreitung der Maße gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO formell illegal. Der Kläger habe aber weder unter dem Gesichtspunkt einer Vernässung noch aufgrund der Verletzung des Abstandsflächenrechts oder der Anforderungen an die Standsicherheit einen Rechtsanspruch gem. Art. 76 Satz 1 BayBO auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung. Die verbleibende Möglichkeit, gegen die behauptete Eigentumsbeeinträchtigung zivilrechtlich vorzugehen, habe der Kläger durch Klageerhebung beim Landgericht wahrgenommen. Für einen Einschreitensanspruch des Klägers aus Art. 54 Abs. 4 BayBO fehle es – unabhängig vom Charakter als Ermessensnorm – mangels konkreter Einsturzgefahr an der tatbestandlichen Voraussetzung einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Substanziierungsanforderungen genügt, § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
a) Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht deshalb ernstlich zweifelhaft, weil das Verwaltungsgericht – wie der Kläger im Zulassungsverfahren einwendet – zu Unrecht von einer Verwirkung ausgegangen sei.
Die Verwirkung stellt eine besondere Ausprägung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) dar. Danach darf ein – prozessuales oder materielles – Recht nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment) (vgl. BVerwG, B.v. 23.12.2015 – 2 B 40.14 – juris Rn. 21). Speziell im öffentlichen Nachbarrecht können mit Blick auf das besondere nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, das von den Nachbarn nach Treu und Glauben gesteigerte Rücksichten gegeneinander fordert, auch materielle Abwehrrechte sowie Schutzansprüche des Nachbarn auf bauordnungsrechtliches Eingreifen verwirkt werden, wenn der Beschwerte – hier der Kläger – eine lange Zeit abgewartet hat und aufgrund der Umstände des Enzelfalls mit der Geltendmachung des Nachbarrechts schlechthin nicht mehr zu rechnen war (vgl. BVerwG, B.v. 18.3.1988 – 4 B 50.88 – NJW 1988, 730 = juris Rn. 2 ff.; B.v. 13.8.1996 – 4 B 135.96 – BauR 1997, 281 = juris Rn. 3; B.v. 8.1.1997 – 4 B 228.96 – juris Rn. 5; B.v. 11.2.1997 – 4 B 10.97 – NJW 1998, 329 = juris Rn. 2; B.v. 16.4.2002 – 4 B 8.02 – BauR 2003, 1031 = juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 21.3.2012 – 14 ZB 11.2148 – juris Rn. 12; .v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 5; Seidel, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Nachbarschutz, 2000, Rn. 622 m.w.N.).
Genau nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht eine Verwirkung einer Anspruchsposition aus Art. 76 Satz 1 BayBO wegen einer Verletzung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts (Art. 6 BayBO) angenommen. Es hat hierzu ausgeführt, der Kläger könne trotz Abstandsflächenpflichtigkeit der Stützmauer wegen Maßüberschreitung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO diesbezüglich keine Anspruchsposition auf bauordnungsrechtliches Eingreifen geltend machen, weil er hinsichtlich des Abstandsflächenverstoßes sein materielles Abwehrrecht nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwirkt habe. Der Kläger habe gegen den im Nachbarschaftsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, weil er sich erstmalig am 5. September 2014 und damit fast fünf Jahre nach Errichtung der Stützmauer mit seinem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten an das Landratsamt gewandt habe, obwohl er bereits viel früher Kenntnis von der Existenz der vom klägerischen Grundstück ohne Weiteres voll einsehbaren Stützmauer gehabt habe. Nach dieser langen Wartezeit habe der Beigeladene, der auf der Grundlage der Stützmauer bereits die genehmigte Halle zur Erweiterung seines Metzgereibetriebs errichtet habe, nicht mehr mit Einwendungen des Klägers gegen die Stützmauer rechnen müssen. Dies gelte umso mehr, als der Kläger die streitgegenständliche Stützmauer in die durch Bescheid vom 18. April 2013 genehmigten Baupläne für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf seinem Grundstück aufgenommen habe.
Die im Zulassungsverfahren erhobenen Einwendungen haben dem nichts entgegenzusetzen, was eine Berufungszulassung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 BauGB rechtfertigen könnte. Der Kläger bringt gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, er habe sein Abwehrrecht verspätet und deswegen unter Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht vor, das Ausmaß der ungenehmigt errichteten Stützmauer sowie die Tragweite der Folgen dieser Mauer für sein eigenes Grundstück hätten ihm erst einige Jahre nach der Errichtung voll bewusst werden können. Die Dimension des Problems sei ihm erst im Zusammenhang mit seinem Wohnbauvorhaben auf seinem Grundstück erkennbar geworden. So sei vor allem erst in diesem Zusammenhang erkennbar gewesen, wie sehr sich die Stützmauer nicht nur optisch, sondern darüber hinaus auch funktionell auf das klägerische Grundstück auswirke, nicht zuletzt im Hinblick auf dessen Vernässung. Es fehle insofern sowohl an einer zutreffenden und ausreichenden Würdigung aller entscheidungserheblichen Tatsachen als auch an einer zutreffenden rechtlichen Sachverhaltswürdigung. Ein Zeitraum von fünf Jahren möge im Allgemeinen für eine Verwirkung ausreichen, das gelte aber nicht unter den Umständen des vorliegenden Falles.
