Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für die Annahme eines Zweitantrags nach § 71a AsylG

Aktenzeichen  Au 6 K 17.35139

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2407
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26a, § 71a

 

Leitsatz

Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Oktober 2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

Die Anfechtungsklage (Nr. 1 des Klageantrags) ist zulässig und auch begründet. Der Bescheid vom 20. Oktober 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Verpflichtungsanträge (Nr. 2 und Nr. 3 des Klageantrags) sind dagegen unzulässig und insoweit abzuweisen. Über die Klage konnte gem. § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
1. Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet.
a) Gegen die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – Rn. 12 -21, juris) die Anfechtungsklage statthaft:
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, erfolgt die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der – materiell-rechtlich unverändert geregelte – Fall, dass im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Sie verschlechtert die Rechtsstellung des Klägers, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt. Ferner erlischt mit der nach § 71 Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das vom Kläger endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97 – BVerwGE 106, 171 ), hält das Bundesverwaltungsgericht daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest. Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
b) Die Klage ist insoweit, als die Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes begehrt wird, auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 20. Oktober 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Durchführung eines Asylerstverfahrens. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Zweitantrags i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
aa) Vorliegend fehlt es an einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 29).
(1) Ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren kann dabei nicht bereits mit einer rechtskräftigen Zuständigkeitsentscheidung im Dublin-System begründet werden. Denn der Asylsuchende hat einen Anspruch darauf, dass ein von ihm innerhalb der EU gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der EU geprüft wird. Könnte sich ein Schutzsuchender, dessen Asylantrag in einem anderen Mitgliedsstaat in der Vergangenheit lediglich wegen fehlender Zuständigkeit unanfechtbar abgelehnt wurde, nach Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte im Dublin-System nicht auf die Durchführung eines Erstverfahrens berufen, entstünde die Situation eines „refugee in orbit“, in der sich kein Mitgliedstaat für die uneingeschränkte sachliche Erstprüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Denn die Durchführung eines Zweitverfahrens ist an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen geknüpft (§ 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG), bspw. einer Änderung der Sach- oder Rechtslage oder dem Vorliegen neuer Beweismittel. Dies würde dem zentralen Anliegen des Dublin-Regimes zuwiderlaufen, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden (Erwägungsgrund 5 der Dublin III-VO). Das schließt allerdings nicht aus, dass Asylanträge aus anderen Gründen, etwa wegen mangelndem Betreiben des Asylverfahrens durch den Antragsteller, ohne Sachprüfung abgelehnt werden können (BVerwG, U.v. 27.4. 2016 – 1 C 24/15 – juris Rn. 20).
(2) Hiervon ausgehend ist im Fall der Klägerin ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.v. § 71a AsylG, hier Schweden, nicht ersichtlich. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass in Schweden neben der Prüfung zur Bestimmung der Zuständigkeit im Dublin-System das eigentliche Asylverfahren durchgeführt wurde und es dort zu einem endgültigen Abschluss (über die Frage der Zuständigkeit im Dublin-System hinaus zu einer Sachprüfung des Antrags auf internationalen Schutz) gekommen ist. Zwar liegen neben den Angaben der Klägerin über ein erfolgloses Asylverfahren in Schweden Auskünfte des Königreichs Schweden über einen Asylantrag in ihrem Zuständigkeitsbereich vor. Daraus kann jedoch nicht zweifelsfrei auf einen erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens (nach Einstieg in die inhaltliche Prüfung) geschlossen werden.
Die schwedische Migrationsbehörde hat mit Beschluss vom 1. April 2017 den Antrag der Klägerin auf Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung gemäß Kapitel 5 § 1c des Ausländergesetzes abgewiesen und ihren Antrag auf Statusklärung gemäß Kapitel 4 § 3b des Ausländergesetzes eingestellt sowie ihre Überführung nach Italien gemäß Art. 19.1 und 19.3 der Dublin-VO (343/2003/EG) bestimmt (Bundesamtsakte S. 125, 144).
Insbesondere die angeordneten Abschiebung nach Italien unter Verweis auf Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABI EG Nr. L 50 S. 1 – Dublin-II-VO), spricht hier gegen eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens. Denn gemäß Art. 19 Abs. 1 Dublin-II-VO teilt der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, dem Antragsteller die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, mit, wie es im Fall der Klägerin durch das Königreich Schweden geschehen ist. In Italien hat die Klägerin keinen Asylantrag gestellt, in Schweden wurde die Klägerin auf die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung ihres Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes verwiesen. Damit ist davon auszugehen, dass es im Fall der Klägerin bisher über die Frage nach der Zuständigkeit im Dublin-System hinaus noch zu keiner inhaltlichen Prüfung gekommen ist und ihr ein Zugang zur sachlichen (Erst-) Prüfung ihres Schutzgesuchs verwehrt wird.
bb) Nach alledem steht die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 71a AsylG nach derzeitiger Aktenlage nicht hinreichend fest. Daher durfte die auf § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 AsylG und § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung nicht ergehen.
cc) Soweit das Bundesamt im Bescheid vom 20. Oktober 2017 das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt hat, ist diese Entscheidung im Rahmen der Anfechtungsklage bereits deshalb aufzuheben, da sie jedenfalls verfrüht ergangen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21).
2. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.
a) Ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag (hier Ziffer 2. des Klageantrags) kommt hier nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist (BVerwG, U.v. 14.12. 2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 19) und einem darauf gerichteten Klageantrag somit das Rechtschutzbedürfnis fehlt. Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 71a AsylG ergangenen Bescheides ist das Asylverfahren durch die Beklagte fortzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache selbst zu prüfen (vgl. VG Berlin, U.v. 6.6.2016 – 33 K 154.15A – juris Rn. 18).
b) Ebenso wenig ist im Falle einer Pflicht der Beklagten, das Asylverfahren als Erstverfahren fortzuführen, die isolierte gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor der Fortführung des Asylverfahrens zulässig. Vor der Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag hat die Klägerin grundsätzlich noch kein Rechtsschutzbedürfnis auf gerichtliche Entscheidung über das Bestehen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Denn die Prüfung eines Asylbegehrens folgt einem gestuften Aufbau, bei dem die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. für die Zuerkennung internationalen Schutzes einem nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorgehen (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Soweit das Bundesamt neben einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung auch das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt hat, ist diese Entscheidung im Rahmen der Anfechtungsklage bereits deshalb aufzuheben, da sie jedenfalls verfrüht ergangen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21). Einer gerichtlichen Entscheidung über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote bedarf es in diesem Verfahrensstadium dabei insbesondere auch deshalb nicht, da von einer Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, abgesehen werden kann, soweit der Asylantragsteller bei Fortsetzung des Asylverfahrens als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinnes des § 1 Abs. 1 Nummer 2 AsylG zuerkannt wird (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten fallen nach § 83b AsylG nicht an.


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