Verwaltungsrecht

Vorbescheid für Nutzungsänderung eines Wohngebäudes im Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 18.1826

Datum:
22.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4184
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4
VwGO § 108 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die erleichterte Zulassung eines Außenbereichsvorhabens nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BauGB ist zwar nicht auf unwesentliche Änderungen oder Nutzungsänderungen beschränkt. Ausgeschlossen sind jedoch Veränderungen, die einer Neuerrichtung oder einer Erweiterung im Sinne des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, 3, 5 und 6 BauGB gleichkommen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein Bauherr ein Gesamtvorhaben oder mehrere Einzelvorhaben zur Genehmigung bzw. hierzu eine selbständige Voranfrage gestellt hat, beurteilt sich nach dem jeweiligen Antrag, der unter Umständen der Auslegung bedarf. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen. Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.5039 2018-03-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldnerinnen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerinnen begehren die Erteilung eines Vorbescheids für die Nutzungsänderung des bislang zu Wohnzwecken genehmigten und genutzten östlichen Teils des Bestandsgebäudes (ehemaliger „Bauhof“ des Schlosses H …) auf den im Außenbereich gelegenen Grundstücken FlNr. … …, Gemarkung L …, zu einem Gastronomie- und Schulungsbetrieb. Nach den vorgelegten Plänen zum Vorbescheidsantrag vom 6. November 2012 soll im Erdgeschoss eine Gaststätte und im Obergeschoss ein Schulungsraum entstehen. Auf den Außenflächen im südlichen und östlichen Bereich ist ein ca. 250 m² großer gastronomischer Außenbereich vorgesehen, der nach der Erläuterung zur Außenanlagenplanung vom 15. März 2016 als Terrasse ausgestaltet werden soll. Im östlichen Bereich ist zudem ein ca. 125 m² großer Parkplatz mit zehn Stellplätzen geplant. Das Landratsamt lehnte den Vorbescheidsantrag ab, da das im Außenbereich gelegene Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtige. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. März 2018 abgewiesen. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Es könne offenbleiben, ob das Bestandsgebäude das Bild der Kulturlandschaft präge, da jedenfalls die Errichtung bisher nicht vorhandener Außenanlagen nicht von der Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB umfasst sei.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und des sinngemäß geltend gemachten Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das geplante Vorhaben nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB teilprivilegiert ist. Das Zulassungsvorbringen zeigt hierzu keine ernstlichen Zweifel auf. Die erleichterte Zulassung eines Außenbereichsvorhabens nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB ist zwar nicht auf unwesentliche Änderungen oder Nutzungsänderungen beschränkt. Ausgeschlossen sind jedoch Veränderungen, die einer Neuerrichtung oder einer Erweiterung im Sinn des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 3, 5 und 6 BauGB gleichkommen (BVerwG, B.v. 18.10.1993 – 4 B 160.93 – NVwZ-RR 1994, 307). Der geplante Gastronomieaußenbereich mit einer ca. 250 m² großen Terrasse stellt sich hiernach nicht als bloße Änderung oder Nutzungsänderung des Bestandsgebäudes im Sinn des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB dar. Die Inanspruchnahme der bislang nicht überbauten Flächen durch eine Terrasse ist jedenfalls in dieser Größenordnung entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht nur eine Umgestaltung, sondern eine Erweiterung, die nicht der Teilprivilegierung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB unterfällt. Ob die Terrasse gegenüber dem Bestandsbaukörper lediglich untergeordnet ist, ist daher ohne Belang.
Ohne Erfolg machen die Klägerinnen geltend, dass die Nutzungsänderungen innerhalb des Bestandsgebäudes zulässig seien und der beantragte Vorbescheid sowie die hierauf gerichtete Klage auf Grund der Teilbarkeit der Voranfrage nicht mit der Begründung der fehlenden bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Außenanlagen abgelehnt bzw. abgewiesen werden könnten. Gegenstand einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines Genehmigungssowie Vorbescheidsverfahrens ist das Vorhaben im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB. Es ist Sache des Bauherrn, durch seinen Genehmigungs- bzw. Vorbescheidsantrag den Inhalt des Vorhabens festzulegen, soweit er sich innerhalb derjenigen Grenzen hält, die einer Zusammenfassung oder Trennung objektiv gesetzt sind. Ob ein Bauherr ein Gesamtvorhaben oder mehrere Einzelvorhaben zur Genehmigung bzw. hierzu eine selbständige Voranfrage gestellt hat, beurteilt sich nach dem jeweiligen Antrag, der unter Umständen der Auslegung bedarf (BVerwG, B.v. 6.2.2013 – 4 B 39.12 – juris Rn. 11; B.v. 5.3.1999 – 4 B 62.98 – BauR 1999, 1281; BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562; SächsOVG, B.v. 13.8.2012 – 1 B 242/12 – NVwZ-RR 2013, 14). Entsprechende Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für ein mehrere Baumaßnahmen umfassendes „Gesamtvorhaben“, das objektiv betrachtet jeweils getrennt beurteilt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 1.12.2020 – 1 ZB 20.1282 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2019 – 15 ZB 18.2264 – juris Rn. 13). Dass der Gastronomieaußenbereich selbst Gegenstand der Voranfrage war, wird vom Zulassungsvorbringen nicht in Zweifel gezogen und ergibt sich auch bei sachgerechter Auslegung der mit dem Vorbescheidsantrag vorgelegten Unterlagen. Die Klägerinnen haben in ihrem Vorbescheidsantrag vom 6. November 2012 – anders als hinsichtlich der Stellplätze – keine Differenzierung ihrer Fragestellung zwischen der Nutzungsänderung des Bestandsgebäudes und der Zulässigkeit des planerisch dargestellten Gastronomieaußenbereichs vorgenommen. Für das Vorliegen einer Einheit spricht auch der Umstand, dass die geplante Terrasse im Plan als gastronomische Außenfläche dargestellt wird und durch den dort geplanten Haupteingang zur Gaststätte miteinander verbunden ist. Damit ist das Landratsamt und dem folgend das Verwaltungsgericht zutreffend von einem einheitlichen Konzept und von einer einheitlichen Frage ausgegangen.
2. Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO werden behauptet, jedoch nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Klägerinnen machen geltend, es liege eine überraschende Entscheidung vor, da das Verwaltungsgericht für die Klageabweisung tragend auf die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit der Außengastronomieflächen abgestellt habe, obwohl dieser Gesichtspunkt in der mündlichen Verhandlung nicht thematisiert worden sei. Die von den Klägerinnen in diesem Zusammenhang gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) ist darin nicht zu erkennen. Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt. Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt erst dann vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 29.9.2015 – 7 B 22.15 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Der Vertreter des Beklagten hat bereits in seinem Schriftsatz vom 23. März 2017 darauf hingewiesen, dass der Außengastronomiebereich sowie die neu zu errichtenden Stellplätze nicht von der Teilprivilegierung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB erfasst sind. Die Klägerinnen hätten daher – selbst wenn dieser Gesichtspunkt seitens des Verwaltungsgerichts nicht erörtert worden wäre – die Möglichkeit gehabt, dieser aus ihrer Sicht unzutreffenden Beurteilung in der mündlichen Verhandlung argumentativ entgegen zu treten.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldnerinnen zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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