Mit diesen Einwendungen wird der Kläger schon nicht den gesetzlichen Anforderungen an das Gebot der Darlegung eines Berufungszulassungsgrundes gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO gerecht. Dieses erfordert auch bei der Geltendmachung ernstlicher Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes. Schon wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Zulassungsverfahren einerseits und im nachfolgenden Berufungsverfahren andererseits genügt es in der Regel nicht, etwa unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen und unter schlichter Wiederholung der eigenen Ansichten die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. Auch eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substanziierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 ZB 16.1365 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Dem werden die Ausführungen des Klägers im vorliegenden Zulassungsverfahren nicht gerecht. Zum einen wiederholt die Zulassungsbegründung vom 30. Januar 2017 im Wesentlichen nur das, was in der Klageschrift vom 31. Oktober 2014 sowie in weiteren Schriftsätzen (vom 7. November 2014, 30. Mai 2015) bereits erstinstanzlich gegenüber dem Verwaltungsgericht vorgetragen wurde. Relevante neue Argumente, die sich speziell gegen die konkrete Subsumtion des Verwaltungsgerichts richten, sind nicht ersichtlich. Zum andern ist auch unter Berücksichtigung der dem Senat vorliegenden Aktenunterlagen nicht logisch nachvollziehbar, dass erst durch den Abbruch des Wohngebäudes die Dimension der streitgegenständlichen Mauer gerade hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die von Art. 6 BayBO geschützten Belange (Belichtung, Besonnung, Belüftung sowie – str. – Wohnfriede; vgl. Dohm/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Dezember 2017, Art. 6 Rn. 1 m.w.N.) erkennbar gewesen sei. Wie dem Plan mit der Darstellung des Urgeländes im Bauantragsverfahren des Klägers 40-15/2013-B (vgl. hierzu die Baugenehmigung vom 18. April 2013) sowie den Bauvorlagen des Beigeladenen zum Bauantragsverfahren 40-345/2003-B (vgl. hierzu die Baugenehmigung vom 5. August 2009 und die Verlängerungsbescheide vom 10. September 2013 und vom 14. August 2015) zu entnehmen ist, befand sich auf dem Grundstück FlNr. … lediglich ein kleiner Teil des (zwischenzeitlich abgebrochenen) baulichen Altbestandes des Klägers mit einer Länge von ca. 6 – 7 m unmittelbar an der Nordgrenze zum Grundstück des Beigeladenen (FlNr. …*), sodass – worauf auch der Beigeladene im Zulassungsverfahren (Schriftsatz vom 27. Februar 2017) hingewiesen hat – zum damaligen Zeitpunkt der Errichtung im Jahr 2009 nur ein kleinerer Teil der Stützwand aus der Blickrichtung des klägerischen Grundstücks (also von Süd nach Nord) vom baulichen Altbestand verdeckt gewesen kann, während der überwiegende Teil der Stützmauer auch damals schon vom Kläger aus einsehbar war. Auch hiermit setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht den Verwirkungsaspekt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausschließlich im Zusammenhang mit dem – s.o.: bereits seit Errichtung der Stützmauer ohne weiteres erfassbaren – Verstoß gegen Art. 6 BayBO thematisiert hat. Die Verwirkung spielte demgegenüber hinsichtlich der Verneinung einer Anspruchsposition des Klägers auf bauordnungsrechtliches Einschreiten wegen einer Vernässung für das Erstgericht keine Rolle. Eine auf Baumaßnahmen auf dem Baugrundstück zurückzuführende Vernässung – wie sie der Kläger im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren behauptet hat – hat ebenso wie die in Art. 10 BayBO reglementierte Standsicherheit [hierzu im Folgenden unter b) ] auch inhaltlich mit den von Art. 6 BayBO geschützten Belangen (s.o.) nichts zu tun. Der Vortrag des Klägers, die durch die Stützmauer bzw. die Aufschüttung bewirkte Vernässung sei erst später erkennbar gewesen, geht mithin in Bezug auf den Verwirkungsgedanken von vornherein ins Leere. Soweit das Verwaltungsgericht Ansprüche des Klägers wegen Vernässung unter Rekurs auf die Kommentarliteratur (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 446) ausschließlich mit der Erwägung abgelehnt hat, dass insofern von vornherein kein öffentlich-rechtliches Abwehrrecht bestehe und dass dem Kläger hier allein der Zivilrechtsweg zur Durchsetzung seines Anliegens zur Verfügung stehe, ist der Kläger dem im Zulassungsverfahren nicht entgegengetreten. Inwiefern ggf. hier ein besonderer Ausnahmefall einer gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßenden, unzumutbaren Belastung des Nachbargrundstücks aufgrund unsachgemäßer Beseitigung von Niederschlagswasser vorliegen könnte (BayVGH, B.v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – BRS 70 Nr. 126 = juris Rn. 20; B.v. 11.9.2012 – 15 CS 12.634 – Rn. 13 f.; B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris Rn. 19), ist mithin vom Senat im Zulassungsverfahren wegen § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht zu prüfen.
b) Auch soweit der Kläger einwendet, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass das Landratsamt seinen Antrag auf bauordnungsrechtliches Einschreiten ermessensfehlerfrei abgelehnt habe, ist kein Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dargelegt.
Der Kläger hat sich insofern vielmehr lediglich auf den pauschalen Einwand begrenzt, es fehle an einer ausreichenden Erhebung und an einer zutreffenden Würdigung der anspruchsbegründenden Tatsachen sowie an einer zutreffenden Sachverhaltswürdigung. Sein Vorwurf, das Erstgericht habe weder die Einsturzgefahr der Mauer hinreichend berücksichtigt noch den Umstand, dass die Mauer in eklatant rechtswidriger Weise zum Nachteil des Klägers errichtet worden sei, trifft zum einen so nicht zu; zum andern fehlt es auch insofern an einer hinreichenden substanziierten Darlegung der Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils im Wege einer kritischen Durchdringung der erstinstanzlichen Entscheidung und an einer kritischen Detailauseinandersetzung mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts.
Fragen der richtigen oder fehlerhaften Ermessensausübung sind vom Verwaltungsgericht – folgerichtig, weil ein Einschreitensanspruch unter dem Gesichtspunkt der Vernässung von ihm schon mangels Betroffenheit einer öffentlich-rechtlich geschützten Rechtsposition verneint wurde und weil Ansprüche wegen Verletzung des Art. 6 BayBO wegen Verwirkung abgelehnt wurden, vgl. oben a) – ausschließlich im Zusammenhang mit Anspruchspositionen wegen mangelnder Standsicherheit der Stützmauer thematisiert worden. Auch insofern bestünden – so das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen – im Ergebnis keine Anspruchspositionen aus Art. 76 Satz 1 BayBO auf bauordnungsrechtliches Einschreiten oder Neubescheidung. Das im Rahmen des zivilrechtlichen Rechtsstreitverfahrens eingeholte Sachverständigengutachten vom 3. Juli 2015 attestiere zwar, dass die Mauer nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche (keine ausreichende Frosttiefe, Gründung auf nicht dräniertem Schotterpaket), sodass es mittelfristig zu Verformungen des Bodens unter dem Schotterpaket und im Anschluss zu Bewegungen der Mauer führen könne. Hieraus könne grundsätzlich geschlossen werden, dass die Anforderungen des Art. 10 BayBO an die Standsicherheit nicht erfüllt seien. Insofern habe ein Nachbar aber nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine Ermessensreduzierung auf null und damit ein Rechtsanspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten liege nur dann vor, wenn eine unzumutbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochwertige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit bestehe. Für eine konkrete Einsturzgefahr gebe es aber keine Hinweise. Das Sachverständigengutachten spreche nur von einer mittelfristigen Beeinträchtigung und enthalte keine Hinweise auf Anzeichen für eine Einsturzgefahr. Auch vom Kläger selbst seien keine derartigen Anzeichen, beispielsweise Verformungen der Mauer, vorgetragen worden. Das Landratsamt habe daher ermessensfehlerfrei den klägerischen Antrag mit der Erwägung abgelehnt, dass eine konkrete Einsturzgefahr nicht erkennbar sei, sodass ein bauordnungsrechtliches Einschreiten aus Sicherheitsgründen nicht geboten sei.
