Verwaltungsrecht

Vollstreckung bestandskräftiger Untersagung gewerblicher Krankenpflege – Nichtvollzugszugsage

Aktenzeichen  M 16 K 16.3730

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GDVG GDVG Art. 18 Abs. 4
BayVwZVG BayVwZVG Art. 29, Art. 38
BayVwVfG BayVwVfG Art. 38 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die gesonderte Androhung unmittelbaren Zwangs nach einer bestandskräftigen Untersagung (einer gewerblichen Krankenpflege) kann nur insoweit angefochten werden, als eine Rechtsverletzung in der Androhung selbst liegt (Art. 38 Abs. 1 S. 3 VwZVG). Die von der Behörde in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene Nichtvollzugszusage (Art. 38 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG) steht der Androhung und Vollstreckung nicht entgegen, wenn der Kläger die Voraussetzungen der Zusage nicht eingehalten hat, weil er weder ein Betriebs- und Sanierungskonzept vorgelegt noch die Gläubiger befriedigt hat. (redaktioneller Leitsatz)
Auch wenn die Behörde nach Ablauf der Frist nicht mehr an die Nichtvollzugszusage gebunden ist, besteht für sie keine zwingende Verpflichtung, bereits zu diesem Zeitpunkt Vollzugsmaßnahmen einzuleiten („Anwendungsermessen“). Aus einem Entgegenkommen der Behörde kann jedoch kein Anspruch auf weiteren Vollstreckungsaufschub abgeleitet werden (Eilverfahren hierzu: BeckRS 2016, 55277). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Soweit die Aufhebung des Bescheids vom 3. August 2016 begehrt wird, ist die Klage zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts vom 3. August 2016 in der Fassung vom 15. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Auch wenn bereits in dem – infolge der Klagerücknahme bestandskräftig gewordenen – Bescheid vom 26. Januar 2015 eine Zwangsmittelandrohung enthalten war, war das Landratsamt jedenfalls nicht gehindert, nach der erfolgten Aussetzung der Vollstreckung erneut förmlich ein Zwangsmittel anzudrohen (vgl. auch VGH BW, U. v. 27.6.1990 – 5 S 2180/89 – juris Rn. 23).
Gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG kann die Androhung nur insoweit angefochten werden, als eine Rechtsverletzung durch die Androhung selbst behauptet wird, sofern die Androhung – wie hier – nicht mit dem zugrundeliegenden Verwaltungsakt verbunden ist und dieser unanfechtbar geworden ist. An der Wirksamkeit der Klagerücknahme bestehen keine Zweifel (vgl. zur Klagerücknahme im Rahmen einer Vereinbarung auch BayVGH, U. v. 6.4.1976 – 327 II 74 – juris Rn. 15). Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ist daher in diesem Zusammenhang nicht zu überprüfen.
Eine Rechtsverletzung durch die Androhung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Untersagungsverfügung ist nicht ersichtlich. Die Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 Abs. 1 und 2 VwZVG lagen vor. Da die Androhung eines Zwangsgelds im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Klägerin nicht erfolgversprechend war, bestehen gegen die Auswahl des Zwangsmittels „unmittelbarer Zwang“ keine rechtlichen Bedenken. Gleiches gilt hinsichtlich der nun bestimmten Erfüllungsfrist bis zum Ablauf des 16. Dezember 2016. Der Klägerin kann es billigerweise zugemutet werden, der Einstellung des Betriebs innerhalb eines Monats nachzukommen (vgl. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Dies entspricht auch der im Bescheid vom 26. Januar 2015 ursprünglich gesetzten Frist. Diesbezügliche Einwände hat die Klägerin im Übrigen auch nicht vorgetragen.
Die Androhung erweist sich im Übrigen auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil der Beklagte diese im Hinblick auf die gegebene Nichtvollzugszusage nicht hätte erlassen dürfen. Da dies auch im Zusammenhang mit dem Feststellungsantrag von Bedeutung ist, wird auf die weiteren Ausführungen hierzu verwiesen.
In Bezug auf den Feststellungsantrag dürfte die Klage ebenfalls zulässig sein. Sie ist jedoch auch insoweit unbegründet.
Die Klage dürfte wegen des Ausschlusses der Möglichkeit einer Vollstreckungsabwehrklage entsprechend § 767 ZPO als vorbeugende Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 26. Januar 2015 für unzulässig zu erklären, zulässig sein (vgl. hierzu VGH BW, U. v. 24.2.1992 – 5 S 2520/91 – juris Rn. 27; vgl. auch Harrer/Kugele/Kugele/Thum/Te-gethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand Juli 2016, Art. 21 VwZVG, Erl. 1).
Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Vollstreckung nicht zu. Ein solcher ergibt sich nicht (mehr) aus der von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2015 getroffenen Vereinbarung. Ein gerichtlicher Vergleich im Sinne von § 106 VwGO liegt nicht vor.
Der Beklagte hatte dabei zugesichert, unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Untersagungsbescheid vom 26. Januar 2015 vorläufig nicht zu vollstrecken.
Die verwaltungsrechtliche Zusage ist im Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz nur insoweit geregelt, als sie sich auf den Erlass oder Nichterlass eines Verwaltungsakts bezieht (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Eine wirksame Zusage begründet für ihren Inhaber einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf das zugesagte Verhalten (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 38 Rn. 6).
Die Nichtvollzugszusage des Landratsamts war hier an mehrere Voraussetzungen gebunden, die in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. September 2015 im Einzelnen niedergelegt sind. Diese waren ausweislich der Niederschrift auch nochmals vorgelesen und genehmigt worden. Von der Wirksamkeit der Zusage ist auszugehen.
Die Voraussetzungen für den vorläufigen Nichtvollzug waren auch nicht zu unbestimmt. Vielmehr war die erste Voraussetzung in unzweifelhafter Form, dass die Klägerin bis Ende März 2016 ein Betriebs- und Sanierungskonzept vorlegt (vgl. Nr. 1 Satz 1 der Zusage). Da die Klägerin bis Ende März 2016 dem Landratsamt keinerlei Unterlagen vorgelegt hat, hat sie bereits diese Voraussetzung unstreitig nicht erfüllt. Es kommt daher in diesem Zusammenhang nicht darauf, ob die später vorgelegten Dokumente den an das Betriebs- und Sanierungskonzept gestellten Anforderungen genügten (vgl. Nr. 1 Satz 2 der Zusage). Zudem hätte die Klägerin auch erstmals zum 31. März 2016 durch Bestätigungen der Gläubiger ihre Zahlungen an die AOK sowie die monatliche Ratenzahlungen an das Finanzamt nachweisen müssen. Auch dies hat sie nicht getan. Ob die Klägerin zudem auch weitere Voraussetzungen der Nichtvollzugszusage nicht erfüllt hat, kann hier dahinstehen, da es hierauf nicht mehr entscheidungserheblich ankommt. Wie sich aus der Formulierung der Zusage eindeutig ergibt, waren alle Voraussetzungen für den Vollstreckungsaufschub kumulativ zu erfüllen. Da die Klägerin jedenfalls einzelne Voraussetzungen nicht erfüllt hat, kann sie aus der Nichtvollzugszusage keine (weiteren) Ansprüche herleiten. Der Beklagte ist daher durch die Zusage nicht mehr gebunden, von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen.
Die Klägerin kann auch keine weitergehenden Ansprüche aus dem weiteren Verhalten des Landratsamts nach Ablauf des März 2016 herleiten. Auch wenn der Klägerin nochmals Gelegenheit gegeben wurde, weitere Unterlagen einzureichen, wurde ihr zu keiner Zeit ein weiterer Vollstreckungsverzicht in Aussicht gestellt. Vielmehr wurde ihr in den entsprechenden Schreiben mehrfach deutlich gemacht, dass sie den Verpflichtungen aus der Untersagungsverfügung (bis zum 31. Juli 2016) nachzukommen habe, da sie die Voraussetzungen der Nichtvollzugszusage nicht erfüllt habe.
Obwohl der Beklagte nach Ablauf des März 2016 nicht mehr an die Nichtvollzugszusage gebunden war, bestand für ihn keine zwingende Verpflichtung, bereits zu diesem Zeitpunkt Vollzugsmaßnahmen einzuleiten. Der Behörde steht insoweit ein „Anwendungsermessen“ (vgl. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG) zu (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 1.3.2012 – 9 ZB 11.2528 – juris Rn. 17; B. v. 20.12.2001 – 1 ZE 01.2820 – juris Rn. 15; vgl. auch VG Regensburg, U. v. 22.4.2010 – RO 5 K 09.1472 – juris Rn. 43). Aus dem Umstand, dass das Landratsamt der Klägerin insoweit ein weiteres Entgegenkommen gezeigt hat, kann diese jedoch keinen Anspruch auf Gewährung eines weiteren Vollstreckungsaufschubs herleiten.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben