Verwaltungsrecht

vorbeugender Rechtsschutz, Antrag auf Außerkraftsetzung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO, kein Anordnungsanspruch, kein Anordnungsgrund

Aktenzeichen  W 9 E 21.524

Datum:
16.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16387
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 123
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,
„§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO im Zuge der gegen den Antragsteller verhängten Platzverweise aufgrund von Teilnahmen an Gegenprotesten gegen die Initiative ´Eltern stehen auf Würzburg` außer Kraft zu setzen“,
bleibt unter jedem denkbaren Gesichtspunkt erfolglos.
1. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags.
Wörtlich beantragt der Antragsteller die Außerkraftsetzung einer bundesgesetzlichen Norm im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO durch das Verwaltungsgericht Würzburg. Ein solcher Antrag ist bereits nicht statthaft, da er nicht auf einen rechtlichen Erfolg (bzw. auf ein Weniger dazu) gerichtet ist, der auch im Rahmen einer Hauptsacheklage erreicht werden könnte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 9).
Wenn man bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) den Antrag des Antragstellers dahingehend versteht, dass er die Aussetzung der Vollziehung von (künftig) durch den Antragsgegner ergehenden Platzverweisen begehrt, fehlt es aufgrund § 123 Abs. 5 VwGO an der Statthaftigkeit eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls unstatthaft, da es an einem sofort vollziehbaren, noch nicht erledigten Verwaltungsakt fehlt (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 130).
Sollte der Antragsteller entsprechend seinem Antrag in der Hauptsache begehren, dem Antragsgegner die Erteilung von Platzverweisen gegen ihn im Rahmen von Versammlungen der Initiative „Eltern stehen auf Würzburg“ (ESA) im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO einstweilen zu untersagen, ist zumindest fraglich, ob dem Antragsteller das hierfür notwendige Rechtsschutzbedürfnis zusteht.
Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung kommt die Inanspruchnahme vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutzes nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn es dem Betroffenen nicht zuzumuten ist, sich auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessenen und ausreichend angesehenen nachträglichen vorläufigen Rechtsschutz verweisen zu lassen, weil die Gefahr besteht, dass ansonsten vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder für den Betroffenen ein nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 9 CE 10.2468 – juris Rn. 20; VG Würzburg, B.v. 18.2.2011 – W 5 E 11.78 – juris Rn. 16). Ob seitens des Antragstellers ein solches qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis besteht, bedarf vorliegend allerdings keiner abschließenden Klärung.
2. Jedenfalls ist der Antrag unbegründet.
2.1 Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen, nötig erscheint. Im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist der Antrag begründet, wenn der aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll, hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen hat der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
An beidem fehlt es hier. Der Antragsteller hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung weder einen Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
2.2 Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
Ein einfachgesetzlicher Anspruch auf Außerkraftsetzung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO existiert nicht. Eine Ableitung eines unmittelbaren Leistungsanspruchs aus den als Abwehrrechten formulierten Grundrechten kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 57). Zu einer Außerkraftsetzung formeller, nachkonstitutioneller Normen des Bundesrechts ist das Verwaltungsgericht auch gar nicht befugt, da gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verwerfungsmonopol beim Bundesverfassungsgericht liegt (vgl. BVerfG, B.v. 21.12.1997 – 2 BvL 6/95 – juris Rn. 25). Dies dient dem Schutz des direktdemokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers, damit sich die einfachen Gerichte gerade nicht, wie vom Antragsteller begehrt, im Einzelfall über die gesetzgeberischen Konzeptionen hinwegsetzen können.
Soweit der Antragsteller seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als flankierenden Antrag zu seiner im Verfahren W 9 K 21.523 gestellten Unterlassungsklage verstanden wissen möchte und somit – auch oder hilfsweise – die einstweilige vorbeugende Untersagung der Verhängung weiterer Platzverweise gegen ihn begehrt, besteht ebenfalls kein Anordnungsanspruch. Ein genereller Anspruch auf die unbedingte Unterlassung einzelner polizeilicher Maßnahmen ist bereits grundsätzlich nicht denkbar (vgl. VG Würzburg, B.v. 18.2.2011 – W 5 E 11.78 – juris Rn. 17), da die Gerichte andernfalls in unzulässiger Weise in den der Polizei zugewiesenen Ermessensspielraum eingreifen würden.
2.3. Darüber hinaus fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. Eine besondere Eilbedürftigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hat der Antragsteller weder glaubhaft gemacht, noch überhaupt vorgetragen. Der pauschale Verweis darauf, dass bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weitere Demonstrationen der ESA stattfinden werden, in deren Zuge Platzverweise gegen den Antragsteller erteilt werden könnten, ist zu vage, um einen Anordnungsgrund glaubhaft machen zu können.
3. Der Antrag war daher vollumfänglich mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung resultiert aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Mangels näherer Angaben zum wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers geht die Kammer im Hauptsacheverfahren vom Auffangstreitwert aus, der im vorliegen Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu halbieren war.


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