Auch dem hat die Zulassungsbegründung nichts Substanziiertes entgegenzusetzen. Die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts bezüglich der Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf null im Anwendungsbereich von Art. 75, Art. 76 BayBO deckt sich mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Danach ist dem Nachbarn unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung des Nachbarn zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn die von der (potenziell) rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2002 – 2 ZB 00.780 – juris Rn. 2; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92 – NVwZ-RR 1994, 631 = juris Rn. 26; vgl. auch BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15.95 – NVwZ-RR 1997, 271 = juris Rn. 17; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 490 m.w.N.), insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (Bay VGH München, B.v. 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355 – juris Rn. 9 m.w.N.). Der Vortrag des Klägers in der Zulassungsbegründung, die streitgegenständliche Stützmauer sei formell und materiell illegal und verletze ihn in seinen Rechten, genügt mithin nicht, um einen strikten Anspruch wegen Ermessensreduzierung zu begründen. Der Kläger setzt sich im Übrigen – worauf sowohl der Beklagte als auch der Beigeladene im Zulassungsverfahren zu Recht hingewiesen haben – mit den einzelnen Erwägungen des Verwaltungsgerichts speziell zur fehlenden k o n k r e t e n Einsturzgefahr und zur deswegen fehlenden Ermessensreduzierung nicht konkret auseinander. Ebenso ist nicht ersichtlich, warum das vom Verwaltungsgericht angenommene Fehlen einer konkreten Einsturzgefahr ein sachwidriges und daher ermessensfehlerhaftes Argument sein könnte, um ein bauordnungsrechtliches Einschreiten nach Art. 76 Satz 1 VwGO abzulehnen. Auch insofern fehlt es an jeglicher Darlegung, warum die ausführlich in Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Sachverständigengutachten erfolgte Grundannahme in den Entscheidungsgründen, es liege tatsächlich keine konkrete Einsturzgefahr vor, falsch sein könnte. Aufgrund derselben Erwägungen genügen die Einwendungen des Klägers nicht, um begründen zu können, warum die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich seiner subsumierenden Ausführungen zu Art. 54 Abs. 4 BayBO ernstlich zweifelhaft sein könnte.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Aus den Erwägungen zu 1. ergibt sich, dass nach Maßgabe des Vortrags des Klägers im Zulassungsverfahren weder die Verwirkungsfrage noch Fragen rund um die Ermessensausübung bzw. um eine vom Kläger behauptete Ermessensreduzierung auf null eine überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeit begründen. Die grundsätzlichen Fragen zur Verwirkung auch und gerade im öffentlichen Baunachbarrecht sind geklärt, vgl. oben zu 1. Auch aus dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht von einer Einzelrichterübertragung abgesehen hat, lässt sich ein Schluss auf besondere Schwierigkeiten gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründen (BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 7 ZB 16.550 – juris Rn. 6).
3. Eine Zulassung der Berufung kommt schließlich nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Betracht. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat, wobei zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 5, Abs. 5 Satz 2 VwGO) die Frage nicht nur auszuformulieren, sondern zudem auch substanziiert auszuführen ist, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 33 ff. m.w.N.; B.v. 3.1.2018 – 15 ZB 16.2309 – juris Rn. 21).
Der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage,
„unter welchen Voraussetzungen es auch bei längerem Zuwarten letztlich nicht zur Verwirkung des Rechts eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten kommt (…), wenn (…) nach den besonderen Umständen der Sachlage davon auszugehen ist, dass die Tragweite sowie die schwerwiegenden und nachhaltigen Folgen einer illegalen Baumaßnahme nicht schon bei der Durchführung, sondern erst später, möglicherweise (…) mehrere Jahre später in vollem Umfang erkennbar werden“,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung im vorgenannten Sinn zu. Die Voraussetzungen für die Verwirkung nachbarlicher Ansprüche auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten sind in der Rechtsprechung hinreichend geklärt, s.o. 1 a). Ob die Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind, ist rechtsgrundsätzlicher Klärung nicht zugänglich, betrifft m.a.W. keine grundsätzliche Frage (vgl. BVerwG, B.v. 3.8.2010 – 4 B 8.10 – juris Rn. 4; B.v. 5.9.2014 – 4 B 35.14 – juris Rn. 4 m.w.N.). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Insbesondere fehlt es auch insofern an einer substanziierten Durchdringung des Prozessstoffs und der tragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts und damit an einer ordnungsgemäßen Geltendmachung des Zulassungsgrunds am Maßstab von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Denn auch insofern ist ausschlaggebend, dass das Verwaltungsgericht die Verwirkung nur herangezogen hat, um einen Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten wegen einer Verletzung des Abstandsflächenrechts (Art. 6 BayBO) gegenüber dem Kläger abzulehnen. Es ist aber weder offensichtlich noch im Einzelnen vom Kläger nachvollziehbar dargelegt worden, dass gerade die vom Schutzzweck des Abstandsflächenrechts umfassten Auswirkungen auf ihn nach Errichtung der Mauer im Jahr 2009 zunächst nicht hätten beurteilt werden können [s.o. 1 a) ].
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt. Der Beigeladene hat sich mit dem Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag näher auseinandergesetzt und dabei mit zutreffender Argumentation zur Verfahrensförderung beigetragen (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 76 m.w.N.). Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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